Die Kirche muss Himmel und Hölle predigen

18. Dezember 2013 in Interview


Interview mit „Spiegel“-Autor Jan Fleischhauer. Was an der kath. Kirche faszinierend ist: Die Liturgie und ihre Widerspenstigkeit gegen den Zeitgeist - Von Karsten Huhn


Berlin (kath.net/idea) Auch in diesem Jahr ist die Zahl der Mitglieder der Volks- wie vieler Freikirchen geschrumpft. Die evangelische Kirche macht dafür vor allem die Bevölkerungsentwicklung verantwortlich. Anderer Ansicht ist der „Spiegel“-Journalist Jan Fleischhauer (Berlin). Er meint: Zu oft bleibt die Verkündigung unverbindlich. Statt über geistliche Fragen spricht die Kirche lieber über Klimawandel oder Rüstungsexporte. Mit Fleischhauer sprach Karsten Huhn.

idea: Herr Fleischhauer, wie feiern Sie Weihnachten?

Fleischhauer: Natürlich im Kreise der Familie, wie es sich gehört. Wir werden meine Eltern in Hamburg besuchen. Am Nachmittag geht es in den Gottesdienst, dann wird gegessen und gesungen.

idea: Was erhoffen Sie sich vom Gottesdienst?

Fleischhauer: Neben der Verkündigung des Evangeliums das, was ich immer am schönsten fand: eine klare Liturgie. Und wenn ich für dieses Jahr einen Wunsch äußern dürfte, dann wäre es der, dass ich ausnahmsweise mit Einlassungen zur politischen Lage verschont bleibe.

Das war nicht mutig von Frau Käßmann

idea: Sie fordern eine unpolitische Kirche?

Fleischhauer: Nein, aber wenn sich kirchliche Vertreter zu politischen Fragen äußern, besteht leicht die Gefahr, dass es schrecklich naiv wird. Es ist eine Sache, der Politik ins Gewissen zu reden, die Grundsätze christlicher Nächstenliebe nicht aus den Augen zu verlieren – und etwas ganz anderes, daraus konkrete Handlungsanweisungen abzuleiten. Bestes Beispiel, wie es schiefgehen kann, ist der Stuhlkreis-Pazifismus, den Margot Käßmann in ihrer Zeit als EKD-Ratsvorsitzende predigte.

idea: Sie spielen vermutlich an auf Käßmanns Neujahrspredigt im Jahr 2010 mit der Aussage „Nichts ist gut in Afghanistan“. Diesen Satz fanden viele sehr mutig.

Fleischhauer: Naja, das war eher der Mut, den man braucht, um durch eine sperrangelweit offen stehende Tür zu spazieren. Wenn Käßmann den Militäreinsatz in Afghanistan verteidigt hätte: Das hätte in der Kirche zu Aufruhr geführt.

idea: Margot Käßmann haben Sie offensichtlich gefressen.

Fleischhauer: Überhaupt nicht, ganz im Gegenteil. Margot Käßmann ist eine charismatische Persönlichkeit; wo sie auftritt, ist die Kirche voll. Wir saßen neulich zusammen für eine Fernsehsendung in der Marktkirche in Hannover: Die Leute standen bis auf die Straße Schlange, und das sicher nicht wegen mir. Das Problem ist nur, dass nicht alle Würdenträger der Evangelischen Kirche eine Aura wie Käßmann besitzen. Sie sind also angewiesen darauf, dass die Institution so stark ist, dass sie auch ohne die Ausstrahlungskraft des Predigers die Menschen anzieht.

Genau das aber gelingt nach meiner Beobachtung immer schlechter, weil die Kirche in ihrem Bemühen, ja nicht abschreckend oder autoritär zu wirken, sich so gründlich selbstsäkularisiert, dass sich viele Leute fragen, warum sie eigentlich noch in die Kirche gehen sollen. Wenn es gegen Atomkraft, Klimawandel und gegen Rüstung geht, lebt das Führungspersonal auf. Aber versuchen Sie mal, Näheres über Himmel und Hölle zu erfahren: Das wird echt schwer.

Eine merkwürdige Sozialarbeitersprache

idea: Wünschen Sie sich einen Verkündiger wie Johannes den Täufer? Der predigte seinen Zuhörern: „Ihr Schlangenbrut! Wer hat euch eingeredet, dass ihr dem kommenden Zorngericht Gottes entgeht?“ (Matthäus 3,7).

Fleischhauer: In Brasilien habe ich tatsächlich einmal einen solchen Gottesdienst besucht. Ich gebe zu: Es hat mir gefallen. Wer sich selbst gegenüber ehrlich ist, weiß doch, dass er sündigt, dass er lügt oder betrügt. Wenn mir nicht mal mehr am Sonntag von der Kanzel ins Gewissen geredet wird, wo dann?

Ich habe über einen Zeitraum von anderthalb Jahren die Gottesdienste im Berliner Dom besucht, der so etwas wie ein Schaufenster der Evangelischen Kirche ist. Mein Eindruck: Die Scheu vor sich selbst geht inzwischen bis tief in die Sprache. Statt das kraftvolle Lutherdeutsch zu benutzen, befleißigen sich die Pastoren einer merkwürdigen Sozialarbeitersprache. Also wird nicht mehr das Evangelium verkündigt, man will lieber von der guten Nachricht erzählen. Ich finde das schrecklich.

Kirchentag: Wie beim Parteitag der Grünen

idea: Sie werfen der evangelischen Kirche vor, zu einer Art „Greenpeace mit Handauflegen“ geworden zu sein. Was haben Sie denn gegen Greenpeace?

Fleischhauer: Überhaupt nichts, die machen einen sehr erfolgreichen Job. Aber die Kirche muss sich fragen, ob es ihr gut bekommt, wenn sie sich in Konkurrenz zu weltlichen Erweckungsbewegungen begibt. Wenn die Kirche den Erlösungshorizont immer weiter auf das Diesseits verschiebt, beraubt sie sich einer Kompetenz, die sie einzigartig gemacht hat, nämlich der Auskunftsfähigkeit über das Jenseits. Gehen Sie heute auf einen Kirchentag, müssen sie den Eindruck gewinnen, sie seien versehentlich auf einem Parteitag der Grünen gelandet. Um die Umwelt kümmern sich auch andere, aber eine Antwort auf die Frage, wie es denn aussieht mit Himmel und Hölle, die kann nur die Kirche geben. Die katholische Kirche scheint gegen diesen Trend zur Selbstverharmlosung deutlich immuner zu sein.

Warum ich aus der Kirche ausgetreten bin

idea: Führt Franziskus Sie in Versuchung, katholisch zu werden?

Fleischhauer: Ich gebe zu, ich habe eine Zeit lang mit dem Gedanken eines Übertritts gespielt. Ich bin 2005 aus der evangelischen Kirche ausgetreten, nicht aus Kirchenfeindschaft, sondern weil ich zu dem Schluss gekommen war, dass ich bei einer Vorfeldorganisation der Grünen nicht mehr richtig am Platz bin. In meiner Jugend war ich in der evangelischen Kirche sehr aktiv, ich verdanke ihr viel.

Was fasziniert sie an der katholischen Kirche?

Fleischhauer: Am stärksten natürlich die Liturgie, das Rituelle, das sich über Jahrhunderte entwickelt hat. Dazu kommt ihre Widerspenstigkeit gegen den Zeitgeist, der stolze Glaube an das Mysterium, das Arkane, nicht Hinterfragbare, das uns Menschen in unserem Ermächtigungswahn wieder bescheiden macht. Nur ein Katholik kann heute noch, ohne sich selber ins Wort zu fallen, mit Verweis auf die Bibel sagen, dass die Jungfrau Maria vor der Geburt Jesu selbstverständlich eben das gewesen ist: eine Jungfrau.

idea: Was hindert Sie dann, in die katholische Kirche einzutreten?

Fleischhauer: Um sich in einer Kirche wirklich heimisch zu fühlen, muss man mit ihr aufgewachsen sein, mit ihrer Sprache, mit ihren Formeln und dem Geruch des Weihrauchs. Das lässt sich schwer nachholen. Es hätte etwas Angelesenes, wenn ich jetzt plötzlich mit dem Tischgebet begönne. Außerdem hat ein Konfessionswechsel immer auch etwas vom Religions-Shopping: Die Juden sind in dieser Hinsicht ein besonders exklusiver Club. Am einfachsten ist es, Muslim zu werden: Nirgendwo ist die Eintrittsbarriere so niedrig. Wer dreimal vor einem Imam „Allah ist groߓ gerufen hat, gehört dazu.

idea: Ist die Rückkehr in die evangelische Kirche für Sie ausgeschlossen?

Fleischhauer: Ausgeschlossen ist gar nichts.

idea: Was müsste geschehen, damit Sie zurückkehren?

Fleischhauer: Ich würde sehr intensive Gespräche führen wollen, über Glauben und Glaubenszweifel. Ich gehöre zu den Menschen, die sich wünschten, es gäbe einen Gott, an den sie glauben könnten, aber denen dann die Aufklärung dazwischenkommt. In mir ist der schwarze Gedanke sehr mächtig, dass nach dem Tod nichts mehr ist.

Die evangelische Kirche tut alles dafür, sich abzuschaffen

idea: Warum tun sich viele Journalisten mit dem Glauben so schwer?

Fleischhauer: Ist das so? Ich glaube nicht, dass der Agnostizismus exklusiv für diesen Beruf gilt.

idea: Etwa zwei Drittel der Journalisten in Deutschland sind konfessionslos, nur ein Drittel sind Mitglied einer Kirche – in der Bevölkerung ist das Verhältnis umgekehrt.

Fleischhauer: Im Journalismus ist der Anteil der links Denkenden überdurchschnittlich groß, möglicherweise gibt es da eine Wechselbeziehung. Journalisten tun sich außerdem schwer mit Autoritäten, auch das könnte die häufige Ablehnung Gottes unter ihnen erklären.

idea: „In der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts spielt die Kirche keine Rolle mehr“, so „Spiegel“-Gründer Rudolf Augstein († 2002).

Fleischhauer: Der „Spiegel“ hat eine große stolze Tradition des Kirchenkampfes, insbesondere was den Kampf gegen die katholische Kirche angeht. So lange der Geist von Rudolf Augstein im „Spiegel“ wach ist, wird es keine Titel-Geschichte geben, in der dem Katholizismus auch nur ein Funken Gutes abgewonnen wird. Bei der evangelischen Kirche ist man entspannter: Da diese ohnehin alles dafür tut, sich selbst abzuschaffen, muss man sie nicht allzu ernst nehmen. Und Margot Käßmann ist natürlich eine Heilige. Spätestens seit ihrer Alkoholfahrt, für die wir ihr in einem langen Interview die Beichte abgenommen haben, hat sie es ins Pantheon der ganz Großen geschafft, irgendwo zwischen Mutter Courage und Willy Brandt.

idea: Welche Rolle werden die Kirchen im 21. Jahrhundert spielen?

Fleischhauer: Wie in vielen gesellschaftlichen Bereichen gibt es zwei Wirklichkeiten. Wenn man die Zeitungen aufschlägt, muss man das Gefühl gewinnen, die Kirchen seien bedeutungslos geworden, ein Relikt aus dem letzten Jahrtausend. Legt man hingegen die Mitgliederzahlen zugrunde, sieht man, dass es in Deutschland erstaunliche 24 Millionen Katholiken und 23 Millionen Protestanten gibt. Die Bevölkerungsmehrheit gehört also immer noch einer Kirche an – trotz Protz-Bischof, Missbrauchsskandal oder der vermaledeiten Kirchensteuer.

Der Kirchensteuer-Widerspruch

idea: Ohne die geht es nun mal nicht.

Fleischhauer: In dem Fall bin ich anderer Meinung. Den Finanzpakt zwischen Kirche und Staat finde ich geradezu ärgerlich. Einerseits kritisiert die Kirche ständig die Regierenden, zugleich lässt sie sich von ihnen über die Finanzämter das Geld eintreiben – das passt für mich nicht zusammen. Dass es auch anders geht, zeigt Frankreich: Dort gibt der Gläubige das, was er bereit ist zu geben. Und dennoch stehen die Dome noch.

idea: „Die Zusammenarbeit von Staat und Kirche hat sich bewährt“, heißt es immer wieder in Bischofsworten.

Fleischhauer: Diese Art von Heuchelei finde ich fabelhaft. Den sogenannten Leistungsträgern halten die Kirchen gerne eine Zornespredigt und fuchteln mit Markus 10,25 herum: „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.“ Tatsächlich ist das Geld das einzige Thema, wo die Kirche noch für sich in Anspruch nimmt, den Sündern heimzuleuchten. Da wird selbst der sanfte Nikolaus Schneider ganz alttestamentarisch. Die Reichen müssten endlich begreifen, dass weniger mehr sei, donnert es dann von der Kanzel. Aber wenn es um die Sicherung der eigenen Pfründe geht, kennt die Kirche keine Bedenken. Als ich aus der Kirche austrat, musste ich feststellen, dass ich trotzdem weiterhin Kirchensteuer zahle.

idea: Wie das?

Fleischhauer: Die Kirche erkannte meinen Austritt zwar an, aber sie wies darauf hin, dass ja meine Frau weiter evangelisch sei. Sie bildete aus ihrem und meinem Gehalt das Einkommen eines ideellen Kirchensteuerzahlers. Über den Umweg der Ehe griff sie also auch auf mein Gehalt zurück. Auf den Trick muss man erst mal kommen, dieser Einfallsreichtum hat mir schon wieder Respekt abgenötigt, muss ich sagen.

Wozu die Kirche im 21. Jahrhundert gebraucht wird

idea: Wozu wird die Kirche noch gebraucht?

Fleischhauer: Ganz erkennbar in Krisen und bei existenziellen Leidenserfahrungen. Bei einem Priester oder Pastor darf ich vermuten, dass er über den Tod und den Sinn des Lebens genauer nachgedacht hat als andere. Zudem gibt es bei Menschen ein großes spirituelles Bedürfnis. Viele haben zu Recht das Gefühl, dass es nicht nur darum gehen kann, Reichtümer anzuhäufen. Das Lebensglück findet man nicht im Shopping. Das wird jeder feststellen, der nicht völlig verroht und verblödet ist. Die Sehnsucht nach dem Numinosen aufzunehmen, das über uns hinausweist, ist die große – oft verschenkte – Chance der Kirche.

Es ist ja nicht wahr, dass die Leute heute weniger interessiert an Transzendenz sind. Sie suchen sie nur immer weniger an den Orten, die eigentlich dafür prädestiniert wären, Antworten auf ihre Fragen zu liefern. Stattdessen blühen die parareligiösen Bewegungen, von Yoga-Retreat bis Tantra-Kurs und Ayurveda-Kur. Ich halte dieses Neuheidentum für Hokuspokus, in mal mehr und mal weniger schädlicher Ausformung. Das Wachstum der Esoterik kann ich mir nur dadurch erklären, dass die Traditionskirche spirituell kahl geworden sind. Es ist mitnichten so, dass der Glaube abstirbt, er sucht sich nur andere Wege.

idea: Vielen Dank für das Gespräch!

Foto Jan Fleischhauer © Wikipedia/shoshone/gemeinfrei


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