10. Jänner 2014 in Kommentar
Stellungnahme zum vatikanischen Fragebogen über Ehe und Familie. Ein Kommentar von Helmut Prader, Bischofsvikar in der Diözese St. Pölten/Österreich für Ehe, Familie und Lebensschutz
St. Pölten (kath.net) Grundsätzlich ist zu sagen, dass der vatikanische Fragebogen zu Ehe und Familie nicht erfragen will, was sich an der Lehre der Kirche ändern soll, sondern wie die gegenwärtige Situation aussieht und wie die Lehre der Kirche bessere Verbreitung finden könnte.
1. Zur Verbreitung der Heiligen Schrift und des Lehramtes der Kirche in Bezug auf die Familie
Der Fragenblock 1 bezieht sich auf die Verbreitung und die Kenntnis der Lehre der Katholischen Kirche. Dazu ist zu sagen, dass die tatsächliche Lehre der Kirche über Jahrzehnte hinweg im deutschen Sprachraum erfolgreich verschwiegen, bzw. in den wesentlichen und entscheidenden Teilen bewusst falsch auf den Universitäten und in den Seminaren gelehrt wurde.
Bereits ein Jahr vor der Veröffentlichung der Enzyklika Humanae vitae wurde bei einer großen Tagung der deutschsprachigen Moraltheologen mit großer Mehrheit beschlossen, dass die Lehre der Kirche auf jeden Fall geändert werden müsse. Für diese Theologen war die Veröffentlichung der Enzyklika Humanae vitae ein Schock und ein Affront.
Sowohl Gaudium et spes, wie auch Humanae vitae und Familiaris consortio sind unter Gläubigen praktisch nicht bekannt, abgesehen von kleinen Zellen von Gläubigen, die voll und ganz dahinter stehen, innerkirchlich jedoch an den Rand gedrängt und vielfach vernachlässigt werden.
Eine systematische Heranbildung der Gläubigen erfolgt nicht, bzw. wurde und wird bewusst unterdrückt.
Diejenigen, die trotzdem Zugang zur tatsächlichen Lehre der Kirche finden, empfinden die Lehre als bereichernd und erfüllend für ihr Leben als Christen und Eheleute.
Die Pastoralprogramme sind meist wenig hilfreich, weil sie entweder in den wesentlichen Punkten mehrdeutig formuliert sind oder ganz bewusst die Lehre der Kirche ablehnen oder für unlebbar erklären. Die Pastoralprogramme befassen sich vielfach nur damit, Rechtfertigungen für die Scheidung und Wiederverheiratung zu bieten und einen Zugang zu den Sakramenten doch zu rechtfertigen. Es wird dabei ein völlig verzerrter und falscher Begriff von Barmherzigkeit verwendet.
Katechesen über die Familie gibt es nur in kleinen Gruppen und Zirkeln, die aber von den meisten Hirten der Kirche ignoriert werden oder als fundamentalistisch angesehen werden.
Die Lehre der Kirche über die Ehe wird pauschal als unlebbar diffamiert. Im außerkirchlichen Bereich findet aus meiner Erfahrung eine Akzeptanz der Lehre der Kirche dort statt, wo die Leute einen Zugang zur Natürlichen Empfängnisregelung finden. Ansonsten wird Monogamie, Treue, Offenheit für das Leben, Ablehnung der Abtreibung, Humanae vitae, als kulturelles Relikt aus längst vergangenen (schlimmen) Zeiten gesehen.
2. Zur Ehe nach dem Naturrecht
Der Begriff des Naturrechts wird im allgemeinen Sprachgebrauch nicht verwendet und war für viele, die sich an der Befragung beteiligten, praktisch unbekannt. Das Naturrecht selber wird soweit im zivilen Recht noch vorhanden praktisch verdrängt durch einen Rechtspositivismus.
Ein ganz markantes Beispiel dafür ist etwa die faktische Legalisierung der Abtreibung durch ihre Straffreiheit. So wird aus einem Unrecht, das durch die Abtreibung geschieht, aber nicht bestraft wird, ein Recht auf Abtreibung gemacht. Es geht soweit, dass in Deutschland etwa 85% der Abtreibungen von den Krankenkassen und der öffentlichen Hand bezahlt werden. Das Naturrecht spielt faktisch keine Rolle im öffentlichen Bewusstsein.
Um es an einem konkreten Beispiel zu zeigen, wie auch innerkirchliche Gruppen das Naturrecht sehen, sei auf folgende Formulierungen einer Katholischen Reformbewegung verwiesen, die bezüglich des Fragebogens schrieben: Die Kirche beruft sich im Bereich von Sexualität, Ehe und Familie gerne auf das Naturrecht, lässt es aber in anderem Zusammenhang (z.B. Menschenrechte in der Kirche) unbeachtet. Weiters heißt es dort: (Die kirchliche Lehre zur Sexualität stammt) überwiegend von unverheirateten alten Männern und der Rest der Welt (sieht) Sexualität, Ehe und Familie ganz anders.
3. Die Familienpastoral im Kontext der Evangelisierung
Die Ehevorbereitungskurse werden von den Teilnehmern eher als notwendiges Übel und weniger als Chance betrachtet. Diejenigen, die aus einem religiösen Bewusstsein heraus heiraten, suchen sich zumeist spezielle Angebote, die von verschiedenen Gruppen angeboten werden.
Die Referenten der anderen Kursangebote stoßen meist auf Teilnehmer, die erst vom Sinn des Kurses überzeugt werden müssen. Natürlich spielt auch die Lebenssituation des Referentenpaares eine große Rolle. Wenn das Paar etwa selber große Probleme mit der Lehre der Kirche hat, wird es kaum überzeugend die Inhalte vermitteln können. Aber auch Referentenpaare, die voll und ganz hinter der Lehre stehen, haben große Mühe, in den relativ kurzen Kursen (meist ein Tag), die noch dazu meist knapp vor der Hochzeit besucht werden, die Lehre der Kirche zu vermitteln.
Der Inhalt der Kurse beschränkt sich meist auf Kommunikation, Herkunftsfamilie, Konfliktberatung und Gesprächsführung. Diese Bereiche, die durchaus wichtig sind, werden aber so dominant, dass etwa die Sakramentalität der Ehe, die Lehre von Humanae vitae, die Bedeutung des Gebetes, die Familie als Hauskirche, oft zu kurz kommen. So kommt es oft zu einer Reduzierung auf Konfliktberatung und Gesprächsführung. Manche empfinden es als Zumutung, in einem Ehevorbereitungskurs über das Gebet zu sprechen.
Es gibt auch Gruppen, die sich intensiv und auch durchaus erfolgreich um eine tatsächliche Familienspiritualität bemühen, sie sind jedoch eine kleine Gruppe innerhalb der Kirche. Eine glaubhafte und ganzheitliche Sicht der Ehe kann nur dort vermittelt werden, wo sie von den Eltern auch gelebt wird. Dort zeigt sie dann aber auch große Früchte.
4. Zur Pastoral für Gläubige in schwierigen Ehesituationen
Das Zusammenleben ad experimentum darf als der Normalfall bezeichnet werden. Gelegentlich gibt es auch Ausnahmen. Dies wird auch bewusst etwa von offiziellen kirchlichen Jugendstellen so gewollt und gefördert.
Als Zusammenfassung der Leitlinien der Jugendpastoral kann man sagen: Lebe wie du willst und was dir Spaß macht aber achte darauf, nicht schwanger zu werden!
Auch bei den jungen Paaren, die z. B. sonntags regelmäßig die hl. Messe besuchen, ist das Zusammenleben wie Verheiratete faktisch der Normalfall mit ganz wenigen Ausnahmen. Bei diesen Paaren wird die Taufe des ersten oder zweiten Kindes gerne zum Anlass genommen, um kirchlich zu heiraten.
Die wiederverheiratet Geschiedenen sind eine pastorale Realität, Zahlen dazu gibt es nicht, ich würde aber schätzen, dass etwa 30% der kirchlich verheirateten Paare sich zivil scheiden lassen und in sehr vielen Fällen auch wieder eine weitere zivile Ehe eingehen. Dies wird als normal empfunden und auch dadurch gefördert, dass ein großer Teil der Priester bereit ist, diesen Paaren einen kirchlichen Segen zu erteilen, was mancherorts auch als Ringsegnung betitelt und umschrieben wird. Wer dies tut, wird als barmherzig betitelt, wer solche Segnungen verweigert, wird als hartherzig und doktrinär beschimpft.
Wenn es Pastoralpläne gibt, dann beinhalten sie meist mehrdeutige Formulierungen, um solche Segnungen doch zu rechtfertigen. Beispielsweise wird gesagt, dass die Formulierung Bis der Tod euch scheidet auch auf den Tod der Liebe zum anderen interpretiert werden könnte. Wenn also keine Liebe zum anderen mehr zu spüren sei, dann sei diese Ehe tot und es stehe einer weiteren Eheschließung nichts mehr im Wege.
Der Fragebogen verwendet den Begriff irreguläre Situationen. Selbst dieser Begriff wird als diskriminierend und verletzend zurückgewiesen. Der überwiegende Teil der Betroffenen, die als wiederverheiratet Geschiedene leben, kümmern sich nicht um die Lehre der Kirche. Dennoch fordern sie die Sakramente ein, vor allem den Empfang der Eucharistie, um eine Rechtfertigung für ihre Lebenssituation zu bekommen.
Das Sakrament der Beichte wird nur ganz selten thematisiert. Dann müsste man nämlich auch Schuld thematisieren und das wird faktisch nicht gesehen. Der Begriff des Ausgegrenztseins wird permanent verwendet, um jene in die Defensive zu drängen, die auf die Lehre der Kirche verweisen. Vielen ist die Möglichkeit der Überprüfung der Gültigkeit ihrer Ehe entweder unbekannt oder egal. Dennoch wäre eine Straffung der kirchenrechtlichen Praxis zur Anerkennung der Nichtigkeitserklärung des Ehebandes hilfreich. Die Barmherzigkeit Gottes wird so interpretiert, dass die Zweitehe als fast gleichwertig wie die sakramentale Ehe dargestellt wird. Mit einem Segen scheinen alle Probleme beseitigt zu sein.
5. Zu gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften
Im Bewusstsein der Bevölkerung ist durch die gesetzliche Einführung der eingetragenen Partnerschaften von Homos und Lesben de facto eine Gleichstellung mit der Ehe von Mann und Frau geschehen. Es wird praktisch nicht von eingetragenen Partnerschaften, sondern einfach von der Homo-Ehe gesprochen.
Die Stiefkindadoption ist erlaubt, die Adoption anderer Kinder noch nicht. In vielen kirchlichen Kreisen wird eine Gleichstellung der Homobeziehungen als notwendig erachtet, schließlich gehe es ja um liebevolle und dauerhafte Beziehungen, die Gott auch so gewollt habe.
Durch ein fehlendes Bewusstsein des Naturrechts und einem Mangel an Verständnis für das Wesen der Sexualität sehen auch viele Katholiken es als Notwendigkeit an, dass auch die Kirche Segnungen von Homobeziehungen anbietet.
Viel Einfluss auf die Denkweise haben vor allem die Medien.
6. Zur Erziehung der Kinder in irregulären Ehesituationen
Kinder in irregulären Ehesituationen sind so selbstverständlich, dass sogar schon der Begriff irregulär als diskriminierend bezeichnet wird.
1970 wurden 12,8% der Kinder nichtehelich geboren, 1980 waren es 17,7%, 1990 waren es 23,6%, 2000 waren es 31,3%, 2012 waren es 41,5%.
Vielfach bitten die Eltern um die Taufe ihres Kindes, wollen oftmals jedoch einfach nur einen Segen, weil vielfach das Sakramentenverständnis fehlt. Es werden aber Programme erarbeitet, um eine tatsächliche Sakramentenvorbereitung über einen längeren Zeitraum anzubieten.
7. Zur Offenheit der Eheleute für das Leben
Die Lehre von Humanae vitae ist nicht bekannt, weil sie auch von offiziellen Seiten über Jahrzehnte erfolgreich niedergehalten, verschwiegen oder verfälscht wurde (z. B. Mariatroster und Königsteiner Erklärung).
In der Zwischenzeit haben wir bereits die dritte Generation, für die Verhütung der Normalfall ist.
Kirchlicherseits wurde sehr viel unternommen, um die Verbreitung der Natürlichen Empfängnisregelung zu unterbinden.
Gäbe es nicht private Initiativen wie etwa das Institut für Natürliche Empfängnisregelung von Dr. med. Josef Rötzer NER, gäbe es de facto überhaupt keine Angebote, um den Paaren praktische Anleitungen zu bieten, wie sie verantwortliche Elternschaft im Sinne von Humanae vitae leben können.
Als Beispiel: NER wird von der deutschen Bischofskonferenz nicht unterstützt, weil NER ökumenisch (sic!) sei.
In Wirklichkeit geht es aber darum, dass NER konsequent den Weg der bewussten Enthaltsamkeit in der Fruchtbaren Zeit lehrt, wenn kein Kind verantwortet werden kann. Natürliche Familienplanung, wie sie von der deutschen Bischofskonferenz unterstützt wird, empfiehlt keinen ungeschützten Verkehr in der fruchtbaren Zeit.
In Österreich gibt es nur 2 Diözesen, in denen aktiv NER unterstützt und unterrichtet wird: Salzburg und St. Pölten.
In den Pastoralämtern der anderen Diözesen gibt es keine wirkliche Unterstützung dafür. In den meisten Diözesen wird sogar dagegen angekämpft.
Das Gleiche gilt für das Studium der Theologie. Über Jahrzehnte wurde konsequent die Lehre von Humanae vitae der Lächerlichkeit preisgegeben und als unlebbar hingestellt.
Die moralische Bewertung der unterschiedlichen Methoden der Geburtenregelung sieht so aus, dass die Verhütung allgemein als Normalfall angesehen wird.
Es ist schon lange keine Selbstverständlichkeit mehr, dass Abtreibung von allen Katholiken als inakzeptabel angesehen wird.
Viele Paare kommen nach einer Verhütungskarriere zur NER, um ihre Ehe zu retten.
Es gibt Studien, die nachweisen, dass sich die Scheidungsrate von Paaren ohne große religiöse Praxis bei Anwendung der NER auf 5% sinkt, bei Paaren, die regelmäßig die Sakramente empfangen und miteinander beten bei etwa 1%.
Erfreulich ist, dass gerade die jungen Theologiestudenten sich wieder sehr für Humanae vitae interessieren. Wer in diesem Punkt im Widerspruch zur Lehre der Kirche lebt, muss zwangsläufig Probleme mit den Sakramenten bekommen.
Die Aufklärungsprogramme der Schulen beschränken sich im Wesentlichen darauf, den Leuten freie Ausübung der Sexualität ohne jegliche Einschränkungen zu ermöglichen, indem es nur darum geht, wie eine Schwangerschaft verhindert werden kann, bzw. wie eine Schwangerschaft beendet werden kann.
8. Zur Beziehung zwischen Familie und Individuum
Die Familie als Hauskirche ist auf jeden Fall der privilegierte Ort, um als Christ leben zu können und in den Glauben hinein zu wachsen. Darüber hinaus kommen aber auch Gemeinschaften, Orden und einzelnen herausragenden Persönlichkeiten große Bedeutung zu in der Weitergabe des Glaubens.
In der Zwischenzeit müssen wir von einer sehr glaubensfeindlichen Atmosphäre in der Gesellschaft sprechen und Familien haben es sehr schwer, den Glauben zu leben.
Wenn man sich so manche Stellungnahmen ansieht, die bezüglich des Fragebogens veröffentlicht werden, hat man manchmal den Eindruck: Zuerst machen wir die Lehre der Kirche lächerlich, damit wir dann behaupten können, dass sie nicht lebbar ist, weil sich niemand daran hält. Die paar Ausnahmen sind vernachlässigbar sowohl bei den Ehepaaren wie auch bei den Priestern und Katecheten.
Die Aufgabe der Glaubensverkündigung sollte es jedoch sein, denjenigen, die es hören wollen, die Lehre der Kirche in ihrer Fülle und Schönheit nahezubringen und sie nicht auf falsche Wege zu führen. Ansonsten werden die Hirten und Katecheten zu blinden Blindenführern.
Wer die Lehre der Kirche unverkürzt verkündet, hat zuerst gegen den Widerstand innerhalb der Kirche anzukämpfen.
Die Welt, die unvoreingenommen an die Themen herangeht, ist oftmals viel aufgeschlossener. Das ist dann tatsächliche Evangelisierung auch im Sinne des Papstes.
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