3. Dezember 2014 in Familie
Wiener Erzbischof unterstreicht in der "Herder Korrespondenz" die Notwendigkeit einer kontrovers geführten Debatte um den Weg der Kirche und verteidigt das Konzept von der Gradualität
Freiburg (kath.net/KAP) Für Kardinal Christoph Schönborn (Foto) hat die jüngste außerordentliche Bischofssynode zu Ehe- und Familienfragen "einen guten Prozess eingeleitet". Dass dabei auch kontroverse Positionen innerhalb der Kirche sichtbar geworden sind, empfindet der Wiener Erzbischof nicht als Nachteil, wie er jetzt in einem Interview für die Dezember-Ausgabe der "Herder Korrespondenz" verdeutlichte. Am Ende der zweiten großen Familiensynode im kommenden Jahr solle aber "ein gemeinsamer Blick aufs Ganze" stehen, über den in der Kirche größtmögliche Einigkeit herrschen müsse, so der Kardinal.
Er sei von der Versammlung im Oktober in Rom "sehr motiviert und 'energized' zurückgekehrt" und hätte es vielmehr "ganz schlimm gefunden, wenn die Spannungen nicht herausgekommen wären", wird Schönborn zitiert: "Ich habe zu oft erlebt, dass in Bischofsversammlungen und in Synoden Süßholz geraspelt wird, dass sich keiner eine Blöße geben will, Diskurse, in den x-mal Gehörtes einfach wiederholt wird, wo man sich nicht traut, offen zu sagen, wo der Schuh drückt, wo Nöte sind."
Die Kirche ringe heute um ihren Weg in einer pluralistischen und säkularen Gesellschaft, so der Wiener Erzbischof. Die Diskussion über diesen Weg sei "unbedingt nötig" und müsse "kontrovers geführt" werden. "Davor brauchen wir keine Angst zu haben." Die große Synode im Oktober 2015 müsse dann aber der Versuch sein, "möglichst nahe an die Einmütigkeit heranzukommen", betonte der Kardinal und zog einen Vergleich zu den ebenso kontroversen Beratungen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65). Viele Konzilsdokumente hätten damals ähnliche Schicksale erlitten wie nun bei der Synode der Zwischenbericht und der Schlussbericht. "Da wird es im Hinblick auf die nächste Synode ein Aufeinander-Zugehen geben müssen. Aber was am Schluss heraus kommt, soll kein Kompromiss sein, sondern ein gemeinsamer Blick aufs Ganze. Dann ist der Weg gelungen."
Er selbst wünsche sich für die kommende Synodenversammlung "ein noch offeneres Hinschauen auf die Lebenswirklichkeit" sowie einen "stärkeren Blick auf die Geschichtlichkeit von Ehe und Familie", führte Schönborn aus. In der ersten Synode nämlich sei von Ehe und Familie oft so gesprochen worden, "als handele es sich um etwas, das im interstellaren Raum stattfindet und nicht in einer bestimmten Geschichte, in einer bestimmten Gesellschaft, unter bestimmten Lebensbedingungen".
Eine dritte Notwendigkeit sieht der Kardinal in der Beseitigung in den vergangenen Jahrzehnten entstandener theologischer Defizite etwa bei der Fundamentalmoral. Grundfragen der Moral müssten tiefer aufgearbeitet werden, appellierte er und empfahl hierzu bei der Fundamentalmoral des Katechismus und des Kirchenlehrers Thomas von Aquin anzusetzen. Nicht die Verpflichtung des einzelnen, sondern das Glück des Menschen sei das eigentliche Ziel Gottes. Schönborn: "Der christliche Lebensweg wird seit frühester christlicher Zeit als Weg zum Glück beschrieben. (...) Als Dominikaner darf ich doch sehr dazu einladen, sich stärker daran zu orientieren, an eine Moral, die den Menschen 'in via', auf dem Weg sieht. Eine Moral, der die christliche Hoffnung innewohnt. Das ist unsere Aufgabe."
An Kommunion für Wiederverheiratete "festgebissen"
Im Interview mit der "Herder Korrespondenz" bedauerte Kardinal Schönborn auch neuerlich, dass sich die innerkirchliche Debatte zur Synode an der Frage der Kommunion für Wiederverheiratete "festgebissen" und so an Perspektive und Weite beim Thema Familie verloren habe. Schließlich seien Familien, als "spontanes und natürliches Überlebensnetzwerk der Menschen" weltweit auf verschiedenste Weise bedrängt. "Das Familienmodell scheint in einer Krise zu sein und zugleich wissen wir: Familie ist das Überlebensnetzwerk der Zukunft", sagte Schönborn. "Bevor wir von den Problemen reden, müssten wir darüber sprechen, dass es ohne Familien nicht geht."
Plädoyer für "Gradualität"
Der Kardinal präzisierte zudem nochmals das von ihm bei der Synode vertretene Prinzip der sogenannten "Gradualität". Danach können auch in Partnerschaftsformen, die der katholischen Lehre zuwiderlaufen, familiäre Werte und die Suche nach Wahrheit gelebt werden. Der Gedanke hatte bei der Bischofsversammlung große Debatten und Widerstand ausgelöst. Es habe ihn "gewundert, wie vielen dies Sorge bereitet hat", erklärte Schönborn nun. Er selbst aber "bleibe dabei, dass diese Herangehensweise hilfreich ist", so der Kardinal: "Sie bedeutet ja nicht, dass, wenn ich nur einen Teil verwirkliche, dann alles in Ordnung ist. (...) Aber wir erkennen die Suche, den Weg, das Prozesshafte an."
Kirche solle beim Thema Ehe und Familie zunächst über das Wohnzimmer statt über das Schlafzimmer sprechen. "Wir müssen uns die Frage stellen, warum Menschen inzwischen weltweit so oft unverheiratet zusammenleben? Was treibt sie dazu? Bevor ich das moralisch bewerte, muss ich begreifen lernen, warum auch gläubige Menschen den Weg zum Sakrament der Ehe oft erst schrittweise entdecken", sagte der Kardinal. Er habe bei den Synodendebatten nicht verstanden, warum manche Bischöfe "scheinbar so große Angst vor dieser Herangehensweise haben".
Pressekonferenz mit Kardinal Schönborn - Vatikan 16. Oktober 2014
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Foto Kardinal Schönborn (c) Erzdiözese Wien
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