16. März 2014 in Kommentar
Ein moraltheologischer Einspruch zum Vorschlag Walter Kardinal Kaspers. Ein Gastkommentar von Josef Spindelböck.
Rom (kath.net) Der emeritierte deutsche Kurienkardinal Walter Kasper hat vor dem außerordentlichen Konsistorium der Kardinäle in Rom (vom 20. und 21. Februar 2014) auf Wunsch von Papst Franziskus einen Vortrag mit anschließender Diskussion zum Thema Das Evangelium von der Familie gehalten. (Der Vortrag ist inzwischen erweitert um ein Vorwort und ein Nachwort sowie versehen mit zwei Exkursen in Buchform erschienen: Walter Kardinal Kasper, Das Evangelium von der Familie. Die Rede vor dem Konsistorium, Freiburg 2014; auch als ebook erhältlich.)
Der Kardinal ging inhaltlich ein auf 1. Die Familie in der Schöpfungsordnung (17-29), 2. Strukturen der Sünde im Leben der Familie (30-34), 3. Die Familie in der christlichen Erlösungsordnung (35-44), 4. Die Familie als Hauskirche (45-53) und äußerte sich abschließend 5. Zum Problem der wiederverheiratet Geschiedenen (54-67).
In den ersten vier Teilen des Vortrags bzw. Buches wird auf biblischer Grundlage und in Bezug zu Tradition und Lehramt der Kirche auf die Bedeutung der christlichen Familie hingewiesen, welche aus der mit Kindern gesegneten sakramentalen Ehe hervorgeht. Die darin enthaltenen grundsätzlichen Ausführungen sind sehr wertvoll, da sie eine theologische Synthese all dessen sind, was die kirchliche Wertschätzung der Familie und ihre Würdigung auch unter den gegenwärtigen Herausforderungen ausmacht.
Kontrovers diskutiert wird vor allem der fünfte Teil der Ausführungen Kardinal Kaspers, wo es um einen evangeliumsgemäßen Umgang mit jenen Ehepaaren geht, welche sich nach einer zivilen Scheidung von jenem Partner, mit welchem sie weiterhin durch eine gültige sakramentale Ehe verbunden bleiben, dennoch nochmals mit einem neuen Partner nach staatlichem Recht verheiratet haben.
Deren Situation wurde von Johannes Paul II. im Apostolischen Schreiben Familiaris consortio angesprochen. Unter anderem heißt es dort: Die Kirche bekräftigt jedoch ihre auf die Heilige Schrift gestützte Praxis, wiederverheiratete Geschiedene nicht zum eucharistischen Mahl zuzulassen. Sie können nicht zugelassen werden; denn ihr Lebensstand und ihre Lebensverhältnisse stehen in objektivem Widerspruch zu jenem Bund der Liebe zwischen Christus und der Kirche, den die Eucharistie sichtbar und gegenwärtig macht.
Darüber hinaus gibt es noch einen besonderen Grund pastoraler Natur: Ließe man solche Menschen zur Eucharistie zu, bewirkte dies bei den Gläubigen hinsichtlich der Lehre der Kirche über die Unauflöslichkeit der Ehe Irrtum und Verwirrung. Die Wiederversöhnung im Sakrament der Buße, das den Weg zum Sakrament der Eucharistie öffnet, kann nur denen gewährt werden, welche die Verletzung des Zeichens des Bundes mit Christus und der Treue zu ihm bereut und die aufrichtige Bereitschaft zu einem Leben haben, das nicht mehr im Widerspruch zur Unauflöslichkeit der Ehe steht. Das heißt konkret, dass, wenn die beiden Partner aus ernsthaften Gründen zum Beispiel wegen der Erziehung der Kinder der Verpflichtung zur Trennung nicht nachkommen können, sie sich verpflichten, völlig enthaltsam zu leben, das heißt, sich der Akte zu enthalten, welche Eheleuten vorbehalten sind (Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Familiaris consortio über die Aufgaben der christlichen Familie in der Welt von heute vom 22. November 1981, Nr. 84).
Kardinal Kasper vertritt demgegenüber, als Frage formuliert: Aber wenn ein geschiedener Wiederverheirateter bereut, dass er in der ersten Ehe versagt hat, wenn die Verbindlichkeiten aus der ersten Ehe geklärt sind und ein Zurück definitiv ausgeschlossen ist, wenn er die in der zweiten zivilen Ehe eingegangenen Verbindlichkeiten nicht ohne neue Schuld lösen kann, wenn er sich aber nach besten Kräften darum müht, die zweite zivile Ehe aus dem Glauben zu leben und seine Kinder im Glauben zu erziehen, wenn er Verlangen nach den Sakramenten als Quelle der Kraft in seiner Situation hat müssen oder können wir ihm dann nach einer Zeit der Neuorientierung das Sakrament der Buße und die Kommunion verweigern? (S. 66)
Die nachfolgende Analyse und Kritik dieses Vorschlags möchte sich auf jenen Aspekt beziehen, der aus der Sicht des Moraltheologen der entscheidende ist und auf den Johannes Paul II. in Familiaris consortio ausdrücklich hingewiesen hat: nämlich auf die Möglichkeit der in ziviler Ehe verbundenen Partner, sich jener Akte zu enthalten, wie sie rechtmäßig verbundenen Ehegatten vorbehalten sind. Der Sinn eines solchen Entschlusses zur Enthaltsamkeit im Sinne einer freiwilligen Selbstverpflichtung zielt darauf ab, die nötige Disposition für einen gültigen und fruchtbringenden Empfang der Sakramente der Buße und der Eucharistie zu schaffen. (Zur Würde und Berufung der christlichen Ehe und Familie generell und im Hinblick auf spezielle Probleme vgl. Josef Spindelböck, Aktuelle Herausforderungen für Ehe und Familie. Moraltheologische Anmerkungen, in: Forum Katholische Theologie 26 (2010) 179-190, online )
Gemäß christlichem Eheverständnis ist die sexuelle Ganzhingabe von Mann und Frau nur auf der Basis des ehelichen Ja-Wortes gerechtfertigt. (Vgl. die Erklärung der Kongregation für die Glaubenslehre zu einigen Fragen der Sexualethik Persona humana vom 29. Dezember 1975, Nr. 5 und 7) Die Sprache des Leibes und insbesondere der Sexualität drückt dann genau das aus, was sich die beiden Partner im Herzen und durch die Erklärung des ehelichen Konsenses für immer versprochen haben: einander treu zu sein in guten und in bösen Tagen und einander in Offenheit für Kinder zu lieben, zu achten und zu ehren, bis der Tod sie voneinander scheidet.
Objektiv leben Geschiedene, die sich zivil wiederverheiratet haben und für sich das Recht des sexuellen Zusammenseins beanspruchen, im Zustand des fortgesetzten Ehebruches. (Vgl. Katechismus der Katholischen Kirche Nr. 2384: Der Ehepartner, der sich wieder verheiratet hat, befindet sich dann in einem dauernden, öffentlichen Ehebruch.) Diese Situation dauert an, solange das erste gültige Eheband besteht und sie mit dem neuen Partner eheähnlich, d.h. ohne Verzicht auf die sexuelle Gemeinschaft, wie sie rechtmäßigen Gatten eigen ist, zusammenleben.
Die Alternative ist sofern eine Trennung vom neuen, unrechtmäßigen Partner nicht möglich ist oder angeraten erscheint (z.B. wegen der Kinder oder auch wegen einer inzwischen gewachsenen Liebe und Freundschaft) dass sie sich entschließen, fortan wie Bruder und Schwester, d.h. also sexuell enthaltsam zu leben. Dann setzen sie keineswegs ein ehebrecherisches Verhältnis fort, sondern haben ihre Beziehung in exakt jenem wesentlichen Punkt geordnet, auf den es hier ankommt.
Interessanterweise wird eben diese Möglichkeit einer freiwillig zu übernehmenden Verpflichtung der wiederverheiratet Geschiedenen zur Enthaltsamkeit im Vortrag bzw. Buch von Kardinal Kasper überhaupt nicht erwähnt. Jedoch kann man natürlich voraussetzen, dass er mit seinem Vorschlag des Kommunionempfanges für solche Personen, falls sie sich ernsthaft auf einen Weg der Buße begeben wollen, eben diesen Aspekt nicht (!) zwingend miteinschließen will. Würde er das nämlich tun, dann bräuchte es überhaupt keinen neuen Vorschlag, der zu diskutieren wäre, und es würde genügen, auf der Grundlage von Familiaris consortio und der bisherigen kirchlichen Lehre und Praxis die nötigen Erläuterungen und gegebenenfalls auch Vertiefungen vorzunehmen.
Steht hinter dieser Nicht-Erwähnung der Möglichkeit der vollständigen sexuellen Enthaltsamkeit für geschiedene Wiederverheiratete vielleicht die Auffassung, diese wäre der relativ großen Gruppe jener Menschen ohnehin nicht zuzumuten? Gewiss: In der heutigen Gesellschaft und auch im Urteil und Empfinden vieler Christen mag das zutreffen. Sie sehen es ähnlich wie der römische Statthalter Felix als Zumutung an, wenn sie vonseiten der Kirche mit der Rede von Gerechtigkeit und Enthaltsamkeit und dem bevorstehenden Gericht (vgl. Apg 24,25) konfrontiert werden.
Allerdings: Kardinal Kasper spricht selber davon, auf der Seite betroffener Paare eine echte Bußgesinnung voraussetzen zu wollen und sieht auf die Zielgruppe bezogen nicht einen breiten Weg der großen Masse, sondern einen schmalen Weg des wohl nur kleineren, an den Sakramenten ehrlich interessierten Teils der wiederverheiratet Geschiedenen. (S. 66) Warum aber sollte man diesen für die kirchliche Lehre offenen Personen die Chance der Auseinandersetzung mit einer gewiss anspruchsvollen, aber dennoch voll und ganz dem Evangelium und damit auch der Barmherzigkeit und Gerechtigkeit Christi entsprechenden Forderung (nämlich der völligen Enthaltsamkeit in ihrem speziellen Stand) von vorneherein ersparen? Mag sein, dass es dann nur wenige sind, welche dies bejahen und für sich selbst als realistischen Weg wählen können und wollen. Bei anderen wird zumindest ein Nachdenkprozess ausgelöst oder dieser noch weiter vertieft, und sie kommen vielleicht später zur nötigen Einsicht und Bereitschaft.
Solange die freiwillige Bereitschaft zur sexuellen Enthaltsamkeit noch nicht gegeben ist, fehlt eben ein wesentliches Element der nötigen Disposition zum Sakramentenempfang. Denn selbst das Sakrament der Buße, auf das Kardinal Kasper mit Recht wertschätzend hinweist (Seiten 65-66.82), setzt ja voraus, dass ich mich ernsthaft bemühe, eine Sünde, die objektiv als schwerwiegend anzusehen ist und das trifft für Ehebruch sicher zu , nicht mehr zu begehen.
Eine Erfolgsgarantie im Sinne dessen, dass ich weiß, ich werde nicht mehr sündigen, ist jedoch nicht verlangt. So kann es der pastoralen Verantwortung des Priesters im Beichtstuhl entsprechen, im konkreten Fall eine Sünderin / einen Sünder zu absolvieren, wenn der gute Wille da ist, mit dem neuen Partner wie Bruder und Schwester zu leben, ungeachtet der konkret vielleicht großen Schwierigkeiten.
Ein guter Beichtvater wird auch dann nicht die Geduld verlieren und die betreffende Person verurteilen, wenn es in diesem Bemühen um ein gottgefälliges Leben mitunter Rückschläge gibt und sich eine Konstanz des sexuell enthaltsamen Lebens nur nach und nach herstellen lässt. Genau hier ist der Raum für die Barmherzigkeit Gottes, die keine Abstriche an der objektiven Norm vornimmt, zugleich aber dem Menschen guten Willens in seiner subjektiven Befindlichkeit gerecht zu werden sucht!
Dr. theol. habil. Josef Spindelböck ist ordentlicher Professor für Moraltheologie und Dozent für Ethik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule der Diözese St. Pölten. Er unterrichtet als Gastprofessor am International Theological Institute in Trumau und ist Mitglied der Familienkommission der Österreichischen Bischofskonferenz. Als Priester gehört er der Gemeinschaft vom heiligen Josef in Kleinhain an. www.spindelboeck.net
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