Die Dekonstruktion der katholischen Kirche

16. Oktober 2014 in Kommentar


Man muss mit allem Freimut und Respekt gegen die Vorgänge in Rom Widerstand leisten. Laien wie Priester. Denn es droht die Gefahr der Spaltung. Gastkommentar zum Zwischenbericht der Bischofssynode von Theologieprofessor em. Hubert Windisch


Vatikan/Freiburg (kath.net) Man könnte es sich nach dem Zwischenbericht der Bischofssynode in Rom zum Thema „Die pastoralen Herausforderungen im Hinblick auf die Familie im Kontext der Evangelisierung“ leicht machen und sagen: Thema verfehlt. Denn schon der Blickwinkel auf das Thema stimmt nicht. Von seelsorglichen Sonderfällen und Ausnahmen her kann man das pastorale Ganze nicht behandeln. Man bräuchte es auch gar nicht, da die katholische Kirche seit jeher die Weisheit der Epikie kennt, wonach es mit zunehmender Konkretion eines Handlungszusammenhangs immer auch Momente geben kann, die von einer prinzipiellen Norm nicht ganz ausgeleuchtet sind. Aber diese katholische Weisheit hat nie einen Einzelfall zum Prinzip gemacht. Das scheint nun auf der Synode zu geschehen. Um es etwas salopp zu sagen, soll die Ausnahme von der Regel die Regel werden. Wer aber in einem System wie z. B. der katholischen Kirche die Ausnahme in substantiellen Dingen zur Regel macht, zerstört das System. Man darf also die Vorgänge in Rom nicht auf die leichte Schulter nehmen. Es geht um etwas. Es geht in diesem Zwischenbericht um die Identität der katholischen Kirche nicht nur auf dem Gebiet von Ehe und Familie in heutiger Zeit. Will die katholische Kirche es wirklich dem gescheiterten Kulturprotestantismus nachmachen und in spätem protestantisierendem Nacheifern als katholischer Kulturkatholizismus dort ankommen, wo die evangelische Kirche im letzten Sommer mit ihrem Orientierungspapier zu Ehe und Familie schon angelangt ist und seitdem unter ihren gutwilligen Gläubigen nur noch lähmendes Entsetzen verbreitet? Wenn man den Berichten aus Rom glauben darf, wollen das etliche Synodenteilnehmer. Und so wird der Zwischenbericht der Synode inzwischen als eines der schlimmsten offiziellen Dokumente der Kirchengeschichte bezeichnet. Viele Gläubige, Laien wie Priester, sind ratlos und erschüttert. Man traut seinen Augen und Ohren nicht mehr. Wie konnte es so weit kommen? Und was kann man tun?

Zunächst fallen einige sophistische Winkelzüge in etlichen Synodenbeiträgen auf. Sophisten sind bekanntlich darin geschult, mit Absicht in einer Argumentation Fehlschlüsse herbeizuführen, die die Zuhörer nicht durchschauen. Es wird dabei mit den Identitäten der zur Debatte stehenden Angelegenheiten gespielt. Nehmen wir das Beispiel Homosexualität. Abgesehen davon, dass es völlig unverständlich ist, auf einer Bischofssynode zum Thema Ehe und Familie im Kontext von Evangelisierung derart von Homosexualität zu sprechen wie im Zwischenbericht geschehen, wird sophistisch suggeriert, dass sog. homosexuelle Partnerschaften durch die Qualität der Dauer zu tolerablen Gegebenheiten werden könnten. Was dabei ausgeblendet und womit der Zuhörer letztlich geblendet wird, ist das von der Bibel her geforderte zwingende Urteil, dass homosexuelles Miteinander eine objektive Unordnung darstellt. Gleichzeitig wird auch mit dem Stichwort Dauer so gespielt, als ob Dauer menschlichem Verhalten oder Tun automatisch eine bessere Qualität verliehe. Nun wird aber ein dauerhafter Ehebrecher kein besserer Ehebrecher und ein dauerhafter Dieb kein besserer Dieb. Sophistisch führt man so durch Tricks zu einer positiven Sicht von Homosexualität. Dass das unter Theologen geschieht, ist nicht neu. Neu ist es auf einer Bischofssynode.

So könnte man Beispiel um Beispiel aus dem Zwischenbericht anführen, um zu zeigen, vor welchem Abgrund die katholische Kirche steht. Es besteht die Gefahr, dass sie nicht auferbaut, sondern – um es philosophisch postmodern zu sagen – dekonstruiert wird. Was sind die Gründe für diese Gefahr? Wahrscheinlich sind es nicht einmal zuallererst einzelne Personen, obwohl so mancher der Synodenteilnehmer vielleicht alte Rechnungen begleichen, verletzte Eitelkeiten pflegen oder gar persönliche Legitimationen durchsetzen will. Es ist ein bestimmter Geist, der hier vieles durcheinander bringt und den Papst Franziskus immer wieder bei seinem Namen nennt.

Auf zwei Merkmale dieses Geistes nur möchte ich hinweisen: Zum einen unterscheidet man in diesem Geist nicht mehr zwischen dem anthropologischen Entdeckungszusammenhang und dem christologischen Begründungszusammenhang in pastoralen und theologischen Fragen. Wenn Christsein sich jedoch aus dem wie auch immer gearteten Menschsein ableiten lässt, braucht es keine Umkehr mehr. Man verehrt über kurz oder lang das Geschöpf anstelle des Schöpfers (vgl. Röm 1,25). Christus selbst wird obsolet. Biblisch ist dieser Geist nicht.

Zum anderen getraut man sich in diesem Geist nicht mehr zu urteilen bzw. zu verurteilen. „Anything goes“ heißt das moralische Credo der radikalisierten Moderne. Chi sono io per giudicare? In diesem Geist sieht sich die Kirche gezwungen, sich ständig vor der Welt bzw. vor dem, was sich so tut, rechtfertigen zu müssen, anstatt die Welt und was sich so tut vor die Rechtfertigung Gottes zu bringen. Man kann diesen verderblichen Mechanismus durchschauen. Wer dennoch danach handelt oder lehrt, kann nicht auf das Wort Jesu in Lk 23,34 setzen, denn er weiß, was er tut.

Man muss mit allem Freimut und Respekt gegen die Vorgänge in Rom Widerstand leisten. Laien wie Priester. Die Gefahr der Dekonstruktion der katholischen Kirche ist die Gefahr ihrer Spaltung. Wir dürfen hoffen, dass der Papst sich in den bevorstehenden Auseinandersetzungen in doktrineller Klarheit als Petrus, als Fels erweisen wird, in seinem Amt ruhend und Kontinuität ausstrahlend für die Beantwortung der anstehenden Fragen, den Glauben und die Lehre der Kirche nicht nur über einige Jahre, sondern durch die Jahrtausende bewahrend. Wenn nicht, bräuchten wir einen neuen Papst.

Professor Hubert Windisch hatte bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2012 den Lehrstuhl für Pastoraltheologie an der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg inne.


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