Zum Angriff von Margot Käßmann gegen die Kirche

12. August 2013 in Chronik


Margot Käßmann ist Mitherausgeberin eines Buches über christlichen Widerstand gegen Hitler - Die Verwendung dieses Buches in Theologie und Katechese wäre ein ökumenischer Rückschritt. Von Eduard Werner (Forum Deutscher Katholiken)


Berlin (kath.net/Forum Deutscher Katholiken) Der Historiker Eduard Werner rezensierte das Buch von Margot Käßmann, Anke Silomon (Hrsg.): Gott will Taten sehen. Christlicher Widerstand gegen Hitler. Ein Lesebuch. Verlag C.H. Beck München 2013.


In ihrer Einleitung bekräftigt Margot Käßmann eine Behauptung des Historikers Hans Mommsen, wonach beide christliche Kirchen nicht zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu rechnen seien.

Diese Behauptung ist – was die katholische Kirche anlangt – leicht zu widerlegen. War es denn kein Widerstand, als der Vatikan das ideologische Hauptwerk der Nazis, den „Mythus des 20. Jahrhunderts“ von Alfred Rosenberg schon 1934 auf den Index der für Katholiken verbotenen Bücher setzte? Deutsche Kirchenhistoriker und Theologen lehnten 1934 in ihren „Studien zum Mythus des 20. Jahrhunderts“ die NS-Weltanschauung entschieden ab. (Siehe Amtsblätter der Diözese Münster und der Erzdiözese Köln) Damit war die nationalsozialistische Rassenlehre, auf der der Antisemitismus basiert, kirchenamtlich verurteilt.

War es auch kein Widerstand, als am 21. März 1937 alle 25.000 katholischen Priester das päpstliche Weltrundschreiben „Mit brennender Sorge“ in allen katholischen Kirchen Deutschlands verkündeten? Hier wurden der Öffentlichkeit mit großem Mut die Irrtümer der Nazis aufgezeigt. Und die Rache der Nazis mit Verhaftungen und KZ-Einweisungen ließ nicht lange auf sich warten.

In der ersten Kriegszeit hat Papst Pius XII. den Kontakt zwischen der deutschen Militäropposition und der britischen Regierung vermittelt. Eine hochriskante Handlung! (Siehe Peter Ludlow in Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte München Jahrg. 22 (1974) S.299 – 341 und Richard Basset: „Hitlers Meisterspion- das Rätsel um Wilhelm Canaris“, Deutsche Ausgabe Wien 2008).

Europaweit haben die Nationalsozialisten immerhin 4000 katholische Priester umgebracht. Warum wohl? Die beiden Pfarrer Johannes Schulz und Josef Zilliken haben beispielsweise am 27. Mai 1940 dem „Reichsmarschall“ Hermann Göring den Gruß verweigert. „Sie widerstanden ihm ins Angesicht.“ Dafür wurden sie sofort verhaftet und in Dachau umgebracht. War das kein Widerstand?

Oder Pfarrer Wilhelm Caroli? 1941 predigte er offen gegen das Euthanasie-Programm zur massenhaften Tötung kranker Menschen. Dafür musste er selbst im KZ Dachau sterben – ebenso wie elf weitere katholische Widerständler, die in Helmut Molls Martyrologium „Zeugen für Christus“ dokumentiert sind. Sie alle haben aus Gewissensgründen ihr Leben hingegeben.

Der Münsteraner Bischof von Galen hat 1941seine berühmten Predigten gegen das nationalsozialistische Mordprogramm gehalten und er hat Strafanzeige gegen die Machthaber gestellt. Das brachte die Nazis zur Weißglut und sie hoben sich die Bestrafung dieses Bischofs für die Zeit nach dem Krieg auf, der glücklicherweise anders ausging, als sich die Nazis vorgestellt hatten. Die heimliche Verbreitung dieser Predigttexte war lebensgefährlich.

Pallotinerpater Franz Reinisch war unter Hitler nicht zum Kriegsdienst bereit. Wie 16 weitere Katholiken lehnte er den Fahneneid auf Hitler bzw. verbrecherische Befehle ab und zog die Hinrichtung vor. Das soll alles kein Widerstand gewesen sein?

Allein der Bischof von Linz, Josef Fließer, versuchte 1943 den Kriegsdienstverweigerer Franz Jägerstätter umzustimmen, aber nur um den Familienvater vor der Hinrichtung zu bewahren; denn auf ein Konkordat brauchte er dabei keine Rücksicht zu nehmen, weil es in Österreich kein Konkordat gab.

Im katholischen Martyrologium „Zeugen für Christus“ sind über 400 katholische Priester und Laien aus Deutschland dokumentiert, die in der NS-Zeit als Märtyrer sterben mussten. Glücklicherweise ist die Zahl der überlebenden Widerständler größer.

Der bekennende Katholik Michael Lottner versuchte am 23. April 1945 dem Domprediger Maier in Regensburg zu Hilfe zu kommen, als dieser verhaftet wurde. Er wurde im Kampf erschossen, während Maier und der Helfer Josef Zirkl zur Abschreckung öffentlich erhängt wurden.

Wenn Mommsen und Käßmann die einschlägigen Dokumentationen nicht zitieren und offenbar auch nicht kennen, so ist das eine Wissenslücke ihrerseits und nicht ein fehlender Widerstand seitens der katholischen Kirche. Überdies scheinen die beiden Autorinnen Käßmann und Silomon nicht einmal das evangelische Martyrologium „Ihr Ende schaut an“ (Leipzig 2006, erweitert 2008) benutzt zu haben.

Aber Käßmann/ Silomon arbeiten nicht nur mit einer weitgehenden Ausblendung des katholischen Widerstands. Sie behaupten auch Falsches. So steht zum Beispiel auf Seite 57, der Papst hätte auf den bekannten Bittbrief von Edith Stein geschwiegen. Das ist historisch falsch. Papst Pius XI. war allerdings vorsichtig genug, den Antwortbrief nicht der staatlichen Post anzuvertrauen. Er ließ über seinen Staatssekretär den Beuroner Erzabt Raphael Walzer über den Eingang und die Kenntnisnahme der Bittschrift informieren; nachzulesen in den Edith-Stein-Jahrbüchern und von den beiden Autorinnen auch richtig zitiert. Frau Käßmann kann zwar nicht wissen, welchen Inhalt der Papst Edith Stein ausrichten ließ. Aber sie sollte wissen, dass der Papst das Anliegen von Edith Stein in zahlreichen Protestschreiben aufgegriffen hat. Allein zwischen 1933 und 1937 hat der Papst 55 Protestschreiben nach Berlin geschickt. Wenn die deutsche Reichsregierung nicht angemessen auf die vatikanischen Proteste reagierte, so sollte sie das nicht dem Papst anlasten. Sie sollte auch nicht versuchen, den Eindruck zu erwecken, dass der Brief von Edith Stein deshalb keine weiteren Folgen gehabt habe, weil der Papst geschwiegen hätte.

Käßmann erwähnt auch die Geschwister Scholl und vergisst dabei den katholischen Anteil an der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ mit Christoph Probst, Willi Graf, Prof. Kurt Huber,Theodor Haecker und anderen Widerständlern.

Schlimmer und anfechtbarer ist ihre Behauptung, einzelne Katholiken, die tatsächlich Widerstand geleistet haben, hätten bei ihrem Widerstand „gegen ihre eigene Kirche agieren“ müssen (S.24) , da die Kirche über ein Konkordat mit der Nazidiktatur verbunden gewesen sei. Die Katholiken fühlten sich jedoch durch das Konkordat keineswegs mit der Nazidiktatur verbunden, sondern eher abgegrenzt.

Schließlich lehnte Hitler die Ausdehnung des Konkordats auf das Sudetenland und auf Österreich nicht ganz grundlos ab.

Wahr ist vielmehr, dass sich Widerständler mit dem Papst immer einig wussten und von den Bischöfen vielfach unterstützt wurden. In der einschlägigen Literatur wird durchaus klar dargestellt, warum der Papst das Konkordat abschloss und wie skeptisch er es von Anfang an beurteilte. Er wollte die Seelsorge vertraglich sichern, obwohl er befürchten musste, dass Hitler diesen Vertrag brechen werde.

Das Gespräch zwischen Kardinalstaatssekretär Pacelli und dem britischen Geschäftsträger Sir Ivone Kirkpatrick, das beispielsweise Pinchas Lapide in seinem Buch „Rom und die Juden“ schildert, zeigt eine gänzlich andere Sicht der Konkordatsproblematik als das Klischee Käßmanns und Silomons.

Die Katholiken kannten auch die bischöflichen Verlautbarungen, nach denen die nationalsozialistische Weltanschauung mit der katholischen Kirche als unvereinbar festgestellt worden waren. Das zeigen die Wahlergebnisse von 1932 und vom 5. März 1933. Dr. Gertrud Luckner leitete ihre als Caritas-Seelsorge getarnte Hilfsstelle für verfolgte Juden im Auftrag von Erzbischof Gröber in Freiburg, bis sie selbst im KZ Ravensbrück landete.

Ebenso arbeitete Dr. Margarete Sommer in Berlin im Auftrag ihres Bischofs Konrad von Preysing zur Rettung von Juden. Bischof von Preysing besuchte auch Dompropst Lichtenberg im Gefängnis. Er hatte jeden Abend in der Berliner Hedwigs-Kathedrale öffentlich für „die verfolgten Juden“ gebetet, bis er verhaftet wurde. Kein Widerstand?

Auch Bischof Berning von Osnabrück hat die Lübecker Blutzeugen im Gefängnis besucht.

Seite 192 schreiben die Autorinnen über Papst Pius XII. „Doch verband ihn sein katholischer Antijudaismus mit dem nationalsozialistischen Antisemitismus.“ Die Autorinnen nennen kein Beispiel für „katholischen Antijudaismus“ und sie erklären auch nicht, was sie unter „katholischen Antijudaismus“ verstehen. Ihnen kommt es wohl nur darauf an, Papst Pius XII. in Zusammenhang mit dem nationalsozialistischen Antisemitismus zu nennen. Das stellt angesichts des Holocausts eine unverantwortliche, nicht mehr nachvollziehbare Desinformation dar.

Was dieser Papst jedoch zur Rettung von Juden in Italien erreicht hat, hat die israelische Außenministerin Golda Meir dankbar anerkannt. Der jüdische Schriftsteller Pinchas Lapide, der Rabbiner Eugenio Zolli und auch andere Rabbiner beweisen in ihren Veröffentlichungen, dass Papst Pius XII. den Nationalsozialismus und ausdrücklich auch den Antisemitismus grundsätzlich verurteilt hat und zur Rettung von Juden im Rahmen seiner Möglichkeiten mehr getan hat als viele andere.

Oder kennen die beiden Autorinnen die einschlägige Literatur nicht? Das würde erklären, warum sie bei oberflächlichen Klischees hängen bleiben. Es ist erstaunlich, dass der Verlag diese Unkenntnis nicht beachtet hat.

Überdies geben Käßmann/Silomon auf Seite 192 selbst zu, dass Pacelli bereits 1924 den Nationalsozialismus „als die vielleicht gefährlichste Häresie unserer Zeit“ einstufte. Wie oft haben Papst Pius XI. und Kardinalstaatssekretär Pacelli den Rassismus und Antisemitismus später noch verurteilt!

Und das Parteiorgan der NSDAP, der „Völkische Beobachter“ schrieb am 1.8.1938: „Der Vatikan hat die Rassenlehre von Anfang an abgelehnt. Teils deshalb, weil sie vom deutschen Nationalsozialismus zum erstenmal öffentlich verkündet wurde und weil dieser die ersten praktischen Schlußfolgerungen aus der Erkenntnis gezogen hat; denn zum Nationalsozialismus stand der Vatikan in politischer Kampfstellung. Der Vatikan musste die Rassenlehre aber auch ablehnen, weil sie seinem Dogma von der Gleichheit aller Menschen widerspricht, das wiederum eine Folge des katholischen Universalanspruchs ist und das er mit Liberalen, Juden und Kommunisten teilt.“

Man muss sich schon erstaunt fragen: Haben Mommsen, Käßmann und Silomon den „Völkischen Beobachter“ und die SD-Berichte nicht ausgewertet? Das hätten sie aber tun sollen, wenn sie sich zu diesem Thema so umfangreich äußern.

Allein im KZ Dachau befanden sich 2752 katholische Priester und etwa 120 evangelische Pastoren. Hier sind die gefangenen Priester aus den KZs Börgermoor, Sachsenhausen, Buchenwald und Mauthausen-Gusen (Österreich) noch nicht mitgezählt, da nicht alle in das KZ Dachau überstellt wurden.

Käßmann und Silomon definieren auch nicht, was sie unter „Widerstand“ verstehen, obwohl sie den Begriff oft verwenden und „den beiden Kirchen“ absprechen. Ein methodischer Fehler! Denn unter diesen Umständen wären sie verpflichtet gewesen zu sagen, ob sie nur einen „Widerstand mit Waffengewalt“ anerkennen, oder ob es auch einen „geistigen Widerstand“ oder auch einen „diplomatischen Widerstand“ gab.

Aber sie vereinnahmen die Märtyrer Paul Schneider und Dietrich Bonhoeffer für das „protestantische Unbequemsein“ gegenüber der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland und gegenüber der Westbindung. Eine Dreistigkeit! Die Märtyrer haben in ihrer Not das Leben geopfert, die Gegner der Westbindung wurden dagegen von den Medien gehätschelt, sie konnten wegen ihrer Gegnerschaft Karriere machen und Bücher veröffentlichen.

Die Zitate in diesem „Lesebuch“ entstammen nicht wissenschaftlichen Quelleneditionen, sondern sind aus Sekundärarbeiten einfach abgeschrieben. Ist das eine seriöse Leistung? Im Übrigen hat Anke Silomon das alles besorgt (vgl. Seite 27 unten), während Käßmann „beim Lesen und Kommentieren … sehr viel gelernt“ hat. Warum werden dann aber zwei Autorinnen im Untertitel angegeben? Nur um das Buch besser zu verkaufen?

Trotz aller methodischen und sachlichen Fehler gilt: Die Texte von Dietrich Bonhoeffer, Paul Schneider und anderen wirken auch in diesem unangemessenen Rahmen. Ihr Heldentum und der Bekanntheitsgrad von Margot Käßmann werden den Verkauf des Buches befördern und die darin enthaltenen Irrtümer transportieren.

Eine Verwendung dieses „Lesebuches“ in Theologie und Katechese wäre ein ökumenischer Rückschritt, weil es den katholischen Widerstand weitgehend ausblendet und teilweise sogar bestreitet. Darüber hinaus werden in diesem Buch klischeehafte Anschuldigungen gegen die katholische Kirche erhoben.

Dieser Beitrag ist ein Vorabdruck aus der Zeitschrift des Forums Deutscher Katholiken „Der Fels“

Foto: (c) Verlag C.H.Beck


© 2013 www.kath.net