Nun ist die deutsche Stunde der Weltkirche abgelaufen

1. März 2013 in Kommentar


Vom Land der Reformation fällt durch das Ende des Pontifikats Benedikts XVI. eine kulturelle Herausforderung ab, der sich – quer durch die Konfessionen - viele nie gewachsen fühlten. Von Paul Badde (Die Welt)


Vatikan (kath.net/Die Welt) Der Verzicht des Papstes auf sein Amt ist ein einmaliges Ereignis, doch ganz ohne Beispiel ist er nicht. Benedikt XVI. zieht sich nicht gescheitert, sondern so frei und souverän zurück wie Karl V., der kein Papst, sondern Kaiser war, aber eine der größten Herrschergestalten des Abendlands, als er am 25. Oktober 1555 die Krone ablegte, um sich nach Spanien in ein Kloster zurück zu ziehen.

Es war eine der ergreifendsten Szenen der Geschichte Europas. 1530 war Karl V. vom Papst zum letzten römisch-deutschen Kaiser gekrönt worden. Sein Reich, in dem die Sonne nie unterging, erstreckte sich über mehrere Erdteile. In seiner Regierungszeit war es zur Spaltung der Christenheit in Europa gekommen. Auch die Eroberung Mexikos und des Inkareiches, der Sacco di Roma und die Abwehr der Türken fielen unter seine Regentschaft.

Nun übergab er in seinem Brüsseler Hof gichtgebeugt, in schwarzem Samt, in Trauerkleidung wie zu seiner eigenen Beerdigung, gestützt auf Wilhelm von Oranien, die Herrschaft an seinen Sohn Philipp. Sein Rückblick zum Abschied muss hier im Wortlaut zitiert werden.

„Vor vierzig Jahren wurde ich König von Spanien, dann selbst Kaiser – nicht um über noch mehr Reiche zu gebieten, sondern um für das Wohl Deutschlands und der anderen Reiche zu sorgen, der gesamten Christenheit Frieden und Eintracht zu erhalten und zu schaffen und ihre Kräfte gegen die Türken zu wenden. Große Hoffnungen hatte ich. Nur wenige haben sich erfüllt, und nur wenige bleiben mir. Das hat mich schließlich müde und krank gemacht. Ich habe alle Wirrnisse nach Menschenmöglichkeit bis heute ertragen, damit niemand sagen könnte, ich sei fahnenflüchtig geworden. Aber jetzt wäre es unverantwortlich, die Niederlegung noch länger hinauszuzögern. Meine Kräfte reichen einfach nicht mehr hin. Ich weiß, dass ich viele Fehler begangen habe, große Fehler, erst wegen meiner Jugend, dann wegen des menschlichen Irrens und wegen meiner Leidenschaften, schließlich aus Müdigkeit. Aber bewusst habe ich niemandem Unrecht getan, wer es auch sei. Sollte dennoch Unrecht entstanden sein, geschah es ohne mein Wissen und nur aus Unvermögen: ich bedaure es öffentlich und bitte jeden, den ich gekränkt haben könnte, um sein Verzeihen.“

Mönch wurde Karl V. danach zwar nicht, doch er zog sich tatsächlich in das Kloster San Jerónimo de Yuste in einen Winkel Spaniens zurück, um sich die letzten drei Jahre seines Lebens von seinem Lager aus in die blutunterlaufenen Augen des verhöhnten Hauptes Christi zu versenken, in das Antlitz des gepeinigten Königs der Könige, vor dem der vormals mächtigste Herrscher Europas am 21. September 1558 schließlich für immer seine Augen schloss. Ecce homo!

Die Parallele springt in die Augen, als Benedikt XVI. vor zwei Wochen in seiner pelzbesetzten roten Mozetta und der päpstlichen Feststola in seinem Palast vor die anwesenden Kardinäle trat. Er war der erste Papst des neuen Jahrtausends. Auch in seinem „Reich“ ging die Sonne nicht unter, das dennoch nicht ganz von dieser Welt ist. Größer war die römisch-katholische Kirche noch nie. Neue und unerhörte Herausforderungen hatten auf den Pontifex Maximus gewartet.

Er war ein oberster Brückenbauer zwischen auseinander driftenden Universen, die Benedikt XVI. fest im Blick hatte, als er auf Lateinisch folgende Erklärung vorlas: „Nachdem ich wiederholt mein Gewissen vor Gott geprüft habe, bin ich zur Gewissheit gelangt, dass meine Kräfte infolge des vorgerückten Alters nicht mehr geeignet sind, um in angemessener Weise den Petrusdienst auszuüben. Ich bin mir sehr bewusst, dass dieser Dienst wegen seines geistlichen Wesens nicht nur durch Taten und Worte ausgeübt werden darf, sondern nicht weniger durch Leiden und durch Gebet. Aber die Welt, die sich so schnell verändert, wird heute durch Fragen, die für das Leben des Glaubens von großer Bedeutung sind, hin- und hergeworfen. Um trotzdem das Schifflein Petri zu steuern und das Evangelium zu verkünden, ist sowohl die Kraft des Köpers als auch die Kraft des Geistes notwendig, eine Kraft, die in den vergangenen Monaten in mir derart abgenommen hat, dass ich mein Unvermögen erkennen muss, den mir anvertrauten Dienst weiter gut auszuführen. Im Bewusstsein des Ernstes dieses Aktes erkläre ich daher mit voller Freiheit, auf das Amt des Bischofs von Rom, des Nachfolgers Petri, das mir durch die Hand der Kardinäle am 19. April 2005 anvertraut wurde, zu verzichten. Ich danke euch von ganzem Herzen für alle Liebe und Arbeit, womit ihr mit mir die Last meines Amtes getragen habt, und ich bitte euch um Verzeihung für alle meine Fehler.“ Nun breche er auf zum Berg des Gebets, wie er am letzten Sonntag sagte, zu dem er sich von Gott gerufen fühlt.

Seine Biographie scheint überwölbt von einem Kosmos voller Zeichen. Selbst das Wetter spielte da mit, vom Regenbogen über Auschwitz, als er in Birkenau als Papst aus Deutschland das Wort ergriff, bis zum Blitz in die Peterskuppel am Abend seines Rücktritts.

Er wurde geboren an einem Karsamstag, zwischen Karfreitag und Ostern. Es war am 19. April aber auch das Patrozinium der kleinen Bernadette Soubirous, der Seherin von Lourdes. Die Madonna von Lourdes hingegen ist die Patronin des 11. Februar, an dem er nun seinen Rücktritt erklärte. Am 28. Februar 1982 verabschiedete er sich in München als Erzbischof von München und Freising, nun – 31 Jahre später – verabschiedet er sich im Vatikan am 28. Februar 2013 als Bischof von Rom und Papst der Weltkirche.

Ein Timing nach himmlischer Regie scheint sein Leben zu regieren, in dem der große Konservative sein letztes Amt dennoch wohl nüchterner und moderner betrachtete als viele seiner Vorgänger.

Dass er in seiner Nachfolge des Apostels Petrus den Felsen verkörperte, auf dem Jesus von Nazareth nach katholischem Verständnis die Kirche gegründet hat, mochte er nie bezweifeln.

Als Theologe wusste er aber auch, wie schwach Petrus war. Nach dem Zeugnis der Evangelien war er der einzige Mensch, für den Jesus selbst gebetet hat.

Doch Fels ist Fels. Als Benedikt XVI. gewahr wurde, dass er zerbröselte, trat er konsequent zurück, um angesichts der vielen Herausforderungen einem felsenfesten Nachfolger den Weg frei zu machen. Er flieht sein Amt nicht, er hat es bereichert. Er verlässt nicht das brennende Rom, er muss sich von Jesus am Stadtrand nicht fragen lassen „Wohin gehst du?“ (Quo vadis?), sondern er siedelt zum Gebet in den letzten Innenraum der Kirche über. „Du aber, stärke deine Brüder!“ hieß die letzte Auftrag Jesu an Petrus. Diesem Auftrag kommt Benedikt nun im Gebet nach. Sein Martyrium ist damit noch nicht zu Ende.

Doch er tritt auch vom Fenster des päpstlichen Palastes zurück, um in den kommenden Jahren dort oben nicht in Konkurrenz zu treten zu der heroischen Agonie seines Vorgängers. Zu dieser Demut gehörte Mut. Und Anmut.

Sein Vermächtnis ist jetzt schon enorm. „Aufklärung“ ist das deutsche Wort, das darin vielleicht die größte Rolle spielt, wie im Leben Joseph Ratzingers. Der Begriff stand auch wie ein Stern über seinem Pontifikat. Eine radikale Aufklärung der katholischen Kirche über sich selbst bleibt das Siegel über dem Werk des zarten Mannes, in seinen verschiedenen Ämtern. Aufklärung über die eigenen Sünden, über alle Formen des Missbrauchs, über die Abwege und Sackgassen der Theologie, über das II. Vatikanische Konzil, den rechten Verstand der Tradition, über die Verwurzelung des Christentums im Judentum, über die überlebensnotwendige Annahme der Herausforderung eines Dialogs der Christenheit mit dem Haus des Islams, eine Aufklärung über die göttliche Liturgie und über das Mysterium des Bösen.

Am Schluss hat er sich mit einem Paukenschlag der Aufklärung verabschiedet. Seinem Nachfolger hinterlässt er ein beispielloses Dossier von drei Kardinälen über den Zustand der Kurie, wie er es selbst bei seinem Dienstantritt nur zu gut hätte gebrauchen können. Glasnost.

So transparent wie unter ihm war es im Vatikan noch nie – auch nicht, was das Profil der katholischen Weltkirche betraf.

Das hat nicht allen gefallen, am wenigsten vielen Deutschen. Von einer „Befreiung in Rom“ schrieb Bernd Ulrich deshalb in der Hamburger „Zeit“ nach dem Verzicht Benedikt XVI. auf sein überschweres Amt. Wer den Leitartikel las, konnte darin auch von einer Entlastung erfahren – die allerdings nicht der Papst, sondern die Deutschen durch diesen Schritt erfahren haben. Tatsächlich fällt mit dem Verzicht von dem Land der Reformation eine kulturelle Herausforderung ab, der sich – quer durch die Konfessionen - viele nie gewachsen fühlten.

Als Benedikt XVI. am 19. April 2005 gewählt wurde, schien es vielen Beobachtern, als sei der letzte Weltkrieg damit endlich vorbei, den Deutschland im letzten Jahrhundert gegen die ganze Welt begonnen hatte.

Beim Ende dieses Pontifikats zeigt sich, dass das zerrissene Land noch immer im Krieg mit sich selber liegt. Auch darüber hat Joseph Ratzinger aufgeklärt.

Diesen Prozess haben viele nicht mitgemacht. Die Nation war nicht stolz auf ihren größten Sohn in diesem Jahrhundert.

Nun ist die deutsche Stunde der Weltkirche abgelaufen. Was seine alte Heimat betrifft, erinnert Benedikts Abschied an den Türhüter in Kafkas „Process“, der am Schluss das Tor mit den Worten schließt: „Hier konnte niemand sonst Einlass erhalten, dieser Eingang war nur für Dich bestimmt.“


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