In das Dunkel der Fragen fällt das helle Licht der Lehre des Konzils

2. Dezember 2013 in Chronik


„Die Antwort“, die das Trienter Konzil gibt, „ist auch für heute und für alle Zeiten gültig“, betonte Kardinal Brandmüller in seiner Predigt zum 450. Jahrestag des Trienter Konzils


Trient (kath.net) „In der kulturellen Situation unserer Tage“ komme „der Stimme des Konzils von Trient hochaktuelle Bedeutung zu“, sagte Walter Kardinal Brandmüller (Foto) in seiner Predigt am 1. Dezember 2013 in Dom von Trient (Norditalien) anlässlich des 450. Jahrestages des Abschlusses des Konzils von Trient. Der Sondergesandte des Papstes äußerte die Hoffnung, „dass auch das 2. Vatikanische Konzil, das die Älteren unter uns noch erlebt haben, zu seiner Zeit ebensolche Frucht bringen möge, wie jenes, dessen wir heute gedenken“.

kath.net veröffentlicht den Text der Predigt von Seiner Eminenz Walter Kardinal Brandmüller anlässlich des 450. Jahrestages des Abschlusses des Konzils von Trient und dankt Seiner Eminenz für die freundliche Genehmigung:

Als am 4. Dezember des Jahres 1563 in dieser Kathedrale der Konzilspräsident Kardinal Morone das Te Deum anstimmte und dann den Versammelten zurief: „Domini, ite in pace“, da war man am Ziel eines überaus langen, von Mühen, Gefahren und Enttäuschungen gekennzeichneten Weges angelangt. Tief bewegt und unter Tränen umarmten sich die Väter voll der Freude und des Dankes für das vollbrachte Werk.

Heute gedenken wir dieses großen Augenblicks, denn mit diesem „Domini, ite in pace“ hat begonnen, was Hubert Jedin, Geschichtsschreiber des Konzils und Ehrenbürger dieser Stadt, das „Wunder von Trient“ genannt hat.

Erst im Rückblick können wir erkennen, wie machtvoll der Geist Gottes gerade durch dieses Konzil in die Geschicke der Kirche, ja der Welt eingegriffen hat. So sehr, dass man die auf das Konzil folgenden Jahrhunderte die „nachtridentinische Epoche“ nennt.

Wenn nun heute, 450 Jahre danach, auch wir Christen des 3. Jahrtausends in dieses Te Deum von damals einstimmen, so kann und soll das nicht einfach in nostalgischer Rückschau geschehen.

Wir begehen dieses Jubiläum vielmehr mit dem Blick auf Kirche und Welt in unserem Hier und Heute. Welche Botschaft kommt uns da – so fragen wir – durch die Jahrhunderte zu? Könnte es sein, dass der Schatz, den das große Konzil hinterlassen hat, auch Antworten auf unsere Fragen birgt? Oder hatten etwa jene recht, die das 2. Vatikanische Konzil als einen „Abschied von Trient“ gefeiert haben? Aber: allein die Konstitution „Lumen gentium“ des 2. Vatikanums, die die Lehre von der Kirche darlegt, beruft sich an 16 Stellen auf Lehrdokumente des Konzils von Trient. So ist dieses noch nach 450 Jahren in Lehre und Leben der Kirche präsent.

I

Vor kurzem ist das noch von Benedikt XVI. ausgerufene Jahr des Glaubens zu Ende gegangen, wozu Papst Franziskus die Enzyklika „Lumen fidei – Licht des Glaubens“ als erste seines Pontifikats veröffentlicht hat. Jahr des Glaubens, Enzyklika über den Glauben zielen in der Tat ins Zentrum der Probleme unserer Zeit, einer Zeit, die die Frage nach der Wahrheit des Glaubens, nach Wahrheit überhaupt zu stellen weithin aufgegeben hat.

Was nützt es, was ist machbar – das sind die Fragen, die die Gesellschaft von heute bewegen. Was ist schon Wahrheit, fragen viele mit Pontius Pilatus. Und: Wird man von Wahrheit – so es sie denn gibt – auch satt?

Aber, so fragen wir dagegen: kann es ohne Wahrheit überhaupt menschliches Leben geben? Und: wo finden wir diese Wahrheit?

Die Antwort auf diese schon vor 450 Jahren bedrängende Frage geben die Väter von Trient allein schon dadurch, dass sie als erstes aller Konzilsdekrete jenes verabschiedeten, das von der Heiligen Schrift und der Apostolischen Überlieferung handelt.

In Schrift und Tradition finden wir das Evangelium, „das vor Zeiten verheißen durch die Propheten in den heiligen Schriften, unser Herr Jesus Christus, Gottes Sohn, zuerst mit seinem eigenen Mund verkündet hat, und danach durch seine Apostel als Quelle der heilbringenden Wahrheit und sittlichen Ordnung aller Kreatur verkünden ließ.“ So lesen wir in diesem Dekret.

Nicht also philosophische Spekulation, nicht menschliche Selbsterfahrung und dergleichen mehr sind Fundorte der den Menschen rettenden Wahrheit, sondern die Urkunden der ein für allemal in Zeit und Raum, d. h. in der Geschichte, geschehenen Selbstmitteilung Gottes an sein Geschöpf Mensch.

In der kulturellen Situation unserer Tage, da die Heiligen Schriften von nicht wenigen als zwar ehrwürdige, aber doch rein menschliche Produkte der Kultur des Vorderen Orients der Antike betrachtet werden, kommt der Stimme des Konzils von Trient hochaktuelle Bedeutung zu. Sie erinnert mit Nachdruck daran, dass der Urheber der Heiligen Schriften des Alten und Neuen Testaments wie auch der heiligen Überlieferung der Dreieinige Gott selber ist, der erst durch den Mund der Propheten, zuletzt aber durch seinen Sohn, den Mensch gewordenen ewigen Logos, zu uns gesprochen hat. Gottes rettende Ansprache an sein Geschöpf und Ebenbild „Mensch“ – vernehmbar im menschlichen Wort der Heiligen Schrift und der Apostolischen Überlieferung – sie alleine vermag das Verlangen des Menschen nach Wahrheit zu erfüllen und ihm festen Grund für sein Leben zu bieten.

„Wer meine Worte hört und sie hält, gleicht einem Mann, der sein Haus auf Felsen gebaut hat“, sagt der Herr.

II

Nun aber wendet sich die Lehre des Konzils dem Menschen zu, an den die Botschaft des Evangeliums ergangen ist – und ergeht.

„Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst“, fragt schon der Psalm. In der Tat, wie kaum zuvor ist der Mensch der Moderne sich selbst zur Frage geworden.

Es sind die grauenvollen, blutigen Erfahrungen des vergangenen 20. Jahrhunderts wie unserer Gegenwart, die uns die Dramatik der Frage nach dem Menschen bedrängend empfinden lassen. Was ist der Mensch? Ist es der Übermensch, wie Friedrich Nietzsche ihn sah, der sich seine eigenen Maßstäbe für Wahr und Falsch, für Gut und Böse setzt – oder ist er, wie ein anderer gesagt hat, nur ein nackter Affe, dem durch eine Laune der Evolution das Fell fehlt?

Ist dieser Mensch ein bloßes Rädchen im Produktionsprozess, seelenloser, gesichtsloser Massenartikel – oder prometheischer Herr der Welt?

Der Mensch ist sich selber zum Rätsel geworden, hin- und hergerissen zwischen Größenwahn und Verzweiflung.

Wie, was sollen wir von uns selber denken? Anders als heute stellten sich die Zeitgenossen des Konzils von Trient diese Frage mit Blick auf Gott.

Ist der Mensch – wie auch die ganze Schöpfung – durch Adams Sünde im Innersten so sehr zerstört und böse geworden, dass ihn der ganze Zorn Gottes trifft, der nur durch Jesu Blut und Tod besänftigt werden kann? Ist der Mensch wirklich zu nichts anderem fähig als zur Sünde?

In das Dunkel all dieser Fragen fällt nun das helle Licht der Lehre des Konzils. Die Antwort, die sie gibt, ist auch für heute und für alle Zeiten gültig.

Ein altes Gebet – einst sprach man es in der heiligen Messe zur Mischung von Wein und Wasser – enthält in klassischer Prägnanz die Botschaft des Konzils: „Deus qui dignitatem humanae substantiae mirabiliter condidisti et mirabilius reformasti …“: Gott, du hast den Menschen in seiner Würde wunderbar erschaffen und noch wunderbarer – nämlich durch Christus – erneuert.

Mit dieser Lehre des Konzils wird jenem düsteren Pessimismus eine Absage erteilt, der die menschliche Natur, ja die ganze Schöpfung, durch die Sünde der Stammeltern zutiefst verdorben sah und nicht zur Kenntnis nehmen wollte, dass durch die Gnade der Erlösung der Mensch in seinem Innersten geheilt, ja neu geschaffen und als geliebtes Kind Gottes angenommen wird.

Es war dieses Bewusstsein, trotz aller Versuchung dem Bösen nicht hilflos ausgeliefert, sondern erlöst und zu ewiger Herrlichkeit berufen zu sein, das die besten Kräfte des Geistes und des Herzens der Gläubigen frei setzte. Es war ein neues, vom Glauben an die Erlösung inspiriertes Selbstverständnis des Menschen, das den staunenswerten religiösen Elan, den missionarischen Ausgriff nach Asien und Amerika, den Aufschwung der vielfältigen Werke der Nächstenliebe, der Künste und Wissenschaften zur Folge hatte, der die Zeit nach dem Konzil von Trient ausgezeichnet hat.

Vermöchte nicht auch heute eine vertiefte gläubige Schau der wunderbar erschaffenen und nach aller Sünde noch wunderbarer erneuerten Würde der menschlichen Natur in Kirche und Kultur jene geistigen Kräfte entbinden und jene Wege zu weisen, die in eine gute, Gott wohlgefällige und darum menschenfreundliche Zukunft führen?

III

Heilige Schrift und apostolische Überlieferung, die Grundlagen des Glaubens, auch das durch Erbsünde und Erlösung bestimmte Verhältnis des Menschen zu Gott – das waren die großen Themen, die die Väter des Konzils ob ihrer Dringlichkeit als erste geklärt wissen wollten.

Als drittes nahmen sie das Thema „Kirche“ in Angriff. Auch dieses beschäftigt die Gläubigen von heute nicht weniger als jene des 16. Jahrhunderts. Damals hatten ihre Gegner die Kirche als eine unsichtbare, rein geistige Größe missverstanden. Heute sind im Gegensatz dazu nicht wenige in der Gefahr, die Kirche – wie der Heilige Vater Papst Franziskus mehrfach betont hat – als eine rein menschliche, weltliche Institution, als eine Art „Nongovernmental Organization“ zur Weltverbesserung zu betrachten.

Ihr wahres Wesen blieb damals und bleibt heute oftmals im Dunkeln.

Um diesen Missverständnissen zu begegnen, haben schon zu ihrer Zeit die Väter von Trient die sieben heiligen Sakramente zum Gegenstand ihrer Lehrverkündigung gemacht und damit das eigentliche Wesen der Kirche in den Blick gerückt.

Bei den Sakramenten ist es das mit den Sinnen wahrzunehmende äußere Zeichen – bei der Eucharistie etwa die Konsekration von Brot und Wein – das die göttliche Gnade ebenso bezeichnet wie geheimnisvoll bewirkt. In ähnlicher Weise ist auch die menschlich-geschichtliche Gestalt der Kirche sichtbares Zeichen für ihr unsichtbares Wesen als geheimnisvoller Leib des Auferstandenen Christus, als Werkzeug Christi zur Erlösung der Welt.

Diese auch in der Welt des 3. Jahrtausends gegenwärtige göttliche Wirklichkeit der Kirche neu und tiefer zu verstehen, d. h. in ihrer irdisch-menschlichen Gestalt die Präsenz des Göttlichen wieder zu entdecken – das könnte jene Entweltlichung der Kirche bewirken, die Voraussetzung dafür ist,dass die Kirche ihre Sendung für das ewige Heil der Menschen wirksam erfüllen kann.

IV

Blicken wir zum Schluss noch einmal zurück. Als das Concilium Tridentinum am 13. Dezember 1545 eröffnet wurde, waren es nur etwa 100 Bischöfe, die in diesen Dom einzogen. Unter ihnen war keiner aus Deutschland, dem Ursprungsland der Glaubensspaltung.

Diese Bischöfe kamen aus einem Europa, in dem die Kirche aus jenen Wunden blutete, die ihr der Massenabfall in vielen Ländern geschlagen hatte. Mutlosigkeit, Verwirrung lähmten viele der treu Gebliebenen und ließen sie ohne Hoffnung in eine düstere Zukunft blicken.

„Fürchte dich nicht, du kleine Herde“, hatte der Herr einst zu seinen Aposteln gesagt – und damit auch zu ihren Nachfolgern, die sich da in Trient zusammengefunden hatten. So gingen sie denn unverzagt an das Werk der Klärung und der Abgrenzung der Glaubenswahrheit vom Irrtum und ans Werk der Reform.

Aus der Saat, die sie – wie der Psalm sagt – unter Tränen ausstreuten, bis in die neuen Kontinente Asien und Amerika hin, ist eine überreiche Ernte erwachsen: eine Epoche der Kirchen- und Kulturgeschichte, der das Konzil von Trient ihren Namen gegeben hat.

In der Tat: der Geist Gottes belebt und leitet seine Kirche durch die Jahrhunderte, bis der Herr einst wieder kommt.

Darum soll uns heute nicht nur der Dank dafür erfüllen, sondern ebenso die Hoffnung, dass auch das 2. Vatikanische Konzil, das die Älteren unter uns noch erlebt haben, zu seiner Zeit ebensolche Frucht bringen möge, wie jenes, dessen wir heute gedenken.


Eintrag in kathpedia: Walter Kardinal Brandmüller

Vortrag Kardinal Brandmüller Heiligenkreuz 3. Juni 2012: "Der Beitrag der Kirche zur Zukunft Europas"


Das Kruzifix, unter dem das Trienter Konzil tagte



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