19. Juni 2013 in Kommentar
Die neue Orientierungshilfe der EKD zum Thema Familie ist ein weiterer Schritt der evangelischen Kirche in Richtung Beliebigkeit. Ein idea-Kommentar von Matthias Pankau
Berlin-Wetzlar (kath.net/idea) Heute stellt die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) in Berlin ihre neue Orientierungshilfe zum Thema Familie vor. Sie trägt den Titel Zwischen Autonomie und Angewiesenheit Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken. Matthias Pankau hat sie sich vorab angesehen und meint, das Papier ist ein weiterer Schritt der evangelischen Kirche in Richtung Beliebigkeit und damit in die Bedeutungslosigkeit.
Vater + Mutter + Kind = Familie. Das war lange Zeit das klassisch verstandene und biblisch begründete Familienverständnis. Und genau das stellt die evangelische Kirche nun infrage. In der jetzt vorgestellten Orientierungshilfe heißt es: Wo Menschen auf Dauer und im Zusammenhang der Generationen Verantwortung füreinander übernehmen, sollten sie Unterstützung in Kirche, Gesellschaft und Staat erfahren. Dabei darf die Form, in der Familie und Partnerschaft gelebt werden, nicht ausschlaggebend sein. Alle familiären Beziehungen, in denen sich Menschen in Freiheit und verlässlich aneinander binden, füreinander Verantwortung übernehmen und fürsorglich und respektvoll miteinander umgehen, müssen auf die Unterstützung der evangelischen Kirche bauen können.
Wir sollen Familie neu denken
Angesichts des tiefgreifenden sozialen und kulturellen Wandels sei nämlich auch die Kirche aufgefordert, Familie neu zu denken und die neue Vielfalt von privaten Lebensformen unvoreingenommen anzuerkennen und zu unterstützen. Diese Anerkennung sei aber nicht lediglich als Anpassung an neue Familienwirklichkeiten zu verstehen, sondern als eine normative Orientierung. Und dann lesen wir: Die traditionellen Leitbilder halten den Herausforderungen in Wirtschaft und Gesellschaft sowie den vielfältigen Erwartungen an Familien nicht mehr stand.
Mit anderen Worten: Die Bibel hat Unrecht und der Zeitgeist hat Recht. Will das die evangelische Kirche wirklich sagen?
Drei Jahre haben die 14 Mitglieder der Ad-hoc-Kommission an dem Papier gearbeitet, bevor die Leitung der EKD der Rat die Orientierungshilfe verabschiedet hat. Den Vorsitz hatte Bundesfamilienministerin (19982002) Christine Bergmann (SPD). Geschäftsführerin war die Oberkirchenrätin im EKD-Kirchenamt Cornelia Coenen-Marx . Was sollte damit bezweckt werden? Eine evangelische Verständigung über Ehe, Familie und Partnerschaft im beginnenden 21. Jahrhundert anzuregen, heißt es da.
Familie auch das gleichgeschlechtliche Paar mit Kindern
Das Familienbild, so belehrt uns dieses Dokument, sei in den letzten Jahren erweitert worden und zwar in einer Weise, die über die biblische hinausgeht: Familie das sind nach wie vor Eltern (ein Elternteil oder zwei) mit ihren leiblichen, Adoptiv- oder Pflegekindern, vielleicht erweitert um die Großelterngeneration. Familie, das sind aber auch die sogenannten Patchwork-Familien, die durch Scheidung und Wiederverheiratung entstehen, das kinderlose Paar mit der hochaltrigen, pflegebedürftigen Mutter und das (hier kommts) gleichgeschlechtliche Paar mit den Kindern aus einer ersten Beziehung. Zwar seien nach wie vor 72 Prozent der Familien Ehepaare mit Kindern. Allerdings handele es sich dabei aufgrund der anhaltend hohen Scheidungsraten immer häufiger um Patchwork-Konstellationen. Ebenfalls angestiegen ist der Anteil von Alleinerziehenden er lag 2012 bei 19 Prozent und nichtehelichen Lebensgemeinschaften (9 Prozent). Die Zahl gleichgeschlechtlicher Paare, die in einem gemeinsamen Haushalt leben, wird deutschlandweit auf 70.000 geschätzt; davon ist ein Viertel eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingegangen. Rund 7.000 Kinder leben in solchen sogenannten Regenbogenfamilien.
Die breite Vielfalt von Familienformen ist der Normalfall
Zunächst beschert uns die von der EKD eingesetzte Kommission aber eine bemerkenswerte Rückblende: Historisch betrachtet sei eine breite Vielfalt von Familienformen anerkannt und normal gewesen, schreiben sie. Die bürgerliche Familie als Ideal habe sich erst im 18. Jahrhundert durch die Trennung von männlicher Erwerbswelt und weiblicher Familiensphäre mit Haushalt und Kindererziehung entwickelt. Dieses Ideal setzte sich zunächst langsam und erst nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik als Lebensform für alle durch. Autonomie und Abhängigkeit seien in diesem Modell aber höchst ungleich verteilt, lassen die Kommissionsmitglieder den Leser wissen.
Die DDR habe dagegen die gleichberechtigte Ehe mit zwei in Vollzeit erwerbstätigen Eltern zum Leitbild erhoben und dabei die Familie für die Erziehung der Kinder zur sozialistischen Persönlichkeit in die Pflicht genommen.
Ein eigenes Kapitel widmet die Orientierungshilfe den verfassungsrechtlichen Vorgaben und Leitbildern von Ehe und Familie im Familienrecht. Darin heißt es, das Bundesverfassungsgericht orientiere sich für den Schutzbereich des Artikels 6 des Grundgesetzes (nach dem Ehe und Familie dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung anvertraut werden) inzwischen an einem erweiterten Familienbegriff, nämlich an den tatsächlich gelebten Formen von Familie. Geschützt seien demnach alle Formen gelebter Eltern-Kind-Beziehungen also nicht nur Vater-Mutter-Kind.
Die Ehe ist keine göttliche Stiftung
So weit zum weltlich-rechtlichen Aspekt dieses Themas. Nun aber muss eine Kirche auch geistlich argumentieren, und dies geschieht in verblüffender Weise im theologischen Kapitel dieser Orientierungshilfe. Da finden wir eine Argumentation, die ominös an die Debatten darüber erinnert, ob gleichgeschlechtliche Paare im Pfarrhaus zusammenwohnen dürften. Also nach dem Motto: Nicht einzelne Bibelstellen sind entscheidend, sondern die Kernaussage der Bibel, dass Gott alle Menschen liebt. So heißt es: Ein normatives Verständnis der Ehe als göttliche Stiftung und eine Herleitung der traditionellen Geschlechterrollen aus der Schöpfungsordnung entspricht nicht der Breite des biblischen Zeugnisses.
Ist die bürgerliche Ehe unbiblisch?
Zu lange sei übersehen worden, dass Altes und Neues Testament das familiale Zusammenleben in einer großen Vielfalt beschrieben: Nach heutigen Begriffen gibt es Patchwork-Konstellationen wie bei Abraham, Sarah und Hagar mit ihren Kindern, zusammenlebende Geschwister wie bei Maria und Martha und tragende Beziehungen zwischen Familienmitgliedern verschiedener Generationen wie bei Rut, Orpa und Noomi. Lange habe die Kirche die Ehe als Schöpfungsordnung dargestellt, die der Natur des Menschen eingeschrieben sei. Dazu wörtlich: Heute wissen wir: Ein Verständnis der bürgerlichen Ehe als göttliche Stiftung und der vorfindlichen Geschlechter-Hierarchie als Schöpfungsordnung entspricht weder der Breite biblischer Traditionen noch dem befreienden Handeln Jesu, wie es die Evangelien zeigen. Woher wir dies wissen, behalten die Autoren für sich.
Homosexuelle Partnerschaften als gleichwertig anerkennen
Nach Ansicht der Orientierungshilfe der EKD erwächst aus diesem Verständnis eine große Freiheit im Umgang mit gesellschaftlichen Veränderungen. Diese Freiheit gönnen sich die Verfasser auch bei der Frage nach der Segnung homosexueller Paare und der Gleichstellung homosexueller Partnerschaften. Deute man die biblischen Aussagen, in denen Homosexualität als Sünde gekennzeichnet werde, als zeitlos gültig, kann man zu der Meinung kommen, eine homosexuelle Partnerschaft sei mit einer heterosexuellen keinesfalls vergleichbar, schreiben sie.
Es gebe aber auch biblische Texte, die von zärtlichen Beziehungen zwischen Männer sprechen. Durch das biblische Zeugnis hindurch klinge als Grundton vor allem aber der Ruf nach einem verlässlichen, liebevollen und verantwortlichen Miteinander. Liest man die Bibel von dieser Grundüberzeugung her, dann sind gleichgeschlechtliche Partnerschaften, in denen sich Menschen zu einem verbindlichen und verantwortlichen Miteinander verpflichten, auch in theologischer Sicht als gleichwertig anzuerkennen. Es zähle schließlich zu den Stärken des evangelischen Menschenbilds, dass es Menschen nicht auf biologische Merkmale reduziert.
Für Krippen und Ganztagsschulen
Im Anschluss an die theologische Betrachtung analysiert die Kommission Herausforderungen der Familienpolitik. Sie rangieren von der Zeit, die Familien füreinander brauchten, über die Verteilung der Erwerbstätigkeit, Erziehung und Bildung, das Miteinander der Generationen bis hin zu Gewalt in Familien. Schließlich gehen die Autoren der Orientierungshilfe der Frage nach, wie Kirche und Diakonie Familien stärken können. Dort sprechen sie auch Empfehlungen aus. So solle unter anderem der Sonntag als freier Tag geschützt und die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit gestärkt werden. Die familienunterstützende Infrastruktur von den Krippen bis zu Ganztagsschulen müsse ausgebaut werden, empfehlen sie. Schließlich regt die Kommission die Einführung eines Siegels familienkompetente Gemeinde an, das Gemeinden innerhalb der EKD motivieren soll, ihre Angebote zu erweitern.
Familie da ist für die EKD alles möglich
Dieses Papier nimmt für sich, wie gesagt, in Anspruch, eine Orientierungshilfe zu sein. Aber es hilft selbst dort kaum weiter, wo einige der abschließenden Empfehlungen richtig und nützlich sind. In der Frage, was denn nun aber Familie sei, vermitteln die Autoren den Eindruck, dass alles möglich wäre. Freiheit wird dabei mit Beliebigkeit verwechselt, so dass sich die evangelische Kirche einmal mehr der Welt und ihren Wegen anbiedert. Glaubt sie ernsthaft, damit wieder attraktiver zu werden für die vielen Menschen, die ihr den Rücken gekehrt haben? Das wird nicht geschehen! Denn wer braucht schon einen Ratgeber, der einem nur nach dem Mund redet, anstatt Irrwege liebevoll, aber deutlich zu benennen?
Wer sich mit dem Zeitgeist vermählt
Die EKD führt doch die Gute Botschaft in ihrem Namen! Fällt ihren Funktionären wirklich nichts Biblisches mehr ein? Anscheinend nicht, denn hier entstand in drei Jahren Arbeit ein Papier, das sich wie ein weiterer Schritt der EKD in Richtung Beliebigkeit liest. Die Kirche sollte zur Ehe zwischen Mann und Frau Mut machen; sie sollte verunsicherte Menschen zu überzeugen versuchen, wie segensreich es ist, Kinder zu haben; sie sollte wegweisend sein. Stattdessen verkündet sie modische gesellschaftliche Klischees und manövriert sich in die Bedeutungslosigkeit. Wie sagte noch der lutherische Theologe Søren Kierkegaard (18131855)? Wer sich mit dem Zeitgeist vermählt, wird bald Witwer sein.
Vgl. dazu auch:
Aus dem Kommentar der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (18. Juni) zur neuen Orientierungshilfe der EKD:
Erstaunlich an der EKD-Orientierungshilfe zur Familie ist ihr laxer Umgang mit der Bibel. Mit Blick auf die Bewertung der Homosexualität heißt es dort etwa, die biblischen Schriften überlieferten nicht nur Beispielhaftes zum Thema Liebe, sondern auch gesellschaftliche Zwänge und das überholte Rollenverständnis ihrer Entstehungszeit. Auch solche Stellen seien aber im Licht der befreienden Botschaft des Evangeliums zu interpretieren. Diese Methode des Kanons im Kanon ist in der evangelischen Theologie nicht unbekannt und lässt sich bis auf Luther zurückführen.
Doch statt offen zu ihrem Vorgehen zu stehen, spielen die Autoren die weitaus überwiegende Ablehnung der Homosexualität in den biblischen Schriften herunter und berichten sogar von Texten, die von zärtlichen Beziehungen zwischen Männern sprechen. Auf die Angabe, wo solche Stellen zu finden sind, wird jedoch vermutlich nicht ohne Grund verzichtet.
Noch leichter glaubt die Ad-hoc-Kommission, in der man vergeblich nach einem renommierten Universitätstheologen sucht, es sich aber mit der kirchlichen Tradition machen zu können. Ein normatives Verständnis der Ehe als göttliche Stiftung und eine Herleitung der traditionellen Geschlechterrollen aus der Schöpfungsordnung entspricht nicht der Breite des biblischen Zeugnisses, wird dekretiert.
Reformatorische Theologie, die die Ehe zwar als weltlich Ding, aber doch auch als besonderen Stand unter Berufung auf einschlägige Bibeltexte etablierte, scheint nicht einmal mehr einer Diskussion würdig. Damit geht jedoch auch eine christliche Vertiefung von Familie und Partnerschaft verloren, die mühsam erarbeitet wurde und die auch heute die politisch-rechtliche Diskussion um eine innerliche Dimension ergänzen könnte.
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