Golgatha – Das Plateau, auf dem Jesus starb

29. März 2013 in Aktuelles


Seit 1700 Jahren verehrt die Christenheit in Jerusalem den Felsen, auf dem das Kreuz Jesu gestanden haben soll. Forschungen zeigen, dass der antike Steinbruch wirklich die Schädelstätte gewesen ist. Von Paul Badde/ Die Welt.


Rom (www.kath.net/ Die Welt)
Als Anfang November 2012 unter dem Kirchenschiff der von Kaiser Wilhelm II. erbauten Erlöserkirche in Jerusalem der archäologische Park "Durch die Zeiten" eröffnet wurde, wurde ganz nebenbei auch eine Sensation verkündet: Der in der benachbarten Grabeskirche gezeigte Fels kann als das neutestamentliche Golgatha angesehen werden", erklärte Dieter Vieweger, Direktor des Deutschen Evangelischen Instituts in Jerusalem und einer der weltweit führenden Kenner des antiken Jerusalem. Die intensiven Ausgrabungen, die Vieweger und sein Team im Zusammenhang mit der Park-Anlage durchgeführt haben, überzeugten auch andere namhafte Altertumsforscher. Damit haben rationale Wissenschaft und mystische Tradition zusammengefunden.

Zur Vorgeschichte: Auf einem Felsen innerhalb der Mauern Jerusalems, den Helena, die Mutter des römischen Kaiser Konstantins um das Jahr 326 aufgrund lokaler Überlieferungen mit jener Schädelstätte identifizierte, auf der Christus nach den Aussagen der vier Evangelisten hingerichtet worden war, erbaute Konstantin die erste Grabeskirche zu Ehren der Passion und Auferstehung Christi.

Weil der Bau aber mitten in der Altstadt lag, geriet die Identifizierung spätestens im 19. Jahrhundert unter Generalverdacht. Denn dieser Lokalisierung mitten in der antiken Stadt widersprachen nicht nur die Evangelien, sondern auch die jüdischen Vorschriften, nach denen Hinrichtungen und Beerdigungen außerhalb der Stadtmauern erfolgen mussten. Außerdem war in der Grabeskirche selbst über Jahrhunderte nichts mehr zu sehen, da die Fundamente vollkommen überbaut und verkleidet worden waren.

Golgatha als Steinbruch

Die Forschungen des Deutschen Evangelischen Instituts, das seit 2007 eine Forschungsstelle des Deutschen Archäologischen Instituts ist, haben aber inzwischen eine Fülle von Belegen erbracht, dass der Ort zur Zeit Christi außerhalb der Stadt gelegen haben muss und zwar auf einem Gelände, das lange als Steinbruch genutzt wurde, was zu der Beschreibung von Golgatha durchaus passen würde. Beim Tode Jesu lag diese Stelle also keineswegs auf bewohntem Gebiet.

Zurzeit Jesu war Golgatha der letzte stehen gelassene Felsklotz eines Steinbruchs, dessen Qualität für den Hausbau nicht mehr taugte, als ihn die Römer für ihre Hinrichtungen zu nutzen begannen. Diesen Steinbruch ließ Kaiser Hadrian (76–117) auffüllen, um darauf Jerusalems neues Hauptheiligtum der Venus an jener Stelle zu errichten, die von "anderen Juden" (wie die ersten Christen in Jerusalem von den Römern genannt wurden) damals wohl schon besonders verehrt wurde.

Der Bau des heidnischen Tempels war nach der Niederschlagung des jüdischen Bar-Kochba-Aufstandes als bewusste Entweihung des Ortes gedacht. Juden wurde damals das Betreten Jerusalems bei Todesstrafe verboten.

Der Ring in der Mulde

An der Deutung Golgathas hatten die Griechen Jerusalems, die hier seit der Frühzeit das älteste Patriarchat stellen und diesen Rang schon ebenso lange eifersüchtig verteidigen, indes nie gezweifelt. "Als wir den Gipfel des Golgatha freilegten", sagte der Archäologe Theo Mitropoulos bei unserer letzten Begegnung in der Grabeskirche, "hatte den Ort schon seit 800 Jahren kein Auge mehr gesehen. Er war ganz mit Schutt bedeckt und darüber mit Marmor. Diese Stelle da vorne aber war unter einer Kalkschicht noch einmal extra mit einer Marmorplatte versiegelt."

Mitropoulos hatte 1986 vom griechischen Patriarchen den Auftrag erhalten, den Kern der Grabeskirche freizulegen. Als ich ihn Jahre später besuchte, knipste er hinter dem Altar eine kleine Lampe an und zeigte auf einen zerbrochenen steinernen Ring in einer Mulde des Felsblocks aus aschgrauem Kalkstein unter der Glasplatte. "Das ist die Stelle, wo der Herr gekreuzigt wurde. Wir hatten sie nicht gesucht. Wir hatten keine Vorstellung, hier irgendetwas außer dem nackten Felsen zu finden und waren unglaublich berührt, als wir plötzlich diesen Ring entdeckten. Denn mir war gleich klar, dass dies die Stelle war, die seit frühester Zeit als der konkrete Ort der Kreuzigung verehrt wurde."

Restauration wegen Pilgermassen

Das ist nun schon einige Jahre her. Der Pilgerstrom war damals enorm angewachsen. Rund 6000 Besucher stiegen täglich über die Treppe rechts hinter dem Eingangstor der Grabeskirche in die Golgathakapelle hoch. Der anwachsenden Pilgermassen wegen hatte das griechische Patriarchat von Jerusalem dem Altertumsforscher aus Thessaloniki zusammen mit George Lavas den Auftrag erteilt, die Kapelle gründlich zu restaurieren und dabei um den Altarbereich auch den darunter liegenden Felsen freizulegen.

Die Marmorplatten, die den Bereich verhüllten, sollten sie durch dicke Glasplatten ersetzen. Davor konnten die Pilger nur unter dem Altar durch ein eingefasstes Loch durch die Verkleidung greifen in dem frommen Glauben, auf dem Grund den Golgathafelsen zu berühren, auf dem Jesus von Nazareth hingerichtet worden sein soll. Was sie glaubten, können wir seit der Freilegung von Lavas und Mitropoulos mit eigenen Augen sehen.

"Wie hatten die Verkleidungen des 19. Jahrhunderts entfernt und sorgfältig den Erdbebenriss untersucht, der den Felsen von oben bis unten geteilt hat, 16 Meter tief", sagte Mitropoulos. "Dann haben wir Schicht für Schicht des Füllmaterials und des Kalkverputzes abgetragen, bis zur Zeit des Modestos, der im 6. Jahrhundert als erster mit Konstruktionsarbeiten einer Kapelle auf dem Hügel begonnen hat."

Fels nicht zimperlich abgetragen

Davor war man weniger zimperlich mit dem Felsen umgegangen. Die Architekten Kaiser Konstantins hatten ihn an drei Seiten kurzerhand einmal soweit abgetragen, dass er in die neue Basilika hineinpasste. Nur einen hochaufragenden Kern aus dem Mittelstück des felsigen Hügels hatten sie unangetastet gelassen. Ein paar Handbreit vor der verborgenen Mulde auf dem Gipfel hatte Mitropoulos auch das "Grafitto" einer kreuzförmigen Windrose in einem Quadrat aus dem 4. Jahrhundert gefunden, exakt wie ein Kompass, und quasi als Signatur des Ortes, die nicht nur eine erste Kreuzdarstellung enthält, sondern in der Form des griechischen Chi ("X") auch ein Christusmonogramm in der Figur des "mundus quadratus".

Das ist ein Abbild der ganzen Welt. "Danach war völlig klar, dass es sich bei dem Steinring in der Mulde um jene Verankerung handeln musste, von der die Pilgerin Aetheria im 4. Jahrhundert berichtet, dass in ihm in der Karwoche das Kreuz zur liturgischen Verehrung wieder auf dem Golgatha eingepflockt und aufgerichtet wurde, das die Kaiserinmutter Helena aufgefunden hatte."

Roher Stamm, kein gehobelter Balken

Der Steinring selbst hingegen gibt noch andere Informationen preis. Sein Durchmesser beträgt elf Zentimeter. Das heißt, das Kreuz kann nur 2,20 Meter hoch gewesen sein, maximal 2,50. Wie der Querbalken oben mit dem Stamm verbunden war, ob mit Stricken oder einer eisernen Klammer, wissen wir nicht. Anders als auf den meisten Darstellungen der Kreuzigung stand in diesem Ring jedenfalls ein roher runder Stamm, kein schön gehobelter Balken. Der an ihm angenagelt wurde, hing nicht in erhabener Höhe. Der an diesem Holz zu Tode gemartert wurde, muss in Greifweite vor den Augen seiner Mutter erstickt sein.

Mit so viel Rekonstruktion können sich viele Wissenschaftler allerding noch nicht so recht anfreunden, selbst wenn sie Viewegers Deutung akzeptieren. Sie argumentieren, dass die realistische Ausgestaltung Golgathas erst im Zuge seiner Verehrung nach der Privilegierung des Christentums durch Kaiser Konstantin erfolgt sein wird. Doch wer weiß, vielleicht erbringen die Ausgrabungen ja noch weitere Belege für die enge Verbindung zwischen Glauben und Vernunft.

Foto: © Das Gipfelplateau des Golgatha, Paul Badde.


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