Sonnenwunder auf dem Tempelberg während des Papstbesuches?

30. Mai 2014 in Interview


Michael Hesemann war Augenzeuge: „Ich kann Ihnen versichern: Die ganze Zeit über verhielt sich die Sonne ganz normal“, das angebliche Foto ist „eindeutig ein Fake!“. kath.net-Interview von Petra Lorleberg


Jerusalem (kath.net/pl) Im Internet kursiert ein Foto der Klagemauer mit zwei Sonnen. Das angebliche Foto sei entstanden, so wird behauptet, während sich Papst Franziskus im Rahmen seiner Heiliglandreise im Mai 2014 in Jerusalem aufgehalten habe. Offenbar gibt es Menschen, die das Foto für authentisch halten. Der Historiker und Autor Michael Hesemann war extra für die Papstreise nach Israel geflogen und hielt sich zu genau dem Zeitpunkt in Jerusalem auf, während dem das angebliche „Sonnenwunder“ stattgefunden haben müsste. kath.net hat nachgefragt:


kath.net: Herr Hesemann, Sie waren Augenzeuge: Was genau machte die Sonne während des Papstbesuches auf dem Tempelberg?

Hesemann: Ja, ich war während des Papstbesuches in Jerusalem. Aufgrund der hohen Sicherheitsstufe und der Tatsache, dass auch die Presse zu den meisten Ereignissen nicht zugelassen war - lediglich zu der Begegnung mit dem ökumenischen Patriarchen in der Grabeskirche hatte ich Zugang - verfolgte ich den Besuch des Heiligen Vaters an der Klagemauer und in Yad Vashem noch im Pressezentrum, um dann danach die Zeit für einen Rundgang durch Jerusalem zu nutzen. Natürlich stattete ich auch der Klagemauer einen Besuch ab, nur wenige Stunden nach dem Papst. Insgesamt war ich von 11.00 bis 16.30 Uhr unterwegs, dann fuhr ich zur Verabschiedung des Papstes zum Ben Gurion-Flughafen.

Und ich kann Ihnen versichern: Die ganze Zeit über verhielt sich die Sonne ganz normal.

kath.net: Trotzdem gibt es Behauptungen über ein Sonnenwunder. Um was geht es genau und werden Beweise dafür angeführt?

Hesemann: Seit Mittwoch kursierte besagtes Foto (siehe auch ganz unten) im Internet, es hieß, zwei Sonnen hätten gegen 14.30 Uhr am Himmel über Jerusalem gestanden, seien fotografiert und gefilmt worden. Das "Beweisfotos" zeigt das Phänomen über der Klagemauer und dem Ölberg.

Doch ich kann Ihnen beweisen, dass es eine Montage ist. Denn der Ölberg liegt im Osten, dort also, wo die Sonne aufgeht. So niedrig wie auf dem Foto stand die Sonne nur frühmorgens. Um 14.30 Uhr war sie bereits auf dem Weg nach Westen, also im Rücken einer Person, die die Klagemauer fotografierte. Um Punkt 14.47 Uhr war ich an der Klagemauer und schoss meine eigenen Fotos (Foto siehe unten), natürlich mit der Sonne im Rücken.

Zweiter Beweis: Als ich meine Bilder aufnahm, stand ein LKW auf dem Platz vor der Klagemauer, in den die "Überbleibsel" vom Papstbesuch geräumt wurden. Dieser LKW ist auf dem Bild, das angeblich 17 Minuten zuvor entstand, nicht zu sehen. Stattdessen ist die Mauer gesäumt von Betenden. Um 14.47 Uhr aber war die Mauer fast leer, gegen 15.00 Uhr betete ich dort, umgeben von vielleicht einem Dutzend Juden und Touristen.

Fazit: Das Foto ist nie und nimmer am Montagnachmittag aufgenommen worden, sondern wahrscheinlich an einem Schabat im Sommer gegen 13.00 Uhr. Wie ich darauf komme? Die echte Sonne – nicht die beiden hineinmontierten "Sonnen" – muss hoch am Südhimmel gestanden haben, das zeigt die Spiegelung auf der goldenen Kuppel des Felsendoms, aber auch der schmale Schatten der Klagemauer. Ich tippe mal auf ca. 13.00 Uhr, in Israel gilt ja auch die Sommerzeit. Damit ist aber auch klar, dass beide "Sonnen" per Photoshop in das Bild montiert wurden.

Letzter Beweis: Es war ein ganz klarer Tag. Selbst die eine Sonne leuchtete viel zu hell, um auf einem Foto nur als matte Kugel zu erscheinen.

Fazit: Eindeutig ein Fake!

kath.net: Es handelt sich also um eine bewusste Fehlinformation. Kann man Vermutungen über die Motive der Verantwortlichen machen?

Hesemann: Überprüfen Sie die Quelle: Das Foto erschien auf der italienischen Spaß-Website "Corriere della Mattina", die jeden Tag irgendeine bizarre Geschichte bringt. Einen Tag zuvor hatte sie behauptet, die Europawahlen in Deutschland müssten wiederholt werden, weil auf 15 Millionen Wahlzetteln ein Hakenkreuz aufgedruckt wäre. Und weil man keinen aktuellen Wahlzettel zur Verfügung hatte, nahm man zur Illustration halt einen von 2002 und malte ein Hakenkreuz darauf.

Am Dienstag erfand man die Geschichte mit dem "Sonnenwunder". Das ist also alles andere als eine glaubwürdige Quelle, das ist bestenfalls Satire, eine Verulkung des sensationalistischen Boulevardjournalismus. In Amerika hat so etwas Tradition, da gibt es ganze Zeitungen, die voller erfundener Sensationsmeldungen sind, wie die "Weekly World News", und diese Website übernimmt diese Form des täglichen Aprilscherzes für ein italienisches Publikum. Wer es glaubt und nicht durchschaut, ist halt selber schuld.

Eine andere Intention als die Verulkung sehe ich nicht bei den Machern.

kath.net: Grundsätzlicher gefragt: Den Gläubigen begegnen ja immer wieder solche Aussagen, das Spektrum reicht von Fotos bis zu mehr oder weniger sinnvollen Prophezeiungen. Wie kann sich der Einzelne orientieren, wenn er weder in blinde Gutgläubigkeit noch in ebenso blinde Kritiksucht verfallen möchte?

Hesemann: Natürlich stürzen sich speziell die Anhänger der "Warnung" darauf, sehen darin wieder einen "Beweis" für die nicht minder absurden "Prophezeiungen" der irischen PR-Lady Mary McGovern, die gerade bestrebt ist, sieben Milliarden Medaillen für einen Euro das Stück (Herstellungspreis: ein paar Cent) zu verkaufen. Da mischen sich eiskalte Geschäftemacherei mit Wundersucht.

Daher plädiere ich für einen erwachsenen Glauben, nach dem Rat des hl. Paulus: Prüfet alles und behaltet das Gute! (1 Thess 5,21) Gerade bei Behauptungen des Übernatürlichen sollte man nicht seinen kritischen Verstand außen vor lassen, sondern mit Methoden der Wissenschaft, hier etwa der Bildauswertung, sachlich, nüchtern und vorurteilsfrei an die Sache herangehen. So macht es die Kirche doch auch, die oft jahrelang ein angebliches Wunder prüft, bevor sie es als "übernatürlich" anerkennt.

Ich lehne Zeichen und Wunder keineswegs ab, im Gegenteil: sie hat es immer schon gegeben, seit den Anfängen der Kirche. Aber ich wehre mich gegen eine blinde Wundersucht, die begierig alles aufnimmt, was die unseriösesten Quellen hergeben, denn diese führt zu einem ungesunden Sensationalismus, zu einem sehr oberflächlichen Glauben, der jeden Tag neue, größere Mirakel braucht, um "aufregend" zu bleiben.

Das hat mit echter, tiefer Frömmigkeit nichts mehr zu tun, es degradiert das Wirken Gottes zu bloßem Entertainment und Nervenkitzel. Erinnern wir uns immer an die Worte des Herrn: "Selig, die nicht sehen und doch glauben!" (Joh 20,29) und machen wir unseren Glauben einfach nicht von solch scheinbaren Bestätigungen abhängig, denn sonst gerät er schnell in eine Krise, wenn sich ein "Wunder" einmal als Schwindel oder Täuschung erweist.

Vor allem aber dürfen wir uns nicht von falschen Propheten irreführen lassen, vor denen schon Jesus warnte: "Denn es wird mancher falsche Messias und mancher falsche Prophet auftreten und sie werden große Zeichen und Wunder tun, um, wenn möglich, auch die Auserwählten irrezuführen." (Mt 24,24).

Lassen wir uns also einfach nicht so leicht ins Bockshorn jagen!

kath.net-Lesetipp:
Papst Franziskus
Das Vermächtnis Benedikts XVI. und die Zukunft der Kirche
Von Michael Hesemann
Gebundene Ausgabe,288 Seiten; m. 16 Abb.
2013 Herbig
ISBN 978-3-7766-2724-4
Preis 20.60 EUR

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Foto des Augenzeugen Michael Hesemann: Die Klagemauer in Jerusalem unmittelbar nach dem Papstbesuch am 26.5.2014


Der ´Fotonachweis´ des angeblichen ´Sonnenwunders´ während des Besuches von Papst Franziskus auf dem Jerusalemer Tempelberg - Wenn die Angaben stimmen würden, wäre diese Fotografie ca. 20 Minuten älter als das Hesemann-Foto:


Papst Franziskus - Besuch bei der Klagemauer - 26. Mai 2014


Foto oben (c) Corriere del Mattino/Screenshot


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