EKD-interne Kritik am Familienpapier nimmt weiter zu

24. Juli 2013 in Deutschland


50 Pfarrer der badischen Landeskirche fordern eine „Suspendierung“ der umstrittenen EKD-Orientierungshilfe.


Zwickau/Hannover/Karlsruhe/Berlin (kath.net/idea) Die Kritik an der Orientierungshilfe des Rates der EKD zu Ehe und Familie reißt nicht ab. Sie kommt vermehrt aus den Reihen der eigenen Kirche. Gegenüber der Evangelischen Nachrichtenagentur idea äußerten das frühere EKD-Ratsmitglied und langjährige Präsidentin der sächsischen Landessynode, Gudrun Lindner (Weißbach bei Zwickau), sowie der ehemalige Leiter des Kirchenrechtlichen Instituts der EKD, Prof. Axel von Campenhausen (Hannover), schwere Bedenken. In Baden haben zudem vier Pfarrer eine von 50 Geistlichen und 150 Gemeindemitgliedern unterschriebene Erklärung an Landesbischof Ulrich Fischer (Karlsruhe) überreicht, der dem Rat der EKD angehört. Darin fordern sie eine „Suspendierung“ der Orientierungshilfe. Überwiegend kritisch äußerte sich ferner der Bundesvorsitzende des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU (EAK), der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Rachel (Berlin). Das am 19. Juni unter der Überschrift „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit – Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken“ veröffentlichte EKD-Papier rückt von der traditionellen Ehe als alleiniger Norm ab. Es vertritt ein erweitertes Familienbild, das etwa auch gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften einschließt. Die Orientierungshilfe ist besonders in der katholischen Kirche und der säkularen Presse auf meist heftige Kritik gestoßen, während es von der Mehrheit der evangelischen Kirchenleiter verteidigt wird.

Lindner: „Ehe“ fehlt schon in der Überschrift

Lindner ist nach dem Fernsehmoderator und Buchautor Peter Hahne (Berlin) das zweite ehemalige Ratsmitglied, das schwerwiegende Einwände vorbringt. Wie die Ehe- und Familienbetreuerin in einem Leserbrief an das Nachrichtenmagazin ideaSpektrum schreibt, halte sie es angesichts der sich ausweitenden allgemeinen Orientierungslosigkeit für „fahrlässig“, „das Wort Ehe in der Überschrift überhaupt nicht mehr vorkommen zu lassen und im Text eigentlich nur entschuldigend als etwas noch Vorhandenes zu thematisieren“. Es sei auch „nicht nachvollziehbar“, wie im theologischen Teil des EKD-Papiers die Ehe als Schöpfungsordnung gänzlich hinterfragt werde. Lindner: „Ehe als Schutz der sich bildenden Familie und Familie als Teilhabe an der Schöpfungsordnung durch Zeugung, Geburt und Sorge für Kinder wird Grundlage und Voraussetzung jedes Gemeinwesens bleiben und den Lebensfluss durch die Generationen sichern einschließlich der Kranken- und Altenvorsorge.“

EKD macht nicht Mut zu Ehe und Familie

Aus ihrer 16-jährigen Erfahrung als gerichtlich bestellte Betreuerin hinterfrage sie zudem die im EKD-Papier enthaltene Feststellung, wonach Trennung und Scheidung wohl eine starke Belastung aber keine langzeitlich nachweisbare Folgen für Kinder hätten. Ferner könne sie „handfest nachweisen“, dass von den etwa 750 Menschen, die etwa aufgrund ihrer Sucht, psychischen Erkrankung oder seelischen Behinderung durch den Betreuungsverein der Region Zwickau begleitet wurden, fast alle Trennungs- oder Scheidungsgeschichten haben. Lindner: „Es schmerzt mich, dass die Evangelische Kirche in Deutschland wohl in der Lage ist, sozial-ethische Befunde zu kommunizieren, aber ihrer Aufgabe als richtungweisende Institution nicht nachkommt, die ermahnt und Mut macht zu dem Einzelnen und dem Gemeinwesen dienenden Gestalten von Ehe und Familie.“

„Unglaublicher“ Umgang mit der Bibel

Axel von Campenhausen würdigt, dass die über 160 Seiten zählende Orientierungshilfe den sozialen Wandel in Familie und Gesellschaft sowie den rechtlichen Rahmen darstelle, doch mangele es an theologischem Tiefgang: „Geradezu unglaublich ist der Umgang mit biblischen Befunden.“ Es werde zudem „kein Unterschied gemacht zwischen Erscheinungen, die im Zusammenleben der Menschen vorkommen, und solchen, die Billigung und Nachahmung verdienen.“ Allgegenwärtig sei die Herausstellung homosexueller Orientierung als gleichberechtigte Lebensweise. Dementsprechend würden Aussagen der Bibel zur Ehe eines Mannes mit einer Frau und die Missbilligung der Homosexualität nicht berücksichtigt. Die Orientierungshilfe erwecke den Eindruck, als müsse die Kirche mit ihrer Ordnung von Ehe und Familie der Veränderung des Sozialverhaltens und der staatlichen Gesetzgebung angepasst werden. Doch das treffe nicht zu.

Baden: Orientierungshilfe ist ein „Missgriff“

Die badischen Kritiker – darunter zehn Landessynodale – bescheinigen den Autoren der Schrift zwar gute Absichten. Doch fehle an vielen Stellen der christliche Tiefgang, und zudem werde der Leitbildcharakter der traditionellen Ehe und Familie ausdrücklich verneint. Das Papier könne nicht als offizielle Position der gesamten evangelischen Kirche angesehen werden, sondern lediglich als Diskussionsbeitrag. Die Unterzeichner fordern, die Schrift durch eine neue zu ersetzen.

EAK: Biblisches Zeugnis „vernebelt“

Der EAK-Bundesvorsitzende Rachel hält eine kritische Würdigung für nötig: „Bei aller Wertschätzung für andere verantwortlich gelebte Partnerschaften muss die Ehe als gute Gabe Gottes auch weiterhin deutlich im Zentrum der sexualethischen Orientierung sowie des seelsorgerlichen und liturgischen Handelns unsere Kirche bleiben.“ Die theologische Grundlegung des Papiers „vernebele“ das biblische Gesamtzeugnis von der besonderen Hochschätzung der Ehe: „Theologische Orientierung und Klarstellung sieht anders aus.“ Man frage sich, wie überhaupt noch Lust auf Ehe gemacht werden solle. Zu den positiven Seiten des Papiers zählt Rachel, dass es auf die verschiedenen Lebensformen sowie auf ihre Brüchigkeit realistisch und verständnisvoll eingehe. Deshalb sollte die Orientierungshilfe „tiefer und breiter erörtert werden“, so Rachel.


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