Eine Kirche ist ein Raum, der aus der Alltagswelt hinaus führt

12. Jänner 2015 in Spirituelles


Es ist wichtig, „einen Ort im eigenen Ort zu haben, der ausdrücklich für Gott reserviert ist, ...an dem ihm gedankt wird, an dem man bitten kann, an dem vor ihm geklagt und geweint wird“. stellt Bischof Stefan Oster in einer Predigt fest.


Anzenkirchen (kath.net/Facebookseite Bischof Oster) Der Passauer Bischof Stefan Oster weihte am Sonntag die Laurentius-Kirche in Anzenkirchen nach umfangreicher Renovation neu ein.

Liebe Brüder und Schwestern aus Anzenkirchen und Umgebung,
ja, es ist ein echtes Ereignis, wenn eine Kirche nach längeren Renovierungsarbeiten wieder eingeweiht wird. Vermutlich ist es für Sie so ähnlich wie mit vielem Liebgewordenem und Vertrautem: Erst wenn es nicht mehr da ist oder nicht mehr einfach zugänglich ist, merkt man, dass etwas fehlt. Es ist nämlich schön und wichtig, einen Ort im eigenen Ort zu haben, der ausdrücklich für Gott reserviert ist, einen Ort, an dem Gott gefeiert wird, an dem ihm gedankt wird, an dem man bitten kann, an dem vor ihm geklagt und geweint wird. Eine Kirche ist ein Raum, der aus der Alltagswelt hinaus führt, nicht um die Alltagswelt einfach draußen zu lassen, sondern um zu spüren, dass es mehr gibt als nur unsere Alltagswelt. Es ist sogar so, dass wir hier unsere Alltagswelt mit hineinbringen dürfen und sollen. Und im gelingenden Fall bekommen wir dann hier einen neuen, einen tieferen Blick auf diese Alltagswelt. Wir spüren dann, dass unsere normale Lebenswelt nicht das Ganze ist. Hier in der Kirche, mitten in unserem Dorf, geht diese Welt gewissermaßen nach unten und nach oben auf. Wir spüren, dass es eine Tiefe gibt, dass unsere Welt und unser eigenes Herz Wurzeln hat, Herkunft hat, die über Nachbarn und Verwandtschaft hinausreicht. Und wir spüren, dass unsere Welt ein Ziel hat, eine Heimat über unsere Heimat hinaus, einen Himmel über uns und in uns. Und die Kirche ist gewissermaßen der Anfang von alledem: Unsere Wurzeln, unsere Herkunft kommt von Gott und unsere Zukunft liegt in IHM. Und das gibt uns Hoffnung für unsere Gegenwart, für unseren täglichen Kampf, mit allen Freuden und Hoffnungen, mit allem Leiden und Nöten. Denn die Kirche mitten im Ort bestätigt uns auch Seine Zusage: „Ich bin bei Euch alle Tage – bis zum Ende der Welt.“

Aber, liebe Schwestern und Brüder, diese Zusage Gottes ist für uns unwiderruflich an eine Person gebunden, deren Taufe wir heute feiern. Gleichsam als Ende der Weihnachtszeit, als weitere Stufe der Erscheinung des Herrn – nach dem Dreikönigsfest. Die Taufe Jesu war der Anfang seiner öffentlichen Wirksamkeit und seines öffentlichen Auftritts. Auch er geht wie ganz viele Menschen aus Jerusalem und Israel hinaus an den Jordan zu Johannes. Johannes hatte die Menschen zur Umkehr aufgerufen, damit sie bereit würden für die Ankunft des Messias. Er ist mit ihnen an den Ort gegangen, an dem die Israeliten einst aus Ägypten hinaus und in ihr neues, ihr gelobtes Land hinein gezogen sind. Hier sollte ihre Heimat sein und hier sollten sie mit Gott leben und miteinander so leben, wie es Menschen gebührt, die ihren Gott kennen. Wir wissen aus der Hl. Schrift, Schwestern und Brüder, dass Israel darin immer wieder versagt hat. Immer wieder hat Gott ihnen durch die Schrift und die Propheten sagen und zeigen wollen, wie das geht: als Sein Volk mit Gott zu leben. Immer wieder hat er sie näher an sich ziehen wollen, immer wieder ihnen neu Weisung und Kraft geben wollen. Und immer wieder ist ihm das Volk untreu geworden.

Und jetzt, jetzt wollte Er selber kommen. „Ich will mich selbst um meine Schafte kümmern“, sagt er beim Propheten Ezechiel. Und so stehen wir heute mit Johannes im Geiste am Jordan und wir bereiten uns im Geiste mit ihm darauf vor, dem Messias zu begegnen. Den Mann, den öffentlich bis jetzt noch niemand erkannt hat. Aber Johannes, der Mann Gottes, der Mann mit dem Löwenherzen und dem kargen, entbehrungsreichen Leben in der Wüste, der kennt ihn schon irgendwie. Er nennt ihn schon das „Lamm Gottes“. Er sieht schon geheimnisvoll, dass da einer zu ihm kommt, der auch die Sünden der Menschen irgendwie mittragen und wegnehmen will. Im Johannes-Evangelium sagt er es schon ganz am Anfang, sehr rätselhaft: „Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt.“ Ein Satz, den wir in jeder Eucharistie beten.

Aber warum lässt sich Jesus überhaupt taufen, zur Umkehr, zur Vergebung der Sünden? Er der Sündenlose, der Gottessohn? Warum reiht er sich in die Schlange mit all den anderen, mit uns allen anderen ein, die sich da von Johannes vorbereiten lassen wollen auf seine Ankunft? Er, der es am wenigsten nötig hätte? Die Antwort, die der Glaube gibt, lautet: Eine gute Absicht von uns und eine Waschung nur mit Wasser aus dem Jordan allein genügt im Grunde noch nicht, um mit dem fertig zu werden, was in uns Sünde heißt oder was in uns Unglauben heißt, oder was in uns Gottlosigkeit heißt. Wir haben mehr nötig als ein äußeres Ritual und eine gute Absicht. Wir brauchen Gott selbst, der uns entgegenkommt, der uns an der Hand nimmt und mitgeht und mitträgt.

Vielleicht können Sie sich erinnern, wie Sie als Kind beispielsweise zum Zahnarzt gehen sollten und ziemliche Angst hatten. Und dann hat sie die Mutter an die Hand genommen, hat ihnen erklärt: „Es wird alles halb so schlimm. Ich bin ja da und geht mit.“ Und erst dieses Mitgehen der Mutter hat sie beruhigt und gestärkt und Sie sind gegangen. Oder vielleicht erinnern Sie sich an eine andere Situation, in der Sie einen für Sie schweren Schritt nur deshalb tun konnten, weil Ihnen ein anderer zur Seite stand und Sie gestützt und getragen hat. Dieses Zur-Seite-Stehen ist aber nicht einfach ein äußerer Vorgang. Es ist ein innerer Vorgang. Ein Vorgang der Beziehung. Wenn zwischen zwei solchen Menschen keine innere Verbindung wäre, sondern nur äußerer Kontakt, dann könnte diese innere Stärkung, könnte der neue Mut nie eintreten.

Und so stellt sich unser Herr nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich auf die Seite der Menschen, er tritt mit Ihnen, mit uns allen an den Jordan hin, er hilft uns zum Bekenntnis und Er selbst sagt uns die Vergebung zu. Liebe Schwestern und Brüder, vielleicht vergessen wir das allzu schnell, aber wenn wir als Gläubige fragen: Wozu ist eigentlich Jesus an Weihnachten geboren, wozu hat er sich taufen lassen, wozu ist er am Kreuz gestorben und auferstanden? Dann ist die wichtigste Antwort: Zur Vergebung der Sünden! Und Sünde ist etwas, was uns in der inneren Verschlossenheit hält, was uns von Gott fern hält, was uns gewissermaßen im geistlichen und geistigen Tod hält. Christus hat das Leben gebracht, er vergibt alles, er trägt alles, er hält uns aus. Er liebt jeden und jede von uns – und zwar trotz allem. Wenn Sie nun aber denken sollten: „Was redet er denn da von Sünde? Ich bin doch ein recht passabler Mensch.“ Dann würde ich sagen: „Ja, das sind Sie und Jesus hat Sie auch wirklich gern, über die Maßen gern.“ Aber Jesus meint mit Sünde nicht einfach nur oder alleine die böse Tat, denn die ist eher ein Symptom, sie ist eher Folge einer Haltung. Jesus meint mit Sünde zuerst einen inneren Abstand zu Gott, er meint eine innere Haltung, die sich schwer tut zu glauben, dass Gott wirklich da ist, dass er mein Leben trägt, dass er wirklich unser guter Vater ist. Jesus meint einen Lebensstil, der sich nur in dieser Welt bewegt und nicht in der inneren Verbindung mit dem Vater und mit Ihm, mit Jesus. Das Ziel des Kommens Jesu in unsere Welt ist: Er will mit uns in ständiger innerer Verbindung leben. Ähnlich wie ein verliebter Mensch, den geliebten Partner innerlich ständig bei sich hat, ob er nun gerade da ist oder nicht. So will Jesus, dass wir mit Gott leben und dann von Ihm unser Leben leiten lassen. Und wenn wir das nicht können oder wollen, sind wir irgendwie draußen, draußen aus dem, was er Reich Gottes nennt. Das Reich, in dem Gott König ist, König unseres Herzens.

Deshalb auch steht Jesus am heutigen Tag da bei Johannes am Jordan und lässt sich mit taufen, für uns: Weil er uns in die Beziehung zu sich zurück holen will, weil er will, dass wir Hoffnung schöpfen und Mut und Freude gewinnen und Leben gewinnen, neues Leben. Weil er will, dass wir Seine Kirche als Ort erfahren, an dem Er persönlich gegenwärtig ist und bleibt. Er ist es, der uns hierher zieht und er ist es, der uns einlädt, Ihm alles zu geben, alles zu bekennen, alles von innen her heilen zu lassen, was da verwundet ist. Er ist es, der Freude bringen und unserem ganzen Leben wirklich neuen, tiefen Sinn schenken will und kann. Jesu Liebe ist deshalb immer auch vergebende Liebe, heilende Liebe. Dafür ist Er gestorben und nicht einfach dafür, dass wir eine ganz nette Idee von Gott haben. Und dafür sind wir auch alle getauft, auf Seinen Namen getauft und auf den Namen des dreifaltigen Gottes. Wir sind Christen, Schwestern und Brüder, Christus ist der Gesalbte. Das heißt, wir haben auch so etwas wie Salbung durch Ihn, wie es in der zweiten Lesung hieß. Aber Salbung ist ein biblisches Wort, das bei uns leider ziemlich verunstaltet worden ist. Wenn einer heute redet und man sagt, er spreche besonders salbungsvoll, dann heißt es, es war in jedem Fall langweilig und irgendwie ohne Bezug zur Wirklichkeit. Aber Salbung biblisch heißt: es hat geistliche Kraft, geistliche Wirksamkeit. Ein Mensch mit Salbung ist einer, der spricht so von Gott, dass andere dadurch bewegt und berührt werden, weil sie merken: „Der kennt Ihn wirklich, der lebt wirklich mit Ihm!“

Liebe Schwestern und Brüder, die gute Nachricht ist: Wir sind als Christinnen und Christen alle Gesalbte Jesu! Die weniger gute ist: Die Menschen spüren es oft nicht an uns, eben weil wir oft nicht so gut darin sind, mit Jesus zu leben.

Diese neu renovierte, diese schöne Kirche hier in Anzenkirchen, die dem Hl. Laurentius geweiht ist, diese Kirche will deshalb eine Einladung sein, unsere Beziehung zu Christus zu erneuern, zu vertiefen. Wie schön, dass Sie diese Kirche mitten im Ort haben. Ich hoffe sehr, dass sie beständig offen ist, und dass Sie alle, als Menschen, die hier leben, auch oft und oft den Weg hier hinein finden, um allein oder in Gemeinschaft Beziehung zu pflegen, Beziehung mit Christus. Zum Danken, zum Jubeln, zum Klagen und Weinen. Und ich hoffe, dass Sie dann immer wieder auch von hier weggehen können, wieder in die Dorfgemeinschaft hinein und zwar getröstet und auch so, dass die anderen spüren, mit wem Sie in Beziehung leben. Sie merken schon, Schwestern und Brüder, es ist wunderbar, wenn eine Kirche im Dorf ist, eine erneuerte Kirche. Aber wirklich mit Leben erfüllt wird diese Kirche, wenn sie uns daran erinnert, dass Christus uns alle als Kirche erneuern will. Und zu dieser Erneuerung segne Sie alle unser Herr, der Sie sucht, der Sie an sich ziehen will, der Sie über alle Maßen liebt. Amen.


Foto Bischof Oster bei Wiedereinweihung der renovierten Kirche © Presse Bistum Passau


© 2015 www.kath.net