Fels oder Stolperstein?

29. März 2013 in Deutschland


Kölner Kardinal Meisner in Gründonnerstagspredigt: „Da wird einer zum Felsenmann berufen, und hier erweist er sich als Stolperstein für das Reich Gottes. Mit wem kann der Herr noch rechnen? Auf wen kann er noch bauen?“


Köln (kath.net/pek) „Da wird einer zum Felsenmann berufen, und hier erweist er sich als Stolperstein für das Reich Gottes. Mit wem kann der Herr noch rechnen? Auf wen kann er noch bauen?“ Das sagte der Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner in seiner Gründonnerstagspredig im vollbesetzen Kölner Dom. Außerdem erinnerte er daran, dass wir „stehen und fallen mit dem Glauben an die leibhaftige Gegenwart des Herrn in der Eucharistie“, dies gelte „nicht nur für uns Priester, sondern das gilt für jeden katholischen Christen“.

kath.net dokumentiert die Predigt von Joachim Kardinal Meisner, Erzbischof von Köln, zum Gründonnerstag im Hohen Dom zu Köln am 28. März 2013 in voller Länge:

Liebe Schwestern, liebe Brüder!
1. Zum Gründonnerstag gehören die Apostel, denen der Herr sich in der eucharistischen Gabe selbst aushändigt. Er entleibt sich gleichsam, um sich die Apostel einzuverleiben.

Dazu steht am Gründonnerstag der Abendmahlssaal von Jerusalem im Mittelpunkt. Aber der Gründonnerstagabend hat auch eine Gründonnerstagnacht. Und darin spielt der Apostel Petrus keine unwesentliche Rolle.

Er musste sich schon am frühen Abend im Abendmahlssaal vom Herrn korrigieren lassen, als er sich nicht die Füße waschen lassen wollte. Und Jesus sagte ihm ausdrücklich: „Wenn ich dich nicht wasche, hast du keinen Anteil an mir“ (Joh 13,8).

Und der impulsive Petrus kommt gleich mit der Antwort: „Herr, dann nicht nur meine Füße, sondern auch die Hände und das Haupt“ (Joh 13,9), d.h. also den ganzen Petrus. Wie wird er diese Zusicherung durchhalten?

2. Nachdem der Herr gefangen weggeführt worden war, schlägt die Stimmung um. Petrus, der starke Mann, wagt sich doch in den Vorhof des hohepriesterlichen Palastes hinein und sitzt dort am Feuer, um sich zu wärmen. Man wird gleich an seine Reaktion bei einer der Leidensankündigungen Christi erinnert: „Und wenn alle an dir Anstoß nehmen – ich niemals! ... Und wenn ich mit dir sterben müsste – ich werde dich nie verleugnen“ (Mt 26,33.35).

Nun steht Petrus in der Nacht des Gründonnerstags in der Bewährung. Damals hatte ihm der Herr schon gesagt: „In dieser Nacht, noch ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen“ (Mt 26,34).

Und genau das passiert in der Nacht, in der der Herr die Solidarität des ersten Mannes seines Apostelkollegiums brauchte. Als eine diensttuende Magd des Hohenpriesters ihn erkannte, verleugnete er den Herrn, indem er sagte: „Frau, ich kenne ihn nicht“, zum zweiten auf die Frage: „Du gehörst auch zu ihnen“ ist seine Antwort: „Nein, Mensch, ich kenne ihn nicht“. Und er wird noch von einem weiteren erkannt. Auf seine Feststellung antwortet er: „Mensch, ich weiß nicht, wovon du sprichst“.

„Im gleichen Augenblick“, heißt es bei Lukas „krähte ein Hahn“. Da wandte sich der vorübergeführte Herr um und blickte Petrus an, und Petrus erinnerte sich an die Worte des Herrn, die er zu ihm gesagt hatte: „Ehe heute der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen“. Und er ging hinaus und weinte bitterlich (vgl. Lk 22,54-62).

Das ist auch Gründonnerstag.

3. Petrus ließ sich doch nach dem Einspruch Jesu die Füße waschen, sodass er nun auch Gemeinschaft mit ihm hatte, und trotzdem: Er verleugnete ihn dreimal.

Er hatte den Text nicht verstanden. Der Herr sollte ihn laufen lassen. Mit dem kann er kein Land erobern. Im letzten Moment, inmitten des Verrates, erreicht ihn der Herr, indem er sich umschaut und ihn anblickt.

Diese Szene ist mir schon immer in den Passionsberichten unverständlich und erschütternd gewesen und geblieben. Da wird einer zum Felsenmann berufen, und hier erweist er sich als Stolperstein für das Reich Gottes. Mit wem kann der Herr noch rechnen? Auf wen kann er noch bauen? Rein menschlich gesehen müssen dem Herrn die letzten Hoffnungen in diesem Moment gestorben sein. Diese unvergessliche biblische Szene – der vorübergeführte gefangene Jesus am verratenden Petrus vorbei – ist mir unvergesslich geblieben.

Aber noch aus einem anderen, mehr privaten Grund, kann ich diese Begegnung nicht vergessen.

Im Jahr 2000 war eine kleine Bischofsdelegation für eine Woche in Jerusalem, um Gespräche mit Juden, Muslimen und unseren dortigen Christen zu führen. Wir Bischöfe zelebrierten jeden Tag an einem anderen Ort die heilige Messe. Und immer ein anderer Bischof war der Hauptzelebrant, der uns dann auch die Homilie hielt.

Am zweiten Tag unseres Aufenthaltes feierten wir die heilige Messe in der Kapelle der Kleinen Schwestern von Charles de Foucault an der fünften Kreuzwegstation, in welcher Simon von Cyrene erwähnt wird, der Jesus das Kreuz tragen hilft. An diesem Morgen war der Hauptzelebrant und der Prediger Erzbischof Johannes Dyba von Fulda. Und er sprach über diese Schriftstelle. Auf der einen Seite der verratende Petrus, der vorher so viel an großen Worten verloren hatte, um eine solche Krise zu bestehen. Und auf der anderen Seite dann der gefesselte Herr, der an ihm vorbeigeht und ihn anschaut. Was muss das für ein Blick gewesen sein!

Erzbischof Dyba war bei dieser Homilie, so dachte ich, von tiefer Ergriffenheit gepackt, weil er sich dauernd den Schweiß abwischen musste, der in Strömen über sein Gesicht lief. Als er einige Wochen später am Herzschlag starb, wusste ich, dass zu seiner inneren Bewegung auch das kranke Herz beigetragen hatte. Er sagte mir nach dem Gottesdienst: „Ich muss mich im irdischen Jerusalem noch einmal umschauen, damit ich mich dann im himmlischen Jerusalem zurechtfinde“.

Er muss also von einer Todesahnung erfasst worden sein, sodass er uns so eindringlich den Blick des Herrn auf den verratenden Petrus dargestellt hat.

4. Der Blick in die Augen ist bekanntlich der kürzeste Weg zwischen zwei Menschen.

Wie wir hier sehen, auch der kürzeste Weg zwischen dem Gottmenschen Jesus Christus und dem verratenden Jünger Petrus.

Wir sagen in unserer Umgangssprache: „Wenn Blicke töten könnten“. Beim Blick Jesu werden wir sagen dürfen, dass Blicke zum Leben erwecken können.

Denn Petrus geht hinaus und weint bitterlich und endet nicht wie Judas mit dem Strick um den Hals an einem Baum. Er kannte diesen Blick des Herrn, unter dem er ja drei Jahre während seines öffentlichen Lebens gewirkt und gearbeitet hatte.

Dass Jesus aber in dieser kritischen Situation, wo der Verrat so offensichtlich ist, nicht die Hände vors Gesicht gelegt hat, sondern mit seinem guten Blick auf Petrus geschaut hat, war dessen Rettung und zeigt den Lebensstil Jesu.

Wir leben als Menschen Tag und Nacht unter dem Blick Gottes, der uns aber nicht wie ein Kripobeamter permanent kritisch und misstrauisch beobachtet und durchleuchtet.

Nein, wir leben unter dem guten Blick des Herrn, der um uns weiß, um unseren guten Willen, aber auch um unsere Schwäche, sodass er gerade an dem kritischsten Moment im Leben des Petrus gegenwärtig ist.

Jesus fehlt dort nicht, wo er nötig ist: neben Petrus in seiner ganzen menschlichen Tragödie und Untreue. Wir würden natürlich sagen: „Einmal und nicht wieder“. Und Jesus sagt: „Dreimal und doch wieder“, dann wird er ihm nach Ostern dreimal: „Weide meine Lämmer! Weide meine Schafe!“ (vgl. Joh 21,15-19) sagen.

5. Der Gründonnerstag ist der Eucharistietag schlechthin, der eigentliche Fronleichnamstag.

Hier macht der Herr seine Verheißung wahr: „Ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung der Welt“ (Mt 28,20). Weil uns das so selbstverständlich geworden ist, wissen wir das gar nicht mehr zu schätzen.

In meiner Zeit als Berliner Bischof besuchte ich einen alten Priester, der das Priestertum aufgegeben hatte. Er stammte aus dem Sudetenland und nahm in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts dort eine ähnliche Rolle wie bei uns Romano Guardini ein. Er war der Jugendseelsorger und Apostel der Moderne schlechthin. In der Hitlerzeit passte er sich der nationalsozialistischen Ideologie an, und dann, als die Kommunisten kamen, passte er sich dort ebenfalls an. Und damit verlor er auch sein Priestertum. Ich wollte ihn durch meinen Besuch kurz vor seinem Tode wieder mit der Kirche versöhnen. In seinem Zimmer hingen ein großes Kreuz und auch ein Marienbild. Mir ist mein Anliegen nicht gelungen. Aber er sagte mir sehr eindringlich: „Wenn die katholischen Priester wirklich an das Geheimnis der heiligen Eucharistie glauben würden, dürfte es keine Priesterkatastrophen geben. Ich habe nicht geglaubt, und darum bin ich jetzt so, wie ich bin“.

Das gilt nicht nur für uns Priester, sondern das gilt für jeden katholischen Christen.

Wir stehen und fallen mit dem Glauben an die leibhaftige Gegenwart des Herrn in der Eucharistie. Das soll von Köln aus Mitte Juni beim Eucharistischen Kongress für viele katholische Christen aus allen Diözesen Wirklichkeit werden. Dazu sollen wir jetzt schon den vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmern die Wege nach Köln bereiten, indem wir täglich das Vorbereitungsgebet für den Eucharistischen Kongress beten und uns nach unseren Möglichkeiten in den Dienst der Gründonnerstagswoche vom 5.-9. Juni 2013 in Köln stellen. Dass wir dann dort nicht fehlen, wo wir nötig sind. Amen.

Die Predigt auf Video



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