Aus Bologna mit Liebe: Haltet ein! Prinzip und Wahrheit der Ehe

18. März 2014 in Aktuelles


Carlo Kardinal Caffarra und der Vortrag Walter Kardinal Kaspers beim Konsistorium zum ‚Evangelium der Familie’: die Ehe ist keine Norm, sondern ein Geschenk Gottes. Heuchelei ist nicht barmherzig. Von Matteo Matzuzzi - Armin Schwibach


Rom (kath.net/as/mm) Am 15. März 2014 veröffentlichte die italienische Zeitung „Il Foglio“ ein ausgiebiges Interview mit dem Erzbischof von Bologna, Carlo Kardinal Caffarra (75). Der Nachfolger Giacomo Kardinal Biffis wurde im Jahr 2006 von Papst Benedikt XVI. zum Kardinal kreiert. Caffarra hatte an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Kirchenrecht promoviert. Seine Doktorarbeit setzte sich mit dem Thema der Finalität der Ehe auseinander. Der künftige Kardinal spezialisierte sich dann in Moraltheologie an der Päpstlichen Akademie Alfonsiana. Im Jahr 1980 ernannte ihn Papst Johannes Paul II. zum Experten der Bischofssynode über Ehe und Familie. Ein Jahr später erhielt Caffarra vom Papst den Auftrag, das Päpstliche Institut „Johannes Paul II.“ zu Ehe und Familie an der Lateranuniversität zu gründen und zu leiten, was er bis zu seiner Ernennung zum Bischof von Ferrara-Comacchio (1995) tat. Am 16. September 2003 wurde Caffarra zum Erzbischof von Bologna ernannt. Im Juni 2013 wurde er von Papst Franziskus in seinem Amt bis zur Vollendung seines 77. Lebensjahres bestätigt.

kath.net dankt dem Direktor des „Il Foglio“, Giuliano Ferrara, sowie dem Vatikanisten Matteo Matzuzzi für die freundliche Zusammenarbeit und die Möglichkeit, die Ausführungen Kardinal Caffarras einem deutschsprachigen Publikum zugänglich zu machen.

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Das nachsynodale Apostolische Schreiben „Familiaris consortio“ Papst Johannes Pauls II. steht im Kreuzfeuer. Einerseits heißt es, dass es die Grundlage des „Evangeliums der Familie“ sei, andererseits wird es für einen überholten Text gehalten. Sind ein "aggiornamento" oder eine Neufassung denkbar?

Kardinal Caffarra: Wenn von „Gender“ und der sogenannten Ehe unter Homosexuellen die Rede ist, ist es richtig, dass von derartigem zur Zeit von „Familiaris consortio“ nicht die Rede war. Über alle anderen Probleme jedoch, vor allem das der wiederverheirateten Geschiedenen, ist umfangreich gesprochen worden. (...) Wenn man sagt, „Familiaris consortio“ sei in einem völlig anderen geschichtlichen Kontext als dem heutigen entstanden, ist dies nicht richtig. Dies festgestellt sage ich, dass uns „Familiaris consortio“ vor allem eine Methode gelehrt hat, anhand derer den Fragen zu Ehe und Familie zu begegnen ist. Indem diese Methode benutzt wird, ist das Schreiben zu seiner Lehre gelangt, die ein uneliminierbarer Bezugspunkt bleibt

Um welche Methode handelt es sich? Als Jesus zu den Bedingungen für die Erlaubtheit einer Scheidung gefragt wurde – über eine Erlaubtheit als solche wurde zu jener Zeit nicht diskutiert –, geht er nicht auf die kasuistische Problematik ein, der die Frage entsprang, sondern zeigt, in welche Richtung man blicken muss, um zu verstehen, was die Ehe ist und worin folglich die Wahrheit der Unauflöslichkeit der Ehe besteht. Es war, als sage Jesus: „Schaut, ihr müsst aus dieser kasuistischen Logik herauskommen und in eine andere Richtung blicken“, in die Richtung des „Prinzips“. Das heißt: ihr müsst dorthin blicken, wo der Mann und die Frau zu ihrem Leben in der vollen Wahrheit ihres Mann- und Frauseins kommen, da sie berufen sind, ein Fleisch zu werden. In einer seiner Katechesen sagt Johannes Paul II.: „Dann entsteht – das heißt: als der Mann zum ersten Mal der Frau begegnete – die menschliche Person in der Dimension des gegenseitigen Geschenks, dessen Ausdruck – der daher selbst Ausdruck seines Daseins als Person ist – der menschliche Leib in seiner ganzen ursprünglichen Wahrheit seiner Männlichkeit und Weiblichkeit ist“ (9. Januar 1980). Das ist die Methode von „Familiaris consortio“.

Worin besteht die tiefste und aktuellste Bedeutung von „Familiaris consortio“?

Kardinal Caffarra: Um offene Augen zu haben, die fähig sind, auf das „Prinzip“ zu blicken, sagt „Familiaris consortio“: „Der ‚übernatürliche Glaubenssinn besteht (...) nicht nur oder notwendigerweise in der Übereinstimmung der Gläubigen. Die Kirche sucht, indem sie Christus folgt, die Wahrheit, welche sich nicht immer mit der Meinung der Mehrheit deckt. Sie horcht auf das Gewissen und nicht auf die Macht und verteidigt so die Armen und Verachteten. Die Kirche weiß auch die soziologischen und statistischen Forschungen zu schätzen, wenn diese sich zur Erfassung des geschichtlichen Umfeldes, in dem sich das pastorale Wirken vollziehen muss, nützlich erweisen und wenn sie zu einer besseren Erkenntnis der Wahrheit verhelfen; diese Forschungen allein können jedoch nicht ohne weiteres als Ausdruck des Glaubenssinnes betrachtet werden“ (FC 5).

Somit stellte „Familiaris consortio“ eine großartige lehrmäßige Entfaltung dar, die auch durch die Katechesenreihe Johannes Pauls II. über die menschliche Liebe ermöglicht wurde. In der ersten dieser Katechesen, am 3. September 1979, sagt Johannes Paul II., dass es seine Absicht sei, die Arbeiten zur Vorbereitung der Synode zu begleiten, die im Jahr drauf stattfinden sollte. Dabei hat er sich nicht direkt mit Themen der Synodenversammlung auseinandergesetzt, sondern die Aufmerksamkeit auf tiefe Wurzeln gelenkt.

Es ist, als hätte er gesagt: „Ich, Johannes Paul II., will den Synodenvätern helfen. Wie helfe ich ihnen? Indem ich sie zur Wurzel der Fragen bringe“. Aus dieser Einkehr in die Wurzeln entsteht die große Lehre zur Ehe und Familie, wie sie der Kirche durch „Familiaris consortio“ gegeben wird. Und dabei werden konkrete Probleme nicht ignoriert. Es ist auch die Rede von der Scheidung, von nichtehelichen Lebensgemeinschaften, vom Problem der Zulassung der wiederverheirateten Geschiedenen zur Eucharistie.

Somit entspricht das Bild von einer „Familiaris consortio“, die zur Vergangenheit gehört, die der Gegenwart nichts mehr zu sagen hat, einer Karikatur. Oder es handelt sich um Erwägungen von Personen, die das Dokument nicht gelesen haben.

Viele Bischofskonferenzen haben hervorgehoben: Aus den Antworten auf den Fragebogen zur Vorbereitung der kommenden beiden Synoden werde deutlich, dass die Lehre von „Humanae vitae“ mittlerweile nur mehr Verwirrung schaffe. Ist das so oder ist „Humanae vitae“ ein prophetischer Text gewesen?

Kardinal Caffarra: Am 28. Juni 1978, etwas mehr als einen Monat vor seinem Tod, sagte Paul VI.: „Für ‚Humanae vitae’ werdet ihr Gott und mir danken“. Nach 46 Jahren sehen wir gleichsam in einer Zusammenschau, was der Einrichtung der Ehe geschehen ist, und wir werden uns klar darüber werden, wie prophetisch jenes Dokument gewesen ist.

Indem man die untrennbare Verbindung zwischen ehelicher Sexualität und Fortpflanzung leugnet, das heißt die Lehre von „Humanae vitae“, ist der Weg für eine gegenseitige Unterbrechung der Verbindung von Fortpflanzung und ehelicher Sexualität frei geworden: „From sex without babies to babies without sex“.

Es verfinsterte sich fortschreitend die Gründung der menschlichen Fortpflanzung auf dem Boden der ehelichen Liebe, und schrittweise wurde die Ideologie konstruiert, dass jeder ein Kind haben kann: der Single, sei es Mann oder Frau, der Homosexuelle, indem dabei vielleicht auf Leihmutterschaften zurückgegriffen wird. Somit ist man konsequent zur Vorstellung von einem Kind als Geschenk zu der eines programmierten Kindes als Recht übergegangen: man sagt dass es das Recht gebe, ein Kind zu haben. (...)

Doch ich habe das Recht, Dinge zu haben, keine Personen. So kam es fortschreitend zur Konstruktion eines symbolischen sowohl ethischen als auch juristischen Codex, der Familie und Ehe nunmehr in die rein private Affektivität verweist und den Auswirkungen auf das gesellschaftliche Leben gegenüber gleichgültig ist.

Es besteht kein Zweifel, dass zur Zeit der Veröffentlichung von „Humanae vitae“ die sie stützende Anthropologie sehr gebrechlich war und auch ein gewisser Biologismus in der Argumentation nicht fehlte. Das Lehramt Johannes Pauls II. hatte das große Verdienst, eine der Grundlage von „Humanae vitae“ angemessene Anthropologie zu schaffen. Die Frage, die zu stellen ist, lautet nicht, ob und in welchem Maß „Humane vitae“ heute anwendbar ist oder ob die Enzyklika Verwirrung schafft. Meines Erachtens ist die wahre Frage eine andere.

Wie lautet sie?

Kardinal Caffarra: Sagt „Humanae vitae“ die Wahrheit hinsichtlich des Guts, das in die eheliche Beziehung eingelassen ist? Sagt sie die Wahrheit hinsichtlich des Guts, das in der Einheit der Personen der beiden Eheleute im Sexualakt gegenwärtig ist?

Das Wesen der moralischen Normativität und des Rechts findet sich nämlich in der Wahrheit des Guten, das in ihnen objektiviert ist. Sieht man dies nicht in dieser Perspektive, verfällt man in die Kasuistik der Pharisäer. Und man kommt nicht mehr heraus, weil man eine Gasse einschlägt, an deren Ende man gezwungen ist, zwischen der moralischen Norm und der Person zu wählen. (...)

Die Frage des Hirten ist also folgende: wie kann ich die Eheleute dazu führen, ihre eheliche Liebe in der Wahrheit zu leben? Das Problem besteht nicht darin, zu verifizieren, ob sich die Eheleute in einer Situation vorfinden, die sie von einer Norm entbindet, sondern was das Gut der ehelichen Beziehung ist. Worin deren innerste Wahrheit besteht. Es wundert mich, dass jemand sagt, „Humanae vitae“ schaffe Verwirrung. Was soll das heißen? Kennen diese Leute die Grundlegung, die Johannes Paul II. zu „Humanae vitae“ gegeben hat?

Ich füge noch eine Erwägung hinzu. Es wundert mich zutiefst, dass in dieser Debatte auch eminente Kardinäle den 134 Katechesen über die menschliche Liebe nicht Rechnung tragen. Nie hatte ein Papst so viel dazu gesagt. Es ist, als gebe es dieses Lehramt nicht. „Humanae vitae“ schafft Verwirrung? Weiß der, der so etwas sagt, etwas davon, wie viel auf einer wissenschaftlichen Ebene auf der Grundlage einer natürlichen Empfängnisregelung getan wurde? Weiß er von den zahllosen Paaren, die auf der Welt voll Freude die Wahrheit von „Humanae vitae“ leben?

Auch Kardinal Kasper unterstreicht, dass es in der Kirche gegenüber den kommenden Synoden große Erwartungshaltungen gebe und die Gefahr einer „extrem üblen Enttäuschung“ bestehe, wenn diese Erwartungen enttäuscht würden. Ist das Ihrem Urteil nach ein konkretes Risiko?

Kardinal Caffarra: Ich bin weder Prophet noch Sohn von Propheten. Es geschieht etwas Wunderbares. Wenn ein Hirt nicht seine Meinungen oder die der Welt predigt, sondern das Evangelium der Ehe, so treffen seine Worte auf die Ohren der Zuhörer, doch in deren Herz beginnt der Heilige Geist zu wirken, der es für die Worte des Hirten öffnet.

Ich frage mich dann, über welche Erwartungen wir reden und wer diese hat. Ein großer amerikanischer Fernsehsender hat eine Untersuchung zu den über die Welt verstreuten katholischen Gemeinden durchgeführt. Diese Untersuchung lichtet eine ganz andere Wirklichkeit ab als jene, die sich aus den Ergebnissen zum Fragebogen in Deutschland, in der Schweiz und in Österreich ergibt.

75 Prozent des Großteils der afrikanischen Länder sind gegen die Zulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zur Eucharistie. Ich sage es noch einmal: von welchen Erwartungen ist die Rede? Von denen des Westens? Ist also der Westen das Grundparadigma, auf dessen Grundlage die Kirche verkündigen muss? Sind wir immer noch an diesem Punkt? Hören wir doch auch ein wenig auf die Armen!

Ich bin sehr perplex und nachdenklich, wenn gesagt wird: entweder man geht in eine gewisse Richtung oder es wäre besser, die Synode nicht zu halten. In welche Richtung? Die Richtung, die die mitteleuropäischen Gemeinden gewiesen haben? Und warum nicht die Richtung der afrikanischen Gemeinden?

Kardinal Müller hat beklagt, dass die Katholiken die Lehre der Kirche nicht kennen. Dieser Mangel dürfe die Forderung nach einer Anpassung der katholischen Lehre an den Zeitgeist nicht rechtfertigen. Fehlt eine Familienpastoral?

Kardinal Caffarra: Sie hat gefehlt. Es ist eine sehr schwerwiegende Verantwortung von uns Hirten, alles auf die Ehevorbereitungskurse zu reduzieren. Und die Erziehung zur Affektivität der Heranwachsenden, der Jugendlichen? Welcher Seelenhirt spricht noch von Keuschheit? Ein fast totales Schweigen, seit Jahren, so weit ich das sehe. Schauen wir auf die Begleitung der jungen Paare: fragen wir uns, ob wir wirklich das Evangelium der Ehe verkündigt haben, ob wir verkündigt haben, was Jesus gefordert hat. Und dann: warum fragen wir uns nicht, warum die jungen Menschen nicht mehr heiraten? Das geschieht nicht immer aus wirtschaftlichen Gründen, wie es gern heißt. Ich spreche von der Situation im Westen. Vergleicht man die Situation mit der vor dreißig oder vierzig Jahren, so waren die Schwierigkeiten damals nicht geringer als heute. Damals aber planten sie, sie hatten eine Hoffnung. Heute haben sie Angst und die Zukunft macht Angst. Aber gerade die Entscheidung zur Heirat erfordert Hoffnung auf die Zukunft. Das sind die Grundfragen heute.

Ich habe den Eindruck: wenn sich Jesus plötzlich auf einer Tagung von Priestern, Bischöfen und Kardinälen präsentieren würde, die über all die schweren Probleme von Ehe und Familie diskutieren, und wenn sie ihn fragen würden, wie dies die Pharisäer getan hatten: „Meister, ist die Ehe unauflöslich oder nicht? Oder gibt es Fälle, bei denen man nach einer angemessenen Buße....“ – was würde Jesus antworten? Ich glaube: mit denselben Worten wie gegenüber den Pharisäern: „Schaut auf das Prinzip!“ Tatsache ist, dass man jetzt Symptome behandeln will, ohne sich ernsthaft mit der Krankheit auseinanderzusetzen.

Die Synode wird es also nicht vermeiden können, gegenüber diesem Dilemma Stellung zu beziehen: ist die Weise, wie sich die Morphogenese der Ehe und der Familie entwickelt hat, für die Personen, für ihre Beziehungen und für die Gesellschaft positiv oder bildet sie dagegen einen Zerfall der Personen und ihrer Beziehungen, der verheerende Auswirkungen auf die gesamte Zivilisation haben kann? Diese Frage kann die Synode nicht vermeiden. Die Kirche kann nicht anerkennen, dass diese Tatsachen (junge Menschen, die nicht mehr heiraten, freie Lebenspartnergemeinschaften, deren Zahl exponentiell steigt, die Einführung der sogenannten Ehe zwischen Homosexuellen in die Rechtssysteme und anderes mehr) einen historischen Drift darstellen, das es sich um historische Prozesse handelt, die sie zur Kenntnis zu nehmen hat und an die sie sich im Wesentlichen angleichen muss. Nein. (...) Auch die Kirche soll also damit aufhören, uns den Atem der Ewigkeit in der menschlichen Liebe spüren zu lassen? Deus avertat – Gott bewahre!

Der Vorschlag Kardinal Kaspers zur Zulassung der wiederverheirateten Geschiedenen zu den Sakramenten hat mit einer Zeit der Buße zu tun. Ist das nunmehr eine unausweichliche Notwendigkeit oder handelt es sich um eine den Umständen entsprechende Anpassung der christlichen Lehre?

Kardinal Caffarra: Wer diese Hypothese aufstellt, hat wenigstens bis jetzt noch keine Antwort auf eine sehr einfache Frage gegeben: wie steht es um die erste gültig geschlossene und vollzogene Ehe? Wenn die Kirche zur Eucharistie zulässt, muss sie – wie dem auch sei – ein Urteil über die Rechtmäßigkeit der zweiten Verbindung fällen. Das ist logisch. Wie also steht es – so fragte ich – um die erste Ehe? Die zweite Verbindung, so sagt man, kann keine wahre zweite Ehe sein, da die Bigamie gegen das Wort des Herrn ist. Und die erste? Ist sie aufgelöst? Doch die Päpste haben immer gelehrt, dass die Vollmacht der Päpste dazu nicht ausreichend ist: über eine gültig geschlossene und vollzogene Ehe hat der Papst keine Macht.

Die in Aussicht gestellte Lösung führt dazu zu denken, dass die erste Ehe bestehen bleibt, dass es aber auch eine zweite Form des Zusammenlebens gibt, die die Kirche legitimiert. Somit gibt es dann einen außerehelichen Vollzug der menschlichen Sexualität, den die Kirche als legitim erachtet. Damit aber wird die tragende Säule der Lehre der Kirche zur Sexualität geleugnet.

An diesem Punkt könnte man sich fragen: warum also nicht auch eine Zulassung der freien Lebenspartnergemeinschaften? Und warum keine Beziehungen zwischen Homosexuellen? Die Grundfrage ist also einfach: wie steht es um die erste Ehe? Aber keiner gibt eine Antwort.

Johannes Paul II. sagte Im Jahr 2000 in seiner Ansprache vor der Rota Romana: „Daraus geht klar hervor, dass die Nichtausdehnung der Vollmacht des Römischen Pontifex auf die gültigen und vollzogenen sakramentalen Ehen vom Lehramt der Kirche als definitiv anzusehende Lehre verkündet wird, auch wenn dies nicht in feierlicher Form durch einen definitorischen Akt erklärt wurde“. Die technische Formel „als definitiv anzusehende Lehre“ besagt, dass diesbezüglich keine weitere Diskussion unter den Theologen und kein Zweifel unter den Gläubigen zulässig sind.

Es handelt sich hier also nicht nur um eine Frage der Praxis, sondern auch um eine Frage der Lehre?

Kardinal Caffarra: Ja, hier wird an die Lehre gerührt. Unvermeidlich. Man kann auch sagen, dass man das nicht tue, aber man tut es. Nicht nur. Es wird ein Brauch eingeführt, der langfristig diese Vorstellung nicht nur im christlichen Volk bestimmt: es gibt keine absolut unauflösliche Ehe. Und das ist gewiss gegen den Willen des Herrn. Darüber besteht nicht der geringste Zweifel.

Besteht aber nicht die Gefahr, auf das Sakrament allein als eine Art disziplinäre Barriere zu blicken und nicht als ein Mittel der Heilung?

Kardinal Caffarra: Es ist wahr, dass die Gnade des Sakraments auch heilend ist, doch man muss sehen, in welchem Sinn. Die Gnade der Ehe heilt, weil sie den Mann und die Frau von ihrer Unfähigkeit befreit, sich für immer mit der ganzen Fülle ihres Seins zu lieben. Das ist die Medizin der Ehe: die Fähigkeit, sich für immer zu lieben. Das bedeutet heilen, nicht dass man einen Menschen ein wenig beruhigt, der in Wirklichkeit krank bleibt, das heißt konstitutiv noch unfähig zur Endgültigkeit.

Die Unauflöslichkeit der Ehe ist ein Geschenk, das Christus dem Mann und der Frau macht, die in ihm heiraten. Sie ist ein Geschenk, und nicht vor allem anderen eine Norm, die auferlegt wird. Sie ist kein Ideal, nach dem zu streben wäre. Sie ist ein Geschenk, und Gott bereut nie eines seiner Geschenke. Es ist kein Zufall, dass Jesus seine revolutionäre Antwort an die Pharisäer auf ein göttliches Tun gründet. „Was Gott vereint hat...“, sagt Jesus. Gott ist es, der eint, andernfalls bliebe die Endgültigkeit eine Sehnsucht, die zwar natürlich, aber unmöglich zu realisieren ist. Gott selbst schenkt die Erfüllung. Der Mensch kann sich auch entscheiden, diese Fähigkeit, endgültig und ganz zu lieben, nicht zu nutzen. Die katholische Theologie hat diese Sicht des Glaubens dann auf den Begriff des Ehebandes gebracht. Die Ehe, das sakramentale Zeichen der Ehe, bringt unmittelbar zwischen den Eheleuten ein Band hervor, das nicht mehr von ihrem Willen abhängt, weil es ein Geschenk Gottes an sie ist. Diese Dinge werden jungen Menschen, die heute heiraten, nicht mehr gesagt. Und dann wundern wir uns, wenn gewisse Dinge geschehen.

Eine sehr leidenschaftliche Debatte hat sich hinsichtlich des Sinns der „Barmherzigkeit“ entwickelt. Welchen Wert hat dieses Wort?

Kardinal Caffarra: Nehmen wir die Episode mit Jesus und der Ehebrecherin. Für eine Frau, die in flagrante des Ehebruchs überführt wird, ist das mosaische Gesetz eindeutig: sie musste gesteinigt werden. Die Pharisäer fragen Jesus, was er davon halte, dies mit dem Ziel, ihn in ihre Perspektive hineinzuziehen. Hätte er gesagt: „Steinigt sie!“, hätten sie sofort erwidert: ‚Schaut her, er, der Barmherzigkeit predigt, mit den Sündern isst: wenn der Moment kommt, sagt auch er: steinigt sie“. Hätte er gesagt: „Ihr dürft sie nicht steinigen!“, hätten sie gesagt: „Dazu führt die Barmherzigkeit, zur Zerstörung des Gesetzes und jeglicher rechtlicher und moralischer Verbindlichkeit“.

Das ist die typische Perspektive der kasuistischen Moral, die einen unvermeidlich in eine Gasse führt, an deren Ende das Dilemma zwischen Person und Gesetz steht. Die Pharisäer versuchten, Jesus in diese Gasse zu führen.

Doch er geht völlig aus dieser Perspektive heraus und sagt, dass der Ehebruch ein großes Übel ist, welches die Wahrheit von der menschlichen Person zerstört, die betrügt. Und gerade weil dies ein großes Übel ist, zerstört Jesus, um es zu beseitigen, nicht die Person, die es begangen hat, sondern er heilt sie von diesem Übel und sagt, nicht mehr diesem großen Übel zu verfallen, das der Ehebruch darstellt: „Auch ich verurteile dich nicht, geh hin und sündige nicht mehr“.

Das ist die Barmherzigkeit, deren allein der Herr fähig ist. Das ist die Barmherzigkeit, die die Kirche von Generation zu Generation verkündigt. Die Kirche muss sagen, was das Übel ist. Sie hat von Jesus die Vollmacht empfangen, zu heilen, doch unter derselben Bedingung. Es ist wahr, dass die Vergebung immer möglich ist: sie ist es für den Mörder, auch für den Ehebrecher. Diese Schwierigkeiten machten die Gläubigen bereits dem Augustinus: man vergibt den Mord, dennoch aber aufersteht das Opfer nicht. Warum also nicht die Scheidung vergeben, diesen Lebensstand, die neue Ehe, auch wenn eine „Wiederbelebung“ der ersten unmöglich ist? Die Sache verhält sich völlig anders.

Beim Mord wird einem Menschen vergeben, der einen anderen gehasst hat, und dafür wird Reue gefordert. Die Kirche schmerzt es im Grunde nicht, weil ein physisches Leben beendet wird, sondern vielmehr, weil im Herzen des Menschen ein derartiger Zustand des Hasses gewesen ist, der ihn dazu führte, sogar dem physischen Leben einer Person ein Ende zu setzen. Das ist das Übel, sagt die Kirche. Du musst dies bereuen und ich werde dir vergeben.

Im Fall des wiederverheirateten Geschiedenen sagt die Kirche: „Das ist das Übel: die Verweigerung des Geschenks Gottes, der Wille, das vom Herrn selbst verwirklichte Band zu brechen“. Die Kirche vergibt, aber unter der Bedingung der Reue. Doch Reue bedeutet in diesem Fall, zur ersten Ehe zurückzukehren. Es ist nicht ernsthaft zu sagen: ich bereue, aber ich verbleibe in demselben Zustand, der den Bruch des Bandes darstellt, den ich bereue.

Oft – so sagt man – ist dies unmöglich. Es gibt viele Umstände, gewiss, aber unter diesen Bedingungen befindet sich jener Mensch in einem Zustand des Lebens, der objektiv gegen das Geschenk Gottes ist. „Familiaris consortio“ sagt dies ausdrücklich.

Der Grund, warum die Kirche die wiederverheirateten Geschiedenen nicht zur Eucharistie zulässt, besteht nicht darin, dass die Kirche annimmt, dass alle, die in diesem Stand leben, im Zustand der Todsünde sind. Die subjektive Haltung dieser Menschen kennt Gott, der in die Tiefe der Herzen blickt. (...).

Doch in „Familiaris consortio“ heißt es: „Die Kirche bekräftigt ihre auf die Heilige Schrift gestützte Praxis, wiederverheiratete Geschiedene nicht zum eucharistischen Mahl zuzulassen. Sie können nicht zugelassen werden; denn ihr Lebensstand und ihre Lebensverhältnisse stehen in objektivem Widerspruch zu jenem Bund der Liebe zwischen Christus und der Kirche, den die Eucharistie sichtbar und gegenwärtig macht“ (FC 84).

Die Barmherzigkeit der Kirche ist die Barmherzigkeit Jesu, jene Barmherzigkeit, die sagt, dass die Würde des Ehegatten verletzt wurde, die Ablehnung des Geschenkes Gottes. Die Barmherzigkeit sagt nicht: „Ist ja gut, schauen wir zu, dass wir da Abhilfe schaffen können, so gut es geht“. Das ist die im Wesen von der Barmherzigkeit unterschiedene Toleranz. Die Toleranz lässt aus übergeordneten Gründen die Dinge, wie sie sind. Die Barmherzigkeit ist die Macht Gottes, die aus dem Zustand des Unrechts herausnimmt.

Es handelt sich also um kein einfaches Reparieren?

Kardinal Caffarra: Nein, derartiges wäre des Herrn unwürdig. Um etwas zu reparieren, genügen die Menschen. Hier geht es darum, eine menschliche Person zu regenerieren, und dazu sind nur Gott und in seinem Namen die Kirche fähig. Der heilige Thomas sagt, dass die Rechtfertigung eines Sünders ein größeres Werk ist als die Schöpfung des Universums. Wenn ein Sünder gerechtfertigt wird, geschieht etwas, das größer ist als das ganze Universum. Etwas, das sich vielleicht in einem Beichtstuhl vollzieht, durch einen demütigen, armen Priester. Doch dort erfüllt sich ein Akt, der größer ist als die Schöpfung der Welt. Wir dürfen die Barmherzigkeit nicht auf ein Wiederherrichten reduzieren oder sie mit der Toleranz verwechseln. Das ist ungerecht gegenüber dem Werk des Herrn.

Was jene zitieren, die sich eine Öffnung der Kirche gegenüber Menschen wünschen, die in als irregulär erachteten Situationen leben, besteht darin, dass der Glaube zwar einer ist, aber die Weisen, wie er auf die besonderen Umstände angewendet wird, der Zeit angepasst werden müssen, wie dies die Kirche immer getan hat. Was meinen Sie dazu?

Kardinal Caffarra: Darf sich die Kirche darauf beschränken, in die Richtung zu gehen, wohin sie die historischen Prozesse führen, als handle es sich um eine natürliche Strömung? Besteht darin die Verkündigung des Evangeliums? Ich glaube das nicht, denn andernfalls frage ich mich, wie der Mensch gerettet werden könnte. Ich erzähle Ihnen eine Geschichte. Eine noch junge Ehefrau, die von ihrem Mann verlassen wurde, hat mir gesagt, dass sie keusch lebt, was ihr allerdings eine große Mühe bereitet. Denn, so sagt sie, „ich bin keine Nonne, sondern eine normale Frau“. Doch sie hat mir gesagt, dass sie nicht ohne die Eucharistie leben könnte. Und somit wird auch die Last der Keuschheit leicht, weil sie an die Eucharistie denkt.

Ein anderer Fall. Eine Frau mit vier Kindern wurde von ihrem Mann nach zwanzig Jahren Ehe verlassen. Die Frau sagt mir, dass sie in jenem Moment verstanden hat, dass sie ihren Mann am Kreuz lieben muss, „wie dies Jesus mit mir gemacht hat“. Warum spricht man nicht über diese Wunder der Gnade Gottes? Sind diese beiden Frauen unzeitgemäß? Gewiss: sie haben sich nicht der Zeit angepasst.

Ich bin wirklich sehr enttäuscht, das versichere ich Ihnen, wenn ich in diesen Wochen der Diskussion das Schweigen über die Größe von Ehefrauen und Ehemännern zur Kenntnis nehmen muss, die verlassen worden sind und treu bleiben. Professor Grygiel hat recht, wenn er schreibt, dass es Jesus nicht viel interessiert, was die Leute über ihn denken. Ihn interessiert, was seine Apostel denken. Wie viele Pfarrer und Bischöfe könnten Episoden von heroischer Treue bezeugen. Nach ein paar Jahren, als ich in Bologna war, wollte ich den wiederverheirateten Geschiedenen begegnen. Es waren über dreihundert Paare. Wir waren einen ganzen Sonntagnachmittag zusammen. Am Schluss hat mir mehr als einer gesagt, dass er verstanden habe, dass die Kirche wirklich Mutter ist, wenn sie es verhindert, die Kommunion zu empfangen. Dadurch, dass sie die Kommunion nicht empfangen können, begreifen sie, wie groß die christliche Ehe und wie schön das Evangelium der Ehe ist.

Immer öfter wird die Beziehung zwischen dem Beichtvater und dem Büßer thematisiert, dies auch als mögliche Lösung, um dem Leid dessen entgegenzukommen, der sehen musste, wie sein Plan für das Leben gescheitert ist. Was denken Sie dazu?

Kardinal Caffarra: Die Tradition der Kirche hat immer eine Unterscheidung – eine Unterscheidung, keine Trennung – zwischen ihrer Aufgabe in der Lehre und dem Dienst des Beichtvaters getroffen. Wenn wir ein Bild benutzen, könnten wir sagen, dass sie immer die Kanzel vom Beichtstuhl unterschieden hat. Das ist eine Unterscheidung, die keine Doppelzüngigkeit bedeutet. Vielmehr heißt dies, dass die Kirche, wenn sie von der Ehe spricht, von der Kanzel eine Wahrheit bezeugt, die nicht zunächst eine Norm, ein Ideal ist, dem es entgegenzustreben gilt. In diesem Moment kommt liebevoll der Beichtvater ins Spiel, der dem Büßer sagt: „Was du von der Kanzel gehört hast, ist deine Wahrheit, die etwas mit deiner verletzten und gebrechlichen Freiheit zu tun hat“. Der Beichtvater führt den Büßer auf den Weg zur Fülle seines Gutes.

Es ist nicht so, dass die Beziehung zwischen Kanzel und Beichtstuhl der Beziehung zwischen Universalem und Besonderem entspricht. Das denken die Kasuisten, vor allem im 17. Jahrhundert. Vor dem Drama des Menschen besteht die Aufgabe des Beichtvaters nicht darin, auf die Logik zurückzugreifen, die es versteht, vom Universalen zum Einzelnen überzugehen. Das Drama des Menschen beruht nicht im Übergang vom Universalen zum Einzelnen. Es beruht in der Beziehung zwischen der Wahrheit seiner Person und seiner Freiheit. Das ist das Herz des menschlichen Dramas, weil ich mit meiner Freiheit das verleugnen kann, was ich soeben mit meiner Vernunft bekräftigt habe. Ich sehe das Gute und billige es, und dann tue ich das Böse. Das ist das Drama. Der Beichtvater stellt sich in dieses Drama, nicht in den Mechanismus von Universalem und Besonderem. Täte er dies, so würde er unvermeidlich der Heuchelei verfallen und würde dazu gebracht werden zu sagen: „Ist recht, das ist das universale Gesetz. Da du dich aber in diesen Umständen befindest, bis du nicht daran gebunden“. Es würde unvermeidlich ein Sonderfall ausgearbeitet werden, entsprechend dem das Gesetz dann anstößig werden würde.

Heuchlerisch also hätte der Beichtvater bereits ein anderes Gesetz neben dem promulgiert, das er von der Kanzel aus gepredigt hat. Das ist Heuchelei! Es wäre schlimm, würde der Beichtvater dem Menschen, den er vor sich hat, nie in Erinnerung rufen, dass wir auf einem Weg sind. Man würde Gefahr laufen, im Namen des Evangeliums der Barmherzigkeit das Evangelium der Barmherzigkeit zu einem Nichts werden zu lassen. Diesbezüglich hat Pascal in seinen „Lettres provinciales“ richtig gesehen, obwohl sie in anderer Hinsicht zutiefst unrichtig sind. Am Schluss könnte der Mensch zur Überzeugung gelangen, dass er nicht krank ist und somit Jesus Christus nicht braucht. Einer meiner Lehrer, der Diener Gottes P. Cappello, ein großer Professor für Kirchenrecht, sagte: wenn man den Beichtstuhl betritt, darf man nicht der Lehre der Theologen folgen, sondern dem Beispiel der Heiligen.


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