Sexualität ist kein sich verselbständigender Aspekt des Körpers

3. August 2014 in Deutschland


Passauer Bischof Stefan Oster stieß auf Facebook eine Diskussion über Sexualität an - Sexualität „bedarf ebenfalls der Kultivierung, der Personalisierung, der Reifung“ und nicht zuletzt auch „der Erlösung“ (Teil 1)


Passau (kath.net) „Unsere Sexualität ist… auf der einen Seite die wundervolle Möglichkeit, sich einem anderen Menschen zu schenken, dabei zutiefst gemeinsam Lust und Freude und Liebe zu erfahren, und dabei obendrein teilhaben zu dürfen, am Geheimnis des Lebens und der Lebensweitergabe. Sie ist aber zugleich – bei jedem Menschen – mitbetroffen, gewissermaßen kontaminiert, von unserem egoistischen Bedürfnis, den anderen Menschen primär zur eigenen Befriedigung zu benutzen und zu gebrauchen.“ Dies schrieb der Passauer Bischof und frühere Dogmatikprofessor Stefan Oster (Foto) auf Facebook. „Sexualität ist also nicht einfach nur gegeben und dann ist sie wie sie ist, sondern sie bedarf ebenfalls der Kultivierung, der Personalisierung, der Reifung.“ Aus der Sicht des Glaubens, erläuterte Oster weiter, bedürfe Sexualität „eben auch der Erlösung – weil sie selbst ein wichtiger Aspekt der menschlichen Unerlöstheit ist, also der menschlichen Unfähigkeit, Gott und den anderen wirklich „umsonst“ zu lieben. Sexualität ist deshalb nicht einfach ein sich verselbständigender Aspekt des Körpers, den wir abspalten und mal eben benutzen könnten - ohne uns dabei selbst und dem Sexualpartner zu schaden. Sie gehört vielmehr zum ganzen Menschen, als Ausdruck seines Personseins. Das ist – sehr knapp skizziert – das Menschenbild, das ich im Glauben der Kirche auch im Blick auf diese Punkte vertrete. Das muss man nicht teilen, aber es ist wesentlich, um zu verstehen, warum hier so argumentiert wird.“

Einleitend hatte Oster zuvor schon festgestellt, es gehe ihm in der Facebook-Diskussion über die Sexualität „zunächst vor allem darum, immer wieder vorgetragene, manchmal sehr plakative Vorwürfe an Glaube und Kirche zu entkräften – und zwar mit Argumenten. Unser Glaube ist nicht unvernünftig – und das, was aus ihm als Lebenspraxis folgt, auch nicht. Das zu vermitteln ist eines der Hauptanliegen, die ich hier verfolge.“

Dabei gehe es ihm um die Beziehung zu Christus. „Die steht im Zentrum unseres Glaubens. Und es ist leider so: Wer in unserem Gespräch davon nicht mit ausgeht, der wird im Verstehen fast notwendigerweise in zentralen Aspekten eher außen vor bleiben. Es ist wie in einer menschlichen Beziehung: Wenn ich von außen – ohne inneres Vertrauen und ohne Einfühlung – urteilend auf eine Beziehung zwischen zwei Menschen schaue, bleiben meinem Urteilsvermögen notwendig wichtige Dimensionen dieser Beziehung verborgen. Aber von innen her gesehen, aus der Mitte der Beziehung selbst, wenn ich an ihr teilnehmen darf, verändert sich mein das Urteil. Die Vernunft, von der hier die Rede ist, ist also eine Vernunft, die nicht bloß losgelöste, äußerlich beobachtende Rationalität ist, sondern sie erwächst als Einsicht, die von konkretem (Gott-)Vertrauen mitgetragen ist.“

„Der Glaube sagt uns nun, dass Christus aus der Welt Gottes in eine Welt kommt, die zwar von Gott geschaffen wurde, in der sich die Menschen aber insgesamt von Gott abgewendet haben“, so Oster, sie seien „aus der Innigkeit der Beziehung mit Gott herausgefallen, was die Hl. Schrift in tiefen, eindringlichen Bildern der Schöpfungserzählung darstellt und was dann am Ende z.B. im Bild von der ‚Vertreibung aus dem Paradies‘ (Gen 3,24) zum Ausdruck kommt. Der Mensch aber, der nicht mehr in der Innigkeit der Beziehung lebt, ist ein anderer geworden. Und zwar nicht nur innerlich, sondern als ganzer Mensch. Er ist ursprünglich dafür gemacht, Gott mit ganzem Herzen zu lieben und den Nächsten wie sich selbst. Aber er findet sich, außerhalb dieser Beziehung als jemand vor, der zunächst sich selbst in einer Weise ‚liebt‘, dass Gott und der andere Mensch in dieser Selbstbezogenheit nur schwerlich Platz finden.“ Dies bedeute, dass der Mensch in einem bestimmten Sinn liebesunfähig geworden sei, „wenn Liebe bedeutet: Gott und den anderen Menschen wirklich um seinetwillen zu lieben (Mk 12,31-32) – und nicht zuerst deshalb, weil ich mir davon irgendeinen Zugewinn oder Lustgewinn verspreche.“

Gott komme also in Christus in eine Welt, die ihm fremd geworden ist, genau deshalb komme er ja. „Er kommt aus der Welt Gottes in diese Welt, in der auch der Mensch seinem Gott zutiefst fremd geworden ist (Joh 1, 11: ‚Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf‘). Und Christus hat genau dieses Ziel: Alles, die ganze Schöpfung, mit Gott zu versöhnen (vgl. z.B. Kol 1,16-20), sie zurückzuführen in das Reich seines Vaters. Er kommt, um den Menschen das ‚Reich Gottes‘ neu zu eröffnen, sie letztlich ‚ins Paradies‘ zurückzuführen, in die große Versöhnung mit Gott und seiner ganzen Schöpfung. Aber dazu müssten wir im Grunde genommen Menschen sein, die Gott über alles lieben, mit ganzem Herzen, ganzer Kraft, ganzem Verstand - und den Nächsten wie uns selbst. Wenn wir das könnten, dann wären wir zutiefst fähig, diese Welt Gottes auch wahrzunehmen, in ihr innerlich auch jetzt schon zu wohnen und in Gott zu bleiben. Denn das Reich Gottes ist etwas, was vor allem in uns zu wachsen beginnt (Lk 17,21). Und um das damit nun zu beantworten: Ja, aus dieser Sicht ist meine Position durchaus weltfremd, weil sie ihren Gehalt zuerst aus dem Glauben, d.h. aus der Welt Gottes, aus Christus, aus der Heiligen Schrift empfängt. Und eben nicht zuerst aus dem, was nur diese Welt (ohne Gott) z.B. so über Sex denkt.“

„Unsere Liebesfähigkeit ist also zutiefst erlösungsbedürftig, heilungsbedürftig. Wir brauchen Befreiung aus dem beständigen Kreisen um uns selbst, aus dem primären Eingedrehtsein auf mich und meine eigenen, meist vordergründigen Bedürfnisse hin. Was nun speziell die Sexualität angeht: die Gebrochenheit unserer Liebesfähigkeit, der Riss, der sich da durchzieht, der zieht sich zugleich mitten durch unsere Sexualität, eben weil sie ursprünglich dafür geschaffen ist, ebenfalls tiefer Ausdruck unserer Hingabe zu sein.“

Der Glaube in der Kirche schenke nun „die Möglichkeit folgender Erfahrung: Wenn ich Christus wirklich vertrauen lerne, wenn ich in der Freundschaft mit ihm zu leben beginne, wenn ich ihn suche, ihn lieben will und liebe, wenn ich sein Wort in mir aufnehme, wenn ich aus seinen Sakramenten lebe, wenn ich akzeptiere, dass auch ich ein erlösungsbedürftiger Sünder bin, der sein Heil aus der Vergebung durch Christus umsonst geschenkt bekommt.... dann wächst in meinem Herzen mehr und mehr wirklich die Fähigkeit zur Liebe umsonst, d.h. zur Liebe zu Gott und den anderen Menschen um ihretwillen.“ Dann werde „nach und nach auch mein sexuelles Verlangen integriert in ein ganzmenschliche Befähigung zur ganzmenschlichen Liebe, zur Treue, zur Vergebung, zur Heilung, zur Freude.“

Ausdrücklich wies Bischof Oster die Leser der Facebookdiskussion darauf hin: „Und nicht dass hier gleich völlig unrealistische Erwartungen geweckt werden: das Geschilderte bleibt ein Weg, ein Weg der Reifung und Vertiefung, der in diesem irdischen Leben nicht an ein Ende kommt, der auch immer wieder der Vergebung bedarf. Und es bleibt oftmals auch ein Kampf. Aber es gibt sehr konkretes Wachstum in alledem und die Erfahrung der Gnade, die Erfahrung, jetzt schon zu Christus und seinem Reich gehören zu dürfen. Diese Erfahrung und das damit einhergehende Vertrauen wünsche ich jedem von Ihnen von Herzen!“

Foto Bischof Oster (c) Bistum Passau

Bayrischer Rundfunk: Pater Stefan Oster, zukünftiger Bischof von Passau




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