31. Jänner 2014 in Aktuelles
Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre warnt Ortskirchen vor "separatistischen Tendenzen" und regionalen Sonderwegen. Bischofskonferenzen könnten niemals eigenmächtige Erklärungen abfassen, die die Dogmen der Kirche relativieren
Vatikanstadt (kath.net/KNA) Der Präfekt der vatikanischen Glaubenskongregation, Erzbischof Gerhard Ludwig Müller, hat die Ortskirchen vor regionalen Sonderwegen gewarnt. «Separatistische Tendenzen» nationaler Bischofskonferenzen würden der Kirche schaden, schreibt Müller in einem Beitrag für die Vatikanzeitung «Osservatore Romano» (Freitag). Einzelne Bischofskonferenzen könnten niemals eigenmächtige Erklärungen abfassen, die die «definitiven Dogmen» der Kirche oder ihre sakramentalen Strukturen relativierten.
Der Kurienpräfekt, der Ende Februar die Kardinalswürde erhält, warnte vor einem «Machtkampf» zwischen zentralistischen und partikularistischen Kräften in der katholischen Kirche: «Am Ende bliebe eine säkularisierte und politisierte Kirche, die sich nur wenig von einer Nichtregierungsorganisation unterscheidet.»
In diesem Zusammenhang kritisierte Müller «oberflächliche Interpretationen» des Lehrschreibens «Evangelii gaudium» von Papst Franziskus. Deren Verfechter meinten, in Franziskus' Ausführungen zum Verhältnis zwischen dem Papst und den Bischöfen der Weltkirche eine Revolution sehen zu können. Tatsächlich hat der Papst nach Müllers Worten aber nur die Ergebnisse des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) zur Kollegialität zwischen beiden bekräftigt. Der Papst und Bischof von Rom, so Müller, sei mehr als der «Ehrenpräsident» einer weltweiten Vereinigung.
Elemente wie Sprache, Kultur und Nation sind nach Worten des Präfekt der Glaubenskongregation zwar Mittel, um die kirchliche Botschaft zu verbreiten. Sie könnten aber niemals die Kirche selbst konstituieren;diese bestehe aus der Gemeinschaft aller Ortskirchen.
Der Beitrag im WORTLAUT
1. Der neue Impuls von Evangelii gaudium
Von der Kirche kann man nur reden aufgrund der Frage nach Gott und der Erkenntnis seiner menschlichen Präsenz in Jesus Christus für die Welt.
Angesichts der globalen und alltäglichen Tragödien von Bürgerkriegen und Terrorismus, Armut und Ausbeutung, von Flüchtlingselend, von Drogentod, steigender Selbstmordrate und Pornographiesucht bei 20% der Jugendlichen, der Sinnkrise und der geistig-moralischen Desorientierung von Millionen, kommt auf die Kirche Gottes die epochale Aufgabe zu, den Menschen wieder Hoffnung zu geben. Aber die Kirche ist nicht das Licht, sie kann nur Zeugnis geben vom Licht, das jeden Menschen erleuchtet, von Jesus, dem Sohn Gottes und Erlöser aller Menschen. An der Erkenntnis Gottes entscheidet sich, ob der Mensch sich seiner göttlichen Berufung bewusst wird und eine Zukunft hat in dieser Welt und über sie hinaus.
Eine Kirche, die nur um eigene Strukturprobleme kreiste, wäre erschreckend anachronistisch und weltfremd. Denn in ihrem Sein und ihrer Sendung ist sie nichts anderes als die Kirche des dreifaltigen Gottes, dem Ursprung und Ziel jedes Menschen und des ganzen Kosmos. Eine Neujustierung von Eigenständigkeit und Zusammenarbeit der Ortskirchen, von bischöflicher Kollegialität und Primat des Papstes darf die epochale Herausforderung der Gottesfrage nie aus den Augen lassen. In seinem Apostolischen Mahnschreiben Evangelii gaudium spricht Papst Franziskus von einer heilsamen "Dezentralisierung". Das Leben der Kirche kann nicht derart auf den Papst und seine Kurie konzentriert sein, als ob sich in den Pfarreien, Gemeinschaften und Diözesen nur etwas Sekundäres abspiele. Papst und Bischöfe verweisen vielmehr auf Christus, der allein den Menschen Hoffnung gibt. Der Papst kann und muss nicht die vielfältigen Lebensbedingungen, die für die Kirche in den einzelnen Nationen und Kulturen sich zeigen, zentral von Rom aus erfassen und jedes Problem vor Ort selbst lösen. Eine übertriebene Zentralisierung der Verwaltung würde der Kirche nicht helfen, sondern vielmehr ihre missionarische Dynamik behindern (EG 32). Deshalb gehört zur Neuevangelisierung, wie sie Thema der letzen Bischofssynode war (7.-28.10. 2012), auch eine reformierte Primatsausübung. Dies betrifft die Einrichtungen der universalen Leitung der Kirche, also besonders die Dikasterien der Römischen Kurie, deren sich der Papst bei der Ausübung der höchsten, vollen und unmittelbaren Gewalt über die Gesamtkirche bedient. "Diese versehen folglich ihr Amt in seinem Namen und mit seiner Vollmacht zum Wohle der Kirche und als Dienst, den sie den geweihten Hirten leisten" (CD 9).
Im Sinne der Neuevangelisierung müssen auch die Bischöfe, die Synoden und Bischofskonferenzen eine größere Verantwortung wahrnehmen inklusive "einer gewissen lehramtlichen Kompetenz". Denn diese kommt ihnen zu durch Weihe und kanonische Sendung und nicht erst durch eine spezielle päpstliche Bevollmächtigung. "Die Bischöfe, die in Gemeinschaft mit dem römischen Bischof lehren, sind von allen als Zeugen der göttlichen und katholischen Wahrheit zu verehren" (LG 25). Das päpstliche Lehramt ersetzt nicht das Lehramt der Bischöfe und ihr gemeinsames Wirken auf der nationalen oder auch kontinentalen Ebene (z.B. der Dokumente der CELAM: Puebla, Medellin, Santo Domingo, Aparecida), sondern setzt es voraus und fördert es in der Verantwortung für die ganze Kirche (EG 16). Der Papst beruft sich ausdrücklich auf das Motu proprio Apostolos suos ( 1998), in dem Johannes Paul II. auf der Grundlage des II. Vatikanischen Konzils die Aufgaben der Bischofskonferenzen näher umschrieben hat. Im Gegensatz zu oberflächlichen Interpretationen ist damit nicht das Signal für einen Richtungswechsel oder eine "Revolution im Vatikan" gegeben. Machtkämpfe und Kompetenzstreitigkeiten könnte sich die Kirche nur unter Verlust ihrer missionarischen Aufgabe leisten. Nach der ekklesiologischen Synthese des II. Vatikanums ist eine antagonistische oder dialektische Interpretation der Beziehung von Universalkirche und Ortskirchen ausgeschlossen. Die historischen Extreme von Papalismus /Kurialismus einerseits und von Episkopalismus/(Konziliarismus/ Gallikanismus/ Febronianismus/ Altkatholizismus) andererseits können uns nur zeigen, wie es nicht geht, und dass die Verabsolutierung eines konstitutiven Elementes zu Lasten des anderen dem Bekenntnis zur Ecclesia una sancta catholica et apostolica widerspricht. Die brüderliche Einheit der Bischöfe der universalen Kirche cum et sub Petro ist in der Sakramentalität der Kirche begründet und somit göttlichen Rechtes. Nur um den Preis einer Entsakramentalisierung der Kirche könnte ein Machtkampf zwischen zentralistischen und partikularistischen Kräften geführt werden. Am Ende bliebe eine säkularisierte und politisierte Kirche zurück, die sich von einer NGO nur noch graduell unterschiede. Das wäre der komplette Kontrast zu dem Apostolischen Mahnschreiben Evangelii gaudium.
Dem literarischen Genus nach ist dieses Schreiben kein dogmatischer, sondern ein paräntischer Text. Als seine dogmatische Basis ist die mit höchster lehramtlicher Verbindlichkeit dargelegte Lehre über die Kirche in Lumen gentium voraussetzt (EG 17). Es geht dem Papst um eine Überwindung der Lethargie und Resignation angesichts der extremen Säkularisierung und um ein Ende der lähmenden innerkirchlichen Auseinandersetzungen zwischen traditionalistischen und modernistischen Ideologien. Trotz aller Stürme und Gegenwinde soll das Schifflein Petri wieder die Segel der Freude über Jesus, der bei uns ist, aufziehen. Und die Jünger sollen ohne Angst in die Ruder greifen, um die Mission der Kirche kraftvoll voranzubringen.
Wenn die Kirche nach außen hin ein Bild der Zerrissenheit und Feindseligkeit bietet, kann man von niemandem erwarten, dass er die Kirche als glaubwürdige Zeugin der Liebe Gottes wahrnimmt und die Kirche als seine Mutter lieben lernt.
2. Ursprung der Einheit in Jesus Christus
Das II. Vatikanische Konzil setzt in der dogmatischen Konstitution über die Kirche Lumen gentium nicht bei einer soziologisch-immanentistischen Bestimmung der Kirche an, so als ob die Kirche aus dem Vergemeinschaftungswillen von Angehörigen einer gleichen religiös-sittlichen Überzeugung heraus konstituiert würde.
Die Kirche hat vielmehr ihren innersten Ursprung im innergöttlichen Hervorgang des Sohnes aus dem Vater. Im Sohn sind seit Ewigkeit alle Menschen schon zur Anteilhabe am göttlichen Leben berufen. Die Gemeinschaft der Menschen mit Gott ist schon vom Anfang der Menschheitsgeschichte an in Christus präfiguriert. Sie wird heilsgeschichtlich im Volk des Alten Bundes vorbereitet, schließlich im Kommen des Herrn und in der Ausgießung des Heiligen Geistes konstituiert und dann in der Kirche des neuen und endgültigen Bundes offenbar (LG 2).
Da die Kirche nicht eine rein menschliche Organisation ist, ist die Frage nach ihrer vereinsrechtlichen Gründung durch den "historischen" Jesus sachlich verfehlt und im Sinne theologischer Hermeneutik der geschichtlichen Offenbarung anachronistisch. Vielmehr gründet die Kirche als Lebensgemeinschaft mit Jesus in seiner göttlichen Natur und seiner Sohnesrelation zum Vater und wird geschichtlich offenbart in seinem Wirken als Mensch. Denn in seiner Person ist das Reich Gottes gekommen. Dazu gehört die Sammlung der Jünger, denen er Anteil an seiner Vollmacht und Sendung gibt. Jesus hat als der endzeitliche Mittler der Gottesherrschaft (1.) durch seine Verkündigung wie auch durch seine Heilstaten und vor allem durch sein Geschick in Kreuz und Auferstehung das endzeitliche Bundesvolk begründet als Communio der Menschen mit Gott, und er hat (2.) der Gemeinschaft der an ihn Glaubenden Anteil an seiner Mission gegeben.
Es sind also die beiden Elemente der Communio und der Missio, die die Jüngergemeinde Jesu als Zeichen und Werkzeug der Einheit der Menschen mit Gott und untereinander konstituieren. Die Kirche ist also als Dienerin und Mittlerin dieser Union wesentlich eine einzige. Die Kirche ist nicht die nachträglich Summe der Einzelnen in ihrem autonomen unmittelbaren Gottesverhältnis. Die Kirche ist mit Christus schon organisch vereint wie der Leib mit dem Haupt. Christus bildet als Haupt das Prinzip der Einheit aller Glieder des Leibes. Nur so können alle sich freuen und mitleiden, wenn ein Anderer sich freut und leidet. Die Vielheit der Glieder des Leibes sind in Bezug auf das Haupt unus (Gal 3,28): totus Christus caput et corpus. Als der eine und einzige Mittler ist Christus der eschatologische Mensch, der neue Adam. Alle Glieder sind hineingenommen in seine Sohnesbeziehung zum Vater im Heiligen Geist (Gal 4,4-6). Das Wort Kirche, das schon in der LXX als griechische Übersetzung für die Versammlung des Gottesvolkes erscheint, begegnet uns darum in Bezug auf Gott, den Vater, Christus, den Sohn, und den Heiligen Geist stets in der Einzahl: als das eine und einzige Volk Gottes, der eine und einzige Leib Christi, der die Kirche ist, und der eine und einzige Tempel des Heiligen Geistes. Diese eine Kirche, die in der katholischen Kirche subsistiert (LG 8, Antworten der Kongregation für die Glaubenskongregation auf Fragen zu einigen Aspekten bezüglich der Lehre über die Kirche, 2, 2007), steht ganz im Dienste der einen und universalen/katholischen Heilsmittlerschaft Christi und ist deshalb in ihrem Wesen und ihrer Sendung notwendig universal, d.h. katholisch. Denn allen Menschen verkündet die Kirche das Heil. Das Evangelium Christi befreit die Menschen aus der babylonischen Zerstreuung und ruft sie hinein in die pfingstliche Einheit des einen Gottesvolkes aus den vielen Völkern und Sprachen. Diese eine Kirche ist präsent in den vielen Völkern und Kulturen und formt sie zur einen Menschheit in Christus, dem Haupt der ganzen Schöpfung.
3. Die eine Kirche in ihrer universalen Sendung und ihrer örtlichen Konkretisierung
Die Sakramentalität der Kirche gründet in der Inkarnation. In Analogie zur gott-menschlichen Einheit Christi besteht die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche als geistlich-unsichtbare Lebensgemeinschaft mit Gott und als sichtbare, hierarchisch verfasste Gesellschaft. Die sichtbare Einheit zeigt sich in der gemeinsamen apostolischen Lehre, dem sakramentalen Leben und der hierarchischen Verfassung. Somit kann sie nicht bloß die Veranschaulichung einer völkerverbindenden überzeitlichen Idee, einer civitas platonica sein. Als Kirche für den Menschen in seiner geist-leiblichen Verfasstheit und seiner historischen und sozialen Existenzform konkretisiert sie sich gemäß den kulturellen Lebensbedingungen des Menschen in den Koordinaten von Raum und Zeit. Die Kirche des in Raum und Zeit eingetretenen Wortes Gottes verwirklicht sich zugleich universal und lokal. Die eine und universale Kirche, die vom Papst und den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird, besteht in und aus den Ortskirchen. Dies ist der Sinn der Formel" in quibus et ex quibus una et unica Ecclesia catholica existit" (LG 23). Die Sendung Christi betrifft alle Menschen an allen Orten und zu allen Zeiten. Und doch lebte er selbst an einem von vielen Orten der Erde und zu einem winzig kleinen Zeitabschnitt in der Menschheitsgeschichte. Aber sie realisierte sich historisch einmalig in dem Menschen Jesus von Nazaret, der zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort der Welt gelebt und gewirkt hat. Schon vorösterlich begegnet uns die Spannung von universaler Sendung und örtlicher Präsenz. Jesus erwählt sich die Apostel, um sie in die Orte zu senden, in die er nicht selbst kommen konnte. Nach Ostern sendet er die Apostel in die ganze Welt und verheißt ihnen allen zusammen und jedem einzelnen seine Gegenwart, so dass der eine Christus in der Vermittlung der vielen Apostel an jedem Ort der Welt heilsvermittelnd und die Menschheit einigend präsent ist.
In diesem Sinn kann der Begriff "Kirche" auch für die Ortskirchen verwendet werden. Die eine und einzige Kirche Gottes ist als universale Kirche präsent in den Kirchen Gottes zu Korinth, Rom, Thessalonich etc. Und vor Ort haben es die Glaubenden mit nichts anderem zu tun als mit der einen Kirche Christi, in der der Heilige Geist alle Getauften untereinander verbindet und sie in die Einheit des Leibes Christi einfügt, so dass alle einer sind in Christus und als Söhne und Töchter Gottes in Christus die eine familia Dei bilden.
Es geht also nicht um eine schwebende geistliche Vollmacht, die nach Erwägungen politischer und strategischer Zweckmäßigkeit zwischen dem Papst und den Bischöfen, der Universalkirche und den Ortskirchen aufgeteilt würde. Vielmehr hat Christus die Apostel insgesamt als Kollegium berufen. Er selbst hat ihnen den Apostel Petrus vorangestellt als Grundlage und Prinzip der Einheit der einen apostolischen Vollmacht und Sendung für die gesamte Kirche. Die Bischofsweihe zeigt die kollegiale Natur des Bischofsamtes in der Zuordnung des einzelnen Bischofs zum Gesamtkollegium mit dem Papst als dem Haupt, ohne den das Kollegium keine universale Vollmacht in Lehr- und Hirtenamt ausüben kann. "Die kollegiale Einheit tritt auch in den wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Bischöfe zu den Teilkirchen wie zur Gesamtkirche in Erscheinung. Der Bischof von Rom ist als Nachfolger Petri das immerwährende, sichtbare Prinzip und Fundament für die Einheit der Vielheit der Bischöfe und Gläubigen. Die Einzelbischöfe hinwiederum sind sichtbares Prinzip und Fundament der Einheit in ihren Teilkirchen, die nach dem Bild der Gesamtkirche gestaltet sind. In ihnen uns aus ihnen besteht die eine und einzige katholische Kirche. Daher stellen die Einzelbischöfe je ihre Kirche, alle zusammen aber in der Einheit mit dem Papst die ganze Kirche im Band des Friedens, der Liebe und der Einheit dar" (LG 23).
Die Bestimmung der Beziehung zwischen Universalität und Partikularität gelingt nur in einer konsequent christologischen und ekklesiologischen Perspektive. Sie ist im Vergleich zu staatlichen und nichtstaatlichen Organisationsformen von menschlichen Gesellschaften und Unternehmen analogielos. In der Tat verwirklicht sich die Einheit der Kirche in ortskirchlicher Konkretheit, weshalb eine Personalgemeinschaft nie Ortskirche im eigentlichen Sinn sein kann, ebenso wie jede Ortskirche ihrer Natur nichts anderes ist als die Universalkirche vor Ort. Dieses wechselseitige Innesein ist die katholische Communio der Kirche, die sich als communio ecclesiarum konstituiert. Dabei ist freilich zu beachten, dass die Gesamtkirche nicht bloß als die Summe der Teilkirchen verstanden werden kann, sondern diesen ontologisch und zeitlich vorausgeht. Das Schreiben Communionis notio, das die Kongregation für die Glaubenslehre 1992 veröffentlicht hat, begründet dies folgendermaßen: "In der Tat geht nach den Vätern die Kirche, die eine und einzige Kirche, in ihrem Geheimnischarakter ontologisch der Schöpfung voraus, und sie gebiert die Teilkirchen gleichsam als Töchter; sie bringt sich in ihnen zum Ausdruck, ist Mutter und nicht Produkt der Teilkirchen. In der Zeit tritt die Kirche am Pfingsttag öffentlich in Erscheinung, in der Gemeinschaft der hundertzwanzig, die um Maria und die zwölf Apostel versammelt waren. Die Apostel waren die Vertreter der einzigen Kirche und die zukünftigen Gründer der Ortskirchen, Träger einer an die Welt gerichteten Sendung. Schon damals spricht die Kirche alle Sprachen. Aus ihr, die universal entstand und offenbar wurde, sind die verschiedenen Ortskirchen als jeweilige konkrete Verwirklichungen der einen und einzigen Kirche Jesu Christi hervorgegangen. Da sie in und aus der Universalkirche geboren werden, haben sie ihre Kirchlichkeit in ihr und aus ihr. Daher ist die Formel des Zweiten Vatikanischen Konzils: die Kirche in und aus den Kirchen (Ecclesia in et ex Ecclesiis) untrennbar verbunden mit dieser anderen: die Kirchen in und aus der Kirche (Ecclesiae in et ex Ecclesia). Der Geheimnischarakter dieser Beziehung zwischen Gesamtkirche und Teilkirchen, die keinen Vergleich verträgt mit jener zwischen dem Ganzen und den Teilen in gleich welcher rein menschlichen Gruppe oder Gesellschaft, ist offensichtlich" (Nr. 9).
4. Die Einheit von Primat und Episkopat
Im 3. Kapitel von Lumen gentium wird die Einheit von Universalität und Partikularität beschrieben. Vorausgesetzt ist dabei die apostolische Konstitution der Ortskirche. Das bedeutet, dass die Ortskirche ebenso wenig wie die Kirche Christi überhaupt sich durch den Assoziationswillen von einzelnen Christen konstituiert. Vielmehr ist es Christus selbst, der durch seine Apostel und ihre Nachfolger (im munus predicandi, sanctificandi et gubernandi) die Universalkirche in und aus den Ortskirchen als communio ecclesiarum begründet. Von einer Ortskirche kann man nur reden, wenn sie im Bischof, dem Nachfolger der Apostel, sichtbar die Einheit mit den anderen Ortskirchen und die Einheit mit dem Ursprung der Kirche in Christus und den Aposteln verwirklicht. Dies zeigt sich in der Einheit des apostolischen Bekenntnisses und der sakramental-liturgischen Vergegenwärtigung des Heils in Christus. Die Lehre von den Bischöfen als Nachfolger der Apostel, ihrer kollegialen Einheit miteinander und ihrer Einheit mit dem Nachfolger Petri als dem sichtbaren Haupt der ganzen Kirche und des Bischofskollegiums ist also für den katholischen Begriff von Kirche konstitutiv.
Nur unter dieser Voraussetzung kann man die folgende Beschreibung von Universalität und Partikularität als Verwirklichung der Einheit und Einzigkeit der Kirche Christi richtig würdigen: "Wie nach der Verfügung des Herrn der heilige Petrus und die übrigen Apostel ein einziges apostolisches Kollegium bilden, so sind in entsprechender Weise der Bischof von Rom, der Nachfolger Petri, und die Bischöfe, die Nachfolger der Apostel, untereinander verbunden.... Das Kollegium oder die Körperschaft der Bischöfe hat aber nur Autorität, wenn das Kollegium verstanden wird in Gemeinschaft mit dem Bischof von Rom, dem Nachfolger Petri, als seinem Haupt, und unbeschadet dessen primatialer Gewalt über alle Hirten und Gläubigen.... Insofern dieses Kollegium aus vielen zusammengesetzt ist, stellt es die Vielheit und Universalität des Gottesvolkes, insofern es unter einem Haupt versammelt ist, die Einheit der Herde Christi dar. In diesem Kollegium wirken die Bischöfe, unter treuer Wahrung des primatialen Vorranges ihres Hauptes in eigener Vollmacht zum Besten ihrer Gläubigen, ja der ganzen Kirche, deren organische Struktur und Eintracht der Heilige Geist immerfort stärkt. Die höchste Gewalt über die ganze Kirche, die dieses Kollegium besitzt, wird in feierlicher Weise im ökumenischen Konzil ausgeübt.
... Die gleiche kollegiale Gewalt kann gemeinsam mit dem Papst von den in aller Welt lebenden Bischöfen ausgeübt werden, wofern nur das Haupt des Kollegiums sie zu einer kollegialen Handlung ruft oder wenigstens die gemeinsame Handlung räumlich getrennter Bischöfe billigt oder frei annimmt, so dass ein eigentlich kollegialer Akt zustande kommt"(LG 2).
In und aus den einzelnen Ortskirchen besteht die katholische Kirche. Jede Ortskirche hat Anteil an der Gesamtkirche durch die Einheit mit ihr und ihrem apostolischen Ursprung, durch die Einheit des Glaubensbekenntnisses, ihrer liturgisch-sakramentalen Formen der Heilsvermittlung und der apostolischen Autorität, die vom Bischof in der Sukzession, die auf die Apostel zurückreicht, verkörpert und garantiert wird.
Diese hindert nicht, sondern fördert ihren Reichtum, der durch die Inkulturation in die Völker und Geschichtsepochen zutage tritt. Die Ortskirche von Rom ist eine unter vielen Ortskirchen, aber mit der Besonderheit, dass ihre apostolische Grundlegung durch das Martyrium verbi et sanguinis der Apostel Petrus und Paulus ihr einen Primat im Gesamtzeugnis und in der Lebenseinheit der catholica communio verleiht. Wegen dieser potentior principalitas muss jede andere Ortskirche mit ihr übereinstimmen (vgl. Irenäus, haer II, 3, 2). Mehr ist, der Glaubenssubstanz nach, auch in den beiden Vatikanischen Konzilien über die Katholizität und Partikularität, über die Kollegialität der Bischöfe und die Orientierung an der Cathedra Petri in Lehre und Disziplin nicht zu sagen gewesen.
Die Erwägungen der Kongregation für die Glaubenslehre über den Primat des Nachfolgers Petri im Geheimnis der Kirche (1998) stellen deshalb zusammenfassend fest: "Die charakteristischen Züge der Primatsausübung müssen vor allem von zwei grundlegenden Voraussetzungen her verstanden werden, nämlich von der Einheit des Episkopats und vom bischöflichen Charakter des Primats selbst her. Der Episkopat stellt eine Wirklichkeit dar, die una et indivisa ist.
Der Primat des Papstes beinhaltet die Befugnis, der Einheit aller Bischöfe und aller Gläubigen wirksam zu dienen. Er wird auf verschiedenen Ebenen ausgeübt; sie betreffen die wachsame Aufsicht über die Weitergabe des Wortes, über die Feier der Sakramente und der Liturgie, über die Mission, über die Disziplin und über das christliche Leben. Auf diesen Ebenen schulden nach dem Willen Christi alle in der Kirche die Bischöfe und die anderen Gläubigen dem Nachfolger Petri Gehorsam.
Er ist auch Garant für die rechtmäßige Verschiedenheit, die zwischen Riten, Disziplinen und kirchlichen Strukturen des Ostens und des Westens besteht" (Nr. 8).
5. Papst und Bischöfe im Dienst an der einen Kirche
Es ist aber wichtig, den bischöflichen Dienst selber als sakramentale Wirklichkeit in der sakramentalen Kirche aufzufassen und ihn nicht mit dem eines Moderators von rein menschlichen Vereinigungen zu verwechseln.
Denn der Episkopat ist ein von Gott der Kirche für immer eingestiftetes Amt (LG 18). Die "Bischöfe, vom Heiligen Geist eingesetzt" (Apg 20,28), stehen an Gottes Stelle der Herde Christi vor (LG 19). In der sakramentalen Weihe bewirkt der Geist, dass die Bischöfe in hervorragender und sichtbarer Weise die Aufgaben Christi selbst, des Lehrers, Hirten und Priesters innehaben und in seiner Person handeln" (LG 21). Sie sind "Stellvertreter und Gesandte Christi in der Ausübung ihres Dienstes" (LG 27).
Schon die Tatsache, dass bei der sakramentalen Bestellung des Nachfolgers auf die Weihe durch "benachbarte Bischöfe anderer Kirchen" verwiesen wird, zeigt die kollegiale und universalkirchliche Dimension des Bischofsamtes. Nicht eine einzelne Gemeinde konstituiert sich selbst und ihr Amt. Die Bischofsweihe gliedert den Bischof zeichenhaft ein in das Kollegium der Bischöfe und überträgt ihm eine Verantwortung für die weltweit eine katholische Kirche, die in der communio ecclesiarum besteht.
In seiner Ortskirche ist der Bischof "sichtbares Prinzip und Fundament der Einheit" (LG 23). Dies betrifft die Communio aller Gläubigen und das Kollegium der Amtsträger von Presbytern, Diakonen und weiteren Kirchenämtern. Das eine Bischofsamt absorbiert nicht die Vielfalt der Sendungen und Dienste. Durch das Bischofsamt wird nicht nur ein Auseinanderfallen der einzelnen Dienste verhindert, sondern auch die Vielheit der Dienste in den einzelnen Gliedern gefördert und die Einheit der Sendung der einen Kirche in Martyria, Diakonia und Leiturgia gewährleistet.
Da das Bischofskollegium der Einheit der Kirche dient, muss es selbst das Prinzip seiner Einheit in sich tragen. Dies kann nur der Bischof einer Ortskirche sein und nicht der Präsident einer Föderation von regionalen und kontinentalen Kirchenbünden. Dies kann auch nicht nur ein rein sachliches Prinzip sein (Mehrheitsentscheidung, Delegation von Rechten an ein gewähltes Leitungsgremium etc.). Da das innere Wesen des Bischofsamtes eine personale Zeugenschaft ist, verkörpert sich das Prinzip der Einheit des Episkopates selbst in einer Person. Nach katholischer Auffassung ist das personale Prinzip der Einheit im Ursprung wie im gegenwärtigen Vollzug im römischen Bischof gegeben. Er ist als Bischof Nachfolger Petri, der selbst die Einheit des Apostelkollegiums verkörpert hat.
Entscheidend für eine Theologie des Primates ist die Charakterisierung des Petrusdienstes als bischöfliche Sendung wie auch die Erkenntnis, dass dieses Amt nicht menschlichen, sondern göttlichen Rechtes ist, insofern es nur in der Vollmacht Christi kraft eines dem Träger persönlich gegebenen Charismas im Heiligen Geist ausgeübt werden kann. "Damit aber der Episkopat selbst einer und ungeteilt sei, ... hat (der ewige Hirt Jesus Christus) den heiligen Petrus an die Spitze der übrigen Apostel gestellt und in ihm ein immerwährendes und sichtbares Prinzip und Fundament der Glaubenseinheit und der Gemeinschaft eingesetzt" (LG 18; DH 3051).
Dem Papst schwebt in Evangelii gaudium eine verbesserte, der globalen und digitalisierten Zivilisation von heute entsprechende Praxis vor. Obwohl Primat und Episkopat zum Wesen der Kirche gehören, sind die Formen der Verwirklichung in der Geschichte notwendig verschieden.
Der Aufruf des Papstes zu einer erneuerten Wahrnehmung der Kollegialität der Bischöfe ist das Gegenteil zu einer Relativierung des ihm selbst und unmittelbar von Christus aufgetragenen Dienstes an der Einheit aller Bischöfe und Gläubigen im geoffenbarten Glauben, dem gemeinsamen Leben aus der sakramentalen Gnade und der Sendung, die Einheit der Menschen in Gott zu vermitteln (LG 1). Da das Bischofsamt kollegialer Natur ist, ist dem Bischof kraft der Weihe und der kanonischen Sendung auch die Mit-Sorge und Mit-Verantwortung für das Wohl der universalen Kirche übertragen: "Die Sorge, das Evangelium überall auf Erden zu verkündigen, geht die ganze Körperschaft der Hirten an. Deshalb sind die einzelnen Bischöfe gehalten, soweit die Verwaltung ihres eigenen Amtes es zulässt, in Arbeitsgemeinschaft zu treten untereinander und mit dem Nachfolger Petri, dem das hohe Amt, den christlichen Namen auszubreiten, in besonderer Weise übertragen ist" (LG 23).
Unter Anerkennung des fruchtbaren Apostolates, die die bis dahin schon bestehenden Bischofskonferenzen erbracht haben und dem Wunsch, dass diese Gremien überall errichtet werden, gibt das II. Vatikanische Konzil gleichsam eine Kurzdefinition: "Die Bischofskonferenz ist gleichsam ein Zusammenschluss, in dem die Bischöfe eines bestimmten Landes oder Gebietes ihren Hirtendienst gemeinsam ausüben, um das höhere Gut, das die Kirche den Menschen bietet, zu fördern, besonders durch Formen und Methoden des Apostolates, die auf die gegebenen Zeitumstände in geeigneter Weise abgestimmt sind" (CD 38,1) Die theologische und praktische Umsetzung des Dienstes der Bischofskonferenzen an der Gesamtkirche und an den in ihnen zusammengeschlossenen Teilkirchen ist im Motu proprio Apostolos suos weiter entfaltet und konkretisiert worden. Dazu gehört auch eine lehramtliche Kompetenz der Bischöfe insgesamt, die einer Konferenz angehören (vgl. AS 21; CIC can. 753). Diese steht im Dienst der Einheit des Glaubens und der konkreten Umsetzung in einem Kulturraum. Der Bezug zum Nachfolger Petri, dem sichtbarem Prinzip der Einheit der Kirche, ist für jedes ökumenische Konzil, jede Partikularsynode und für jede Bischofskonferenz konstitutiv und göttlichen Rechtes, das allem kodikarischen Recht zugrundeliegen muss. Eine Bischofskonferenz kann niemals separate verbindliche dogmatische Erklärung abgeben oder gar definierte Dogmen und konstitutive sakramentale Strukturen relativieren (z.B. das eigene Lehr- und Hirtenamt abhängig machen von Gremien rein kirchlichen Rechtes).
Separatistische Tendenzen und präpotentes Verhalten würden der Kirche nur schaden. Die Offenbarung ist der einen und universalen Kirche zur treuen Verwahrung übergeben worden, die vom Papst und den Bischöfen in Einheit mit ihm geleitet wird (LG 8; DV 10).
Die katholische Kirche ist communio ecclesiarum und nicht eine Föderation von Landeskirchen oder ein Weltbund von konfessionsverwandten kirchlichen Gemeinschaften, die aus menschlicher Tradition den römischen Bischof als Ehrenvorsitzenden respektieren. Denn Nation, Sprache, Kultur sind nicht konstitutive Prinzipien für die Kirche, die in Christus die Einheit der Völker bezeugt und realisiert; sie sind jedoch unentbehrliche Medien, durch die sich das ganze Reichtum und die Fülle Christi in den Erlösten entfaltet.
Evangelii gaudium will die Kirche innerlich zusammenführen, damit das Gottesvolk in seinem missionarischen Dienst an einer Heil und Hilfe bedürftigen Menschheit sich nicht selbst im Wege steht. Papst Franziskus zeichnet in seinem Apostolischen Schreiben "einige Linien, die in der gesamten Kirche einer neuen Etappe der Evangelisierung voller Eifer und Dynamik Mut und Orientierung verleihen können" (EG 17).
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