Kirchenstreit um die Unauflöslichkeit der Ehe

3. Oktober 2014 in Weltkirche


Bei der kommenden Bischofssynode geht es nicht ausschließlich um die Familie und die Unauflöslichkeit der Ehe, sondern es steht auch das Selbstverständnis der Kirche in einer säkularisierten Gesellschaft infrage. Gastkommentar von Martin Grichting


Chur (kath.net) Die Kuratoren der Ausstellung «Lux in arcana» hatten ein glückliches Händchen. Denn unter die 2012 auf dem römischen Kapitol ausgestellten exzellenten Stücke aus dem Vatikanischen Geheimarchiv nahmen sie auch ein mit 81 Siegeln bewehrtes Pergament aus dem Jahr 1530 auf. Dessen Absender waren Mitglieder des englischen Oberhauses, die auf Clemens VII. Druck ausüben wollten. Verbunden mit der Drohung, sie würden anderweitig für Abhilfe sorgen, verlangten sie vom Papst, er solle die Ehe Heinrichs VIII. mit Katharina von Aragón für nichtig erklären.

Wenn bei der am kommenden 5. Oktober im Vatikan beginnenden Bischofssynode die «Familie im Kontext der Neuevangelisierung» auf der Tagesordnung steht, geht es somit seit den Zeiten Heinrichs VIII. wieder einmal um die Frage nach der Unauflöslichkeit der Ehe. Und auch diesmal sind breit abgestützte Bittschriften nach Rom gesandt worden, verbunden − wie schon vor 500 Jahren − mit gelehrten Abhandlungen, die ein Abweichen von der bisherigen Lehre für angezeigt halten.

An vorderster Front hat Kardinal Walter Kasper im vergangenen Februar vor dem Kardinalskollegium darzulegen versucht, weshalb zivilrechtlich Geschiedene und Wiederverheiratete seitens der Kirche zur Kommunion zuzulassen seien. Seine Forderung bedeutet letztlich, dass die katholische Kirche − trotz dem Weiterbestehen der ersten Ehe − eine zweite intime Lebensgemeinschaft legitimieren und die Unauflöslichkeit der Ehe damit preisgeben solle. Wie schon seine Vorgänger hatte auch Clemens VII. dies abgelehnt, gestützt auf das Wort Jesu Christi: «Wer seine Frau aus der Ehe entlässt und eine andere heiratet, begeht ihr gegenüber Ehebruch» (Markus 10, 11–12).

Was im Vatikan zur Debatte stehen wird, ist somit keine neue Fragestellung. Neu sind nur die Petenten. In der Vergangenheit waren es gekrönte Häupter − nicht erst Heinrich VIII., sondern bereits im 10. Jahrhundert etwa der byzantinische Kaiser Leo VI. −, welche die Kirche zur Legitimierung von Scheidung und Wiederverheiratung zwingen wollten. Bedingt durch die seither eingetretene Demokratisierung, ist nunmehr das Volk der Souverän. Sich dem Willen dieses Souveräns zu beugen, heisst heute, mehrheitsfähig zu sein. Es kann darum nicht überraschen, dass die Forderung nach der Aufweichung der Unauflöslichkeit der Ehe gegenwärtig vor allem von Theologen und Bischöfen stammt, in deren Ländern die Kirche eine besondere Nähe zum Staat hat. Ähnlich wie die Staatskirchen der Orthodoxen, der Anglikaner und der Skandinavier geniesst heute die Kirche in den deutschsprachigen Ländern staatskirchenähnliche Privilegien, nicht zuletzt pekuniäre.

Nun werden Staatskirchen nicht nur beherrscht. Es wird ihnen auch zur Herrschaft verholfen. Und für manche gilt es nun offenbar, diese Herrschaft, notfalls auch auf Kosten der Substanz, zu verteidigen. Man muss nicht so weit gehen wie Karl Marx, der im Vorwort zur ersten Auflage von «Das Kapital» 1867 geschrieben hatte: «Die englische Hochkirche verzeiht eher den Angriff auf 38 von ihren 39 Glaubensartikeln als auf ¹/39 ihres Geldeinkommens. Heutzutage ist der Atheismus selbst eine Culpa levis, verglichen mit der Kritik überlieferter Eigentumsverhältnisse.» Es reicht schon, an kürzlich geäusserte Sätze des Generalsekretärs der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz zu erinnern. Dieser riet den kirchensteuerfinanzierten Konfessionen, sie müssten «extreme, intern und/oder nach aussen hin polarisierende (. . .) Formen von religiösem Ausdruck oder religiöser Präsenz (. . .) zurückbinden», wenn sie an den steuerlichen Wohltaten weiterhin interessiert seien.

Bei der kommenden Bischofssynode geht es deshalb nicht nur um die Familie und die Unauflöslichkeit der Ehe. Das Selbstverständnis der Kirche in einer säkularisierten Gesellschaft steht infrage. In seiner Konzerthausrede in der kirchensteuerfinanzierten Erzdiözese Freiburg im Breisgau hatte Papst Benedikt XVI. 2011 bekanntlich zum Entsetzen der Funktionäre das Bild einer «entweltlichten» Kirche entworfen, die sich nicht um der Privilegien willen Ansprüchen beugt, die dem Evangelium widersprechen. Und Papst Franziskus plädiert für eine «arme Kirche für die Armen». Beides klingt nicht nach einem Kampf um Machterhalt, sondern nach dem Ringen um den Primat des Evangeliums − schlimmstenfalls auch, wie in England vor 500 Jahren, um den Preis bedeutender Verluste.

Der Verfasser, Prälat Kan. Dr. iur. can. habil. Martin Grichting, ist der Generalvikar des Bistums Chur.

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2014 Echter
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