
13. März 2003 in Deutschland
Die Predigten von Kardinal Friedrich Wetter (Donnerstag) und von Kardinal Georg Sterzinsky (Mittwoch) bei der Deutschen Bischofskonferenz -
Die Predigt des Erzbischofs von München und Freising,Kardinal Friedrich Wetter,bei der Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenzam 13. März 2003 in Freising:
In der Lesung hörten wir das ergreifende Gebet Esthers. Sie und ihr Volk sind vom Tod bedroht. In menschlich aussichtsloser Lage ruft sie zu Gott: "Rette uns mit deiner Hand! Hilf mir, denn ich bin allein und habe niemand außer dir, o Herr!" (Est 4,17). Esther wurde erhört. Sie und ihr Volk blieben am Leben.
In diesen Wochen wird viel für den Frieden gebetet. Wir haben die Gläubigen dazu aufgerufen. Der Heilige Vater hat die ganze Weltkirche aufgerufen, mit Gebet und Fasten Gott zu bitten, dass die Welt vor dem drohenden Krieg bewahrt werde.
Zu solchem Beten fordert uns Jesus auf und gibt uns die Zusage, dass wir erhört werden: "Bittet, dann wird euch gegeben; sucht, dann werdet ihr finden; klopft an, dann wird euch geöffnet. Denn jeder der bittet, empfängt; wer sucht, der findet; und wer anklopft, dem wird geöffnet" (Mt 7,7 f.). Die Gewissheit der Erhörung begründet Jesus mit der großen Güte des himmlischen Vaters.
Und wenn es doch zum Krieg kommt? Stimmt dann nicht mehr, was Jesus uns im Evangelium zugesagt hat? Sind wir dann noch erhört worden?
In solch bedrängenden Fragen hilft ein Blick auf den bittenden Jesus selbst. Am Ölberg flehte er den himmlischen Vater an: "Abba, Vater, alles ist dir möglich. Nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht was ich will, sondern was du willst" (Mk 14,36). Doch der Vater hat den Kelch nicht von ihm genommen. Die Häscher kamen, nahmen Jesus gefangen und alles nahm seinen Verlauf, wie es die Menschen geplant hatten. Jesus wurde ans Kreuz geschlagen und getötet.
Es ist anders gekommen, als Jesus vom Vater erbeten hatte. Und doch sagt der Hebräerbrief, Jesus sei erhört worden: "Als er auf Erden lebte, hat er mit lautem Schreien und unter Tränen Gebet und Bitten vor den gebracht, der ihn aus dem Tod retten konnte; und er ist erhört worden" (Hebr 5,7).
Das geschah an Ostern, nicht am Ölberg, nicht auf den Kalvarienberg, sondern an Ostern.
In seinem Beten im Ölgarten zeigt uns Jesus, dass es im Bittgebet nicht darum geht, unseren Willen durchzusetzen, sondern Gott die Führung zu überlassen. "Nicht was ich will, sondern was du willst". Im Vater unser hat er uns gelehrt, ebenso zu beten: "Dein Wille geschehe!" Im Bittgebet instrumentalisieren wir Gott nicht und versuchen ihn nicht zum Vollstrecker unserer Pläne zu machen, sondern ergreifen seine Hand und überlassen ihm die Führung.
Auch dann, wenn es nicht nach unseren Vorstellungen geht, bleiben wir nicht unerhört. Gott nimmt uns an der Hand und gibt uns Kraft zum Durchhalten. Das hat er mit Jesus am Ölberg getan. Er tut es auch mit uns.
Am 22. Februar waren es 60 Jahre, dass drei Mitglieder der "Weißen Rose" zum Tod verurteilt und am gleichen Tag in München-Stadelheim hingerichtet wurden: die Geschwister Sophie und Hans Scholl und Christoph Probst. Wenige Wochen vorher, im November 1942, hatte Sophie Scholl an ihren Verlobten an der Front geschrieben: "Gegen die Dürre des Herzens hilft nur das Gebet, und sei es noch so arm und klein ... Ich bin Gott noch so fern, dass ich ihn nicht einmal im Gebet spüre. Doch ... ich will mich an das Seil klammern, das Gott mir in Jesus Christus zugeworfen hat." An diesem Seil Gottes, an Jesus Christus, hält sie sich fest, bis in die Stunde des Todes hinein. Das letzte Wort, das die Mutter zu ihr sagte, war: "Gelt, Sophie: Jesus." Und sie zur Mutter: "Ja, aber du auch."
Die beiden Geschwister baten vor der Hinrichtung um einen katholischen Priester. Da sie der protestantischen Kirche angehörten, hat man ihnen diesen letzten Wunsch verwehrt.
Christoph Probst war konfessionslos aufgewachsen. Er erbat die Taufe, wurde vom katholischen Gefängnisgeistlichen getauft und empfing die hl. Kommunion.
Nach der Hinrichtung der Drei sagte der Scharfrichter, er habe noch niemanden so sterben gesehen. Gott hat die drei jungen Menschen, die sich betend an "seinem Seil", an Jesus Christus festgehalten haben, nicht im Stich gelassen, sondern hat ihr Gebet erhört und sie begleitet und gestärkt.
Warum aber schafft Gott nicht gleich klare Verhältnisse? Er hätte doch die Macht dazu gehabt, sie vor dem Tod zu retten. Auch bei Jesus hat er es nicht getan. Er hat ihn nicht vom Kreuz herabgeholt; nicht weil er Blut sehen wollte; das wollte er nicht, das wollten die Menschen. Die Menschen haben Jesus umgebracht, ihn, der ihnen die Liebe Gottes bringen wollte, und zwar eine Liebe, die sich auch dann nicht zurückzieht und aufhört, wenn sie ans Kreuz genagelt wird.
Wir rühren hier an das Geheimnis der Freiheit, mit der Gott den Menschen ausgestattet hat. Der Mensch besitzt auch die Möglichkeit, diese Freiheit zu missbrauchen und sich gegen Gott zu stellen. Und Gott vergewaltigt nicht. Er hat am Karfreitag auf Golgotha den Sohn nicht vom Kreuz herabgeholt, er hat die Mitglieder der Weißen Rose nicht vor dem Tod errettet; und wenn die Menschen nicht zur Einsicht kommen, dass jeder Krieg eine Niederlage für die Menschheit ist, wie der Heilige Vater sagte, wird er dann denen in die Arme fallen, die einen Krieg auslösen?
Dieses Geheimnis können wir nicht auflösen. Gott wird es lösen, wie er das Geheimnis des Kreuzes Jesu an Ostern aufgelöst hat.
Er ist der Herr der Geschichte, auch in unseren Tagen. Daher dürfen wir immer, auch heute, mit seiner Herrschaft und Führung rechnen. Wir können ihn aber nicht wie irdische Faktoren in unser Kalkül einbeziehen. Gott steht himmelweit darüber. "Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege – Spruch des Herrn. So hoch der Himmel über der Erde ist, so hoch erhaben sind meine Wege über eure Wege und meine Gedanken über eure Gedanken" (Jes 55,8 f.).
Beten wir voll Vertrauen wie Esther in der Not unserer Tage um den Frieden in der Welt. Ergreifen wir betend Gottes Hand; klammern wir uns fest am Seil, das Gott uns in Jesus Christus zugeworfen hat. Beten wir im festen Vertrauen, dass "wer bittet, empfängt; wer sucht, der findet; und wer anklopft, dem wird aufgetan", auch wenn wir nicht wissen, wie die Erhörung aussieht. Denn Gott ist "unser Vater im Himmel, der denen Gutes gibt, die ihn bitten" (Mt 7,11).
Amen.
Die Predigt des Erzbischofs von Berlin,Kardinal Georg Sterzinsky,bei der Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Freising am 12. März 2003
Wo ist Ninive heute?Jona wollte der Stadt nicht predigen, weil er ihre Bekehrung fürchtete, denn er wollte nicht ihre Begnadigung. Wir würden gern predigen, wenn wir auf Bekehrung hoffen könnten.Wir tun es auch – zuweilen. Hat sich jemand bekehrt? Also wagen wir den Ruf zur Umkehr kaum, weil wir Bekehrung nicht für denkbar halten.
Jona muß nach Ninive genötigt werden. Schließlich droht er der Stadt – mit verblüffendem Erfolg. Froh ist er darüber nicht. Gott hat es nicht leicht, ihn dahin zu bringen, daß er sich über Vergebung und Rettung nach der Bekehrung freut. Die Stadt ist bekehrt, Jona nicht.
Wir müssen erzogen und dahin geführt werden, daß wir Umkehr erwarten. Schön wär‘s, wenn wir durch Erfahrungen umgestimmt würden und erleben könnten, daß Menschen sich vom Bösen abkehren, sich zum Guten hinkehren und auf den lebendigen Gott ausrichten würden. So ist es aber nicht. Wir können es nicht einfordern und dürfen nicht warten, bis uns Erfolgserlebnisse beflügeln.
Trotzdem sind wir gesandt, zur Umkehr zu rufen.Bemühen wir uns, daß wir dem nachkommen!
Nötig ist zuerst einmal, daß wir die Bekehrung der vielen ersehnen.Uns liegt das Klagen über die verwirrte Welt, die Unmoral und den Werteverfall, die steigende Kriminalität, die Bindungs- und Gottlosigkeit. Aber Umkehr ersehnen ist mehr: Umkehr ersehnen heißt auch auf Änderung warten. Sehnen wir uns nach der Bekehrung der Sünder so wenig, weil wir Enttäuschungen vermeiden wollen? Es ist schwer, die Sehnsucht wachzuhalten, wenn keine Hoffnung auf Erfüllung besteht.
Nötig ist sodann das unablässige Gebet. Man sagt: Wenn Christen nicht mehr ein und aus wissen und die Aktivitäten fruchtlos sind, pflegen sie zu beten. Wenn das stimmen würde, müßten wir ja immer am Beten sein.Wir beginnen hoffentlich schon früher mit dem Gebet.Von Herzen bin ich dankbar für die kontemplativen Gemeinschaften, die im Gebet für die Welt nicht nachlassen. Aber ich möchte die Aufgabe nicht an Klöster delegieren, sondern selbst für die Bekehrung beten ... und die Gemeinden und die vielen Einzelnen zu beharrlichem Beten motivieren.
Nötig ist die klare Verkündigung des Willens Gottes und seiner Gebote. Selbstverständlich ist Sein Wille das Heil der Welt, selbstverständlich ist Sein Erbarmen ohne Maß. Oder doch nicht selbstverständlich? Wir haben alle den Mut, dies mit Nachdruck und Überzeugung zu verkündigen. Aber die Versöhnung mit Gott kann nicht verkündigt werden ohne ihre Konsequenzen, und zu diesen gehören auch ethische Maßstäbe. Wir tun weder Gott noch den Menschen einen Gefallen, wenn wir immer nur von dem reden, was moralisch noch vertretbar ist; wenn wir nur vom Verständnis für die menschlichen Schwächen sprechen ... und nicht mehr das hohe Ideal des Christen benennen.Es ist ja wohl so, daß ein Gespür für die Bosheit der Sünde und die Hochschätzung der göttlichen Vergebungsbereitschaft miteinander korrespondieren. Wer Sünde und Vergehen bagatellisiert, wie soll er Gottes Erbarmen zu schätzen wissen? Und wer wird Gottes Erbarmen schätzen, wenn er Sünde übersieht und die Vergebungsbedürftigkeit gar nicht erlebt? Wir haben heute eine panische Angst vor einer Drohung; Jesus hat sich nicht gescheut, vom unerbittlichen Gericht zu sprechen.
Nötig ist, daß wir Bekehrungen, auch tiefe Bekehrungen, Bekehrungen auch bei vielen für möglich halten.Es gibt doch ganz überraschende Mentalitätswandlungen.Ich nenne zuerst sittlich und religiös indifferente. Mit Erstaunen beobachte ich beispielsweise, daß Jugendliche vor 10 Jahren die größtmögliche Formlosigkeit praktizierten und auch einforderten, heute fragen sie eindringlich nach Ritualen. Vor 25 Jahren wurde die Abschaffung kultischer Gewänder gefordert; heute wollen Jugendliche ministrieren allein, weil sie liturgische Gewänder tragen dürfen. Jeder von uns hat erlebt, wie Kriegsbegeisterung in Pazifismus umschlagen kann. Oder Wandlungen im Glaubensbewußtsein: Vor 20 Jahren kannte ich eine Katechetin, die in Lehrbüchern für den Religionsunterricht alle Bilder zuklebte, auf denen Engel zu sehen waren. Die Kinder sollten keinen Anlaß haben, nach Engeln zu fragen. Wo ich auch hinkam, wurde diskutiert, ob es wirklich Engel gäbe. Heute? Es glauben Menschen an Engel, die nicht an Gott glauben. Oder denken wir an den Umschlag von einer für eine Zeit quälenden Heilsangst in den heutigen billigen Heilsoptimismus.Solche Bewußtseinswandlungen oder auf diese Weise erwachsene Haltungen lassen natürlich fragen: Wie tief gehen sie? Wie lange halten sie an? Immerhin, sie zeigen: Bekehrungen sind möglich.
Nötig ist schließlich, daß sich Seelsorger vorzugsweise um Menschen kümmern, die vor einer Bekehrung stehen: der Ersten (grundlegenden) Bekehrung zum Christsein oder der Zweiten Bekehrung zur Entschiedenheit im Christsein. Da wir nicht alles tun können, was möglich ist, suchen wir nach Prioritäten. Das ist eine: Die Sorge um Menschen vor einer Bekehrung.
Jona hat gepredigt, eine radikale Bekehrung der Stadt erlebt und – geschmollt.Ich darf doch annehmen: Keiner von uns ist ein Jona.Aber vielleicht sind wir nach Ninive gesandt. Vielleicht wartet die heutige Generation auf Jona. Jesus sagt: es wird ihr kein anderes Zeichen gegeben als das Zeichen des Jona. Seine Auferstehung wird nichts nützen, wenn das Wort nicht zuvor gehört wurde.Wo liegt Ninive heute? Mein Ninive?Herr, zeig es mir!
Amen.
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