Absoluter Lebensschutz als Folge der Menschenwürde

21. Jänner 2014 in Kommentar


Bundesgesundheitsminister Gröhe hat davor gewarnt, dass eine einmal erlaubte Sterbehilfe die Tür zu weiteren Tötungen öffnen kann. Ein Gastkommentar von Dr. Stefan Kirchner


Frankfurt (kath.net) Der deutsche Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe hat sich gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen“ für ein grundsätzliches Verbot der Sterbehilfe ausgesprochen.

Bereits nach geltendem Recht ist die Tötung auf Verlangen strafbar. § 216 Absatz 1 des Strafgesetzbuches bestimmt, dass selbst wenn jemand “jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden [ist, die zwingende Rechtsfolge in einer] Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren” besteht. Selbst die Sterbehilfe unter Angehörigen und nahen Freunden wird von der Rechtsordnung als negativ empfunden und entsprechend als Straftat bewertet. Der Unwert, der dieser Tat per se innewohnt führt dazu, dass auf jeden Fall eine Freiheitsstrafe zu folgen hat. Dies ist logische Konsequenz des im Grundgesetz verankerten absoluten Lebensschutzes. Bei der Sterbehilfe geht es aber, zumindest dem ersten Anschein nach, um weniger als den ausdrücklichen Wunsch, von einer anderen Person getötet zu werden, sondern vielmehr um den Wunsch nach Hilfe bei der Selbsttötung. Hiermit aber wird der erste Schritt auf einen sehr abschüssigen und gefährlichen Weg getan, an dessen Ende eine Rückkehr zu Ideen wie dem vom “lebensunwerten Leben” stehen kann.

Nun wird seitens der Befürworter der Sterbehilfe immer wieder auf den Wunsch verwiesen, Schmerz und Leiden zu vermeiden. Dies mag zwar auf den ersten Blick nachvollziehbar sein, ein Recht auf Nicht-Leiden ergibt sich aber aus der deutschen Rechtsordnung nicht. Es gibt ein Recht auf Pflege und menschenwürdige Behandlung. Dazu kann auch das Recht auf schmerzlindernde Medikamente zählen. All dies vermag Leiden jedoch nur zu reduzieren, nie aber gänzlich zu beseitigen. Aus der Menschenwürde folgt gerade kein Recht, das eigene Leben zu beenden. In einer säkularen, hedonistisch geprägten Gesellschaft mag dies grausam klingen, das Menschenbild, welches dem Grundgesetz zugrunde liegt, ist jedoch ein anderes. Dem Grundgesetz sowie dem juristischen Konzept der Menschenwürde liegt – glücklicherweise – noch ein Menschenbild zugrunde, welches den Menschen in seiner Gesamtheit ernst nimmt und in allen Lebensphasen schützt. Diese ganzheitliche Sicht erklärt auch den besonderen Schutz der Familie durch das Grundgesetz, nimmt dieses doch nicht nur den einzelnen Menschen sondern die Familie als fundamentale innergesellschaftliche Organisationsform menschlichen Zusammenlebens in den Blick. Dieses ganzheitliche Menschenbild führt dazu, dass menschliches Leiden und Sterben ebenfalls ernst- aber auch angenommen werden kann.

Der Ruf nach einem deutlicheren Verbot der Sterbehilfe wird oft kritisiert, da Patienten gezwungen würden, zu leiden. Eine derartige Kritik, so nachvollziehbar sie aus Sicht des Einzelnen sein mag, übersieht aber nicht nur, dass Leiden Teil des Lebens und gerade nicht sinnlos ist, selbst wenn sich uns der Sinn jetzt (noch) nicht erschließt. Dies hat der selige Papst Johannes Paul II im apostolischen Schreiben “Salvifici doloris” deutlich dargestellt. Die Abwertung eines konkreten menschlichen Lebens wegen des Leidens führt aber auch dazu, dass der Wert menschlichen Lebens per se geringeschätzt wird. Bundesgesundheitsminister Gröhe hat davor gewarnt, dass eine einmal erlaubte Sterbehilfe die Tür zu weiteren Tötungen öffnen kann: “Man beschwört erst den autonomen Willen des Erwachsenen, geht weiter über Kinder und geistig Behinderte und endet schließlich beim mutmaßlichen Willen, also bei der Prognose, ob der Betroffene, wenn er sich Gedanken gemacht hätte, sich für eine aktive Tötungshandlung entschieden hätte. Davon ist schnell die Wertschätzung für das Leben in der Gesellschaft insgesamt betroffen”, (zitiert nach der „Frankfurter Allgemeinen“ )

In den Niederlanden ist es bereits heute gängige Praxis, dass es in Fällen der Tötung schwerstkranker Kinder nicht einmal mehr zu einer Strafverfolgung kommt, wenn die Vorgaben des Groningen Protokolls (welches keinerlei rechtlichen Status hat!) eingehalten worden sind. Wenn aber jedem bekannt ist, dass es in bestimmten Fällen möglich ist, einen kranken oder behinderten Menschen zu töten, ohne, dass dies rechtliche Konsequenzen für den Täter hat, so ist die Schwelle zur Einschätzung, dass manches menschliche Leben nicht lebenswert sei, überschritten. Derartiges ist bereits nach geltendem Recht verboten. Eine straflose Tötung unschuldiger Menschen ist im deutschen Recht nicht möglich und kann aufgrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben auch nicht im Wege einer Gesetzesänderung eingeführt werden.

In der aktuellen Diskussion sollte daher nicht vergessen werden, welches Menschenbild dem Grundgesetz zugrunde liegt. Der Respekt für jedes menschliche Leben verlangt ein klares Eintreten für den Schutz jeden menschlichen Lebens. Leben behält auch im Leiden seinen Wert und Leidende sollten immer die Unterstützung erhalten, derer sie bedürfen, um ihr Leben leben zu können. Ein Ende des Lebens zur Beendigung von Leiden aber ist unvereinbar mit dem grundsätzlichen Verständnis der menschlichen Natur, welches dem Grundgesetz zugrunde liegt.

Rechtsanwalt Assoc. Prof. Dr. Stefan Kirchner, MJI, lehrt Biorecht und Menschenrechte an der Universität Lapplands in Rovaniemi, Finnland


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