19. Mai 2015 in Chronik
Studie der Universität Münster nennt Wohlstand, Individualisierung und weltanschauliche Vielfalt Der Studie zufolge stärkt es religiöse Bewegungen, wenn sie moralische Interessen vertreten.
Münster (kath.net/idea) Das Religiöse verliert in vielen modernen Gesellschaften an Bedeutung trotz mancher Gegenbewegungen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Religionssoziologen Prof. Detlef Pollack und Gergely Rosta von der Universität Münster. Sie haben nach eigenen Angaben eine der umfassendsten wissenschaftlichen Untersuchungen zu internationalen religiösen Trends erstellt. Dazu werteten sie Zahlenmaterial seit 1945 aus. Nach Angaben der Forscher vollzieht sich die Abnahme des kirchlichen Bestandes in Westeuropa lautlos, nicht eruptiv und erweckt den Eindruck eines alternativlos voranschreitenden Prozesses. Die Studie benennt eine Reihe von Faktoren, die die Lebendigkeit von Religion negativ beeinflussen: ein hohes Wohlstandsniveau, eine starke Individualisierung, ein breites Freizeit- und Unterhaltungsangebot sowie eine ausgeprägte kulturelle und weltanschauliche Vielfalt einer Gesellschaft. Im Blick auf die Vereinzelung heißt es in einer Mitteilung: Je mehr die Menschen auf Selbstbestimmung, Lebensgenuss und Selbstverwirklichung Wert legen, desto distanzierter stehen sie den Kirchen gegenüber.
Auch wenn in Deutschland eine Mehrheit der Bürger meine, ganz individuell ohne Kirche gläubig sein zu können, lasse sich das statistisch nicht nachweisen. Nur wenige Menschen lebten den christlichen Glauben ohne kirchliche Institution und Gemeinschaft. Wie wichtig die soziale Einbindung in den Glauben sei, lasse sich daran erkennen, dass Formen einer hochindividualisierten esoterischen Spiritualität außerhalb von Kirche und Christentum wenig stabil seien.
Intensität des Glaubenslebens geht bei großer religiöser Vielfalt zurück
Die Untersuchung widerlegt ferner die oft vertretene Annahme, weltanschaulicher Wettbewerb tue der Lebendigkeit religiöser Gemeinschaften gut. Vielmehr gehe die Intensität des Glaubenslebens bei hoher religiöser Vielfalt oft zurück. So habe in konfessionell einheitlich geprägten Ländern wie Polen, Italien, Irland und Dänemark Religion einen höheren Stellenwert als in den religiös pluralen Niederlanden oder in Großbritannien.
Der Studie zufolge kann religiöse Vielfalt unter bestimmten Umständen religiöse Leidenschaften aber auch anheizen, nämlich dann, wenn Minderheiten sich gegen eine andersgläubige Mehrheit behaupten müssten. Dies lasse sich etwa bei Evangelikalen in einem protestantisch-landeskirchlichen Umfeld beobachten. Minderheiten inszenierten gern den Konflikt, von dem sie sich mehr Aufmerksamkeit versprächen und von dem sie nicht selten profitierten. Die Kontroverse erlaube es ihnen, unzufriedene Mitglieder der Mehrheitskonfession anzuziehen.
Abschwächung religiöser Bindungen ist ein schleichender Prozess
Zu den Einflüssen der modernen Freizeit- und Unterhaltungskultur heißt es: Je mehr berufliche und außerberufliche Verwirklichungsmöglichkeiten bestehen, umso mehr verschiebt sich bei vielen Menschen die Aufmerksamkeit von religiösen zu säkularen Praktiken. Den Forschern zufolge ist die Abschwächung religiöser Bindungen oft ein schleichender, kaum reflektierter Prozess. Gegenmaßnahmen der Kirchen könnten hier wenig ausrichten. Die Gläubigen verließen die Kirchen oft nicht aufgrund von Kosten-Nutzen-Abwägungen, sondern weil ihnen die Kirche gleichgültig geworden sei. Daher hätten auch weniger kircheninterne Gründe wie Unzufriedenheit mit kirchlichen Stellungnahmen oder schlechte Predigten Einfluss darauf, warum sich Mitglieder von der Kirche abwendeten: Ausschlaggebend ist vielmehr, dass es Wichtigeres gibt als Kirche und Religion, dass man zum Beispiel während der Gottesdienstzeiten schlichtweg Besseres zu tun hat.
Was Religion attraktiv macht
Die Untersuchung kommt jedoch auch zu dem Ergebnis, dass religiöse Vorstellungen an Überzeugungskraft gewinnen, wenn der Einzelne sie mit anderen teilt, wenn er etwa am Gottesdienst teilnimmt. Mit der Einbindung in kommunale, nachbarschaftliche und familiäre Netzwerke erhöhe sich die Wahrhscheinlichkeit, dass man sich als religiös und spirituell definiere.
Nach der Studie stärkt es auch religiöse Bewegungen, wenn sie moralische Interessen vertreten. So seien Pfingstkirchen in Lateinamerika und die evangelischen Kirchen in Südkorea deshalb attraktiv, weil sie bei ihren Mitgliedern mit disziplinierter Lebensführung für mehr Wohlstand und Aufstieg sorgten. Prof. Pollack stellt die Untersuchung Religion in der Moderne am 20. Mai in Münster vor. Er ist Sprecher des Exzellenzclusters Religion und Politik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.
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