24. Juni 2015 in Kommentar
Vier Gesetzesentwürfe stehen im Deutschen Bundestag zur Diskussion. Doch nur der Entwurf von Sensburg/Dörflinger bietet den notwendigen Lebensschutz. Gastkommentar von Leo Lennartz
Berlin (kath.net/CDL) Die 10 Gebote sind kurz und knapp und eindeutig. Ihr "Du sollst" bedeutet jedes Mal ein unbedingtes Verbot oder ein unbedingtes Gebot. Sie bestimmen nicht nur das Verhältnis der Menschen zu Gott sondern sind religionsübergreifend verbindliche Richtschnur für das Leben aller Kulturnationen geworden.
Im 5. Gebot heißt es: "Du sollst nicht töten = morden." Darunter fällt auch die Selbsttötung, im Sprachgebrauch Selbstmord genannt. Damit wird schon die Abscheu gegenüber der Tat ausgedrückt.
Es gibt auch keine Kulturnation, die den Selbstmord positiv bewertet. Er wird nur hingenommen, weil er nicht vermeidbar ist. Er kann auch nicht bestraft werden, wenn er vollendet ist. Ein versuchter Selbstmord wird aus praktischen Erwägungen nicht bestraft. In Deutschland entfällt im übrigens eine Bestrafung wegen Beihilfe oder Anstiftung, wenn die Haupttat, wie hier, nicht strafbar ist.
Dass Selbstmord zu Recht nicht positiv bewertet wird, beweist schon der § 216 StGB, der die Tötung auf Verlangen unter Strafe stellt. Darin bringt der Staat auch heute schon unübersehbar seine Missbilligung des Selbstmords zum Ausdruck.
Das Unrecht beweisen auch die verstörenden Auswirkungen einer solchen Tat auf das Umfeld. Ein Selbstmord löst regelmäßig Bestürzung und Fassungslosigkeit aus. Bei Angehörigen, Freunden, Arbeitskollegen, Mitschülern und sogar bei Fernstehenden entstehen oft dauernde Schuldgefühle, weil sie die Gefährdung des Betroffenen nicht erkannt und seinen Tod nicht verhindert zu haben. Für Familien hat die Tat oft schwere gesundheitliche, gesellschaftliche, aber auch finanzielle Folgen.
Der Selbstmord ist eben nicht das normale Lebensende. Er wird stets als ein Geschehen außerhalb der Norm begriffen und bei allem Verständnis für den Betroffenen auch als ein Versagen des Täters gegenüber seiner Verantwortung für sich selbst wie andere.
Dennoch gab und gibt es immer wieder Stimmen, die den Selbstmord als einen Akt menschlicher Autonomie bezeichnen und sich dabei auch auf das Grundgesetz berufen.
Diese Auffassung ist allerdings unrichtig. Das Grundgesetz beschreibt zwar in Art. 2 Abs. 1 das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, macht aber die Einschränkung, dass dieses Recht nur insoweit besteht, als nicht die Rechte anderer verletzt werden und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstoßen wird. Selbstmord verstößt aber gegen das Sittengesetz, weil ein Mensch eine gegen sich selbst gerichtete Tat begeht, sich dabei seiner irdischen Existenz beraubt. Selbstmord verstößt gegen die Rechte anderer, weil der Umwelt Schaden zufügt wird.
Selbstmord ist auch ein Verstoß gegen die verfassungsmäßige Ordnung. Durch den Selbstmord und jeden weiteren wird der Respekt vor dem menschlichen Leben zunächst relativiert und geht später immer mehr verloren. Auch folgt der mangelnden Ehrfurcht vor dem eigenen Leben der Mangel an Respekt vor dem Leben des anderen.
Und wenn das Grundgesetz im 2. Absatz von Art. 2 davon spricht, dass jeder das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit hat, spricht es von aktuellen und zukünftigen Zuständen oder Entwicklungen aber nicht von einem Recht, das eigene Leben zu beenden. Wer also einen Anspruch auf Selbstmord aus einer angeblich unbeschränkten Autonomie, d.h. Selbstgesetzlichkeit, des Menschen herleiten will, hat tatsächlich das Recht nicht auf seiner Seite.
Wie steht es nun mit der Beihilfe zum Selbstmord?
Nach derzeitiger Rechtslage ist sie möglich, denn Beihilfe zum Selbstmord ist nicht unter Strafe gestellt. Dass dennoch hierüber so intensiv diskutiert wird, ist zunächst auf das in den letzten Jahren vermehrt zu beobachtende Auftreten von so genannten Sterbevereinen zurückzuführen. Deren Tätigkeit wird allgemein als unethisch abgelehnt, zumal sie im Verdacht stehen, mit der Beihilfe zum Selbstmord, also dem Tod, Geschäfte zu machen. Da es indessen nicht gelang, eine Formel zu finden, mit der eine organisierte oder geschäftsmäßige Beihilfe zum Selbstmord zuverlässig unterbunden und strafrechtlich sanktioniert werden kann, verlagerte sich die Diskussion auf die Frage, wie Beihilfe zum Selbstmord positiv beschrieben und so die unerwünschten Nebenerscheinungen vermieden werden könnten. Das kommt natürlich allen jenen, die dem Selbstmord einen positiven Wert zusprechen, sehr entgegen.
Nach der Statistik gibt es in Deutschland etwa 10.000 vollendete Selbstmorde pro Jahr und etwa 100.000 Selbstmordversuche.
Noch vor wenigen Jahren ergab eine Umfrage, dass 93 % der deutschen Bevölkerung die Beihilfe zum Selbstmord für strafbar hielten. Die Hilfe von Sterbevereinen nehmen jährlich etwa 200-300 Personen in Anspruch, also eine im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung verschwindend geringe Zahl, aber das waren bzw. sind die Personen, um die es angeblich zunächst ging.
Aufgrund der Diskussion zu dieser Frage und der Aufklärung über den tatsächlichen Rechtszustand, nämlich die Straffreiheit der Beihilfe, ergibt sich nunmehr eine ganz andere Sachlage. Jetzt werden auf allen Vertriebswegen (Presse, Radio, Fernsehen und Internet) von interessierter Seite schlimme Einzelschicksale geschildert, um darzustellen, was man auch gar nicht bestreiten kann, dass es leidende Menschen in aussichtsloser, todesnaher Situation gibt, die sich selbst nicht mehr umbringen können und dafür nach der Hilfe eines Dritten verlangen. Die Tatsache, dass Leiden unabdingbar zum menschlichen Leben gehört, wird ausgeblendet und stattdessen die Forderung erhoben, dass diese leidenden Menschen für ihr Vorhaben Hilfe von anderen bekommen dürften.
Hauptargument ist, man dürfe in schwierigen Situationen aus Mitleid am Sterben eines Lebensmüden mitwirken. Bei genauer Betrachtung ergibt sich, dass es in vielen Fällen weniger um Mitleid geht als um die eigene Betroffenheit über die Situation des anderen, die man nicht länger aushalten will. Das wiegt dann schwerer als die Situation dessen, der tatsächlich oder auch nur angeblich Beihilfe zum Selbstmord verlangt. Diese Haltung ist allerdings kein echtes Mitleid sondern bedeutet Verweigerung der Solidarität ausgerechnet dann, wenn sie am nötigsten ist.
Es ist ja längst bekannt und wird auch in der Diskussion nicht ernsthaft bestritten, dass die meisten Selbstmordwünsche ihren Grund entweder in einer psychischen Krankheit haben oder aber im Empfinden des Betroffenen, nicht mehr geliebt zu werden, zu nichts mehr nutze zu sein, anderen nur noch zur Last zu fallen, und Ihnen darüber hinaus Kosten zu bereiten.
Solchen Menschen darf man ihr Leid nicht dadurch vergrößern, dass man sie in ihren Vorstellungen unterstützt. Sie brauchen vielmehr eine helfende Hand, durch die sie wieder in das normale Leben zurückgeführt und bei früher oder später zum Tode führender Krankheit liebevoll betreut werden. Geschieht dies, wird der Todeswunsch in den allermeisten Fällen sehr bald und dauernd aufgegeben. Das zeigt, dass der Lebensmüde im Zweifel nicht seinen Tod wünscht, sondern Hilfe in einer Situation, die ihm unerträglich ist. Der Forderung, Beihilfe zum Selbstmord aus Mitleid leisten zu dürfen, darf deshalb nicht gefolgt werden, denn dieser Forderung, können durchaus auch eigennützige Gründe zugrundeliegen. Das gilt eben nicht nur für Sterbevereine.
Es gibt Ärzte - ich habe sie selbst schon vor Jahren beim Marsch für das Leben in Berlin erlebt - die für sich einen im Ergebnis unkontrollierten, rechtsfreien Raum für eine Beihilfe zum Selbstmord fordern. Dafür gibt es nicht die geringste Begründung. Auch Ärzte stehen natürlich unter dem Recht.
Und auch bei nahen Angehörigen oder sonstigen Nahestehenden gibt es neben dem Mitleid, dass gar nicht bestritten zu werden braucht, die gleich naheliegende Alternative eines persönlichen, nicht zuletzt materiellen, Interesses, dass der Leidenszustand des Angehörigen mit ihrer Hilfe ein Ende finden möge. Schließlich leisten sie oft über viele Jahre eine aufopferungsvolle Pflege, die ihnen alles abverlangt, während das Erbteil, das Ihnen zugefallen wäre, durch die Kosten aufgebraucht wird.
Und wenn die demographische Entwicklung so weitergeht, werden die Alten den Jungen immer mehr zur Last werden. Und oft bedarf es keiner großen Anstrengung, einem schwachen, kranken oder lebensmüden Menschen den Lebensmut zu nehmen.
Weder bei behandelnden Ärzten noch dem persönlichen Umfeld wird im Zweifel ein Staatsanwalt später feststellen können, ob straffreie Beihilfe vorlag oder die schon erwähnte strafbare Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) oder gar Totschlag bzw. Mord. Diese rechtliche Unsicherheit darf in einem Rechtsstaat nicht hingenommen werden.
Zudem: Wenn eine solche Übung einreißt, wird prompt und sehr bald die Forderung kommen, auch die Tötung auf Verlangen straffrei zu stellen. Denn wenn man dem Lebensmüden den Giftbecher hinstellen darf, warum soll man ihm dann nicht beim Trinken helfen dürfen? Die jüngste Forsa-Umfrage bestätigt die Befürchtung.
Man darf also die Frage der Strafbarkeit einer Beihilfe zum Selbstmord nicht an einigen besonders anrührenden Fällen messen und entscheiden. Maßstab muss sein, was allgemein gelten muss.
Es besteht bereits jetzt erkennbar die abstrakte Gefahr, dass die bisher straflose Beihilfe zum Selbstmord gerade für kranke und schwache Menschen zu einer konkreten Lebensgefahr wird. Hier ist der Staat schon aus Gründen der Gefahrenabwehr gehalten, dem entgegenzutreten.
Nun gibt es zum Thema Beihilfe zum Selbstmord Initiativen aus der Mitte des Bundestages, nämlich einen Antrag und mehrere ausformulierte Gesetzesentwürfe. Hierüber soll in den kommenden Monaten im Deutschen Bundestag beraten und im Herbst abgestimmt werden.
Dazu ist zu sagen:
1. Der Antrag (Keul) verlangt, dass der Bundestag bezüglich Beihilfe zum Selbstmord überhaupt nichts unternehmen und alles beim Alten lassen möge. Er verkennt, dass die heutige Situation eben nicht mehr mit der früheren zu vergleichen ist, als Beihilfe zum Selbstmord noch weit überwiegend als verboten angesehen wurde oder ein Tabu war.
2. Der Gesetzesentwurf (Künast und andere) begehrt ausdrücklich die gesetzliche Möglichkeit der organisierten oder geschäftsmäßigen Hilfe zur Selbsttötung. Verbieten will er nur die gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung Er deckt, ich vermute ungewollt, sehr klar die Konsequenzen auf, die allen kranken und schwachen Menschen drohen, die sich gegen das organisierte angebliche Mitleid nicht (mehr) wehren können.
3. Der Gesetzesentwurf (Hintze und andere) plädiert für eine ärztliche Hilfestellung bei der Lebensbeendigung. Er ist deshalb so übel und abzulehnen, weil mit ihm versucht wird, den Arzt, und dabei im Zweifel gerade den, der den Kranken besonders gut kennt und ihn bisher mit dem Ziel der Heilung behandelt hat, zum Komplizen und Mittäter bei der Tötung seines Patienten zu machen Dabei wird in Kauf genommen, dass das positive Bild des Arztberufes ruiniert und jedes Vertrauen in den Arzt , der bis zuletzt auf der Seite des Lebens stehen muss, zerstört wird.
4. Der Gesetzesentwurf von Brand und anderen, der derzeit besonders in der CDU/CSU-Fraktion mit prominenten Namen als Unterstützern beworben und von der Presse hochgeschrieben wird, beschreibt zwar die gegenwärtige Gefährdungslage ziemlich gut, zieht aber daraus nicht die richtigen Konsequenzen, wenn er nur die geschäftsmäßige Beihilfe zum Selbstmord unter Strafe stellen will. Das genügt aus den genannten Gründen eben nicht.
Den drei Gesetzesentwürfen ist gemeinsam, dass es bei der jetzigen Rechtslage der Straffreiheit der Beihilfe zum Selbstmord verbleiben soll. Damit verstärken sie tatsächlich die Gefahr, die erkennbar von Angehörigen, Nahestehenden und Ärzten und im Antrag Künast zusätzlich von Sterbevereinen ausgeht und deren Konkretisierung absehbar ist.
Für alle diese Vorschläge gilt: Gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht.
Aber es gibt auch den richtigen Lösungsvorschlag.
Der Gesetzentwurf der Abgeordneten Prof . Patrick Sensburg (CDU) und Thomas Dörflinger (CSU) zeigt nicht nur die Gefahren auf, welche jetzt eine eindeutige Aussage des Gesetzgebers nötig machen. Er zeigt auch die richtige Lösung auf und verlangt konsequenterweise, dass jede Beihilfe zum Selbstmord wie auch die Anstiftung und der Versuch dazu unter Strafe gestellt werden. Das ist auch nach dem, was dargelegt wurde, zwingend. Nur so nämlich kann der notwendige Lebensschutz für jedermann und vor allem für schwache und kranke und lebensmüde Personen durch einen geeigneten Rechtsrahmen gewährleistet werden.
Deshalb sollten Sie auch aus eigenem Interesse diesen Vorschlag unterstützen, und vor allen Dingen die Abgeordnete oder den Abgeordneten ihres Wahlkreises aber auch die übrigen Abgeordneten des Deutschen Bundestages dringend bitten, diesen Vorschlag im Parlament zu unterstützen und als Gesetz zu beschließen. Schon alleine damit setzen Sie ein Zeichen der Solidarität für Menschen in Gefahr.
Und, ich wiederhole mich: Eine solche gesetzliche Regelung schützt auch Sie persönlich.
Leo Lennartz ist Rechtsanwalt und Bundesvorstandsmitglied der Christdemokraten für das Leben (CDL).
© 2015 www.kath.net