Der Mut, entgegen dem allgemeinen Trend die Wahrheit zu verkünden

14. Februar 2014 in Interview


Kardinal Brandmüller: Sittenlehre darf nicht auf Sexualmoral reduziert werden. Weder die Natur des Menschen noch die Gebote Gottes und das Evangelium haben ein Verfallsdatum. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) „Moral ist der ständige Kampf gegen die Hormone“, meinte der italienische Filmregisseur Federico Fellini einmal. Und der polnische Lyriker Stanisław Jerzy Lec wusste mit der ihm eigenen Ironie: „Um die Moral zu heben, muss man die Ansprüche senken“. Mit voller Wucht verschafft sich gerade auch im Vorfeld der kommenden Bischofssynode zu Ehe und Familie wieder die Diskussion um die katholische Sexualmoral ihren Raum.

Dies verbindet sich mit Ansprüchen zur Reform der katholischen Sakramentendisziplin. Ja – es entsteht sogar der Eindruck, als stehe oder falle das von vielen Auguren vorhergesehene oder herbeigeredete Reformwerk von Papst Franziskus mit diesem Thema. Mit dem schönen Begriff vom „Franziskus-Effekt“ werden Reformbedürfnisse generiert, kaschiert oder in ihrer unumgänglichen Dringlichkeit dargestellt. Nicht wenige – auch unter Bischöfen – meinen, mit einem ungeklärten Begriff von „Barmherzigkeit“ gravierende dogmatische und disziplinäre Riffe bequem umschiffen zu können oder zu müssen.

Es wird suggeriert, als würden Heerscharen von Katholiken, deren Ehe gescheitert ist und die eine zweite Verbindungen eingegangen sind und eine zweite Familie gegründet haben, heulend und schluchzend und mit zerrissenen Gewändern vor den verschlossenen Kirchentüren stehen, als seien sie als eine Art katholische Paria vom Gemeinschaftsleben ausgeschlossen. Dass die Zahl derer, die bereits hinter den angeblich verschlossenen Kirchentüren sitzen, immer geringer geworden ist, dass Kirchen mangelnder Gläubiger wegen geschlossen werden müssen, wird dem gegenüber tunlichst verschwiegen, zusammen mit der immer den Einzelfall betreffenden wirklichen existentiellen Dramatik.

Dies gilt ebenso für die allgemeine Glaubenskrise (um nicht von Glaubensabfall zu sprechen), die gerade auch durch die jüngste Vatikanumfrage zur Vorbereitung der Bischofssynode im Herbst erneut deutlich und diesmal schriftlich hervorgetreten ist. Der aktuelle Zustand müsste eigentlich jedem Bischof und Priester den Schreck in die Knochen fahren lassen: ob ihres offensichtlichen Versagens in Katechese, Glaubenslehre und Glaubensvermittlung.

Aus Anlass der jüngsten Äußerungen aus bischöflichem Mund zur Notwendigkeit einer Änderung der katholischen Morallehre sprach kath.net mit dem emeritierten Präsidenten des Päpstlichen Komitees für Geschichtswissenschaften, Walter Kardinal Brandmüller, in einem größeren Zusammenhang über die anstehenden Probleme.


In einem Redaktionsgespräch mit der „Mainzer Allgemeinen“ hatte der Trierer Bischof Stephan Ackermann den Anstoß zu einer neu-alten „Moraldiskussion“ gegeben. Dabei betonte der Bischof zunächst, dass es nicht um „grundsätzliche Änderungen der Lehre“ gehe. Es gelte jedoch, das Verantwortungsbewusstsein des einzelnen zu stärken, um eine „Gewissensentscheidung dann aber auch zu respektieren“.

Zudem sprach der Bischof drei weitere größere Themen an und erklärte, es sei nicht mehr zeitgemäß, eine zweite Ehe als Todsünde anzusehen und Wiederverheirateten die Zulassung zu den Sakramenten dauerhaft zu verweigern. Es sei ebenfalls nicht haltbar, voreheliche sexuelle Beziehungen generell als schwere Sünde zu bewerten. Die von Papst Paul VI. festgelegte Unterscheidung zwischen natürlicher und künstlicher Empfängnisregelung ist für Ackermann „auch irgendwie künstlich“, das verstehe niemand mehr.

In all diesen Bereichen sehe er „Veränderungsbedarf für Moral und Sexualethik“ der Kirche. Eminenz, kann die Morallehre der Kirche „gerändert“ werden, wann und wie?

Kardinal Brandmüller: Zunächst eine Bemerkung: Es ist doch erstaunlich, dass für so viele Zeitgenossen die ganze Sittenlehre sich ausschließlich auf die Sexualmoral reduziert. Wie viele Probleme gibt es aber bezüglich der Wahrhaftigkeit, der Gerechtigkeit, des Lebensschutzes etc.! Davon sollte viel mehr die Rede sein!

Nun aber zur Frage ob die Morallehre der Kirche geändert werden müsse-könne: Die Morallehre der Kirche kann nur geändert werden, wenn sich die Natur des Menschen ändert. Die Morallehre der Kirche ergibt sich nämlich aus dem Wesen des Menschen als leib-geistiger Person. Aus diesen Vorgaben sind die Schlussfolgerungen für den konkreten Lebensvollzug des Menschen zu ziehen. Hinzu kommt das Evangelium, das den Menschen und damit auch sein Handeln und seine Verantwortung auf die Ebene der Gotteskindschaft hebt. Nun aber hat weder die Natur des Menschen noch haben die Gebote Gottes und das Evangelium ein Verfallsdatum. Wer dennoch die genannten Forderungen nach Änderung der katholischen Sittenlehre erhebt, begibt sich in Widerspruch zum Wort Gottes.

Zur Rede vom „Gewissen“: Die Stärkung des Verantwortungsbewusstseins, die Befähigung zu einem verantwortbaren Gewissensurteil ist von Anfang an Ziel kirchlicher Seelsorge. Dass das Gewissen die letzte subjektive Norm für das Handeln des Menschen ist, ist eine klassische katholische Lehre. Dem muss hinzugefügt werden, dass ein solches verbindliches Gewissensurteil aber nur dann möglich ist, wenn sich das Gewissen des Einzelnen an der objektiven Norm orientiert. Das Gewissen ist keine normsetzende Instanz, sondern eine norminterpretierende, eine Instanz, eine Fähigkeit des Menschen, die die immer und für alle gültige Norm auf den in Frage stehenden Einzelfall anwendet und diesen danach entscheidet.

Der Bischof von Fulda, Heinz Josef Algermissen, hat betont, dass Wahrheit „keine Sache einer Anpassung ist“. Worin besteht der Horizont der Wahrheit für das Gesamt der nunmehr wieder intensiv angestoßenen Auseinandersetzung hinsichtlich der sogenannten notwendigen Reformen in der Kirche? Wie werten Sie die Gefahr, dass die Kirche in einer relativ unruhigen Zeit mangelnder Klarheit in ihrem Innern zum Opfer eines frenetischen Versuchs der Anpassung an den Zeitgeist wird?

Kardinal Brandmüller: Das Verlangen, Zustimmung und Beifall zu finden, ist eine beständige Versuchung für die kirchliche Verkündigung. Wann immer sich die Kirche dem Widerspruch der öffentlichen Meinung ausgesetzt sieht, ist aber das Beispiel Jesu verpflichtend und herausfordernd zugleich. Als Jesus seine Zuhörer mit der Forderung konfrontierte, sein Fleisch und sein Blut zu essen und zu trinken, um damit das ewige Leben zu erlangen, hat er energischen Widerspruch erfahren und die Abwanderung zahlreicher Jünger erlebt. In dieser Situation hat Jesus an die Apostel die Frage gestellt, ob auch sie jetzt gehen wollten oder nicht. Worauf dann Petrus geantwortet hat: „Herr, du hast Worte des ewigen Lebens. Zu wem sollen wir denn gehen?“ Diesen Mut, entgegen dem allgemeinen Trend die Wahrheit zu verkünden, muss jeder, der im Namen der Kirche verkündet, aufbringen, wenn er seine Berufung nicht verfehlen will

Sowohl die Äußerungen des Bischofs von Trier als auch die im Vorfeld bekanntgegebenen Ergebnisse der vom Heiligen Stuhl initiierten Umfrage, anhand derer das „Instrumentum laboris“ für die kommende Bischofssynode zur Familie erarbeitet werden soll, haben deutlich gemacht, dass die Kirche anscheinend – und das betrifft nicht nur Deutschland – ein großes Problem der Vermittlung ihrer Auffassung und ihrer Lehre zu Ehe und Sexualität hat, zu dem, was Familie ist und worin der Sinn von Familie besteht. Ein beachtlicher Prozentsatz der Gläubigen scheint wesentliche Bestandteile der katholischen Morallehre weder zu akzeptieren noch in ihrer Wertigkeit zu sehen.

Wie kann oder muss dieses Vermittlungsproblem gelöst werden? Kardinal Marx meinte, die Kirche sollte nicht auf der Basis von „Sündenkatalogen und Strafregistern“ über Moral sprechen. Vielmehr gehe es darum, den Menschen dabei zu helfen, ihr Leben unter dem Anspruch des Evangeliums „gestalten“ zu können und zu „reflektierten“ Gewissensentscheidungen zu kommen.

Kardinal Brandmüller: Wer spricht denn heute überhaupt noch von Sündenkatalogen und Strafregistern! Und: gibt es etwa „unreflektierte“ Gewissensentscheidungen? In diesem Zusammenhang begegnen wir immer wieder dem Phänomen, dass von Seiten kirchlicher Verantwortlicher eine Sprache gesprochen wird, die sehr wolkig und nebulös ist und Präzision und Klarheit vermissen lässt. So sind Formulierungen zu hören, denen man weder zustimmen noch widersprechen kann, wobei dann jeder sich davon das entnimmt, was ihm gerade passt.

Es wäre dringend notwendig, dass in der kirchlichen Verkündigung klare Begriffe vermittelt werden. Sodann muss natürlich auch gesagt werden, dass sich diese Vermittlung einer Sprache bedienen müsste, die nicht nur das Ohr, sondern auch das Herz des Menschen trifft , die einfühlsam auf die konkrete Situation der Hörer eingeht und sie zu einem wirklichen Verständnis der Botschaft der Kirche hinzuführen vermag. Ein Goethezitat muss heute Bischöfen, Priestern, Religionslehrern ins Stammbuch geschrieben werden: „Wer zu schwankender Zeit schwankend gesinnt ist, mehret das Übel“.

Ein Gedanke darf außerdem bei all diesen „Moralfragen“ nicht vergessen werden: es besteht ein großer Unterschied zwischen der objektiven Beurteilung einer Handlung oder Handlungsweise und der subjektiven Verantwortlichkeit des Handelnden, was meistens übersehen wird. Schon der heilige Augustinus sagt: Den Irrtum muss man hassen, den Irrenden aber lieben!

Eines muss noch gesagt werden: wenn ein mit der Verkündigung im Namen der Kirche Bevollmächtigter zu der Überzeugung kommen sollte, die Lehre der Kirche nicht authentisch vertreten zu können, verlangt es die intellektuelle Redlichkeit, die Konsequenzen zu ziehen.

Ich danke Seiner Eminenz für das Gespräch.

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Prima Medienresonanz: Über das kath.net-Interview mit Kardinal Brandmüller wird auf TITELSEITE der italienischen Tageszeitung Il Foglio berichtet


Vortrag Kardinal Brandmüller Heiligenkreuz 3. Juni 2012: ´Der Beitrag der Kirche zur Zukunft Europas´




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