25. April 2014 in Buchtipp
Die Äbtissin des Zisterzienserinnenklosters Mariastern-Gwiggen, Maria Hildegard Brem, hat das wichtigste Werk der Mystikerin neu übersetzt. Eine Rezension von Hans Jakob Bürger
Bregenz (kath.net) Die Äbtissin des Zisterzienserinnenklosters Mariastern-Gwiggen, Maria Hildegard Brem, hat für das Gertrud von Helfta. Botschaft von Gottes Güte, das wichtigste Werk der heiligen Gertrud, einen anderen Titel gewählt als denjenigen, der über mehr als hundert Jahre hinweg üblich war. Diese Schrift unserer Heiligen, das in Latein abgefasste Werk Legatus, wurde bisher mit Gesandter der göttlichen Liebe in deutscher Sprache übersetzt und bekannt. Was hat die Zisterzienseräbtissin also bewogen, einen anderen Titel zu wählen als jenen, der seit 1876 in unsere Muttersprache eingeführt ist? Wollte sie etwa einen Aufbruch zu neuer Gottesrede wagen, wie Siegfried Ringler sein im Jahre 2008 im Grünewald-Verlag erschienenes Buch über die Mystik der Gertrud von Helfta nannte? Mitnichten. In ihrer Einleitung geht sie darauf ein.
Mit ihrer Neuübersetzung will sie den Lesern die übergroße Güte Gottes nahebringen. Der Leser soll mit Gertruds Texten zu Christus geführt werden, durch Begegnung, Freundschaft und Liebe mit ihm. Gerade der heutige Mensch soll, das ist das Hauptanliegen der Herausgeberin, sozusagen an der Hand der Heiligen, einen Weg ins eigene Innere und zur Begegnung mit Gott erschlossen werden. Denn Gertrud war ein ganz normaler junger Mensch, ohne besondere Verdienste und Frömmigkeit. Sie wurde von Gott gerufen und sie wurde von ihm geführt. Jeder, der sich auf Gott und Gertruds Texte einlässt, kann sich in ihnen selbst erkennen und vielleicht auch die Schritte mit der Heiligen mitzugehen versuchen, so, wie sie geführt wurde, sich selbst führen zu lassen.
In ihrer geistlichen Hinführung schreibt Äbtissin Hildegard Brem, indem sie auch den Herausgeber der kritischen lateinisch-französischen Ausgabe der Sources Chrétiennes zitiert, dass es ein Missverständnis sei, wenn Biografen und Moralisten es nicht unterließen, von Übertreibungen (im Leben vieler Heiliger) zu sprechen. Es gehe nicht darum, sich einem Vollkommenheitsideal gegenüberzustellen, das es mit aller Anstrengung zu erreichen gelte. Die Armseligkeit des Menschen liege ja nicht auf der Ebene von Tugend und Absicht, denn viel tiefer und absoluter sei die Armseligkeit seines Daseins und zwar in der lebendigen Gegenwart des göttlichen Daseins. Somit wird das eigene Leben nur im Lichte der Begegnung mit Gott deutlich und verständlich. Wie schwierig dieser Weg ist, wissen jene, die sich auf denselben begeben haben. Aber der Beginn des Weges mit Gott, um den es hier ja geht, sichert noch nicht auch sofort das Ankommen. Schwierigkeiten mancher Art werden vielleicht wie abstürzende Steine, Felsen oder gar Gerölllawinen den Weg versperren. Auch Gertrud war unzufrieden mit sich selbst, wenn sie nicht mehr weiter wußte. Doch nie verlor sie ihren Mut. Ihre Grenzen veranlassen sie nicht, sich immer mehr in sich zu verschließen, sondern sich immer weiter für Gott zu öffnen, dessen Erbarmen sie braucht. Dieses Wort kann die Gottsuchenden anspornen, sich auch auf diesen Weg der Erfahrung Gottes einzulassen. Dazu sind jedoch schonungslose Aufrichtigkeit und selbstkritische Überlegungen absolute Notwendigkeit.
Die Herausgeberin des Buches versucht mit ihrer Neuübersetzung eine Sprache zu finden, die heutigen Menschen verständlich ist. Gertrud und manch anderen Heiligen jener vergangenen Jahrhunderte, die ihr Erleben und Fühlen in einer Sprache abbildeten, die sich etwa auch vieler Begriffe aus dem Geschmacksinn bedienten, um ihr inneres Empfinden auszudrücken, werden vielleicht nicht mehr recht verstanden. Äbtissin Hildegard Brem wählt neue Sprachmöglichkeiten aus. Dabei ist es, für den des Lateinischen kundigen, möglich, ihre Übersetzungen zu prüfen, um noch näher an den geistlichen Inhalt des von Gertrud gemeinten heranzukommen. Der lateinische Text ist jeweils der deutschen Übersetzung gegenübergestellt, so dass ein Vergleich leicht möglich ist.
Jenen, die geübt sind im Lesen mittelalterlicher aszetischer und mystischer Texte, mögen bedauern, dass ihnen hier die gewohnte Sprache abhanden gekommen ist. Äbtissin Hildegard Brem hat aber versucht in ihrer Übersetzung, die im Text verborgenen Erfahrungen mit anderen Worten zu umschreiben. Das ist ihr auch weitgehend gelungen. Doch kann man auch fragen, warum sie von ganzheitlicher Spiritualität spricht. Sind nicht Ganzheitlichkeit und Spiritualität heute nicht vielbenutztes Modeworte, die auch in psychologischer und esoterischer Literatur Verwendung finden? Könnte z. B. für Spiritualität nicht das alte, aber doch alles aussagende Wort Frömmigkeit, die eine scheinbar verlorene Kunst ist, nicht besser benutzt werden? Man kann der Herausgeberin zugutehalten, dass Frömmigkeit für moderne Menschen ein doch eher verstaubter Begriff ist, der manchmal selbst den an geistlichen und religiösen Texten interessierten Leser abschrecken mag. Viel moderner klingt da doch der Begriff Spiritualität. Nicht alle vermeintlichen Hürden auf dem Weg zu Gott mit der Erfahrung von Geborgensein, Freude und Geliebtsein beseitigt werden. Ist des Christen Weg nicht auch ein Kreuzweg? Gibt es nicht doch auch Sünde, Schuld und Tod? Gott ist auch der Strenge und der Gerechte, er ist der Richter. Aus Gertruds Texten wird, wer sich darauf einlässt, mit Gottes Gnade einen großen Gewinn für sein Leben erzielen können. So ist dem Buch eine weite Verbreitung zu wünschen.
Dem ersten Band der Botschaft von Gottes Güte, der die ersten beiden Bücher von Gertruds Legatus umfasst, möge bald auch Band 2, der ihre übrigen Bücher beinhalten wird, folgen. Der Verlag möge dazu prüfen, ob nicht die jeweiligen Seiten, die die deutsche Übersetzung beinhalten, der besseren Lesbarkeit halber in einem etwas kräftigeren oder größeren Druck erscheinen können.
kath.net-Buchtipp
Botschaft von Gottes Güte, lateinisch-deutsch
Band 1: Buch 1 und 2
Autor: Gertrud von Helfta
Herausgeber: Hildegard Brem
287 Seiten
2013 Be&be-verlag
ISBN 978-3-902694-57-7
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