Angst essen Seele auf

26. August 2013 in Kommentar


Das süße Gift des Relativismus ist tiefer eingedrungen als vermutet. Es herrschen perfide Wahrheitsphobie und Intoleranz im Namen einer entleerten Aufklärung und einer missbrauchten Gleichberechtigung. Von Martin Lohmann (Vatican Magazin)


Vatikan – Köln (kath.net/VATICAN magazin) Woran erkennt man eine Diktatur? Da gibt es viele Hinweise. Und eigentlich ist es ziemlich einfach. Denn in Diktaturen herrschen Angst vor der Wahrheit, Angst vor der Freiheit, Angst vor Toleranz, Angst vor Respekt, Angst vor der Menschenwürde, Angst vor Ehrlichkeit, Angst vor Diskussionen, Angst vor Meinungs- und Redefreiheit. Weil Unfreiheit, Unsicherheit, Komplexbeladenheit und tief sitzende Selbstzweifel subcutan vorherrschen, müssen sie geradezu zwanghaft verborgen und geleugnet werden. Der Schutz für diese Neurose, die letztlich eine Phobie vor dem Menschen und seiner Berufung zu Freiheit und Verantwortung ist, besteht in der Aggression gegen alles, was eben mit Freiheit, Verantwortung und – sprechen wir es mutig und gelassen aus – mit Schöpfungsordnung zu tun hat. Diktaturen sind also letztlich angstbesessene Angstmacher.

Ob Benedikt XVI. genau das gemeint hat, als er vor und während seines Pontifikats von der Diktatur des Relativismus sprach und vor ihren Auswirkungen warnte? Ob er bereits ahnte, dass selbst die Ökumene zwischen Katholiken und Evangelischen schon bald Opfer dieser Diktatur werden könne? Denn sicher ist: Die Sache mit der Ökumene scheint schwieriger zu wer-den. Während sich manche auf das Gedenken der Spaltung vorbereiten, einige gar davon träumen, daraus ein Jubiläum zu machen, werden wichtige Wegstrecken dorthin offenbar sehenden Auges kräftig verbaut. Die so genannte Orientierungshilfe der Evangelischen Kirche zu Fragen der Ehe – oder sollte man sagen: das Desorientierungspapier zur so genannten Homo-Ehe – ist ein betrüblicher Beweis für einen höchst bedenklichen Zustand bestimmter Teilchristentümer in der Mitte Europas.

Was da – ganz auf der Linie der Ergebenheit gegenüber einem offensichtlich gebotenen Diktat vermeintlicher Modernität – als neues Familienbild verkündet wurde, ist der Abschied von der Schöpfungsordnung, von Jesus Christus, von der Schrift und letztlich von einer ernstzunehmenden Ökumene, in der sich verschiedene Konfessionen eigentlich darum zu bemühen haben, in Treue zur Wahrheit des Gottessohnes diesem immer näher zu kommen – und somit einander. Die im „Familienpapier“ der Evangelischen Kirche in Deutsch-land (EKD) vollzogene Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften mit der richtigen Ehe von einem Mann mit einer Frau ist eine skandalöse Verbeugung vor einer kleinen, aber offenbar angsteinflößenden Gruppe von Menschen, die eine bestimmte sexuelle Neigung zum Alleindeutungsmerkmal ihrer selbst intolerant und unter Zerstörung klarer Denkstrukturen einfordern und jeden unwidersprochen diskriminierend der Intoleranz oder Diskriminierung bezichtigen, der sich noch wagt, hier Kritik zu üben.

Eine Verbeugung vor dem Gottessohn Jesus Christus, der eindeutig und konsequent auf den Schöpfungsplan des Vaters hinwies, als er die unauflösliche Ehe zwischen Mann und Frau verbindlich erklärte, ist das „Familienpapier“ der EKD wahrlich nicht. Eher schon ein despektierlicher Fußtritt. Kein Wunder, dass – wie der Ehrenpräsident der Internationalen Konferenz Bekennender Gemeinschaften, Peter Beyerhaus, anmerkt – „immer mehr glaubenstreue evangelische Christen empfinden, bei ihrer reformatorischen Mutterkirche ihre geistliche Heimat verloren zu haben“.

Verleugnung, Verleumdung, Aggression, Einschüchterung gegen Toleranz, Anstand, Freiheit und Achtung – all das hat etwas mit der Psychologie des anti-religiösen Affektes zu tun, den zum Beispiel der Wiener Psychologe Raphael Bonelli erhellend beschreibt. Dieser Affekt hat etwas mit gekränkten Narzissmus des modernen Menschen zu tun und mit einem brüchigen Selbstwertgefühl der „Religionskritiker“. Offenbar fühlen sich solche Menschen regelrecht bedroht von Menschen, die sich darum bemühen, aus ihrem Glauben heraus zu leben und andere zu tolerieren. Nicht nur der Psychiater fragt: Warum empört man sich denn sonst, wenn Menschen das katholische Lehramt für wahr halten und ihr Leben danach ausrichten?

Es gibt tatsächlich viel irrationale Aggression gegen Religion und vor allem Menschen, die anderen, schwachen Gestalten offenbar schon ein Dorn im Auge sind, wenn sie aus ihrem Glauben heraus eine gewisse Verlässlichkeit und Stabilität wie auch ein verankertes Selbstwertgefühl zu zeigen in der Lage sind. Bonelli sagt dazu: „Das Religiöse stört, und wer sich darauf ernsthaft einlässt, muss mit Prügel rechnen. Sei es die fromme Ehefrau, die vom Mann an der Ausübung ihrer spirituellen Interessen behindert wird, wie zum Beispiel Martha Freud, der von ihrem berühmten Gatten Sigmund das Praktizieren ihres jüdischen Glaubens ein Leben lang verboten wurde. Seien es so manche zeitgeistigen Medien, die praktizierende Katholiken prinzipiell für vogelfrei erachten, während sie peinlich genau auf das politisch korrekte Einhalten der Ansprüche anderer Minoritäten achten, die keinesfalls „diskriminiert“ werden dürfen.“ Und weiter: „Ganz offen liegt die Volksseele in so manchen Internetblogs, bei denen vielfach gläubige Menschen bloß aus diesem Grund an den Pranger der Lächerlichkeit gestellt werden. Meist reicht der Hinweis auf die Religiosität einer Person, um für öffentlich ausgetragene Ressentiments keine Sachargumente mehr zu benötigen.“

Da spielen viel Narzissmus und viel mangelndes Selbstbewusstsein, ja auch viele Minderwertigkeitskomplexe hinein, glaubt man dem Experten aus Wien. Manche Aggression wurzele in einer narzisstischen Kränkung: „Narzisstisch kränkbar sind Menschen, bei denen sich eine starke Diskrepanz zwischen idealisiertem Selbstbild und der Realität entwickelt hat. Der Narzisst konstruiert ein übermächtiges Wunschbild von sich selbst, das er zur Realität erklärt. Er lebt mit einem überzogenen, aber brüchigen Selbstwertgefühl. Bedrohlich erlebt wird demnach jeder Hinweis auf die Wirklichkeit, da die Wahrheit über sich selbst schmerzhaft erlebt und deswegen ins Unterbewusstsein verdrängt wird.“ Den Narzissten schmerze besonders das, so Bonelli, „von dem er unbewusst spürt, dass es wahr sein könnte, er es aber nicht wahrhaben will. Die Bedrohung und der Schmerz bestehen darin, dass der Kränker Recht haben könnte und das konstruierte Selbstbild an der Realität zerbrechen könnte, dass, existenziell gesprochen, von ihm nichts mehr übrigbleibt. Deswegen muss das Trugbild mit offensiver Aggression verteidigt werden.“

Zu den Kränkungen des – sagen wir es einmal so – in der Flachheit gefangenen Menschen zählt natürlich der moralische Anspruch, der sich aus dieser realen Gottesexistenz ergibt. Und dahinter steckt halt mehr als jene unverbindliche Ethik, die wurzelfrei, unverbindlich und nichtssagend vielfach durch die Agenda des bunten Heute wabert, dem Menschen und seinem wirklichen Anspruch aber nicht gerecht wird. Eine Ich-hafte Ethik verdrängt das, was immer auch zum Leben dazugehört und wovon letztlich eben nur Gott selbst befreien kann: Schuld. Aber die eigenen Schuldfähigkeit wollen viele nicht mehr wahrhaben. Auch das ist eine narzisstische Kränkung. Diese lässt sich leider auch innerkirchlich beobachten.

Neid auf religiös gefestigte Menschen? Geradezu pubertierende Eifersucht auf jene, die zu zeigen bereit sind, dass ein Leben aus dem Glauben möglich ist? Kain hat genau deshalb Abel erschlagen. Die Wirklichkeit, die wir erleben, ist uralt und seit Urzeiten wahr. Und es gibt diese Kains auch heute noch. Und sie finden Mitläufer. Überall. Auch in den Kirchen. Leider.

Es ist einer „kleinen Minderheit der Bevölkerung, deren sexuelle Neigungen von denen der großen Mehrheit abweichen“, gelungen, „ihre Interessen zu beherrschenden Thema eins globalen Kulturkampfes zu machen“, schreibt Gabriele Kuby in ihrem wahrlich aufklärenden Jahrhundertwerk „Die globale sexuelle Revolution. Zerstörung der Freiheit im Namen der Freiheit Die globale sexuelle Revolution. Zerstörung der Freiheit im Namen der Freiheit“. Wer dort, bestens belegt, die Geschichte der vergangenen Jahre nachliest, wird erkennen, dass die jetzt ausgerufene Diktatur im Namen der Freiheit von langer Hand vorbereitet ist und die Giftarme dieser Krake, die so nett und süßlich ihre mentalen Killerviren verteilt, fast überall hin greifen.

Entstanden ist ein System der Angst vor Klarheit und Wahrheit in dem vor-pubertärem Empfinden, auf jeden Fall politisch korrekt sein zu müssen – was immer das auch sei. Selbst Sigmund Freud, der Homosexualität als durch „einen gewissen Stillstand der sexuellen Entwicklung entstanden“ erklärte, sollte man besser nicht mehr zitieren. Geschweige denn C.G. Jung, der Homosexualität als ein verdrängtes, undifferenziertes Element der Maskulinität im Mann wertete, das anstatt es zu entfalten aus der Tiefe der eigenen Psyche, mit der „Fusion“ mit einem anderen Mann auf der biologischen Ebene gesucht werde.

Wer die Fakten, wozu viel Unangenehmes wie psychische, physische Erkrankungen, Promiskuität, Heilbarkeit und anderes gehört, auch nur benennt (Das Kapitel X bei Kuby ist voll davon), läuft sofort Gefahr, in der Diktatur der Verwirrung und geistigen Entwurzelung in eine rechtsradikale Ecke gedrängt zu werden. Diskriminierung, Intoleranz, Rufmord. Das sind die Mittel dieser wie jeder echten Diktatur. Dazu gehört auch die tatsächliche Zerstörung der Ehe als Ehe – durch Entwertung, weil man nicht Vergleichbares vergleicht und somit einzigartig Kostbares beschädigt. Gabriele Kuby formuliert das so:

„Auf dem Spiel steht das Konzept der unveränderbaren ‚sexuellen Identität’, um deren grundgesetzlichen Schutz die Bewegung kämpft. Auf dem Spiel steht die Auffassung, dass Homosexualität den gleichen gesellschaftlichen Wert wie Heterosexualität hat und folglich zu denselben Rechten legitimiert, wie sie Ehe und Familie erfahren.“ Und: „Auf dem Spiel steht die ethische Verantwortung des Individuums.“ Da ist es dann nur noch folgerichtig, dass alles, aber auch wirklich alles dieser altneuen Ideologie und Diktatur geopfert wird und sich selbst Kirchenleute nicht mehr trauen, etwa in der Frage des Adoptionsrechtes gleichgeschlechtlicher Paare einmal nach dem Kindeswohl zu fragen. Denn dieses braucht, das wissen wir nicht erst seit den leider allzu berechtigten Warnungen von Christa Meves, Vater und Mutter. Am besten Originalvater und Originalmutter in einer Original- und Erstfamilie!

Und die Kritiker? Sie werden kräftig verleumdet, man nimmt ihnen Lehraufträge unter dem Hinweis auf angebliche Empörungsdebatten, die man freilich selbst inszeniert unter Studenten, unterstellt ihnen Homophobie, die dann auch jeder vorsichtshalber einmal glaubt, um nicht selbst ins Kreuzfeuer zu geraten. Also: Es passiert all das, was man in einer echten Diktatur beherrscht: Rufmord, Verleumdung, Unterstellungen, Fälschungen und Hass. Diejenigen, die selbst als Wahrheitsphobe eine geradezu panische Angst vor allem haben, das mit Gott und der von ihm geoffenbarten Klarheit zu hat, können nicht anders, als mit Lug und Trug zu hantieren. Sämtliche Instrumente, die der Satan da bereithält, scheinen willkommen. Da hilft dann wenn überhaupt nur mittelfristig die christliche Erkenntnis, dass der Diabolos auch aus tausend Lügen keine Wahrheit zimmern kann. Was, wenn allzu viele von den Mitläufern und Angsthasen der Diktatur des Relativismus bereitwillig rückgradlos glauben, was ihnen diktiert wird!?

Aber: Aus der Geschichte wissen wir, dass alle Diktaturen irgendwann zusammenbrechen. Angst ist niemals stabil. Der Geist will letztlich Freiheit und sehnt sich nach Wahrheit. Da wäre es ganz gut, wenn sich vor allem unter Christen genügend finden würden, die ohne Angst und voller Mut gelegentlich darauf hinweisen, dass der Kaiser keine Kleider anhat – was man bei jedem CSD eigentlich auch sehen könnte.

Christen sind berufen, freiheitsliebende Apostel der Wahrheit zu sein. Unterschied zu erkennen und zu benennen, ist keine Diskriminierung. Aber gelebte Toleranz! Angstfrei. In Respekt. Die Diktatur des Relativismus, der manche dünnen „Familienpapiere“ ergebendst dienen, ist nichts Christliches. Die mutige Liebe zu Christus und seiner Botschaft und dem in Freiheit verankerten christlichen Menschenbild hingegen sehr wohl. Denn christlich ist: Freiheit frisst Feigheit. Es gilt, was schon früher galt: Et si omnes, ego non.

Martin Lohmann ist Historiker, Theologe und katholischer Publizist. Er arbeitet als Chefredakteur des privaten katholischen Fernsehens K-TV


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kath.net-Buchtipp:
Die globale sexuelle Revolution. Zerstörung der Freiheit im Namen der Freiheit
Von Gabriele Kuby
Gebundene Ausgabe, 453 Seiten;
2012 Fe-medienverlag
ISBN 978-3-86357-032-3
Preis: 20.60 EUR

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