Martin Lohmann: Wehe, du sagst die Wahrheit!

17. Juli 2014 in Buchtipp


Medien und Angst vor Aufklärung – Leseprobe aus dem Buch „Abtreibung. Ein neues Menschenrecht?“, herausgegeben von Bernward Büchner, Claudia Kaminski und Mechthild Löhr


Köln (kath.net) Sie klären auf. Sie geben sich angstfrei. Sie zeigen Mut vor Mächtigen. Vieles spricht dafür, dass die Verantwortlichen in den Medien ihrer Aufgabe nachkommen und den Auftrag zur Aufklärung ernst nehmen. Minister und Präsidenten werden gekippt, und es scheint so, als gebe es nichts Unabhängigeres als Medien in einer freiheitlichen Gesellschaft. Vor ihnen zittern Mächtige, vor ihnen gibt man sich freundlich. Nur einer scheint nicht vor ihnen zu zittern, hat keinen Grund, entlarvt zu werden: der Tod. Genauer: der Tod, der jährlich weit mehr als 100.000 noch nicht geborene Menschen allein in Deutschland trifft. Er hat wenig zu befürchten. Jedenfalls von den meisten einer angeblich so freien und unabhängigen Zunft, die sich mit dem Nimbus der Unerschrockenheit umgibt und ansonsten gerne unbequem ist. Beim Thema Lebensschutz ist das in der Regel anders. Hier gelten die Gebote der Aufklärung und des Nonkonformismus offenbar nicht. Warum?

Von einer tabufreien Zone, derer sich Journalisten gerne rühmen, kann nicht wirklich immer die Rede sein. Warum also gibt es hier, wenn es um Leben und Tod geht, eigentlich dann doch Tabus? Vielleicht nähern wir uns der Antwort in mehreren Schritten. Es gibt beides: die aufgeklärten Aufklärer und die tabubefangenen Nebelwerfer, bei denen sich aller Selbstüberheblichkeit zum Trotz Tabus so richtig wohl fühlen und regelrecht eingekuschelt haben. Und das, obwohl wir doch wissen, dass Tabus im aufgeklärten Europa nichts zu suchen haben und eher dort bleiben sollten, wo sie herkamen und vielleicht noch heimisch sind: in der Südsee. Der Duden sagt uns, das prädikative „tabu“ komme aus dem Polynesischen und stehe für verboten, unantastbar, unverletzlich. Und das Tabu sei ein Gebot bei Naturvölkern, besonders geheiligte Personen, Tiere, Pflanzen und Gegenstände zu meiden, und stehe für etwas, wovon man nicht sprechen darf.

Also gibt es dann doch Bezüge zu uns. Denn die Unantastbarkeit des Lebens zum Beispiel kennen wir aus dem Grundgesetz, wo sie gleichsam als unbedingtes Eingangstor zur demokratischen Freiheit in Verantwortung manifestiert ist. Jede Verletzung der Menschenwürde ist absolut tabu. Eigentlich. Theoretisch. Früher vielleicht. Doch wie tabu ist eigentlich heute noch diese Grunderkenntnis menschlichen Lebens? Ist daraus nicht längst ein Tabu geworden, getreu der soeben erwähnten Beschreibung von etwas, worüber man nicht reden darf? Ist das aber dann noch Aufklärung oder nicht gerade das Gegenteil dessen, was zur Klärung beitragen soll?

Wir sind bei der Frage, was Medien eigentlich sollen, wie ihre Aufgabe aussieht. Und wir nähern uns der Frage, ob und inwieweit Medienschaffende neben und mit all ihrer Freiheit Verantwortung haben für das, was in besonderer Weise mit dem Artikel 1 des Grundgesetzes eingefordert wird. Gibt es gar so etwas wie einen demokratiepolitischen Auftrag, den man in den Medien entdecken müsste und sollte? Es besteht wohl kein Zweifel, dass Medien das Bewusstsein der Menschen mehr und mehr prägen. Kein Wunder, denn es ist nun mal die vornehmste Aufgabe der Medien, schlichtweg abzubilden, was ist. Das heißt, Medien sind zur Information da, Medien sollen die Wirklichkeit so abbilden und gleichsam weiterreichen, wie sie ist. Doch genau da fangen Schwierigkeiten ja bereits an: Was ist wirklich? Wie ist das, was als Wirklichkeit gesehen wird, wirklich weiterzureichen? Wer sucht aus? Wer filtert? Was lohnt sich, abgebildet zu werden?

Was da im Bewusstsein konkret entstehen kann, ist selbst bei gebildeten Studenten an Medienhochschulen gelegentlich ablesbar. Etwa, wenn diese allen Ernstes davon überzeugt sind, dass die Abtreibung in Deutschland in den ersten drei Monaten erlaubt sei. Und das kann man den Studenten noch nicht einmal übel nehmen, denn schließlich hören und sehen sie aus den Medien nichts anderes als eben dies. Wenigstens kommt es so rüber. Und dann sind sie erkennbar erstaunt, wenn sie erfahren, dass die Tötung noch nicht geborener Menschen grundsätzlich verboten ist und lediglich unter bestimmten Voraussetzungen straffrei bleibt. Und diese Studenten merken dann auch sehr rasch, wie verantwortungsbewusst der Beruf des Journalisten eigentlich ist und wie sehr man ein klares Koordinatensystem benötigt, um dem eigenen medienethischen Anspruch gerecht werden zu können. Medien bestimmen Wirklichkeit mit. Falsche Begriffe und falsche Informationen schaffen falsches Bewusstsein, richtige schaffen richtiges Bewusstsein und wirkliches Erkennen.

Es geht letztlich darum, die Primärwirklichkeit als transportierte Sekundärwirklichkeit erkennbar werden zu lassen. Ein großer Auftrag, und eine nicht minder große Verantwortung. Bloß: Was ist heute noch erste Wirklichkeit, was ist abgebildete Wirklichkeit? Haben Medien nicht längst dazu geführt, dass sich das Bewusstsein von Wirklichkeit bei den Menschen an der angebotenen Sekundärwirklichkeit orientiert und diese Sekundärwirklichkeit in der Lage ist, die Primärwirklichkeit zu ersetzen? Ist es, um auf unser Thema zu kommen, nicht längst so, dass das, was in den Medien nicht vorkommt, auch im Bewusstsein der Menschen nicht vorhanden ist?

Niemand wollte ernsthaft bestreiten, dass der Einfluss der Medien heute unglaublich stark ist, und zwar überall. In Berlin und anderswo lässt sich nicht genau ausmachen, wer wen durch die Arena scheucht: die Medien die Politiker oder die Politiker die Medien. Wer bildet da noch ab, und wer biegt sich wen zurecht? Es wäre töricht, in einer medialisierten Welt die Macht und den Einfluss der Medien zu leugnen. Und ganz selbstverständlich schwebt noch immer über vielem medialen journalistischen Tun die selbstsichere Überzeugung, nicht nur unbestechlich und unabhängig zu sein, sondern stets im Dienste der scheuklappenfreien Aufklärung unterwegs zu sein.

Nehmen wir diesen Anspruch einmal unter die Lupe. Und beginnen wir bei der unbestechlichen Prüfung des ach so selbstverständlichen Profils beim kostbarsten Handwerkszeug, das der Journalist neben seiner berufsbedingten Neugier hat: bei der Sprache und dem Umgang mit ihr. Um eine erfreuliche Beobachtung vorwegzunehmen: Es hat sich an manchem Ort etwas gebessert. Heute gibt es vielleicht etwas weniger unverantwortlichen Umgang mit der Sprache als noch vor zehn Jahren, wenn es um die Abtreibung geht. Damals, als die Diskussionen sehr engagiert geführt wurden, sprach eine Moderatorin der Tagesthemen immer wieder von Schwangerschaftsunterbrechung – als könne man das „Unterbrochene“ irgendwann mühelos fortsetzen.

Noch einmal: Sprache schafft Bewusstsein, richtige Sprache schafft richtiges, falsche Sprache falsches Bewusstsein. Falscher Sprachgebrauch in den Massenmedien schafft massenhaft falsches Bewusstsein. Auch heute noch ist zu lesen oder zu hören, man habe in Deutschland seit mehr als zwanzig Jahren ein neues Abtreibungsrecht. Dabei würde eine kleine Recherche zu der Erkenntnis führen, dass es nach wie vor keineswegs ein Recht auf Abtreibung, also dass es nach wie vor in unserem vereinten Deutschland kein Recht auf Tötung eines anderen Menschen gibt. Dennoch ist die Sorgfalt diesbezüglich oft mangelhaft. Offenbar ist die Tatsache, dass Abtreibung Unrecht ist, aber unter bestimmten Bedingungen straffrei bleibt, für manchen aus meiner Zunft eine intellektuelle Überforderung.

Mit Aufklärung hat die Angst vor Genauigkeit nichts zu tun. Sie ist sogar das Gegenteil von Aufklärung. Und da es um nicht weniger als um Leben und Tod geht, dürfen hier journalistische Unachtsamkeiten nicht einfach übergangen werden.

Sprache ist kostbar, Sprache ist daher auch verletzbar. Ähnliches wie bei der Bewusstseinsverbiegung durch das gebrauchte Falschwort vom Abtreibungsrecht gilt übrigens auch, wenn es um die mit dem Anspruch des Respekts vorgetragene und eingeklagte Entscheidungsfreiheit der Frau geht. Niemand wollte bestreiten, dass es letztlich die Entscheidung der Frau ist, ein Kind zu bekommen oder nicht. Aber diese Entscheidungsfreiheit gilt eben nur bis zu dem Augenblick, in dem ein Kind schlichtweg schon da ist und im Mutterleib schon bekommen wurde. Und doch sind heute noch in Kommentaren und Reportagen Formulierungen selbstverständlich, die eine Entscheidungsfreiheit der Frau reklamieren, nachdem ihr Bauch längst nicht mehr ihr alleine gehört, sondern – so darf man es formulieren – zum Schutzhotel für den Wechsel vom ungeborenen zum geborenen Leben geworden ist. Entscheidungsfreiheit? Wenn ein anderer Mensch da ist, kein werdendes Leben, sondern vielmehr ein wachsender Mensch?

Niemals zuvor konnten Menschen so viel über sich und ihre Entstehung wissen wie heute. Wir wissen oder könnten es wissen, dass nach der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle alle Informationen zum Menschsein vorhanden sind, und wir müssten wissen, dass aus dieser Verschmelzung noch nie etwas anderes als ein Mensch gewachsen ist. Dennoch wird fröhlich ignoriert und weggeredet. Dennoch reden selbst kirchliche Persönlichkeiten fahrlässig von werdendem Leben statt von wachsendem Leben. Wann, so möchte man fragen, ist eigentlich das Leben eines Menschen kein werdendes mehr? Mit zehn Jahren? Mit fünfzig Jahren? Oder mit neunzig Jahren? Andersherum: Sind nicht alle Menschen letztlich immer neu werdendes Leben? Im Zusammenhang mit der Abtreibung hingegen ist diese sprachliche Heimtücke tödlich: Was erst wird, ist ja noch nicht – und kann eventuell weggemacht werden. Sprache kann eben gefährlich sein, manchmal sogar todgefährlich.

Wer den Respekt vor der Sprache nicht hat, respektiert auch die Menschen und deren Rechte nicht so, wie es ihnen eigentlich gebührt. Deshalb obliegt denen, deren erstes Handwerkszeug die Sprache ist, mehr Verantwortung im Umgang mit ihr als anderen. Erst recht dann, wenn sie mit ihrer Sprache das Denken und Handeln anderer beeinflussen können. Wer wie die Journalisten – Stichwort Pressefreiheit – mehr Freiheiten und mehr Freiheit genießt als andere, muss auch zu mehr Verantwortung bereit sein. Freiheit funktioniert nur mit Verantwortung. Viel Freiheit verlangt nach viel Verantwortung. Und viel Verantwortung erweist sich schließlich in hoher Sensibilität und angstfreiem Aufklären.

Ideologische, gedankliche oder mentale Scheuklappen sind kein Ausdruck von gelebter Freiheit und verstandener Verantwortung. Ist es eigentlich ein Zufall, dass das Wort Lebensschutz nach wie vor nicht jenen positiven Klang hat wie das Wort Umweltschutz? Die Lebensschützer in Deutschland können auch heute noch ein Lied davon singen, wie sehr sie bewusst in eine Ecke gedrängt werden sollen, die keineswegs positiv beleuchtet wird. Es ziemt sich offensichtlich in etlichen Redaktionen vielfach nicht, ehrlich und wenigstens objektiv über das edle Anliegen des Schutzes menschlichen Lebens und seiner Unantastbarkeit zu berichten, ohne nicht wenigstens im selben Beitrag Lebensschützer zu verunglimpfen, und sei es nur durch den wohlfeilen Hinweis, diese nähmen der Frau ja jede Entscheidungsfreiheit. Die Logik will es, dass der Umweltschutz ein Teil des viel umfassenderen Lebensschutzes ist. Doch die Unlogik der Diktatur des Relativismus will es, dass Umweltschutz positiv besetzt, Lebensschutz aber negativ besetzt sein soll.

Haben Medienverantwortliche überhaupt mal versucht, hier aufbauend wirkend tätig zu werden – durch entsprechende journalistische Aufklärung der Erkenntnis, dass Lebensschutz Umweltschutz beinhaltet und mehr beziehungsweise umfassender ist als ein Umweltschutz, der den elementaren Lebensschutz ausklammert? Wieso dürfen diejenigen, die sich für eine Kultur des Lebens einsetzen, eigentlich immer wieder als Fundamentalisten beschimpft werden, nur weil sie sich noch den humanen Luxus eines Fundaments leisten und als Fundamentbewusste alles andere als Fundamentalisten sind?

Allein manche Berichterstattung über den von Jahr zu Jahr wachsenden „Marsch für das Leben“, den der Bundesverband Lebensrecht in der Hauptstadt Berlin ausrichtet, ist ein Beweis für die Verklemmtheit mancher Berichterstatter, die einfach nicht wahrhaben wollen, wie sehr Freiheit nach Verantwortung verlangt – erst recht, wenn es um den Umgang mit der kostbaren Gabe der Sexualität geht, die eben auch ohne Freiheit und die damit verbundene Verantwortung ad absurdum geführt wird. Es heißt, dieses Verblendet-Sein sei möglicherweise ein Ausdruck schlechten Gewissens, da Berechnungen davon ausgehen, dass jede dritte Familie in Deutschland inzwischen unmittelbare Erfahrungen mit der Tötung noch nicht geborener Menschen habe. Es mag also eine gewisse Scheu geben, sich der Realität der Logik des Lebens zu stellen. Das wäre eine Erklärung, aber keine Rechtfertigung.

Was medial passieren kann, wenn Recherche durch Klischee ersetzt wird, konnte man schon zu Zeiten von Johannes Paul II. beobachten, der einmal nacheinander tödliche Fehlentwicklungen beschrieben hat. Seine deutlichen Worte waren: „Wenn der Mensch allein, ohne Gott, entscheiden kann, was gut und was böse ist, dann kann er auch verfügen, dass eine Gruppe von Menschen zu vernichten ist. Derartige Entscheidungen wurden z. B. im Dritten Reich gefällt von Menschen, die (…) sich dieser (der) Macht bedienten, um die perversen Programme der nationalsozialistischen Ideologie zu verwirklichen, die sich an rassistischen Vorurteilen orientierten.“ Und wenig später schreibt der damalige Papst: „An diesem Punkt kann man es nicht unterlassen, ein Problem anzusprechen, das heute außerordentlich aktuell und schmerzlich ist. Nach dem Sturz der Regime, die auf den Ideologien des Bösen aufgebaut waren, haben in ihren Ländern die eben erwähnten Formen der Vernichtung de facto aufgehört. Was jedoch fortdauert, ist die legale Vernichtung gezeugter, aber noch ungeborener menschlicher Wesen. Und diesmal handelt es sich um eine Vernichtung, die sogar von demokratisch gewählten Parlamenten beschlossen ist, in denen man sich auf den zivilen Fortschritt der Gesellschaften und der gesamten Menschheit beruft.“

Das andere vermeintlich unmögliche Zitat stammt von Kardinal Meisner, der an einem Dreikönigstag in seiner Predigt gesagt hat: „Es ist bezeichnend: Wo der Mensch sich nicht relativieren und eingrenzen lässt, dort verfehlt er sich immer am Leben: Zuerst Herodes, der die Kinder von Bethlehem umbringen lässt, dann unter anderem Hitler und Stalin, die Millionen Menschen vernichten ließen, und heute, in unserer Zeit, werden ungeborene Kinder millionenfach umgebracht. Abtreibung und Euthanasie heißen die Folgen dieses anmaßenden Aufbegehrens gegenüber Gott.“

Was war falsch an diesen Aussagen? Wirklich sagen konnte das niemand. Aber was Kampagnen sind, die mit angstfreier journalistischer Aufklärung nichts zu tun haben, konnte man tagelang beobachten. Und aktuellere Beispiele belegen: Daran hat sich nichts geändert. In Spiegel-online erscheint die nachweislich falsche Überschrift: „Kardinal Meisner vergleicht Abtreibungen mit Hitlers Verbrechen“. Sofort fordert jemand von der FDP die katholische Kirche auf, sich von Meisners Holocaust-Vergleich zu distanzieren. Claudia Roth, die Berufsempörte der Grünen, die eigentlich doch für das Leben sind, ereifert sich medienwirksam gegen den Kardinal und behauptet faktenwidrig, er habe die Opfer des Holocaust beleidigt, aber auch die Frauen, die sich in einer schwierigen existenziellen Notsituation befänden.

Klischees über Klischees, um nur ja nicht auf den eigentlichen Skandal schauen zu müssen. Der Kardinal hatte keineswegs den Holocaust relativiert, so wenig wie das Papst Johannes Paul II. getan hatte, dem man dasselbe vorwarf. Kardinal Ratzinger musste damals darauf hinweisen, dass es dem Papst lediglich darum gehe, zu warnen vor den „Versuchungen der Gegenwart, um nicht erneut in die Falle des Bösen zu geraten“. Auch Demokratien seien eben nicht immun gegen das Böse. Immerhin: Der Chefredakteur der Tageszeitung „Corriere della Sera“ entschuldigte sich im Namen der italienischen Presse dafür, dass in einigen Schlagzeilen der Eindruck erweckt worden sei, Johannes Paul II. hätte Abtreibung und Shoah gleichgesetzt.

Aufklärung oder Vernebelung? Gewiss, es ist störend und höchst unbequem, der Wirklichkeit des Lebens ins Auge zu blicken und in Fragen des Lebensschutzes einfach nur einmal angstfrei und scheuklappenlos hinzusehen. Unsere mental verklebte Gesellschaft will das offenbar nicht. Wie
sollte es da mühelos ihren Medien gelingen, die doch nur Teil dieser Gesellschaft sind? Doch es bleibt die Frage, wie sehr diese ihre Gesellschaft prägen und in die Irre führen, um dann selbst Teil dieser Gesellschaft sein zu können.

Man könnte sich übrigens auch über den heutigen Papst Benedikt XVI. empören. So sagte Joseph Kardinal Ratzinger 1991: „Wir sind heute Zeugen eines echten Krieges der Mächtigen gegen die Schwachen, eines Krieges, der auf die Eliminierung der Behinderten abzielt, derjenigen, die arm und ,unnütz’ sind, in allen Momenten ihrer Existenz. Unter Komplizenschaft der Staaten werden kolossale Mittel eingesetzt gegen Personen in der ersten Phase ihres Lebens (…).“ Das will man nicht hören. Es ist aber richtig und wirklich – und müsste entsprechend weiter getragen werden. Müsste. Wie auch das, was Hans Maier 1991 provozierend störend so formulierte: „Die Fristenregelung ist nichts anderes als der letzte Reflex jener alten, auf Aristoteles zurückgehenden Theorie, die zwischen der unbelebten und der belebten Frucht unterscheidet, mit der Folge einer qualitativ anderen Behandlung beider (Tötungserlaubnis im einen, Lebensschutz in anderen Fall). Während sich aber Menschen früherer Zeiten auf einen Erkenntnisnotstand berufen konnten, leben wir Heutigen nicht mehr in der Unschuld des Nichtwissens: Nach der Aufklärung kann man nicht mehr „nach bestem Wissen und Gewissen“ menschliches Leben töten; Die Fristenregelung wird jetzt, wie der Aggressionskrieg, zum
überlebten archaischen Ritual.“

Auch Papst Franziskus findet da deutliche Worte, die aber von manchen geflissentlich überlesen und überhört zu werden scheinen. In seinem Lehrschreiben Evangelii Gaudium heißt es in den Ziffern 213 und 214: „Unter d(ies)en Schwachen, deren sich die Kirche mit Vorliebe annehmen will, sind auch die ungeborenen Kinder. Sie sind die Schutzlosesten und Unschuldigsten von allen, denen man heute die Menschenwürde absprechen will, um mit ihnen machen zu können, was man will, indem man ihnen das Leben nimmt und Gesetzgebungen fördert, die erreichen, dass niemand das verbieten kann. Um die Verteidigung des Lebens der Ungeborenen, die die Kirche unternimmt, leichthin ins Lächerliche zu ziehen, stellt man ihre Position häufig als etwas Ideologisches, Rückschrittliches, Konservatives dar. Und doch ist diese Verteidigung des ungeborenen Lebens eng mit der Verteidigung jedes beliebigen Menschenrechtes verbunden. Sie setzt die Überzeugung voraus, dass ein menschliches Wesen immer etwas Heiliges und Unantastbares ist, in jeder Situation und jeder Phase seiner Entwicklung. Es trägt seine Daseinsberechtigung in sich selbst und ist nie ein Mittel, um andere Schwierigkeiten zu lösen. Wenn diese Überzeugung hinfällig wird, bleiben keine festen und dauerhaften Grundlagen für die Verteidigung der Menschenrechte; diese wären dann immer den zufälligen Nützlichkeiten der jeweiligen Machthaber unterworfen. Dieser Grund allein genügt, um den unantastbaren Wert eines jeden Menschenlebens anzuerkennen. Wenn wir es aber auch vom Glauben her betrachten, dann ‚schreit jede Verletzung der Menschenwürde vor dem Angesicht Gottes nach Rache und ist Beleidigung des Schöpfers des Menschen‘.“

Und weiter: „Gerade weil es eine Frage ist, die mit der inneren Kohärenz unserer Botschaft vom Wert der menschlichen Person zu tun hat, darf man nicht erwarten, dass die Kirche ihre Position zu dieser Frage ändert. Ich möchte diesbezüglich ganz ehrlich sein. Dies ist kein Argument, das mutmaßlichen Reformen oder ‚Modernisierungen‘ unterworfen ist. Es ist nicht fortschrittlich, sich einzubilden, die Probleme zu lösen, indem man ein menschliches Leben vernichtet. Doch es trifft auch zu, dass wir wenig getan haben, um die Frauen angemessen zu begleiten, die sich in sehr schweren Situationen befinden, wo der Schwangerschaftsabbruch ihnen als eine schnelle Lösung ihrer tiefen Ängste erscheint, besonders, wenn das Leben, das in ihnen wächst, als Folge einer Gewalt oder im Kontext extremer Armut entstanden ist. Wer hätte kein Verständnis für diese so schmerzlichen Situationen?“

Theoretisch und grundsätzlich ist übrigens auch rechtlich generell alles klar geregelt. Heißt es im Artikel 2 des Grundgesetzes nicht, dass jeder in unserem Staat ein Recht auf Leben hat? Geborene und Ungeborene. Diese weise Erkenntnis hatte man bereits in der Zeit der Aufklärung. Im Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 findet sich der Satz: „Die allgemeinen Rechte der Menschheit gebühren auch den noch ungeborenen Kindern schon von der Zeit ihrer Empfängnis“. Es ist anzunehmen, dass zu den allgemeinen Rechten der Menschheit das wichtigste Recht gehört: das Recht auf Leben. So gesehen haben und hätten Medien und ihre Aufklärer allen Grund, gerade in Fragen des Lebensschutzes völlig tabufrei jede Angst vor Aufklärung mutig abzubauen – um echte Aufklärer im Sinne der Wirklichkeit des Lebens und seines Schutzes zu werden. Viele sind es. Aber viel zu viele sind es nicht. Noch nicht.

Der Anspruch von Freiheit und Verantwortung gilt ebenso wie der Eid des Hippokrates, auch wenn viel zu viele Ärzte seine Gültigkeit als Verblendete unterlaufen: „Ich werde niemandem, nicht einmal auf ausdrückliches Verlangen, ein tödliches Medikament geben, und ich werde auch keinen entsprechenden Rat erteilen; ebenso werde ich keiner Frau ein Abtreibungsmittel aushändigen.“

Vielleicht bräuchten wir einen Medien-Eid. Der könnte so lauten: Ich weiß mich der Freiheit in Verantwortung verpflichtet und werde niemals meine Pflicht zur Sorgfalt vernachlässigen. Ebenso werde ich alles unterlassen, was der Unantastbarkeit der Würde des Menschen schadet und das Lebensrecht missachtet. Ich werde stets ohne Angst für das Leben aufklären, auch wenn es unbequem oder ruhestörend wirkt. Ich werde keine Information unterdrücken oder verfälschen, die dem Lebensschutz dient. Ich bin mir immer meiner besonderen Verantwortung für das Leben und die verantwortete Freiheit bewusst.“

Es gibt keine Entschuldigung für gezielte Wissensverweigerung und kultiviertes Nichtwissen-Wollen. Es gibt aber allen Grund für echte Aufklärung. Unabhängige, souveräne, freie, aufgeschlossene, neugierige und aufgeklärte Menschen haben davon wahrlich keine Angst. Doch es herrscht nicht selten eine regelrechte Wahrheitsphobie bei manchen Medienverantwortlichen vor, wobei man sich geradezu panisch davor fürchtet, Wirklichkeit zu sehen, zu hören oder gar erkennen zu wollen. Es sind Medien und ihre Verantwortlichen, die sich schwer mitschuldig machen an der Installation einer Unkultur des Todes, wenn sie zu wenig oder gar nicht aufklären über die Kostbarkeit und die Verletzbarkeit des Lebens, das von seiner Zeugung bis zum natürlichen irdischen Ende einen Anspruch auf Unantastbarkeit hat. Tragischerweise kommen sie diesem Auftrag weder vor der Geburt eines bereits vorhandenen wachsenden Menschen noch am Lebensende ausreichend nach. Die kommenden Jahre werden auch hier entscheidende Jahre sein. Nicht nur, weil der Skandal und die Grausamkeit der Abtreibung geleugnet werden, und nicht nur, weil Wort und Inhalt der Euthanasie wieder salonfähig geworden zu sein scheinen. An dem Grad des Respekts vor jedem Menschenleben entscheidet sich auch die Überlebensfähigkeit einer Kultur. Und diese hat nur dann eine Chance, wenn möglichst viele, vor allem Medienschaffende, den Mut haben zu einer Kultur des Lebens. Es kann und darf keine Angst vor der Wahrheit geben. Denn: Veritas liberbit vos – die Wahrheit wird euch frei machen (Joh 8,32).

kath.net-Buchtipp
Abtreibung. Ein neues Menschenrecht?
Von Bernward Büchner; Claudia Kaminski; Mechthild Löhr
Taschenbuch, 262 Seiten;
2014 Sinus, Bellheim
ISBN 978-3-88289-812-5
Preis 15.30 Eur

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