20. Juni 2013 in Aktuelles
Die Welt strömt nach Rom, Italien vorneweg. Die Herzen fliegen Franziskus entgegen, und er entzündet sie. Menschen, soweit das Auge reicht. Sie stauen sich zum Tiber hinunter. Von Paul Badde (Die Welt)
Vatikan (kath.net/Die Welt) Es war Karneval, als Benedikt XVI. seinen Rücktritt ankündigte, doch das war ihm nicht bewusst. Für ihn war der 11. Februar der Gedenktag der Madonna von Lourdes, der Schutzherrin aller Hinfälligen, unter die er sich mit seiner Jahrhundert-Entscheidung solidarisch eingereiht hat im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte, doch körperlich zu schwach für die übermenschlich großen Aufgaben eines Papstes.
Dass Papst Franziskus hingegen am 13. März in der Sakristei der Sixtinischen Kapelle gesagt haben soll, "der Karneval" sei nun vorbei, ist nichts als ein Gerücht, egal wie oft es noch kolportiert werden mag.
Denn der Nachfolger Benedikts hat in seinen ersten 100 Tagen als Papst keinen falschen Ton gesagt und keinen falschen Schritt getan. Dass er kürzlich die Existenz schwuler Seilschaften im Vatikan eingeräumt hat, ging mit der Lautstärke aller Glocken von Sankt Peter durch die Medien.
Nachhaltiger ist aber, dass er sehr dezent manche Gesichter nicht mehr an seiner Seite duldet. Er hatte sich nie danach gedrängt, Oberhirte von 1,2 Milliarden Katholiken zu werden. Doch seit seiner Wahl füllt Jorge Mario Bergoglio die Position schlafwandlerisch aus. Offensichtlich war einfach die Zeit für ihn gekommen und Benedikt hat ihm den Weg dafür frei gemacht.
Als er erstmals in Weiß auf der Loggia des Petersdoms erschien, sah seine Brille noch aus wie die von Pius XII., sein Gesicht wie das Johannes XXIII., und sein Lächeln erinnerte an Johannes Paul I. Inzwischen aber sieht er oft einfach nur wie ein Denkmal aus: wie ein Bild von einem Papst.
Er kann sein Knie wegen Gelenkproblemen nicht beugen, doch Formschranken im Vatikan überspringt der 76-Jährige so unkonventionell wie ein Gaucho. Die üblichen Gratifikationen an alle Angestellten des Vatikans zur Wahl des Papstes hat er kurzerhand gestrichen, ebenso alle Extra- Boni für die Herren Kardinäle.
Weil er selbst aber nicht allein wohnen will, residiert er mit doppeltem Aufwand einfach weiter im Gästehaus des Vatikans. Hier und da muss Bescheidenheit auch etwas kosten dürfen.
Er strotzt vor hispanischer Virilität, mit unverwechselbarer Identität, und ist doch ein Mann mit vielen Gesichtern. In der Liturgie schaut er meist grimmig, in der Menge heiter, und vollkommen unterschiedlich sieht er überhaupt mit oder ohne Brille aus. Denn mit Brille sieht man seine Lachfalten kaum, die ihn besonders kennzeichnen.
Nach Karol Wojtyla und Joseph Ratzinger ist mit ihm kein Repräsentant eines Nationalstaats mehr Papst geworden. Mit dem Mann aus Buenos Aires wurde ein Abgesandter der gesamten spanischsprachigen Welt Nachfolger des Apostels Petrus. Ein erster Chinese an dieser Stelle könnte kaum mehr Menschen zum Petersplatz locken.
Wer ihn beim Gebet des Angelus am Fenster des apostolischen Palastes erleben will, muss deshalb früh aufstehen. Am Sonntag drängten sich wieder über 100.000 Menschen für das fünf Minuten dauernde Gebet unter sein Fenster. Tausende laufen und drängeln und hasten zu ihm hin.
Die Welt strömt nach Rom, Italien vorneweg. Die Herzen fliegen Franziskus entgegen, und er entzündet sie wie das brennende Herz Jesu, das in "Il Gesù" zu bewundern ist, in der Mutterkirche der Jesuiten beim Grab des heiligen Ignatius. Menschen, so weit das Auge reicht. Sie stauen sich Sonntag für Sonntag und Mittwoch für Mittwoch bis zum Tiber hinunter.
Mitten in der Menge spricht er über einem Besessenen ein Austreibungs-Gebet. Behinderte küsst er auf den Mund. Vor allem aber hat er nach der anspruchsvollen Universität Benedikt XVI. auf dem Petersplatz wieder eine katholische Grundschule eröffnet, allerdings mit dem gleichen Lehrplan. Sagt Ja zum neuen Leben! Gebt den Kindern keine Ohrfeigen! Fürchtet keinen außer dem Teufel! Betet für die, die ihr am wenigsten ausstehen könnt! Merkt es euch: Gott lebt, und er ist barmherzig! Sprecht es mir nach, dreimal! Gott lebt, und er ist barmherzig!
Die Römer strömen wieder in die Beichtstühle, seit er sie erinnert hat, dass sie dort keine Express-Reinigung der Seelen finden, sondern im Beichtvater "Gott begegnen" werden.
Das As im Ärmel des neuen Papstes aber ist der alte. Natürlich gab es in der Kirchengeschichte schon mehrmals Päpste nebeneinander, jedoch immer im Konflikt miteinander.
Der Pastor aus der Pampa aber ist kein Gegenspieler des Professors aus Deutschland. Sie könnten kaum unterschiedlicher sein, kannten sich persönlich so gut wie nicht, doch sie ähneln sich in der Handschrift. Die von Papst Franziskus ist fast obwohl es kaum möglich scheint noch zierlicher als die von Benedikt.
Sie treffen sich nicht dauernd im Garten oder beim Gebet. Die Reinigung der Vatikan-Bank aber, die inzwischen spektakulär greift, ist ganz von Benedikt angestoßen worden.
Auch die Aufklärung über die reformbedürftige Kurie verdankt Franziskus ihm. Den Abschluss vom Jahr des Glaubens wird er bald mit einer ersten Enzyklika zum Glauben krönen, die Benedikt ihm hinterlassen hat.
Den Kern seiner Theologie vom menschlichen Angesicht Gottes teilt er voll und ganz mit ihm. Es ist einmalig, dass in der katholischen Kirche zwei Nachfolger Petri im Frieden nebeneinander leben wo der Ältere grosso modo nichts anderes mehr tut, als für den Jüngeren zu beten.
Doch nun werden die Wege Benedikts in den Vatikanischen Gärten immer kürzer. Franziskus hingegen ging an Fronleichnam die ganze Via Merulana entlang zu Fuß hinter dem Allerheiligsten her, wo sich seine Vorgänger fahren ließen, weil sie diese Strecke schon lange nicht mehr bewältigten. Aber er ging schwer und wankend und schwankend. Sein Kopf sank auf die Brust. Er kniff die Augen zu Schlitzen zusammen. Die ersten 100 Tage im Amt haben auch ihn schon sichtlich altern lassen. Eine enorme Anspannung hat mit ihm aber auch den Vatikan ergriffen. Das Pontifikat wird seinen Höhepunkt erleben, wenn erstmals ein Papst dem Requiem eines anderen vorstehen wird. Bis dahin erleben wir weiter einen heiligen Karneval am Grab des Apostels Petrus.
Es ist ein Überfall des Heiligen Geistes auf Rom, mit einem Papst als Popstar, den keiner auf dem Radar noch im Programm hatte, in einem göttlichen Ausnahmezustand von dem sich täglich mehr fragen, wie lange er noch dauern kann.
Foto (c) Paul Badde
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