22. März 2003 in Weltkirche
Marie-Ange Siebrecht von "Kirche in Not / Ostpriesterhilfe" im Interview über Sri Lanka nach dem ersten Friedensjahr.
Königstein (www.kath.net/KIN)
Frau Siebrecht, Sie kommen gerade von einer Reise durch Sri Lanka zurück. Wie sieht es dort heute, gut ein Jahr seit dem Waffenstillstand zwischen Singhalesen und Tamilen, aus?
Siebrecht: Wir haben gar nicht gewusst, dass es während der zwanzig Jahre des Bürgerkriegs so schlimm war. Hier in Europa hat man nur von Bombenanschlägen in Colombo gehört. Das Tamilen-Gebiet ist total zerstört worden. Aber seit dem Waffenstillstand herrscht Frieden im Land. Man kann sich wieder bewegen. Und langsam kommen einige Flüchtlinge zurück.
Sehen Sie Fortschritte im Verhältnis der verfeindeten Bevölkerungsgruppen?
Siebrecht: Seit einem Jahr hat es keine größeren Probleme gegeben. Beide Parteien sind willens, zu einem Kompromiss zu kommen. Das ganze Volk wünscht sich Frieden, auch die Rebellen von der „Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE)“. Zu diesem Zeitpunkt gibt es große Hoffnung für das Land.
Worüber wird jetzt verhandelt?
Siebrecht: Die Tamilen, meist Hindus, etwa 18 Prozent der Bevölkerung, wollen ihre Unabhängigkeit, die sie vielleicht im Rahmen eines föderalistischen Staates bekommen werden, aber bis dahin dauert es noch Jahre. Sie wurden wirklich von den Singhalesen, dem überwiegend buddhistischen Mehrheitsvolk diskriminiert, was vor allem in der Ausbildung spürbar war. Es wurden Quoten gesetzt. In der Universität gab es viel mehr Plätze für die singhalesische „Elite des Landes“ als für die Tamilen.
Traumatisierte Menschen
Hunderttausende Flüchtlinge haben das Land verlassen. Es gibt aber auch viele Vertriebenen im Land selbst. Können sie jetzt in ihre Heimat zurückkehren?
Siebrecht: Man versucht, die Leute wieder in ihre Heimatorte zu bringen, obwohl noch sehr viele Gegenden vermint sind. Die UNO und die Europäische Kommission haben Entminungsprogramme, aber es geht nur sehr langsam voran. Keiner weiß, wo die Minen sind, weil sie von beiden Seiten gelegt wurden – von der Regierung und von der LTTE. Entlang der Straße in die Tamilenhochburg Jaffna ist noch alles vermint.
Was wird aus den Kindersoldaten?
Siebrecht: Die Kindersoldaten gibt es noch. Während unseres Besuchs hat der Bischof von Trincomalee-Batticaloa öffentlich appelliert, dass Kinder unter achtzehn Jahren nicht mehr von der LTTE einberufen werden. Sie haben versprochen, sich daran zu halten, aber - diese Kinder werden nicht entlassen. Sie werden in Spezialschulen ausgebildet: schulisch und militärisch. Das sollte langsam weniger werden, es wurde sogar versprochen, damit aufzuhören.
Hat der lange Bürgerkrieg die Menschen traumatisiert?
Siebrecht: Es gibt viele Beratungsprogramme von Ordensschwestern, weil die Menschen alle erhebliche psychische Schäden davongetragen haben. Viele unter ihnen sind zwanzig Jahre lang in Lagern interniert gewesen. Die Kirche bemüht sich ferner um Versöhnung zwischen den Bevölkerungsgruppen. Wir haben in der mehrheitlich singhalesischen Diözese Anuradhapura an einem Seminar teilgenommen, wo jüngere Leute aus der vorwiegend tamilischen Diözese Mannar sich mit der örtlichen Jugend getroffen haben.
Katholiken werden diskriminiert
Was kam dabei heraus?
Siebrecht: Obwohl sie mit großer Angst dahin kamen, lautete das Fazit: „Wir wussten nicht, dass diese Leute nett sind. Wir verstehen sie nicht, weil sie nicht die gleiche Sprache sprechen. Aber sie haben uns aufgenommen und sie sind wie wir.“ Nur auf dieser Ebene, mit kleinen Schritten, kann Normalität wieder hergestellt werden und hier hat die katholische Kirche eine große Rolle zu spielen. Die Kirche ist auch politisch sehr engagiert: Da alle Bischöfe zusammenhalten und es in der Kirche keine Kluft zwischen Norden und Süden gibt, zeigen sie allen Parteien am eigenen Beispiel, dass es gelebte Versöhnung gibt.
Wie beurteilen Sie die Lage der katholischen Kirche inmitten der anderen Religionen?
Siebrecht: Abgesehen vom Norden ist die Lage der katholischen Kirche schlecht. Die Buddhisten im Süden sind sehr fundamentalistisch und man kann von einer Diskriminierung der katholischen Kirche sprechen, vor allem in den singhalesischen Gebieten wie Anuradhapura, Galle, Kandy und Badulla. Mehr als die Hälfte der Katholiken leben in der Erzdiözese Colombo, alsoin der durch den heiligen Franz Xaver evangelisierten süwestlichen Küstenregion. Dort findet man Städte wie Negombo, die vollständig katholisch sind.
Gibt es eine Bedrohung seitens der Moslems?
Siebrecht: Nein, die Moslems sind überhaupt nicht fanatisch - noch nicht. Aber sie werden mehr. Man sagt, dass im Jahr 2090 Sri Lanka mehrheitlich moslemisch sein wird. Außerdem sind die in Sri Lanka lebenden Moslems nicht nur von der religiösen Zugehörigkeit her moslemisch, sie werden als ethnische Gruppe anerkannt. Zur Zeit sind sie genauso zahlreich wie die Katholiken und stellen etwa sieben Prozent der Bevölkerung.
Viele Familien sind zerrüttet
Sind wir im Westen über Sri Lanka richtig informiert?
Siebrecht: Für mich war es sehr wichtig, dorthin zu reisen um vor allem die Situation im Norden des Landes zu sehen. Im Westen zählen eigentlich nur die Toten, sonst erfährt man nichts. Wir haben Dörfer gesehen, wo nur ein Teil der Kirche noch stand und ansonsten gar nichts: um Jaffna herum, in Trincomalee oder in Mannar war das gleiche zu beobachten. Die Natur wächst sehr schnell in diesen Ländern – aber ein Priester zeigte uns an Ort und Stelle Plätze, wo die Häuser nicht nur ausgebombt, verbrannt, sondern auch bis zum letzten Nagel geplündert wurden.
Viele Inselbewohner sind vor dem Krieg ins Ausland, vor allem nach Indien, geflüchtet ...
Siebrecht: ... und meist arbeitet nur der Vater oder die Mutter im Ausland. Die Familien sind zerrüttet. Wir haben vom Vatikanbotschafter gehört, dass es viele Väter gibt, die ihre Kinder misshandeln, nicht nur physisch sondern auch sexuell. Um diese Probleme in den Griff zu kriegen, müssen wir etwas tun.
Wie kann „Kirche in Not“ der Bevölkerung helfen?
Siebrecht: Unsere Hilfe gilt vor allem den Versöhnungsprojekten, aber auch den Priesterseminaren und den kontemplativen Schwestern, die es in vielen Bistümern gibt und die sonst von niemandem Hilfe bekommen. Wir haben Schwestern besucht, die in völlig desolaten Häusern leben, voller Schlangen, ohne Dach. Und natürlich gilt es, die zerbombten Kirchen und Klöster wieder aufzubauen, um den Menschen wieder geistliche Zentren zu geben, in denen Hoffnung und Versöhnung gepredigt werden. In Gebiete, in denen Priester und Schwestern starker Bedrohung ausgesetzt sind, unterstützen wir die Entsendung von Laien zur Wahrnehmung seelsorgerischer Aufgaben.In den letzten fünf Jahren haben wir die Bischöfe Sri Lankas mit etwa 1,2 Millionen Euro unterstützt.
Marie-Ange Siebrecht leitet das Referat Afrika-Asien des internationalen katholischen Hilfswerks Kirche in Not/Ostpriesterhilfe. Das Gespräch führte Zoreslawa Kowal.
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