8. Oktober 2014 in Spirituelles
Die Seele eines Löwen Mütter und Väter haben ihr Leiden und ihre Schwäche für die Bekehrung und Rettung der Kinder und Kindeskinder aufgeopfert und im Leiden den Segen des Opfers empfangen dürfen. Gastbeitrag von Michael Schneider-Flagmeyer
Köln (kath.net/Forum Deutscher Katholiken) Als der große Philosoph Dietrich von Hildebrand auf dem Sterbebett lag, sagte er zu seiner Frau Alice. Ich bin ein Löwe gewesen, aber jetzt bin ich ein hilfloses kleines Wesen. Dann atmete er tief durch und flüsterte: Aber du weißt, du weißt, meine Seele ist noch immer ein Löwe. (Alice von Hildebrand: Die Seele eines Löwen. Dietrich von Hildebrand. Düsseldorf 2003. Vorwort von Joseph Kardinal Ratzinger, S.4)
Was für eine Erkenntnis eines sehr alten sterbenden Menschen! Dieser wunderbare Ausspruch erinnert uns daran, was wir sind und was wir in Ewigkeit sein werden. Wir sind die Jünger und die Schwestern und Brüder des Löwen aus dem Stamme Juda, Jesus Christus (Apk 5,5: Gesiegt hat der Löwe aus dem Stamme Juda, der Spross aus der Wurzel Davids). Er hat gelebt auf Erden, gelitten und ist gestorben und auferstanden und sein Sieg ist der Sieg über Tod und Hölle. Wir haben jetzt schon ein Angeld auf Jesu Sieg und sind dazu berufen, wie dieser Löwe von Juda mit unseren bescheidenen Kräften für das Reich Gottes zu arbeiten und zu kämpfen mit der geistlichen Waffenrüstung, die der heilige Paulus uns im Epheserbrief (6,12-18) verordnet hat.
Mit der Waffenrüstung hat Gott zugleich eine Löwenseele verliehen, die mutig dem Löwen aus dem Stamme Juda nachfolgt und bereit sein kann, den guten Kampf zu bestehen und den schmalen und dornigen Weg nach oben zu gehen. Schmal und dornig ist dieser Weg wahrhaftig. Je weiter wir voranschreiten, desto mehr nehmen unsere Kräfte ab. Aber je höher wir kommen, umso schöner wird die Aussicht.
Unser Leben währet 70 Jahre und wenn es hoch kommt, sind es 80 Jahre und wenn es köstlich war, so war es Mühe und Arbeit, lehrt uns die Heilige Schrift. Die Grenze nach oben hat sich verschoben. Viele Leben währen heute über 90 Jahre und viele Menschen stöhnen unter der Last der Jahre und können sie nicht als Segen empfinden. Und zahllosen Menschen wird heute mehr denn je durch Politik, Medien und leider auch durch Teile der Wissenschaft bedeutet, dass sie für die Gesellschaft, in der immer mehr das Nützlichkeitsprinzip gilt, eine Last und ein unerträglicher Kostenfaktor geworden sind wie die behinderten Menschen auch, denen man nun sogar das Geburtsrecht verweigern will durch pränatale Diagnostik und Abtreibung.
Am 28. September 2014 hat Papst Franziskus mit 40.000 Senioren aus zwanzig Ländern auf dem Petersplatz in Rom das Fest der alten Menschen gefeiert, um die Menschen im Tragen der Last des Alters zu stärken und den Segen des Alters für die Alten aber auch für alle Menschen einsichtig zu machen. kath.net hat berichtet.
Schauen wir doch einmal wieder in die Heilige Schrift, in der es viele Verheißungen über Jugend und Alter gibt. Flehentlich bittet der Psalmist (Ps 71,9) Verwirf mich nicht, wenn ich alt bin, verlass mich nicht, wenn meine Kräfte schwinden. Diesem Flehen antwortet Gott (Ps 92, 13-15): Der Gerechte gedeiht wie die Palme Sie tragen noch Frucht im Alter und bleiben voll Saft und Frische. Und in Psalm 103,5b: Wie dem Adler wird dir die Jugend erneuert.
Es gibt viele Menschen, die diese Psalmworte bestätigen können, aber auch sehr viele, denen diese Worte bitter klingen, weil ihr Leben im Alter nur noch eine Qual voller Schmerzen und Elend ist. Es ist schwer, eine Antwort auf diese Klagen zu geben. Aber viele heilige Menschen haben mit dem Umgang dieses Elends eine tragende Antwort gegeben, indem sie sich als Kreuzesträger betrachteten und ihr Los und ihre Schmerzen Gott aufgeopfert haben, sie im Geiste auf seinen Altar gelegt haben als Opfer für die Rettung der Seelen oder für die Mission oder für das Leben der Kirche. Mütter und Väter haben ihr Leiden und ihre Schwäche für die Bekehrung und Rettung der Kinder und Kindeskinder aufgeopfert und im Leiden den Segen des Opfers empfangen dürfen.
Ich weiß, dass dieses sehr schwer zu verstehen ist, in einer Zeit in der selbst in der Kirche das Verständnis für das Opfer den Menschen ausgetrieben wurde durch eine verweltlichte Theologie.
Deshalb ist das Zeugnis heiliger Menschen so wichtig, die sich gerade durch ihr Opfer geheiligt haben und von dem Segen und dem großen Trost, den sie damit empfangen haben, berichten. Darin liegt die Erfüllung des Wortes Gottes, das uns der Prophet Jesaja sagt: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet. Und: Ich bleibe derselbe, so alt ihr auch werdet; bis ihr grau werdet, will ich euch tragen. Ich habe es getan und werde euch weiterhin tragen; ich werde euch schleppen und retten. (Ps 46,4)
Wenn uns auch Menschen verlassen, Gott verlässt uns nicht. Deshalb können viele Menschen, die alleine sind sagen: Ich bin zwar alleine, was sehr schwer ist, wenn man alt und krank ist, aber einsam war und bin ich nie; denn der Herr ist bei mir und lässt mich das auch spüren. Es sind diese Menschen, die mit Gott ihr Leben verbringen. Und es ist nie zu spät dafür. Wie oft habe ich das an Krankenbetten gehört.
Einmal in meiner Zeit in der ehrenamtlichen Krankenhausseelsorge in Heidelberg kam ich an das Bett einer evangelischen alten Frau, die an einer unheilbaren tödlichen Krankheit litt. Die Krankheit hatte ihr das Gehör geraubt und sie damit der Isolation ausgeliefert. Verzweifelt rief sie: Gott gib mir mein Gehör wieder! Aber der Herr gab ihr nicht das Gehör wieder sondern tröstete sie. Als ich an ihr Bett trat nach dem Verlust, griff sie unter ihr Kopfkissen und gab mir ein gerahmtes Bild, das eines ihrer Enkelkinder liebevoll angefertigt hatte. Es zeigt eine Postkarte mit einem blumenpflückenden Bub auf einer Sommerwiese im Stil von Ludwig Richter und seiner Schule aufgeklebt und daneben mit der Schönschrift eines Kindes den Vers Psalm 27,1b : Der Herr ist meines Lebens Kraft. Wovor sollte mir grauen? Ich bedeutete ihr durch Gesten, dass sie das Bild doch auf ihren Nachttisch stellen sollte. Sie brüllte, weil sie ohne Gehör ihre Stimme nicht kontrollieren konnte: Nein, das ist für Sie. Sie brauchen das für Ihr Leben und für Ihre Arbeit. Ich habe das Bild und das Wort im Herzen. Was für ein wunderbarer Segen im Leiden und der Last des Lebensendes. Das Bild mit dem Bekenntnis des Psalmisten hängt seit diesem Tag über meinem Schreibtisch unter dem gekreuzigten Christus.
Es bleibt mir das Zeugnis einer sterbenden alten Frau, die wie der große Philosoph Dietrich von Hildebrand im Sterben noch immer die Seele eines Löwen hatte, weil sie ihr Leben lang dem Löwen aus dem Stamme Juda gefolgt war und dessen Hand nie losgelassen hatte.
Jeden Tag habe ich an meinem Schreibtisch dieses Bild vor Augen. Es ist mir Trost und Gewissheit, dass Gott mich tragen wird durch alle Beschwernisse und Lasten von Alter und Krankheit.
Mögen alle Leser dieser Zeilen Kraft und Trost aus dem Wort Gottes und dem Zeugnis eines bedeutenden Philosophen und einer einfachen alten Frau erfahren, die der Heilige Geist beide denselben Weg auf ähnlicher Weise zurück ins Vaterhaus, in die himmlische Wohnung, geführt hat.
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