6. Dezember 2013 in Familie
Birgit Kelle bei Autorenlesung in Berlin: Das Lebensmodell 'Hausfrau und Mutter in Vollzeit', wird (selbst als temporäre Option für ein paar Jahre) politisch offenbar nicht (mehr) gewollt. - Ein Gastbeitrag von Tobias Klein
Berlin (kath.net) Seit Monaten sorgt die Publizistin Birgit Kelle mit ihrem Buch Dann mach doch die Bluse zu für erregte Debatten: Ihre Thesen zu Familienpolitik und Geschlechterrollenverständnis lösen bei Frauen wie bei Männern begeisterte Zustimmung und energischen Widerspruch aus. Unlängst war Frau Kelle nun von den Berliner CDU-Ortsverbänden Alt-Pankow und Prenzlauer Allee, dem Bezirksverband der Jungen Union und dem Landesverband Berlin der Christdemokraten für das Leben (CDL) eingeladen worden, ihr Buch in Berlin-Pankow vorzustellen. An die Buchvorstellung, die am 22. November im fast voll besetzten Pfarrsaal der Herz-Jesu-Kirche stattfand, schloss sich eine Podiumsdiskussion unter Leitung von Christine von Leuckart von der Stiftung Wert der Freiheit an.
In seiner Begrüßungsansprache betonte der CDL-Landesvorsitzende Stefan Friedrich die gesellschaftspolitische Relevanz der in Birgit Kelles Buch behandelten Themen und zeichnete damit zugleich die großen Linien vor, innerhalb derer die spätere Diskussion sich bewegen sollte: Letztlich gehe es in Dann mach doch die Bluse zu um nichts Geringeres als um ein Plädoyer für ein selbstbestimmtes Leben, um die Verteidigung des Rechts auf individuelle Lebensgestaltung angesichts eines zunehmenden Normierungsdrucks von Seiten des Staates und der Gesellschaft. So laufe etwa die massive und einseitige Förderung der Krippenerziehung für Kleinkinder ein zentrales Thema des Abends auf eine Entflechtung von Elternschaft und Kindererziehung und somit auf eine schwer wiegende Entwertung der Familie als sozialem Raum hinaus. Mit ihrem doppelten Zweck, die Eltern möglichst uneingeschränkt für den Arbeitsmarkt verfügbar zu halten und die Kinder nahezu von Geburt an unter der Obhut des Staates aufwachsen zu lassen, erweise sich die Forcierung der Krippenerziehung als Frucht eines rein funktionalistischen Menschenbildes, dessen zentraler ethischer Maßstab ein Utilitarismus im Sinne von Wirtschaftlichkeit sei. Dies sei, so Friedrich, im Kern dasselbe Menschenbild, das auch in den Forderungen nach Ausweitung der Möglichkeiten vorgeburtlicher Selektion lebensunwerten Lebens etwa mit Hilfe der Präimplantationsdiagnostik (PiD) , Legalisierung von Euthanasie sowie einer immer weiteren Liberalisierung des Abtreibungsstrafrechts zum Ausdruck komme. Somit seien Birgit Kelles Thesen auch im Zusammenhang mit den drängenden bioethischen Kontroversen unserer Zeit zu betrachten.
Obwohl die Veranstaltung als Lesung angekündigt war, trug Birgit Kelle nicht aus ihrem Buch vor, sondern sprach rund eine Stunde lang frei über ihre persönlichen Erfahrungen als Mutter, die den Entschluss fasst, sich für einige Jahre ganz der Kindererziehung widmen und deshalb aus dem Berufsleben aussteigen zu wollen; über Auseinandersetzungen mit Feministinnen alten Schlages, die noch immer ein Geschlechterrollenbild bekämpfen zu müssen glauben, das es im Grunde gar nicht mehr gibt; über absurde Blüten des Gender Mainstreamings; vor allem aber immer wieder darüber, dass das Lebensmodell Hausfrau und Mutter in Vollzeit, selbst als temporäre Option für ein paar Jahre, politisch offenbar nicht (mehr) gewollt wird. In der Ablehnung dieses Lebensentwurfs seien sich Wirtschaftsverbände, feministische Gruppen sowie nahezu alle politischen Parteien Deutschlands einschließlich der CDU weitgehend einig, und das spiegele sich in der Familienpolitik nur allzu deutlich wider.
Birgit Kelle beeindruckte durch Eloquenz und Humor; wie sehr sie bei ihrem Publikum einen Nerv traf, zeigte sich unter anderem daran, dass einige Zuhörer am liebsten schon mitten im Vortrag in eine Debatte eingestiegen wären. Die anschließende Podiumsdiskussion, an der auch Stefan Friedrich und der Pankower Stadtrat Torsten Kühne teilnahmen, eröffnete Christine von Leuckart, Referentin der von Molkereiunternehmer Theo Müller gegründeten liberalen Stiftung Wert der Freiheit gGmbH, mit einer klassisch liberalen Fragestellung: Wenn Frau Kelle einerseits so großen Wert auf die Eigenverantwortung und die Entscheidungsfreiheit des Individuums lege, warum fordere sie dann andererseits staatliche Privilegien für Familien? Birgit Kelle stellte daraufhin klar, ihr gehe es nicht um Privilegien, sondern um Gerechtigkeit: Privilegiert würden derzeit nämlich gerade andere Lebensmodelle, insbesondere jenes, das volle Berufstätigkeit für Eltern und Krippenerziehung für Kinder vorsehe. Eine Politik, die dieses Modell einseitig favorisiere, liege aber weder im Interesse der Eltern noch in dem der Kinder. Die zentrale Frage, die man sich hier stellen müsse, laute: In was für einer Gesellschaft wollen wir leben? Bekommen wir deshalb Kinder, damit wir sie nach spätestens einem Jahr abgeben? Man kennt das eigentlich nur aus totalitären Systemen. Aus der Polemik gegen das Betreuungsgeld, das vielfach als Herdprämie oder gar als Verdummungsprämie geschmäht werde, spreche eine eklatante Geringschätzung der Erziehungsleistung von Eltern, ja letztlich eine Diffamierung von Eltern und Elternschaft. Es werde unterstellt, dass Erzieher in Kindertagesstätten prinzipiell besser qualifiziert seien, Kinder zu betreuen und zu fördern, als die eigenen Eltern.
Gleichzeitig betonte Frau Kelle, dass sie im Betreuungsgeld durchaus kein Allheilmittel sieht schon gar nicht in seiner konkreten Höhe: Wenn der Staat jeden Krippenplatz mit 1.200 Euro subventioniere, Eltern, die es vorziehen, ihre Kinder zu Hause zu erziehen, jedoch nur 150 Euro im Monat zahle, zeige sich ein nur allzu deutliches Missverhältnis. Daneben verwies Frau Kelle auf das Problem der Rentengerechtigkeit: Dass in einem Rentensystem, das auf einem Generationenvertrag basiere also darauf, dass die jüngeren Generationen die Rente der älteren finanzieren Kinderreichtum das schwerwiegendste Altersarmutsrisiko darstelle, sei schlichtweg absurd. Frau Kelle kritisierte, dass das so genannte Trümmerfrauen-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, in dem festgelegt wurde, dass Zeiten der Kindererziehung bei der Bemessung der Rente berücksichtigt werden müssen, seit 21 Jahren nicht politisch umgesetzt worden sei, und wies darauf hin, dass der Staat schließlich von Kindern profitiere: Jedes Kind, das in Deutschland geboren wird und aufwächst, bringt dem Staat im Laufe seines Lebens 70.000 Euro ein. Also kann ich auch verlangen, dass der Staat mich dafür, dass ich Kinder zur Welt bringe und aufziehe, finanziell entlastet!
Frau von Leuckart verfocht demgegenüber unermüdlich das liberale Credo, der Staat solle allgemein möglichst wenig regulierend in die Lebensgestaltung seiner Bürger eingreifen eine Überzeugung, die im Ganzen allerdings wohl weniger im Widerspruch zu Birgit Kelles Auffassungen steht, als die Wert der Freiheit-Referentin es im Interesse einer spannenden Diskussion darzustellen bestrebt schien. Die beiden Herren auf dem Podium griffen nur sehr vereinzelt in die engagierte Debatte zwischen den beiden Damen ein. Auf das Podiumsgespräch folgte eine außerordentlich lebhafte und vielschichtige Publikumsdiskussion; auf die abschließende Frage eines Diskussionsteilnehmers, was sich denn ihrer Meinung nach in der Familienpolitik konkret ändern müsse, erwiderte Birgit Kelle nach einigem Abwägen, vermutlich bestehe die Lösung tatsächlich eher in weniger als in mehr staatlicher Regulierung des Familienlebens ein Schlusswort, mit dem auch Christine von Leuckart ausgesprochen zufrieden sein konnte.
Der Verfasser dieses Beitrags, Tobias Klein, ist Doktor der Philosophie, lebt in Berlin und bloggt unter Huhn meets Ei
Ein Foto der Veranstaltung:
Auf dem Podium von links nach rechts: Stadtrat Dr. Torsten Kühne (CDU), Christine von Leuckart (Wert der Freiheit gGmbH), Birgit Kelle und Stefan Friedrich (CDL Berlin)
kath.net-Buchtipp - Wirklich lesenswert!
Dann mach doch die Bluse zu
Ein Aufschrei gegen den Gleichheitswahn
Von Birgit Kelle
Gebundene Ausgabe, 192 Seiten
2013 Adeo
ISBN 978-3-942208-09-3
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Foto: © Birgit Kelle und Verlag Adeo
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