Licht vom Licht

6. Juli 2013 in Kommentar


Die Enzyklika „Lumen fidei“ ist das Vermächtnis Benedikt XVI., in dem noch einmal wie in einem Bernstein die gesamte Theologie des emeritierten Papstes aufleuchtet. Von Paul Badde (Schwäbische Zeitung)


Vatikan (kath.net/Schwäbische Zeitung) Die älteste christliche Tradition Jerusalems ist eine Liturgie des Lichts, in der sich jedes Jahr neu am Karsamstag die Grabeskirche in einen Vulkan verwandelt. Das Ereignis ist – nach der Herabkunft des heiligen Feuers in die Grabkammer Christi – eine Explosion des Lichts über viele Zehntausende von Kerzen, wie sie in der christlichen Welt des Westens kaum vorstellbar ist. Auch der österliche Jubel dieser Stunde ist hier kaum vorstellbar. Am Karsamstag 1927 wurde aber auch Joseph Ratzinger geboren, der nach seinen Enzykliken über die Liebe und die Hoffnung unter dem Titel „Licht des Glaubens“ (LUMEN FIDEI) nun ein letztes Lehrschreiben über den Glauben vorlegt, das Papst Franziskus um wenige Kapitel ergänzt, mit seiner Unterschrift und als seine erste Enzyklika vorgestellt hat. Es ist eine Premiere seltener Demut und Zusammenarbeit.

Dennoch bleibt das Papier auf seinen 90 Seiten (mit ca 122.000 Zeichen) das Vermächtnis Benedikt XVI., in dem noch einmal wie in einem Bernstein die gesamte Theologie des zurück getretenen Papstes aufleuchtet. Es ist sein Testament, das sich hier um das Licht als einen Kernbegriff der Christenheit rankt, deren Glaube von allem Anfang an eine Religion des Lichts war und für immer geblieben ist. „Ihr seid das Licht der Welt!“, sagte Jesus denen, die ihm folgten. Die Evangelien sind voll von diesem Leuchten. „Gott von Gott, Licht vom Licht“, heißt es im ersten gemeinsamen Glaubensbekenntnis der Christen im Jahr 325 über den „Sohn Gottes“, die "Sonne der Gerechtigkeit". Über 120 Mal ist in diesem schmalen Bändchen deshalb nun von diesem Licht die Rede.

„In der heidnischen, lichthungrigen Welt hatte sich der Kult für den Sonnengott Sol invictus entwickelt“, heißt es etwa in der Einführung der Enzyklika, „der beim Sonnenaufgang angerufen wurde.“ Doch auch wenn die Sonne dem Augenschein nach jeden Tag wiedergeboren wurde, hätte man damals doch sehr wohl verstanden, dass sie nicht imstande war, ihr Licht über die ganze Existenz des Menschen auszustrahlen. Die Sonne erleuchte ja nicht die völlige Wirklichkeit. Ihr Strahl vermöge zum Beispiel nicht bis in den Schatten des Todes vorzudringen, wo das menschliche Auge sich ihrem Licht verschließt. „Niemals konnte jemand beobachtet werden, der bereit gewesen wäre, für seinen Glauben an die Sonne zu sterben“, heiße es deshalb auch bei dem Märtyrer Justinus.“ Der Glaube aber, für den von Anfang an viele bereit waren, ihr Leben hinzugeben, ist in der jüngsten – „vierhändig verfassten“ - Enzyklika der katholischen Kirche in einer letzten großen Komposition noch einmal das umfassende Thema des „Mozarts der Theologie“ geworden, das sein Nachfolger nun weltweit an alle Bischöfe, Priester, Diakone, Nonnen, Eremiten „und an alle Christgläubigen“ richtet.

Es ist der Glaube, in dem „der auferstandene Christus der Morgenstern“ der Menschheit ist, der jeden Aspekt der menschlichen Existenz bis hinab in den Tod hinein beleuchtet, weil „die Geschichte Jesu der vollkommene Erweis der Verlässlichkeit Gottes“ sei. Es ist ein Glaube, der „mit den Augen Jesu“ die Welt betrachtet, als „Teilhabe an seiner Sichtweise“. In vielen Lebensbereichen vertrauen wir uns anderen Menschen an, heißt es da, „die mehr Sachverständnis besitzen als wir.“ Wir hätten Vertrauen zu dem Architekten, der unser Haus baut, zu dem Apotheker, der uns das Medikament zur Heilung anbietet, zu dem Rechtsanwalt, der uns vor Gericht verteidigt. So „brauchen wir auch einen, der glaubwürdig ist und kundig in den Dingen Gottes. Jesus, der Sohn Gottes, bietet sich als derjenige an, der uns Gott ‚erklärt’.“

Es ist den untrügliche Ton Joseph Ratzingers, der da noch einmal zu uns spricht, der hier sicher wie ein Gaukler mit Zitaten Nietzsches, Dantes, Rousseaus, Dostojewskis , John Henry Newmans, Romano Guardinis oder T.S. Eliots vor uns jongliert, um dazwischen kurz und bündig zu befinden: „Wenn der Mensch meint, zu sich selber zu finden, indem er sich von Gott entfernt, dann scheitert sein Leben“. Oder: „Im Glauben dehnt sich das Ich des Glaubenden aus, um von einem Anderen bewohnt zu sein, um in einem Anderen zu leben und so weitet sich sein Leben in der Liebe. Für den, der auf diese Weise verwandelt worden ist, wird der Glaube zum Licht für seine Augen“. Oder: „An die Verbindung des Glaubens mit der Wahrheit zu erinnern, ist heute nötiger denn je, gerade wegen der Wahrheitskrise, in der wir leben.“ Es ist noch einmal eine Kette von Perlen in jener vertrauten Sprache Ratzingers, die ihm das Leben als Papst nicht leichter gemacht hatte, bevor er am 11. Februar einen Rückzug aus dieser übermenschlich schweren Position auf den „Berg des Gebets“ ankündigte.

Als er am 25. Dezember 2005 seine erste Enzyklika über die Liebe unterzeichnete, erinnerte er an Dantes „Göttliche Komödie“, wo dem Pilger in der Mitte vom Licht des Paradieses ein Gesicht begegnete, zu dem es dem Papst damals mit fast 80 Jahren voller Staunen wie einem Kind entfuhr: "Gott, das unendliche Licht, besitzt ein menschliches Gesicht." In seiner letzten Enzyklika über den Glauben beschwört er dieses „menschliche Gesicht Gottes“ nun noch einmal 16 Mal und sagt: „Das Licht des Glaubens ist das eines Angesichts, in dem man den Vater sieht.“ Es sei „das Licht eines Wortes, weil es das Licht eines persönlichen Antlitzes ist, ein Licht, das uns, indem es uns erleuchtet, ruft und sich in unserem Gesicht widerspiegeln will, um aus unserem Innern heraus zu leuchten.“ Diese Formulierung aber ist, im Vermächtnis des alten Joseph „Benedictus“ Ratzinger, fast Dante Alighieri pur, wie der am Anfang des 14. Jahrhunderts im 33. Gesang seiner „Göttlichen Komödie“ jenes Antlitz beschreibt, das ihm im Innern des göttlichen Lichts begegnet war: „Tief im Innern, gemalt in einem Ton desselben Lichts, / erschien mir unser Ebenbild – auf dessen Grund ich mein Gesicht entdeckte“ (Dentro da sé, del suo colore stesso, mi parve pinta de la nostra effige; per che ‘l mio viso in lei tutto era messo.)

Es ist dasselbe Licht, das in Jerusalem am „Sabbat des Lichts“ von Flamme zu Flamme weitergegeben wird. So sei es auch mit dem Glauben, sagt die neue Enzyklika. Der Glaube werde „in der Form des Kontakts von Person zu Person weitergegeben, wie eine Flamme sich an einer anderen entzündet". Es ist das Licht, ohne das wir alle nicht wären, in dem sich das Universum vom Nichts unterscheidet. Und es ist ein letzter genialer Einfall Joseph Ratzingers, seine letzte Enzyklika so zu benennen, weil das Licht ja selbst der erste und letzte Einfall Gottes in diese Welt ist, der hinab reicht bis in das Reich des Todes.

Die Enzyklika „Lumen fidei“ in voller Länge – Datei öffnet sich durch einen zweiten Klick auf das Foto – Der Text darf für private Verwendung heruntergeladen werden




© 2013 www.kath.net