20. April 2013 in Buchtipp
Evangelischer Historiker Prof. Heinz Schilling: Auch ein Mann wie Gregor Gysi soll die Bedeutung des Reformators verstehen - Skepsis gegenüber Luther-Botschafterin Margot Käßmann
Lüneburg (kath.net/idea/pl) Der evangelische Historiker Prof. Heinz Schilling (Berlin) hat sich dagegen gewandt, das Reformationsjubiläum 2017 nur als kirchliches Ereignis zu begehen. In vier Jahren wird der 500. Jahrestag des Thesenanschlags von Martin Luther (Foto) am 31. Oktober 1517 in Wittenberg begangen, was als Auslöser der Reformation gilt. Luther ist viel zu bedeutend, als dass man ihn der EKD überlassen könnte, sagte Schilling in einem Interview mit der Landeszeitung Lüneburg. Luther und die Reformation hätten eine Welt-Wirkung gehabt. Er müsse so gewürdigt und dargestellt werden, dass auch dem Reformator eher fernstehende Menschen wie etwa Gregor Gysi verstehen, wie zentral ihre Identität mitgeprägt wurde durch die Geschehnisse von 1517 und der folgenden Jahre. Gysi er glaubt nach eigenen Worten nicht an Gott ist Vorsitzender der Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag. Schilling weiter: Weil Luthers Wirkung weit über den rein kirchlichen Bereich hinausging, steht auch der Staat in der Pflicht, das anstehende Jubiläum angemessen zu begleiten. Es reicht nicht aus, den Tourismus in die mitteldeutschen Bundesländer mit Luther-Socken und Luther-Bier zu fördern.
Schilling war Lehrstuhlinhaber an der Universität Osnabrück, der Justus-Liebig-Universität Gießen und der Berliner Humboldt-Universität gewesen, seit 2010 ist er emeritiert. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Reformationsgeschichte. In der EKD gehört er dem Wissenschaftlichen Beirat für die Lutherdekade an.
Skepsis gegenüber Luther-Botschafterin Käßmann
Schilling äußerte sich auch zur Botschafterin der EKD für das Reformationsjubiläum, Margot Käßmann (Berlin): Sie ist zwar in einer ungeheuren Weise begabt, was die Performance der Jetztzeit anbelangt. Was ihre Fähigkeiten zu einem geschichts-theologischen Tiefenbohren angeht, bin ich eher skeptisch. Der evangelische Wissenschaftler hatte sich auch schon zuvor kritisch-differenzierend mit dem Lutherjubiläum auseinandergesetzt, das die EKD im Jahr 2017 begehen wird, kath.net hat berichtet.
Einige Zitate aus Schillings Buch: Martin Luther Rebell in einer Zeit des Umbruchs:
Nehmen wir nur eine Jahrhundertfeier, die von 1917: Wir fühlen uns heute natürlich so unendlich erhaben. Nein das kann uns doch nicht passieren, diesen nationalistischen Luther wieder hervor zu holen! Ja, aber man muss aber anders denken: Das waren die Gegenwartsprobleme Anfang des 20. Jahrhunderts. Wir müssen und da ist durchaus eine gewisse Leidenschaft in meiner Position darauf achten, dass wir nicht wieder die eigenen Gegenwartsprobleme auf Luther projizieren und dann nur das zurück bekommen, was wir sowieso wollen und was wir sowieso wissen. Das ist mein Ceterum censeo, dass dieses nicht sein darf. Wir sagen, dass wir den nationalistischen Luther heute nicht machen, aber auch den libertinen Luther, der uns vielleicht heute sehr gut passt, sollten wir nicht machen, das wäre dasselbe, was die Generation Anfang des 20. Jahrhunderts als den ihren, den nationalistischen Luther, gefeiert hat.
Gemäß Schilling bedeutete das Entstehen der Kirchen der Reformation gleichzeitig das Scheitern der Reformation. Doch da müsse er ganz offen bekennen: Diese Position hat sehr früh aus meinem Freundeskreis der evangelisch-theologischen Professorenschaft Widerspruch erfahren, anfangs sogar Entsetzen hervor gerufen. Ich glaube aber nicht, dass das ein Problem sein sollte. Es hemmt vielleicht ein wenig die Feiertagslaune für 2017, aber das wäre auch nicht so ganz schade.
Feiern könne die evangelische Gemeinschaft 2017 s.E. aber trotzdem: Feiern kann sie diese Selbstbehauptung und das ist ja auch das Bewundernswerte an Luther: So viele dunkle Seiten er hat und so häufig ich mich mit der Biographie gequält habe; es ist ein zu bewundernder Mann, wie er sich behauptet hat und wie er den Anfechtungen von beiden Seiten sowohl die der Schmeichler als auch der ihm in bitterer Feindschaft entgegentretenden zum Trotz sich behauptet hat.
Es gibt einen Erfolg des Weges, der eingeschritten wird, nachdem erkannt worden ist, dass die eigene Hauptrichtung nicht in diesem Moment zum Erfolg führen kann. Warum das nun in irgend einer Weise die Existenz der lutherischen Kirche beschädigen soll, sehe ich nicht ein.
Luther hatte vor, die Kirche insgesamt zu reformieren, da ist überhaupt keine Frage. Ich gehe darüber hinaus: Er wollte die Christenheit insgesamt, ja die Menschheit insgesamt wollte er auf den richtigen Weg führen. Und das ist eine Absolutheitsposition, die aus der Zeit heraus zu verstehen ist und die auch nicht zu verurteilen ist, weil die Zeit eben so konstruiert war. Nun sah er und historisch ist das ja auch offensichtlich dass das in seiner Zeit nicht durchgesetzt werden konnte.
kath.net-Lesetipp Buch des evangelischen Historikers:
Martin Luther
Rebell in einer Zeit des Umbruchs. Eine Biographie
Heinz Schilling
gebundene Ausgabe, 714 Seiten
2012 Beck
ISBN 978-3-406-63741-4
Preis: 30.80
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