11. Juli 2013 in Kommentar
Kritik am EKD-Papier kommt von ökumenischen Partnern und säkularen Medien, sie kommt sogar knüppeldick von evangelischen Landesbischöfen, Theologen, Pfarrern und prominenten Laien. Von Michael Schneider-Flagmeyer (Forum Deutscher Katholiken)
Trier (kath.net/blog.forum-deutscher-katholiken.de) Die Reaktion nicht nur von Seiten der ökumenischen Partner und der säkularen Medien, der die EKD-Ratsspitze doch so gerne folgt, auf die EKD-Orientierungshilfe zu Ehe und Familie, fällt sehr heftig aus. Aus der evangelischen Kirche selbst kommt es knüppeldick von Landesbischöfen, Theologen, Pfarrern und prominenten Laien, die diese Orientierungshilfe nicht mittragen wollen und mit zunehmender Schärfe das Papier kritisieren und die Zurücknahme fordern.
Das Papier wird zur Zerreißprobe des Protestantismus in Deutschland vier Jahre vor der groß angekündigten Fünfhundertjahrfeier der Reformation. All dieses kann den EKD-Ratsvorsitzenden Präses Nikolaus Schneider aber nicht erschüttern.
In einem sehr aufschlussreichen Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung FAZ vom 6.7.2013 schließt er eine Änderung am Papier kategorisch aus. Vom Interviewer Reinhard Bingener sehr pointiert zu den Fakten befragt und mit den Aussagen Luthers konfrontiert, kommt Präses Schneider dann allerdings ins Schwimmen und wird in einigen Aussagen ausgesprochen schwammig.
Besonders bemerkenswert sind aber seine Aussagen zur Heiligen Schrift, die wohl aus der dunkelsten Ecke der Klamottenkiste des protestantischen Liberalismus stammen und die schon im 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der evangelischen Theologie und vor allem im Glaubensverständnis der Gemeinden qualifizierten und entschiedenen Widerspruch erfahren haben. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an einen der größten Theologen des ausgehenden 19. Jahrhunderts und beginnenden 20. Jahrhunderts, den in Tübingen lehrenden evangelischen Schweizer Theologen Adolf Schlatter (1852-1938), dessen zehnbändige Exegese des Neuen Testamentes sowie sein ganzes Werk auch heute noch sogar in der katholischen Theologie große Beachtung finden. Das machte Josef Kardinal Ratzinger (Papst Benedikt XVI.) 1996 anlässlich des Erscheinens der großen Schlatter-Biographie von Werner Neuer deutlich.
Nikolaus Schneider vertrat in der FAZ die Ansicht, dass zur Zeit der Bibel die wissenschaftliche Erkenntnis über die sexuelle Festlegung von Menschen auf das gleiche Geschlecht nicht bekannt waren. Deshalb halte ich es für vertretbar, dass wir in dieser Frage zu anderen ethischen Bewertungen kommen als biblische Texte.
Da wird man unwillkürlich an Karl Raimund Popper erinnert, der auf die Vorläufigkeit der meisten wissenschaftlichen Erkenntnisse hinwies, und sie immer hinterfragt wissen wollte. Das gilt besonders für die von Schneider zitierte unter Wissenschaftlern höchst umstrittene Erkenntnis zur Sexualität des Menschen. Wenn die EKD-Spitze in einer grundlegenden anthropologischen Frage zu einer anderen Bewertung als die Heilige Schrift kommt, dann muss doch gefragt werden, welchen Stellenwert die Bibel denn noch für die EKD-Leitung hat. Ist sie dann noch Gottes Wort oder Menschenwort, das den Moden der Zeit angepasst werden muss? Hier ist doch das sola scriptura Martin Luthers glatt vom Tisch gewischt zugunsten des Geistes dieser Welt in der Zeit.
Auf dem II. Vatikanischen Konzil sagte ein evangelischer Theologe, der dort als offizieller Beobachter war, dem Jesuiten P. Mario von Galli, es sei doch so, dass die Kirche sich nicht der Welt anpassen dürfe, sondern umgekehrt die Welt sich der ewigen von Gott geoffenbarten Wahrheit in Seinem Wort anpassen müsste. Darin liege ihr Heil.
Davon rückt die EKD-Leitung seit Jahren immer mehr zugunsten der zeitbedingten Mode ab, die sie wie in diesem FAZ-Interview Präses Schneider über die Heilige Schrift und die evangelischen Bekenntnisschriften stellt. Manchmal hat man den Eindruck, dass lehramtstreue Katholiken mit mehr Überzeugung Luthers Lied Ein feste Burg ist unser Gott singen könnten als die EKD-Spitze.
Das Wort sie sollen lassen stahn und kein Dank dazu haben; er ist bei uns wohl auf dem Plan mit seinem Geist und Gaben.
Diese Liedverse waren vor 500 Jahren gegen die Katholiken gerichtet. Heute können sie nur als Bekenntnis zum Wort Gottes verstanden werden.
So verwundert es auch nicht, dass sich die bibeltreuen evangelischen Christen und viele der protestantischen Theologen gegen diese Auffassung des EKD-Vorsitzenden heftig zur Wehr setzen. So nennt der Generalsekretär der Evangelischen Allianz, Hartmut Steeb im kath-net-Interview mit Petra Lorleberg die Orientierungshilfe eine Schrift der Desorientierung und wirft dem Papier und Schneider vor, das sola scriptura der Reformation aufgegeben zu haben.
Aber noch eine andere Aussage Nikolaus Schneiders im FAZ-Interview muss betrachtet werden. Schauen Sie sich die Institutionsethik von Ehe in der Bibel an: Dort wird die rechtliche Gestalt der Ehe vorrangig unter dem Gesichtspunkt des Eigentumsrechts verhandelt. Die Ehefrauen gehören dem Mann (sic!), sie haben gehorsam zu sein. Von Geschlechtergerechtigkeit sind wir hier weit entfernt. Auch in dieser Hinsicht ist es gut, ´Familie neu zu denken´.
Man fasst es geradezu nicht. Soviel Ignoranz des 500 Jahre alten evangelischen Bekenntnisses ist nun wirklich unbegreiflich.
Dazu Harmut Steeb im kath.net-Interview: Die Ehe ist nach biblischer Überzeugung sowohl im Alten als auch im Neuen Testament die lebenslängliche Liebes- und Treuegemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau . Sie ist Gottes Idee.
Mit Recht weist Steeb darauf hin, dass die Ehe von Mann und Frau immer wieder als ein Abbild der Liebes- und Treuebeziehung zwischen Gott und seinem Volk gesehen wurde und wird. Das gilt besonders für den Apostel Paulus, wie die neuere Paulusforschung aufzeigt. Spätestens seit dem grundlegenden Werk des Paulusforschers Norbert Baumert SJ Frau und Mann bei Paulus. Überwindung eines Missverständnisses (Würzburg 1992), muss jedem theologisch Kundigen klar sein, dass das von Schneider zitierte angebliche Eheverständnis der Bibel aus der völlig verstaubten Klamottenkiste stammt.
Aus all diesem stellen sich uns doch einige Fragen: Was will die EKD-Leitung im Jahre 2017 nun eigentlich feiern? Den Abfall von Martin Luther und wesentlichen Aussagen der Reformation? Und was sollen wir Katholiken bei dieser Feier? Schließlich sind doch nicht wir es, die von Martin Luther abgefallen sind!
Das alles kann uns mit Hartmut Steeb nur sehr traurig machen. Was geschieht hier mit der Ökumene?
Die Kritik aus der evangelischen Kirche selbst ist so hart, dass wir kein Öl ins Feuer gießen wollen, sondern den heiligen Geist aus tiefstem Herzen für unsere evangelischen Schwestern und Brüder bitten wollen.
Und deshalb schließen wir mit zwei Versen Martin Luthers:
Geheiligt werd der Name dein,
Dein Wort bei uns hilf halten rein,
dass wir auch leben heiliglich,
Nach deinem Namen würdiglich.
Behüt uns Herr vor falscher Lehr,
Das arm verführet Volk belehr.
Es kommt dein Reich zu dieser Zeit
Und dort hernach in Ewigkeit.
Der heilig Geist uns wohnet bei
Mit seinen Gaben mancherlei.
Des Satans Zorn und groß Gewalt
Zerbrich, vor ihm dein Kirch erhalt. (Quelle: Diakrisis 2)
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