'Keine Abstufung im Lebensschutz des embryonalen menschlichen Lebens'

7. Jänner 2014 in Deutschland


Bischof Algermissen: Biomedizinische und technologische Möglichkeiten stellten nicht nur die Politik vor neue Aufgaben, sondern es müsse sich auch die Gesellschaft mit ihren Träumen, Wünschen und Idealen kritischer auseinandersetzen


Fulda (kath.net/bpf) „Für mich wird im Jahr 2014 eine Schlüsselfrage sein, wie wir die Botschaft des Evangeliums authentisch leben und als Kirche überzeugend auftreten. Wir müssen herausfinden, wie wir mehr Barmherzigkeit mit den Menschen zeigen und bezeugen können, die in einer Welt voller Brüche und Widersprüche leben.“ Dies betonte der Fuldaer Bischof Heinz Josef Algermissen (Foto) am Mittwoch, 1. Januar, beim traditionellen Neujahrsempfang im Fuldaer Priesterseminar. Das Misstrauen gegenüber dem kirchlichen Amt und den kirchlichen Strukturen, wie sie im vergangenen Jahr 2013 zutage getreten seien, bezeichnete der Oberhirte vor über 100 Vertretern aus Kirche und Gesellschaft als Alarmzeichen. Denn Misstrauen hebe Vertrauen auf, und ohne Vertrauen könne keine Glaubensverkündigung gelingen. Algermissen betonte, dass es wichtig sei, die im Rücktritt Papst Benedikts XVI. sichtbare Demut und die Zuwendung des neuen Papstes Franziskus zu den Menschen auch im Bistum Fulda umzusetzen. „Tatsächlich brauchen wir neue Wege der Nähe und müssen viel deutlicher an die Ränder gehen, um die Menschen dort zu finden, wo sie sind.“

Anfrage an das Verhältnis von Staat und Kirche

Die zunehmenden Anfragen aus der Politik an das bestehende Verhältnis von Staat und Kirchen in den Bereichen wie Kirchensteuer, Arbeitsrecht und Religionsunterricht sowie die stärker werdende Religionsfeindlichkeit in der Gesellschaft müssten der Kirche in Deutschland zu denken geben. Bischof Algermissen rief dazu auf, sich offensiv auf diese Diskussion einlassen. „Nach meiner Überzeugung ist zu dem funktionierenden Staat-Kirche-System in Deutschland derzeit keine Alternative erkennbar, die für die Gesellschaft und das Gemeinwohl nützlicher wäre.“

Einsatz für Ehe und Familie erforderlich

„Die ehebegründete Familie ist für mich das fundamentale Band zwischen den Menschen, auf das Gesellschaft und Staat aufbauen können. Politik und Sozialstaat können die familiären Bindungen und die menschliche Fürsorge weder ersetzen noch schaffen.“ Es sei notwendig, die Familienpolitik aus der Schublade der Sozialpolitik herauszunehmen und in das Zentrum unserer Gesellschafts- und Zukunftspolitik zu stellen. Hier sei auch das Engagement der katholischen Verbände Kolping, KAB und Frauengemeinschaft gefragt. Laut dem Zweiten Vatikanischen Konzil seien nämlich die Laien inmitten der Welt berufen, vom Geist Christi beseelt nach Art des Sauerteigs ihr Apostolat in der Welt auszuüben. Der Bischof verwies darauf, dass es zum Thema „Die pastoralen Herausforderungen der Familie im Rahmen der Evangelisierung“ im Oktober eine Bischofssynode in Rom geben werde. Die Diskrepanz zwischen kirchlicher Lehre und der Wirklichkeit werfe die Frage auf, wie man die Lehre von der Unauflöslichkeit der sakramentalen Ehe zur Geltung bringen und zugleich den Menschen, die in ihrer Ehe gescheitert seien, glaubwürdig Gottes Erbarmen vermitteln könne.

Kein Freibrief für ethische Beliebigkeit

Der Oberhirte zeigte sich zudem alarmiert vom Gesetzentwurf der letzten Bundesregierung zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Beihilfe zur Selbsttötung. „Denn wenn nur die gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung strafbar ist, bietet das vorgesehene Gesetz gerade solchen Organisationen Schlupflöcher, die in Deutschland schon heute in organisierter Form Suizidbeihilfe anbieten und zum Teil aggressiv dafür werben.“ Ein solches Gesetz führe zu einer „schleichenden Erosion des Rechtsbewusstseins“ in der Gesellschaft. Das grundsätzliche Verbot einer organisierten Beihilfe zur Selbsttötung gehöre in den Koalitionsvertrag. Es gelte, mit Nachdruck für eine Verbesserung der Situation schwerstkranker und sterbender Menschen einzutreten.

„Christen glauben nicht an die Utopie des perfekten, endgültig erlösten menschlichen Lebens auf Erden.“ Das christliche Menschenbild sei ein „kritischer Stachel“ gegen die Überzeugung, Politik und Technologie könnten das Paradies auf Erden oder den „erlösten“ Menschen schaffen. Die säkulare Gesellschaft sei zwar darauf angewiesen, im Widerstreit und argumentativen Diskurs ihren Weg zu finden. „Die Erkenntnis, dass ein ethischer Konsens nicht zu diktieren ist, darf allerdings kein Freibrief für ethische Beliebigkeit oder Gleichgültigkeit sein.“ Die biomedizinischen und technologischen Möglichkeiten stellten nicht nur die Politik vor neue Aufgaben und Entscheidungen, sondern auch die Gesellschaft insgesamt müsse sich mit ihren Träumen, Wünschen und Idealen kritischer auseinandersetzen.

„Die Gottebenbildlichkeit des Menschen, seine daraus resultierende Heiligkeit und seine ihm eigene Menschenwürde gelten bedingungslos und dürfen nie zur Disposition gestellt werden. Es darf deshalb auch keine Abstufung im Lebensschutz des embryonalen menschlichen Lebens geben.“ Wer am Anfang den Lebensschutz unter Konditionen stelle, so der Bischof, der tue dies auch am Ende des Lebens. Wer am Anfang und am Ende menschliches Leben nur graduell schütze, werde dies auch angesichts extremer, durch Krankheiten oder Unfälle erzeugter Situationen in der Spanne des Lebens zwischen Zeugung und Tod tun.

Bischof Algermissen / Fulda über den Heiligen Bonifatius, den Glauben, die Nähe zum Petrusamt und die dringend nötige Neuevangelisierung


Foto: (c) Bistum Fulda


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