26. März 2013 in Interview
Glaubenspräfekt Müller zu den Perspektiven des neuen Pontifikats. Von Johannes Schidelko und Ludwig Ring-Eifel (KNA)
Vatikanstadt (kath.net/KNA) Papst Franziskus hat den deutschen Kurienerzbischof Gerhard Ludwig Müller (Foto) in seinem Amt als Präfekt der Glaubenskongregation bis auf weiteres bestätigt. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) sprach mit ihm in Rom über Perspektiven und Stil des neuen Pontifikates.
KNA: Wie verändert der neue Papst die Kirche?
Müller: Jeder Papst bringt seine eigene Persönlichkeit und seinen individuellen Stil mit; keiner kann eine Kopie seines Vorgängers sein. Jeder ist der Nachfolger des Apostels Petrus - und nicht seines Vorgängers. Jeder Papst muss das Petrusamt mit seinen Lebenserfahrungen und Prägungen ausfüllen.
KNA: Sehen Sie eine Prägung dieser Art - nach einer Woche?
Müller: Dazu ist es noch zu früh. Der Papst hatte noch keine Gelegenheit, eine Vision, ein detailliertes Konzept zu entwerfen. Sicher wird er seine Erfahrungen aus Lateinamerika mit dessen gesellschaftlichen Problemen positiv einbringen. Aber man kann die Weite der Weltkirche nicht nur auf die lateinamerikanische Dimension eingrenzen.
KNA: Erwarten Sie in Sachen Kollegialität neue Akzente? Franziskus hat mehrfach betont, dass er Bischof von Rom ist.
Müller: Es ist eine Tatsache, dass der Papst Bischof von Rom ist und der Bischof von Rom auch Hirte der universalen Kirche. Das kann man nicht voneinander trennen.
KNA: Die Medien sprechen bereits von einer «Revolution Bergoglio». Teilen Sie diese Wertung?
Müller: Die Grundlagen der Kirche, die Gott gelegt hat, lassen sich nicht von Menschen verändern. Vorstellen kann man sich einen neuen Stil. Sicher kann man das eine oder andere vereinfachen, etwa in der Liturgie. Die soll einfach und schlicht sein, zugleich aber auch die Schönheit und die Freude des Glaubens darstellen, worin sich die «Herrlichkeit Gottes» widerspiegelt.
KNA: Sehen Sie im neuen Pontifikat Kontinuität oder Wandel?
Müller: Kontinuität ganz klar in der Glaubensverkündigung oder der Liturgie. Wandel in den Methoden, wenn es notwendig ist, auf neue Herausforderungen einzugehen. Die Welt dreht sich. Daher können wir bei den Ausdrucksformen kirchlichen Lebens nicht immer nur Vergangenes kopieren und unverändert weiterführen. Wir müssen auf konkrete Herausforderungen eingehen - unter Wahrung der Substanz. Das Glaubensbekenntnis ist kein Parteiprogramm, das jeweils an neue Erwartungen angepasst wird.
KNA: Warum hat Franziskus das Thema Entweltlichung aufgenommen, das schon Benedikt XVI. thematisierte?
Müller: Die Kirche steht immer zwischen den Extremen der Verweltlichung und der Weltfremdheit. Das eine besagt, dass sie sich einfach nach dem Maß dieser Welt richtet und das Reich Gottes nicht mehr in den Mittelpunkt stellt. Die «Reformation» ist entstanden mit der folgenden Abspaltung großer Teile der Christenheit, als man der Kirche eine zu große Verweltlichung vorgeworfen hat. Insofern ist das Wort Entweltlichung auch ein Aufruf gegen jede Form von Verweltlichung der Kirche.
Aber es darf nicht falsch ausgerichtet werden im Sinne einer Idealisierung der Kirche, die nur noch eine unsichtbare Kirche, eine Gesinnungsgemeinschaft sein will. Bei Entweltlichung kann es nicht um einen Rückzug gehen. Sie ist Voraussetzung und nicht Gegensatz zur Weltverantwortung der Kirche Gottes.
KNA: In den ersten Ansprachen von Papst Franziskus tauchten Begriffe auf, die auch in der Befreiungstheologie benutzt werden. Was heißt das?
Müller: Bei der Befreiungstheologie geht es um das konkrete Engagement für die Armen. Unsere Rede von der Würde des Menschen ist in die Wirklichkeit umzusetzen. Wir müssen prophetisch und kritisch ungerechte Strukturen aufzeigen und aktiv gegen sie vorgehen, weil sie dem christlichen Menschenbild diametral widersprechen. Keiner darf von den Gütern dieser Erde ausgeschlossen werden. Das gilt auch im Verhältnis der Völker zueinander. Wir können nicht akzeptieren, dass manche Länder halbe Erdteile als ihren Hinterhof betrachten.
KNA: Besteht nicht die Gefahr, dass ein Papst, der diese Begriffe benutzt, Beifall von der falschen Seite bekommt?
Müller: Manche Leute sind für die Befreiungstheologie, weil sie sie für eine linke Ideologie halten. Für mich gilt als Kriterium, was jemand tatsächlich für die Armen tut. Und da ist der Kommunismus der größte Feind der Armen.
KNA: Wird die Kirche ihre Position zur Befreiungstheologie, die sie in den 80er Jahren präzisiert hat, nun neu fassen?
Müller: Ich glaube nicht, dass das notwendig ist. Die Erklärung von 1986 wägt sehr gut ab, was unter Befreiungstheologie in einem positiven katholischen Sinn verstanden werden kann. Einen klaren Trennungsstrich muss man zu einer Art von Theologie ziehen, die sich von einem marxistischen, atheistischen Menschenbild leiten lässt.
Ebenso abzulehnen sind Strömungen, die Heil schaffen wollen, indem sie den Großteil der Bevölkerung unterdrücken, wie wir es im Leninismus-Stalinismus erlebt haben. Nach dem universalen Heilswillen Gottes sollen alle Menschen gerettet werden.
KNA: Leonardo Boff hat sich fast hymnisch über die Papstwahl und über den neuen Papst geäußert. Ist das ein Problem?
Müller: Wenn Boff der ganzen Linie von Papst Franziskus folgt und das Papsttum anerkennt, ist es gut. Es geht nicht an, dass der Papst für Zwecke instrumentalisiert wird, die nichts mit dem Petrusdienst zu tun haben. Ich würde mich freuen, wenn Boff sich ganz vom Evangelium her bestimmen lässt und sich auf den Boden der katholischen Glaubenslehre stellt.
KNA: Der neue Papst hat ja bereits zweimal das Thema Bewahrung der Schöpfung angesprochen. Was meint er damit?
Müller: Wir betrachten die Schöpfung als eine Gabe, die Gott uns gibt. Benedikt XVI. hat im Deutschen Bundestag von der Ökologie der Umwelt gesprochen, aber auch von der Ökologie des Menschen. Es geht uns um den Menschen, der in einem geordneten Kosmos lebt und nicht im Chaos, ohne Orientierung an die Grundprinzipien der Wahrheit und der Gerechtigkeit. Zum Einsatz für die Schöpfung gehört für daher auch die Bewahrung der Dualität von Mann und Frau, und die darin liegende Offenheit auf das Kind, auf neues Leben hin.
KNA: Wie geht es mit den Piusbrüdern weiter?
Müller: Die Glaubenskongregation war von Benedikt XVI. beauftragt worden, mit der Priesterbruderschaft Gespräche über eine mögliche Rückkehr in die Einheit mit der Kirche zu führen. Als Ergebnis wurde eine dogmatische Präambel verfasst, deren Unterzeichnung und inhaltliche Anerkennung Vorbedingung für eine volle Gemeinschaft dieser Priester mit der katholischen Kirche ist. Jeder Papst muss darauf bestehen, dass alle Konzilien als Ausdruck des höchsten kirchlichen Lehramtes anerkannt werden. Und dazu gehören auch das Zweite Vatikanische Konzil und die nachfolgenden Äußerungen des Lehramtes. Wer das nicht anerkennt, ist kein Katholik.
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