9. März 2014 in Interview
Ein Gespräch mit Peter Scholl-Latour über Gott und die Welt. Von Joachim Heinz und Sabine Just (KNA)
Bonn (kath.net/KNA) Der helle Tropenanzug sitzt immer noch tadellos. Auch mit bald 90 Jahren ist der Publizist Peter Scholl-Latour (Foto) ein äußerst wacher Beobachter des Weltgeschehens. Dem deutschen Fernsehpublikum ist er seit den 1960er Jahren als Experte für den Nahen und Fernen Osten bekannt - und eigentlich auch für die USA, Russland und Afrika. An potenziellem Gesprächsstoff herrscht also kein Mangel. Los geht das Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) allerdings mit ein paar persönlichen Fragen - auch wenn er die, wie Scholl-Latour im Vorgespräch sagt, «eigentlich überhaupt nicht mag».
KNA: Herr Scholl-Latour, warum sind Sie Journalist geworden?
Scholl-Latour: Ich hatte immer vor, viel zu reisen und mir die Welt und die verschiedenen Kulturen anzusehen. Der Journalismus hat mir diese Chance geboten. In dieser Intensität hätte ich das in keinem anderen Beruf gehabt.
KNA: Sie waren Gefangener des Vietkong, haben die Unabhängigkeitskämpfe im Kongo aus nächster Nähe erlebt und sind mit dem Ayatollah Khomeini während der Revolution vom Exil in Paris in seine iranische Heimat geflogen. Gab es Momente, in denen Sie wirklich Angst hatten, ein Stoßgebet zum Himmel geschickt haben?
Scholl-Latour: Ach, sicher ist man nie! Es kann immer was passieren.
Wer damals in Kambodscha den Roten Khmer in die Hände gefallen ist, der wurde gleich in der ersten halben Stunde totgeschlagen. Was es braucht, ist ein gewisser Instinkt dafür, wie man sich verhalten muss. Den erwirbt man mit der Zeit.
KNA: Was sollte ein Krisenreporter immer bei sich haben?
Scholl-Latour: Vor allem keine Waffe. Die bringt nichts. Wenn Sie einen Revolver in der Tasche haben, und da steht einer mit der Kalaschnikow vor Ihnen, können Sie auch den Revolver nicht mehr ziehen. In dem Moment, wo Waffen bei Ihnen gefunden werden, sind Sie verdächtig - zu recht.
KNA: Was hilft denn dann in brenzligen Situationen weiter?
Scholl-Latour: Reden, reden, noch mal reden. Wenn man denen sagt: «Wofür kämpft ihr?», «Was ist euer Anliegen?», «Wir wollen ja nur berichten» - dann passiert auch nichts.
KNA: Gibt es trotzdem Länder, in die Sie aktuell nicht reisen würden?
Scholl-Latour: Von Syrien würde ich abraten. Die Kerle, die da jetzt reinkommen, sind vermurkst worden durch die Saudis.
KNA: Sie meinen die Islamisten?
Scholl-Latour: Ja, die sind gefährlich und werden von Saudi-Arabien aus finanziert. Das sind keine Feiglinge oder Dummköpfe, die nehmen im Kampf den Tod auf sich und sind extrem religiös. Aber sie sind halt nicht mehr erreichbar für irgendwelche Argumente.
KNA: Wie steht's mit Afghanistan?
Scholl-Latour: Ich bin mit den Mudschahedin durch den Hindukusch gezogen und habe mich da absolut sicher gefühlt. Ich wurde von einem Leibwächter begleitet, der sich nachts schützend vor meinen Strohsack legte. Der hätte sich erschießen lassen für mich.
KNA: Sie deuten seit über einem halben Jahrhundert das Geschehen an den Konfliktherden dieser Welt. Gab es in dieser Zeit eigentlich eine Krise, deren Ursachen Sie nicht verstanden haben?
Scholl-Latour: Nein, eigentlich nicht. Die meisten Krisen wurden und werden durch falsche Analysen ausgelöst. Das war bei dem Rückzug der Franzosen aus Indochina so, den ich anfangs als Soldat einer Fallschirmjägereinheit miterlebt habe. Und das war der Fall bei dem von US-Präsident George W. Bush begonnenen Irak-Krieg. Bush wollte in seiner Naivität einen Leuchtturm der Demokratie in Bagdad errichten. Ein verrückter Plan. Er hat Leute gehabt, die ihm dringend davon abgeraten haben. Aber er hat nicht auf sie gehört. Der Irak-Krieg wurde zum Fehlschlag, das Land ist nicht befriedet worden.
KNA: Was halten Sie von deutschen Beteiligungen an militärischen Interventionen?
Scholl-Latour: Die Deutschen sollten sich da am besten raushalten. Sie verfügen ja auch nicht über die militärischen Mittel einer Intervention. Völlig unerträglich ist, wenn deutsche Politiker überall als Prediger von Menschenrechten und Demokratie auftreten, nachdem der Nationalsozialismus seine grässlichen Verbrechen begangen hat. Abgesehen davon werden Sie beispielsweise einen Chinesen nicht einfach so für westliche Werte begeistern können. Die haben ihre eigene Kultur.
KNA: Machen Sie es sich damit nicht ein bisschen einfach?
Scholl-Latour: Wie kommen wir dazu, den Chinesen Lektionen in westlicher Kultur zu erteilen? Außerdem: Stellen Sie sich einmal Koalitionsverhandlungen wie bei der jüngsten Regierungsbildung in Berlin vor. In einem Land mit 1,3 Milliarden Menschen würde das zu einem Bürgerkrieg führen. In der arabischen Staatenwelt hingegen gibt es wohl nur die Wahl zwischen einem islamischen Gottesstaat oder eine Militärdiktatur. Da wäre so etwas wie ein wohlwollender Despot wünschenswert. Aber die gibt es nicht so oft.
KNA: Welche Rolle spielen Religionen bei Konflikten?
Scholl-Latour: Wir leben in einer Zeit des totalen Ungleichgewichts. Das christliche Abendland hat sich von seiner Religion weitgehend entfernt, während der Islam auf einmal eine ungeheure Dynamik gewonnen hat.
KNA: Können diplomatische Initiativen wie die des Heiligen Stuhls in den Friedensverhandlungen zu Syrien oder die Reise von Papst Franziskus ins Heilige Land diesen Konflikt entschärfen?
Scholl-Latour: Es wird höchste Zeit, dass etwas unternommen wird. Der Orient und Nordafrika waren ja beinahe voll christianisiert, bevor die arabischen Eroberungen eingesetzt haben. Mitte des 19. Jahrhunderts war Anatolien noch zu einem Drittel christlich. In Ägypten, im Irak, im Libanon oder in Syrien gab es beachtliche christliche Bevölkerungsanteile. Die geraten jetzt aber massiv unter Druck und sind zum Teil bereits geflohen.
KNA: Was kann der Papst bewirken?
Scholl-Latour: Er kann sich solidarisch mit den in der Region lebenden Christen zeigen, gleichzeitig verhärtete Fronten aufbrechen und einen selbstbewussten Dialog mit dem Islam beginnen.
KNA: Kann man angesichts der Krisen im Nahen Osten und andernorts überhaupt noch an Gott glauben?
Scholl-Latour: Ich bin Katholik und werde das auch bleiben. Die christliche Lehre der Erbsünde ist mir daher vertraut. Der Mensch ist nicht von Grund auf gut. Die Vorstellung, dass wir in einem «Tal der Tränen» leben, trifft es ganz gut, finde ich.
KNA: Wodurch wären Sie heute noch zu erschüttern?
Scholl-Latour: Mit 90 Jahren ist man nicht mehr zu erschüttern.
KNA: Als was würden Sie gern in Erinnerung bleiben?
Scholl-Latour: Ich bin nicht Horaz, der mal von Ehrenmalen «dauerhafter als Erz» schrieb, die er errichtet habe. Mir sind, denke ich, ein paar ganz gute Bücher gelungen. Der Rest ist Staub.
(C) 2013 KNA Katholische Nachrichten-Agentur GmbH. Alle Rechte vorbehalten.
Foto Peter Scholl-Latour: (c) Wikipedia/Bernd Andres
Diese Datei ist unter der Creative Commons-Lizenz Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Unported lizenziert.
© 2014 www.kath.net