1. April 2015 in Kommentar
Ich habe selten etwas Abstoßenderes gelesen als den Text Mama, gleich bist du erlöst in Christ & Welt. Man sollte Leuten, die töten, kein öffentliches Forum geben, ihre Taten zu verniedlichen. kath.net-Kommentar von Klaus Kelle
Köln (kath.net) Wenn es um die großen ethischen Fragen wie Sterbehilfe oder auch Abtreibung geht, werden regelmäßig persönliche Schicksale zur Argumentation herangezogen, die sich in der Regel dadurch auszeichnen, dass eine an allgemeingültigen Fakten und ethischen Grundsätzen orientierte Diskussion danach kaum mehr möglich ist. Und natürlich sind bewegende Einzelschicksale ernst zu nehmen. Nun hat die einst einflussreiche (erst evangelische, später in den katholischen Rheinischen Merkur integrierte) Wochenzeitung Christ & Welt, die seit Ende 2010 lediglich noch ein Dasein als Beilage der linksliberalen Zeit fristet, ein solches Einzelschicksal dokumentiert. Es erzählt im Detail, wie zwei Menschen ihre engste Angehörige ersticken.
Unter geändertem Namen lässt Christ & Welt die Mittäterin, die Tochter des Opfers, erzählen:
Ich spürte, wie ihre Kraft nachließ. Irgendwann waren ihre Hände kraftlos. Langsam nahm mein Vater meiner Mutter die Hand von Nase und Kiefer. Ich legte ihr die Hände auf die Brust, ging zur Tür und schob die Kommode wieder weg. Ich ging zurück. Wir beugten uns über meine Mutter, um zu prüfen, ob noch Atmung zu spüren war. Mein Vater suchte nach dem Puls. Wir guckten uns an, wollten uns gerade hinsetzen, mein Vater auf der einen Seite des Bettes, ich auf der anderen. In dem Moment zog meine Mutter wieder nach Luft. Wir sprangen auf, und mein Vater hielt ihr noch mal Nase und Mund zu, wieder für eine halbe Minute. Dann war es endgültig vorbei.
Der Artikel, in dem diese Zeilen zu lesen sind, erregt Übelkeit. Dabei ist die Vorgeschichte wirklich bewegend. Die Frau, deren Leben durch Brustkrebs und Metastasen an der Wirbelsäule zur Qual geworden ist, bei der Palliativmaßnahmen nicht oder nur gering anschlagen, die sich in ein Hospiz bringen lässt, um dort in Würde zu sterben, die in langen Einzelgesprächen Abschied von ihren Lieben nimmt. Und die nicht stirbt. Ihre Tochter, die spätere Mittäterin, schreibt aber auch von Telefonaten und Gesprächen, in denen ihre Mutter regen Anteil am Familienleben nimmt. Sie berichtet vom gemeinsamen Kartenspielen. Klingt das nach einer Frau, die nichts weiter ersehnt, als zu sterben? Die von ihrem Mann und ihrer Tochter unbedingt getötet werden möchte? Ich kann es nicht beurteilen, aber ich darf mich fragen, warum ein solcher Text veröffentlicht wird.
Auch die verantwortliche Journalistin der C&W-Beilage, Christiane Florin, hat wohl schon frühzeitig bemerkt, dass sich die Redaktion mit der Veröffentlichung auf dünnem Eis bewegt. In einem Begleittext schreibt sie:
Eine Tochter, die dem Vater dabei hilft, der Mutter die Atemwege zu verlegen, das soll unser Beitrag zur aktuellen Debatte um würdevolles Sterben sein? Ist das nicht ein Schlag ins Gesicht für alle, die sich um Sterbende kümmern, ihnen Angst und Schmerzen nehmen? Ich muss zugeben, dieser Zweifel war auch mein erster Impuls.
Und dann weiter: Aber Journalisten sind Anwälte der Wirklichkeit. Ja, das sind wir. Und natürlich dürfen Journalisten auch darüber berichten, dass es solche Fälle gibt. Aber ist es für das Verständnis eines Thema wirklich notwendig, die Tötung der Ehefrau und Mutter plastisch zu schildern? Wir reden hier über eine Straftat, egal, ob man den Vorgang als Mord oder Tötung auf Verlangen wertet. Würden wir das bei anderen Fällen auch so machen, etwa zum Thema Pädophilie schildern, wie sich jemand an einem Kind vergeht, weil er meinte, sein Opfer hege zärtliche Gefühle für ihn? Lassen wir die ehemaligen RAF-Mörder ausführlich erzählen, wie sie Generalbundesanwalt Siegfried Buback und seine Begleiter töteten, weil sie meinten, es sei wichtig für die Erhaltung der Demokratie? Natürlich würde das kein Redakteur tun.
Ich stand auf, schob eine Kommode vor die Tür, mein Vater nahm meiner Mutter das Sauerstoffgerät aus der Nase und hielt ihr mit der rechten Hand die Nase zu, mit der Linken den Kiefer, dass sie nicht mehr durch den Mund atmen konnte.
Muss man das lesen, um das Thema Sterbehilfe zu verstehen? Ich glaube nicht, ich nehme eher an, es geht um den volkserzieherischen Ansatz zu verdeutlichen: Seht ihr, wenn man einfach nur ein Gesetz macht, dass man Angehörige mittels Gift straflos ins Jenseits befördern darf, dann wären ja normale Menschen nicht gezwungen, zu solchen Mitteln zu greifen! Eine perverse Logik.
In einer freien Gesellschaft dürfen Medien berichten und veröffentlichen, was sie wollen. Auch eine Beilage in der Zeit darf das natürlich, wenngleich schon ein wenig befremdet, dass ausgerechnet ein Blatt, das vorgibt, etwas mit Christentum zu tun zu haben, diesen Tabubruch wagt. Aber ich habe selten etwas Abstoßenderes gelesen als diesen Text unter der Überschrift Mama, gleich bist du erlöst in der Christ & Welt. Einmal, vor vier oder fünf Jahren, machte mich jemand auf einen Text im Internet aufmerksam, in dem eine junge Frau von ihrer ungewollten Schwangerschaft berichtete. Für sie war von Anfang an klar, dass sie das Kind in ihrem Leib töten lassen würde. Doch sie genoss ihre Schwangerschaft, schilderte in allen Einzelheiten, wie sie beim Baden zum Baby in ihrem Leib sprach, wie sie ihren Bauch streichelte und so weiter, ich erspare den Lesern die Details. Und dann erzählt sie locker und unbeschwert, wie sie kurz vor Ablauf der gesetzlich erlaubten Frist in eine Klinik ging, um ihr Kind töten zu lassen. Und wie gut sie sich dabei fühlte.
Ich gebe zu: Das empfand ich als noch widerwärtiger. Doch der Sterbehilfe-Beitrag in der aktuellen Christ & Welt hat auch etwas mit dieser Geschichte zu tun. Man sollte Leuten, die töten, kein öffentliches Forum geben, ihre Taten zu verniedlichen. Als in diesen Tagen ein wohl psychisch kranker Pilot sein Passagierflugzeug in den französischen Alpen gegen einen Berg lenkte und sich sowie weitere 149 Menschen in den Tod stürzte, schrieben einige deutsche Medien: Wenn der Mann eine Rechtfertigung für seine Tat hinterlassen hat, werden wir sie nicht veröffentlichen. Es wäre schön, wenn es mehr Journalisten gäbe, die so handelten.
Foto © Klaus Kelle
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