6. Juni 2015 in Aktuelles
Franziskus: Der interreligiöse Dialog ist hier wie überall auf der Welt eine unumgängliche Voraussetzung für den Frieden und darum eine Pflicht für alle Gläubigen. Ohne eine ausgebildete Identität ist der Dialog nutzlos und schädlich
Rom (kath.net/as) Nach seiner Begegnung mit dem Klerus, den Ordensleuten und Seminaristen fand im im internationalen franziskanischen Studenten-Zentrum von Sarajevo ein Treffen mit rund 300 Vertretern der muslimischen, orthodoxen, katholischen und jüdischen Gemeinschaften statt.
Der interreligiöse Dialog darf sich nicht nur auf einige wenige, d. h. allein auf die Verantwortlichen der religiösen Gemeinschaften beschränken, sondern müsste so weit wie möglich auf alle Gläubigen ausgeweitet werden und so die verschiedenen Bereiche der Zivilgesellschaft einbeziehen. Eine besondere Aufmerksamkeit verdienen in diesem Sinn die Jugendlichen, die berufen sind, die Zukunft dieses Landes aufzubauen. Dennoch ist es immer gut, sich daran zu erinnern, dass der Dialog, um echt und wirksam zu sein, eine ausgebildete Identität voraussetzt: Ohne eine ausgebildete Identität ist der Dialog nutzlos und schädlich. Das sage ich im Gedanken an die Jugendlichen, es gilt aber für alle.
Ansprache von Papst Franziskus bei der ökumenischen und interreligiösen Begegnung im internationalen franziskanischen Studenten-Zentrum von Sarajevo:
Liebe Brüder und Schwestern,
es ist für mich eine Freude, an dieser Begegnung teilzunehmen, welche die Vertreter der in Bosnien und Herzegowina anwesenden religiösen Bekenntnisse versammelt. Ich richte einen herzlichen Gruß an jeden von Ihnen und an Ihre Gemeinschaften, und ich danke besonders für die freundlichen Worte und Überlegungen, die vorgetragen wurden.
Die heutige Begegnung ist Zeichen eines gemeinsamen Wunsches nach Brüderlichkeit und Frieden; sie bezeugt eine Freundschaft, die Sie im Laufe der Jahre aufbauen und im täglichen Zusammenleben und -arbeiten schon praktizieren. Hier zu sein ist bereits eine Botschaft jenes Dialogs, den wir alle suchen und für den wir arbeiten.
Als Frucht dieser Sehnsucht nach Begegnung und Versöhnung möchte ich besonders die 1997 erfolgte Gründung des hiesigen Rates für den Interreligiösen Dialog erwähnen, der Muslime, Christen und Juden zusammenführt. Ich freue mich über die Arbeit, die der Rat mit der Förderung verschiedener Dialog-Veranstaltungen, der Koordinierung gemeinsamer Initiativen und des Gesprächs mit den staatlichen Verantwortungsträgern entfaltet. Ihre Arbeit ist sehr wertvoll in dieser Region und besonders in Sarajevo, einem Schnittpunkt von Völkern und Kulturen, wo die Verschiedenheit einerseits eine große Chance darstellt, durch die die soziale, kulturelle und spirituelle Entwicklung in dieser Gegend ermöglicht wurde, die andererseits aber auch Ursache schmerzlichen Auseinanderbrechens und blutiger Kriege gewesen ist.
Es ist kein Zufall, dass die Errichtung des Rates für den Interreligiösen Dialog und die anderen schätzenswerten Initiativen auf interreligiösem und ökumenischem Gebiet am Ende des Krieges stattgefunden haben, gleichsam als Antwort auf das Bedürfnis nach Versöhnung und angesichts der Notwendigkeit, eine vom Konflikt zerrissene Gesellschaft wieder aufzubauen. Der interreligiöse Dialog ist nämlich hier wie überall auf der Welt eine unumgängliche Voraussetzung für den Frieden und darum eine Pflicht für alle Gläubigen (vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 250).
Mehr noch als eine Diskussion über die großen Themen des Glaubens ist der interreligiöse Dialog zuallererst ein Dialog des Lebens (ebd.). In ihm teilt man den Alltag des Daseins in seiner Konkretheit, mit den Freuden und den Leiden, den Mühen und den Hoffnungen; man übernimmt gemeinsame Verantwortungen; man plant eine bessere Zukunft für alle. Man lernt zusammenzuleben, man lernt sich gegenseitig kennen und lernt, einander in aller Freiheit so zu akzeptieren, wie man ist, in den jeweiligen Unterschiedlichkeiten. Im Dialog erkennt und entwickelt man eine spirituelle Gemeinsamkeit, die eint und die hilft, die sittlichen Werte, die Gerechtigkeit, die Freiheit und den Frieden zu fördern. Der Dialog ist eine Schule der Menschlichkeit und ein Erzeuger von Einheit, der hilft, eine auf Toleranz und gegenseitige Achtung gegründete Gesellschaft aufzubauen.
Aus diesem Grund darf der interreligiöse Dialog sich nicht nur auf einige wenige, d. h. allein auf die Verantwortlichen der religiösen Gemeinschaften beschränken, sondern müsste so weit wie möglich auf alle Gläubigen ausgeweitet werden und so die verschiedenen Bereiche der Zivilgesellschaft einbeziehen. Eine besondere Aufmerksamkeit verdienen in diesem Sinn die Jugendlichen, die berufen sind, die Zukunft dieses Landes aufzubauen. Dennoch ist es immer gut, sich daran zu erinnern, dass der Dialog, um echt und wirksam zu sein, eine ausgebildete Identität voraussetzt: Ohne eine ausgebildete Identität ist der Dialog nutzlos und schädlich. Das sage ich im Gedanken an die Jugendlichen, es gilt aber für alle.
Ich schätze aufrichtig, was Sie bis jetzt getan haben, und ich mache Ihnen Mut für diesen Ihren Einsatz für die Sache des Friedens, dessen erste Hüter Sie als die religiösen Leader hier in Bosnien und Herzegowina sind. Ich versichere Sie, dass die katholische Kirche weiterhin ihre volle Unterstützung gewähren und ihre ganze Verfügbarkeit bereitstellen wird.
Wir alle sind uns bewusst, dass noch eine weite Strecke zurückzulegen ist. Lassen wir uns jedoch nicht durch die Schwierigkeiten entmutigen und setzen wir den Weg der Vergebung und der Versöhnung mit Ausdauer fort. Während wir zu Recht der Vergangenheit gedenken auch um aus der Geschichte zu lernen , wollen wir vermeiden, sie zu beweinen und uns gegenseitig zu beschuldigen, sondern lassen wir uns läutern von Gott, der uns die Gegenwart und die Zukunft schenkt: Er ist unsere Zukunft, er ist die letzte Quelle des Friedens.
Diese Stadt, die in der jüngsten Vergangenheit auf traurige Weise zu einem Symbol des Krieges und seiner Zerstörungen geworden ist, das Jerusalem Europas, kann heute mit ihrer Vielfalt an Völkern, Kulturen und Religionen wieder ein Zeichen der Einheit werden, ein Ort, in dem die Verschiedenheit nicht eine Bedrohung darstellt, sondern einen Reichtum und eine Gelegenheit, miteinander zu wachsen. In einer leider noch von Konflikten zerrissenen Welt kann dieses Land zu einer Botschaft werden: Es kann bezeugen, dass es möglich ist, Seite an Seite zusammenzuleben in der Unterschiedlichkeit, doch im gemeinsamen Menschsein und zusammen eine Zukunft des Friedens und der Brüderlichkeit aufzubauen.
Ich bin Ihnen allen dankbar für Ihre Anwesenheit und für die Gebete, die Sie freundlicherweise für meinen Dienst verrichten werden. Meinerseits versichere ich Ihnen, dass ich ebenso für Sie beten werde. Der Herr segne uns alle.
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