28. Februar 2015 in Deutschland
Seit 2012 kann ein einfacher Bluttest (Praenatest) Auskunft über mögliche Behinderungen eines ungeborenen Kindes geben. Soll der Test in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden? Von Kristijan Aufiero (1000plus)
Heidelberg (kath.net/Die Tagespost) Seit 2012 kann ein einfacher Bluttest (Praenatest) Auskunft über mögliche Behinderungen eines ungeborenen Kindes geben. Nun soll der Test in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden. Die Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (G-BA) steht laut verschiedenen Zeitungsberichten unmittelbar bevor.
In den USA finden derartige Tests schon heute reißenden Absatz. Für Europa rechnen Experten mit einem enormen Marktpotential. Die weit überwiegende Zahl der Eltern wählt nach der Diagnose einer voraussichtlichen Behinderung die Abtreibung ihres ungeborenen Kindes. Entscheiden sie sich nach einem solchen Test für ihr (aller Voraussicht nach) behindertes Baby, müssen sich Eltern mittlerweile rechtfertigen vor den Ärzten, vor Freunden, Kollegen, der Gesellschaft.
Wir eilen schnellen Schrittes in Richtung einer Gesellschaft, in der es über kurz oder lang so gut wie keine Menschen mit angeborener Behinderung mehr geben wird.
Nicht wenige Stimmen halten eine Welt ohne Menschen mit Behinderung für geradezu wünschenswert. So schrieb beispielsweise der Humanistische Pressedienst (hpd) am 28.01.2015 im Artikel Wer darf leben? Neuer Gentest sorgt für emotionale Aufregung und intellektuelle Verwirrung: Was wäre so schrecklich an einer Welt ohne Krankheit und Behinderung? So wenig wir uns über das Verschwinden der Diphterie, Hämophilie oder Leukämie grämen würden, so wenig müssten wir das Verschwinden der Trisomie bedauern.
Der bemerkenswerte Vergleich von Diphterie mit Trisomie übersieht, dass wir im ersten Fall das Verschwinden einer Krankheit in der Tat begrüßen würden. Im zweiten Fall aber geht es um das Verschwinden von Menschen, weil sie vermutlich behindert zur Welt kommen würden was für den hpd offenbar das Gleiche ist wie eine Krankheit.
Erinnerungen an einen eindrucksvollen Hollywood-Film aus den 90er Jahren werden wach. Gattaca (von Andrew Noccol, 1997) spielt in einer fernen Zukunft, in der das menschliche Gen vollständig entschlüsselt ist. Eltern können sich ihre genetisch einwandfreien Wunschkinder designen lassen. Es wird das Bild einer Gesellschaft entworfen, in der nur noch jene Menschen zu den Auserwählten zählen, deren Gene im Reagenzglas künstlich optimiert wurden. Natürlich gezeugte Menschen werden euphemistisch Gotteskinder genannt und sind wegen ihrer unvollkommenen Erbanlagen Menschen zweiter Klasse. Mit weitreichenden Konsequenzen: Sie haben keinen Zugang mehr zu einer hochwertigen Ausbildung und Qualifikation, dürfen bestimmte Berufe nicht mehr ausüben und sind massiven Beschränkungen bei der Wahl ihrer Partner ausgesetzt. Was 1997 als beklemmende und alarmierende Zukunftsvision einer durch Gen-Manipulation entmenschlichten Gesellschaft galt, ist nicht mehr weit von der Realität unserer Tage entfernt.
Eine düsterere und menschenverachtendere Zukunft erscheint mir persönlich kaum vorstellbar. Aus einer einfachen und tiefen Überzeugung heraus: Die Schwachen, die Kranken, die Gebrechlichen und Behinderten sind ein unersetzlicher und kostbarer Schatz für jede Gesellschaft, die lebenswert, gerecht und menschwürdig sein will. Für die Schwächsten einzutreten, auf sie Rücksicht zu nehmen, sie zu beschützen und zu pflegen, macht uns alle zu etwas besseren Menschen. Und die mit jeder guten Tat an einem Anderen verbundene Liebe macht unsere Welt zu einem besseren, barmherzigeren und wärmeren Ort.
Der Heilige Laurentius, römischer Diakon und Verwalter des örtlichen Kirchenvermögens zur Zeit des Papstes Sixtus II., wurde nach der Enthauptung des Papstes durch den römischen Kaiser Valerian aufgefordert, den Kirchenschatz innerhalb von drei Tagen herauszugeben. Daraufhin verteilte er das gesamte materielle Vermögen an die Mitglieder der Gemeinde und versammelte eine Schar von Kranken, Verkrüppelten, Leprösen, Blinden, Armen, Witwen und Waisen, die er dem Kaiser als den wahren Schatz der Kirche präsentierte. Selten war klarer als heute, was der Heilige Laurentius damit vermutlich zum Ausdruck bringen wollte.
Aus einer Gesellschaft der Auswählenden wird eine Gesellschaft der Ausgewählten werden. Mit dem Verlust der Behinderten wird ein ebenso großer Verlust an Barmherzigkeit einhergehen. Und viele, die sich heute noch auf der sicheren Seite der Auswählenden wähnen, könnten sich schon morgen auf der anderen Seite wiederfinden. Heute und hierzulande sind es behinderte Menschen, die nicht mehr dazugehören sollen. Anderswo sind es Mädchen oder einfach nur Zweitgeborene.
Allerdings werden die meisten Behinderungen postnatal verursacht, zum Beispiel durch Unfälle. Durch Krankheiten oder das Alter schwindet im Laufe des Lebens unsere Gesundheit und Leistungsfähigkeit. Wer kann noch sicher sein, dass sein eigenes Leben schon morgen als nicht mehr lebens- und schützenswert deklariert wird?
Dunkle Zeiten kommen auf uns zu. So sehr wir alle an unserem eigenen Leben hängen mögen: Immer mehr gesunde, gescheite und starke Menschen scheinen zu vergessen, dass jeder fehlt, der nicht geboren wird.
Wie viel Liebe wird verloren gehen? Wie viel Freude? Wie viel Freundschaft, Zärtlichkeit und Wärme, wie viel Dankbarkeit und Wertschätzung werden fehlen, weil die Menschen nicht mehr da sind, die sie hätten schenken können? Wie viel Großzügigkeit wird keine Beschenkten finden, wie viele Träume werden nicht in Erfüllung gehen? Schwer zu sagen.
Ich persönlich bin sicher: Diese Menschen werden uns fehlen. Wir werden diese Söhne, Töchter, Brüder und diese Schwestern, diese Freundinnen und Freunde, diese Liebenden und Geliebten, diese Schenkenden und Beschenkten vermissen.
Abdruck mit freundlicher Erlaubnis der Tagespost
Kristijan Aufiero über Demographie, Abtreibung und die Zukunft von 1000plus
´Leben und leben lassen´ - Weihbischof Thomas Maria Renz beim 1000plusTAG 2014
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