Die Kirche denkt nicht in Lagern

17. April 2013 in Kommentar


Seit der Papstwahl versuchen verschiedene kirchliche Gruppierungen und Lager Papst Franziskus für sich zu vereinnahmen. Ist Franziskus nun „konservativ“ oder „progressiv“? Von Georg Dietlein


Köln (kath.net/gd) Seit der Papstwahl versuchen verschiedene kirchliche Gruppierungen und Lager Papst Franziskus für sich zu vereinnahmen. Immer geht es um die Frage: Wie ist Papst Franziskus nun wirklich? Denn bisher war eine klare Einordnung bei ihm – in scheinbarem Gegensatz zu seinem Vorgänger – unmöglich: ein Papst, der die hoheitliche Mozzetta ablegt und sich äußerlich ganz einfach gibt – ein Papst, der den Menschen Mut machen und ganz nahe bei ihnen sein will – ein Papst, der aber andererseits in dogmatischen Fragen ganz „altmodisch“ denkt und sich nicht für Reformen bei den scheinbar „so wesentlichen“ Themen wie Frauenordination, Zölibat und Sexualmoral einsetzt. Ist Franziskus nun „konservativ“ oder „progressiv“?

Der Konservative schaut nach vorne, indem er nach hinten schaut.

Die letzten Tage haben gezeigt, dass beide „Lager“ gar nicht so weit auseinanderliegen: Auch ein Konservativer muss stets veränderungs- und anpassungsbereit sein, muss das Wesentliche zu bewahren. Wer sich jeder kleinsten Erneuerung verschließt, der wird schließlich alles verlieren: „Tradition ist das Weitergeben der Glut, nicht der kalten Asche.“ Wenn sich Papst Franziskus so für einen etwas anderen liturgischen Stil entscheidet als sein Vorgänger, wenn er eine offensichtlich notwendige Reform der römischen Kurie anstrebt und auch Bereitschaft zum Abbau eines zunehmend gewachsenen römischen Zentralismus zeigt, so sind dies alles kleine Schritte der Erneuerung, um die Vergangenheit zu bewahren. Auch Tradition ist nur dann zeitlos, wenn sie sich selbst immer wieder neu in die Zeit übersetzt und so vergegenwärtigt.

Leider haben sich nach der Wahl von Papst Franziskus in den Köpfen einiger Katholiken wieder einmal Neid, Schadenfreude und Rachsucht breit gemacht: Nach Benedikt XVI. sei nun ein Papst gekommen, der alle Erwartungen der „Konservativen“ niedermache und die Kirche nach dem „gescheiterten Pontifikat“ von Papst Benedikt XVI. endlich einmal auf den Kopf stelle. Ohne Frage: Papst Franziskus macht vieles anders. Aber hat sich eine solche Andersartigkeit bisher nicht in der Person jedes Papstes wiedergespiegelt? Rief uns nicht auch Papst Benedikt XVI. zu, die Kirche müsse sich erneuern und „entweltlichen“, um wieder neue Strahlkraft für Christus zu erlangen?

Die Kontinuität des Wachstums

In seiner Predigt am 16. April 2013, dem Geburtstag von Papst Benedikt XVI., hat uns Papst Franziskus einen beeindruckenden Appell hinterlassen: „Um es klar zu sagen: Der Heilige Geist stört uns, weil er uns in Bewegung versetzt, weil er uns gehen lässt, weil er die Kirche drängt, vorwärts zu gehen. Denkt an Papst Johannes: Er schien ein guter Pfarrer zu sein, und er gehorchte dem Heiligen Geist und hat das getan. Doch nach 50 Jahren – haben wir alles getan, was uns der Heilige Geist beim Konzil gesagt hat? In jener Kontinuität des Wachstums der Kirche, die das Konzil gewesen ist? Nein. Wir feiern diesen Jahrestag, wie setzen ein Denkmal, aber es darf uns ja nicht stören. Wir wollen keine Änderung. Mehr noch: es gibt Stimmen, die rückwärts gehen wollen. Das heißt es, halsstarrig zu sein, das heißt es, den Heiligen Geist zu zähmen, das heißt es, töricht und langsamen Herzens zu werden.“

In der Kirche darf es nicht zugehen wie in der Politik: gegenüberstehende politische Lager, regelmäßige Neuwahlen, manchmal Stimmungsumbrüche, die Kontinuität des Bruchs und des Umbruchs. Freilich wird es auch in der Kirche immer verschiedene Meinungen geben. Es wird Menschen geben, die die Kirche mehr in ihrer Dimension nach innen betonen – und andere, die die Kirche stärker in ihrer Dimension nach außen sehen. Es gibt ganz verschiedene theologische Strömungen, die alle auf der einen facettenreichen Wahrheit gründen. Und es gibt ganz verschiedene liturgische Ausdrucksformen dieser einen Wahrheit, die sich in unterschiedlichen (anerkannten) Riten wiederspiegeln. Wer könnte da behaupten, die eine Kirche habe sich seit ihrer Gründung nicht verändert und unter der Leitung des Heiligen Geistes fortentwickelt?

Erneuerung der Kirche

Auch 50 Jahre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil stellt sich uns die Herausforderung, diese Entwicklung der Kirche wahr und ernst zu nehmen – nicht als Bruch, sondern in der Kontinuität des Wachstums. In der Kirche muss es immer wieder Erneuerung, Initiative und Experimente geben – um das ewig Wahre in der jeweiligen Zeit verständlich zu machen. Wo ständen wir heute ohne die Liturgische Bewegung? Wo ohne die vielen geistlichen Gemeinschaften und laikalen Initiativen? Die Kirche darf nicht dem Zeitgeist hinterherhinken. Sie muss sogar schneller als er sein. Sie muss die Zeichen der Zeit vorausdenken und muss selbst zur Impulsgeberin der Zeit werden.

Um dies aber zu können, muss sich die Kirche ändern. Stellen wir uns selbst einmal die Frage: Denken wir in der Kirche nicht doch noch immer in den üblichen Lagern? Sind wir überhaupt bereit uns zu verändern oder berufen wir uns zur Rechtfertigung unserer Verstocktheit und Halsstarrigkeit auf eine ewige und unveränderliche Wahrheit? Verwechseln wir nicht unser Festhalten an dem Altbewährten mit unserer eigenen Lahmheit, Müdigkeit und Nostalgie? Sind wir überhaupt offen für das innovative Wehen des Heiligen Geistes in der Kirche, der uns immer wieder neu zu Christus führen möchte? Oder berufen wir uns missbräuchlich auf einen „statischen“ und „konstanten“ Christus, den wir uns letztlich nur selbst nach unseren eigenen Bedürfnissen und Wünschen gestaltet haben? – Kurzum: Wir dürfen als Katholiken nicht dabei stehen bleiben und uns damit abfinden, ständig feststehende Glaubenswahrheiten im Umfeld des kirchlichen Amtes und der katholischen Sexualmoral zu verteidigen. Das muss manchmal auch sein. Aber das wäre deutlich zu wenig. Als Kirche müssen wir uns öffnen und immer wieder betonen, worum es uns eigentlich geht.

Die Kirche als Abbild der Trinität

Vielleicht führt es uns ein wenig weiter, wenn wir die Kirche von ihrer trinitarischen Dimension her neu verstehen: Sie ist Volk Gottes, Leib Christi und Tempel des Heiligen Geistes. Sie ist damit nicht nur Abbild Christi, sondern Abbild der gesamten Trinität. Und damit stellt sie nicht nur die Einheit Christi und die Einheit Gottes dar, sondern auch die dialogische und perichoretische Vielheit der Trinität. In der Kirche wird es immer viele Menschen, verschiedene Berufungen, unterschiedliche Gnadengaben, gegensätzliche Strömungen und Ansichten geben. Letztlich wird es unter den vielen Irrenden aber immer genügend Menschen geben, die die anderen darauf hinweisen, dass sie irren. Die Vielfältigkeit in der Kirche kann manchmal für eine Veränderung auch ganz hilfreich sein. Eine wirkliche Erneuerung der Kirche, die nicht stets dem Heiligen Geist hinterherhinkt, kann allerdings nur dann gelingen, wenn wir uns wirklich dem Geist Christi öffnen und eine Erneuerung der Kirche von innen her zulassen. Fangen wir bei uns an.

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Freut Euch!
Glaubensbekenntnis eines jungen Christen
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Foto Georg Dietlein: © www.student-litigators.de


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