Streitfrage: Können wir uns Pazifismus noch leisten?

26. Juni 2014 in Kommentar


Pro und Kontra: Margot Käßmann dafür, Henryk M. Broder dagegen


Wetzlar (kath.net/idea) Bundespräsident Joachim Gauck meint, im Kampf für Menschenrechte sei es manchmal erforderlich, „auch zu den Waffen zu greifen“. Er fordert mehr internationales Engagement von Deutschland. Ganz anders sieht das Margot Käßmann. In einem Interview sagte sie, einen gerechten Krieg könne es nicht geben. Doch können wir uns angesichts weltweiter Krisen Pazifismus noch leisten?

PRO
Wie traurig, dass unsere Gesellschaft nur vom Krieg her denken kann! Da werden Milliarden von Euro investiert, um Waffen herzustellen. Deutschland ist drittgrößter Waffenexporteur der Welt. Nach Syrien, nach Libyen wurde geliefert, heute nach Saudi-Arabien und Katar – Staaten, die wahrhaftig nicht für eine blühende demokratische Kultur bekannt sind. Gleichzeitig beklagen wir Kriege, als sei es eine Überraschung, dass die Waffen auch angewendet werden.

„Selig sind, die Frieden stiften“ und „Steck das Schwert an seinen Ort“ – das sind für mich Maßstäbe für Christinnen und Christen. Warum soll das eigentlich lächerlich sein? Krieg hat noch immer Hass gesät.

Meine Frage ist: Warum können wir nicht die Rüstungs-milliarden in Frieden investieren? Im Kosovo wurde lange gewarnt, es würde eine Tragödie geben – niemand war bereit, Mediationstruppen zu entsenden, die zwischen den Konfliktparteien vermitteln. Ähnlich in Afghanistan: Warum wird nicht investiert in Gespräche und Vermittlung? Warum können wir Menschen nicht helfen, der bitteren Armut zu entkommen – das wäre Kriegsprävention! Ich möchte mich nicht auf die Logik des Krieges einlassen. Ja, Pazifisten werden belächelt. Als Christen sind wir das ohnehin gewohnt. Es gibt Partnerinnen und Partner in der säkularen Welt.

Ich denke an Bertha von Suttner. „Die Waffen nieder“ (1899) war ihr bedeutendstes Buch. Sie wurde belacht. Millionen Tote später schrieb Stefan Zweig, sie habe gewusst, dass der Pazifismus nie zeitgemäß erscheint: „im Frieden überflüssig, im Kriege wahnwitzig, im Frieden kraftlos und in der Kriegszeit hilflos“. Ich bin bereit, diese Diskrepanzen auszuhalten, wohl wissend, dass ich auch so schuldig werden kann.

Margot Käßmann (Berlin) ist Botschafterin des Rates der EKD für das Reformations-jubiläum 2017. Sie war Landesbischöfin der lutherischen Kirche Hannovers (1999–2010) und Ratsvorsitzende der EKD (2009–2010).

KONTRA
Dass es einen „gerechten Krieg“ nicht geben kann, scheint inzwischen so weit Konsens zu sein, dass ein solcher Befund auf keinerlei Widerspruch stößt. Um eine abgedroschene Phrase, die gerne von Extremismusforschern benutzt wird, zu variieren: Der Pazifismus ist inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Ein Pazifismus, der die Abwesenheit von Krieg im eigenen Haus zur Voraussetzung hat. Denn so wie die Antifa nur dort gedeihen kann, wo es keinen organisierten Faschismus gibt, kann der Pazifismus sich nur dort ungehindert entfalten, wo die Wehrpflicht und alles, was mit ihr zusammenhängt, abgeschafft wurde.

Wobei der deutsche Pazifismus sich vor allem gegen jene richtet, die ihn mit ihrem militärischen Einsatz erst ermöglicht haben. Ohne die Intervention der Alliierten gäbe es keine Friedensbewegung in Deutschland, keine Ostermärsche, keinen Jürgen Todenhöfer, keine Margot Käßmann. Der Pazifismus des 21. Jahrhunderts ist ein Lebensstil, für dessen Kosten andere aufkommen. Es ist weniger die Liebe zum Frieden als vielmehr der Wunsch, sich die Hände nicht schmutzig machen zu müssen.

Wenn Margot Käßmann sagt, es könne keinen gerechten Krieg geben, selbst beim Zweiten Weltkrieg sei es so gewesen, dann rechtfertigt sie damit zwar nicht die Politik der Nazis, aber sie delegitimiert den Einsatz der Alliierten. Das ist mehr als nur ein wohlfeiler moralischer Rigorismus, dessen Protagonisten von einem Hochsitz aus die Zeitläufte kommentieren. Es ist der Revisionismus der gebildeten Stände, die es gelernt haben, ihre Ressentiments subtil zu formulieren. Und ein Nullsummenspiel, bei dem die Verbrechen der einen Seite gegen die Sünden der anderen verrechnet werden.

Henryk M. Broder (Berlin) ist (jüdischer) Publizist. Seit 2011 schreibt er regelmäßig Kolumnen für die Zeitungen „Die Welt“ und „Welt am Sonntag“.

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