9. Juli 2015 in Österreich
"Kleine Privatinitiativen", die das nicht wahrhaben wollen, "stellen sich eindeutig außerhalb der kirchlichen Gemeinschaft" Auch die beiden Vorgänger des Bischofs hatten der antijüdischen Ritualmordlegende bereits eine klare Absage erteilt.
Innsbruck (kath.net/KAP) Der Innsbrucker Bischof Manfred Scheuer (Foto) hat das Verbot des Kultes um Anderl von Rinn bekräftigt. Er folgt damit der klaren Linie seiner Vorgänger Reinhold Stecher und Alois Kothgasser, die der antijüdischen Ritualmordlegende ebenfalls eine klare Absage erteilten. Im Vorfeld der dennoch alljährlich am Sonntag nach dem 12. Juli privat organisierten Wanderung zum "Judenstein" bei Rinn veröffentlichte Scheuer am Mittwoch eine Erklärung, die die schuldbewusste Abkehr der katholischen Kirche von jedem Antijudaismus in der Konzilserklärung "Nostra aetate" ebenso in Erinnerung ruft wie die Haltung von Papst Franziskus, der sagte, wegen der gemeinsamen Wurzeln der beiden Religionen "kann ein Christ nicht Antisemit sein".
Hin und wieder gebe es Initiativen und Beiträge, die den Anschein erwecken könnten, der "Anderlkult" sei immer noch lebendig, schrieb Scheuer. Wörtlich setzte er fort: "Mit aller Klarheit und Entschiedenheit halte ich fest: Kirchlich betrachtet ist der Kult tot! Kleine Privatinitiativen stellen sich eindeutig außerhalb der kirchlichen Gemeinschaft."
Der dreijährige Anderl Oxner wurde laut einer Ritualmordlegende des 17. Jahrhunderts am 12. Juli 1462 im Nordtiroler Dorf Rinn Opfer von ortsfremden Juden. Die Kirche Mariä Heimsuchung wurde wegen der Aufbahrung der angeblichen Gebeine des ermordeten Buben über Jahrhunderte Ziel einer Wallfahrt, die erst Bischof Stecher 1985 für kirchlich unzulässig erklärte. Die Gebeine wurden aus dem Altar entfernt und in der Seitenmauer der Kirche beigesetzt, das antisemitische Deckenfresko wurde übermalt. "Entgegen allen Versuchungen, die falsche Tradition im Rahmen solcher Umgestaltungsprozesse totzuschweigen", wurden aufklärende Tafeln angebracht, wies Bischof Scheuer hin.
Darauf wird gegen die "völlig unbewiesene Beschuldigung" von Juden dargelegt, dass Anderl "zwar nicht als Märtyrer der Kirche" in der Kirche ruht, "aber als mahnende Erinnerung an die vielen Kinder, die bis zum heutigen Tag Opfer der Gewalt und der Missachtung des Lebens wurden". Eine Tafel bekenne - so Scheuer - auch deutlich "manches Unrecht, das von Christen an Juden begangen wurde" und setze ein Zeichen für die Versöhnung mit jenem Volk, "aus dem uns der Erlöser entstand". Nach vielen Diskussionen und Veranstaltungen rund um den Anderl-Kult erklärte Bischof Stecher diesen 1994 endgültig für "verboten". Manfred Scheuer dazu: "An dieser klaren Haltung hielt auch sein Nachfolger Bischof Alois Kothgasser fest, genauso wie auch ich dies tue."
"Antijüdische Stereotypen" in der Kirche
Der Kult um Anderl von Rinn sei im Kontext von Jahrhunderte lang tradierten antijüdischen Stereotypen in der christlichen Theologie zu sehen, wies Scheuer hin. Die Anklage der Juden als Gottesmörder hätten zu "Selbstgerechtigkeit" der Christen und später zu mangelnder Solidarität mit den jüdischen Opfern des Nazi-Regimes geführt. Auch die katholische Kirche in Tirol habe "im Kontext dieser schmerzhaften Verstrickung" Schuld auf sich geladen. Scheuer nannte neben der Wahlfahrt zu Anderl von Rinn auch den "Antisemitenbund" nach dem Ersten Weltkrieg, dem auch Tiroler Priester angehörten.
Seiner Stellungnahme stellte Bischof Scheuer einen Appell aus der Juden wie Christen als Heilige Schrift geltenden Thora voran: "Denk an die Tage der Vergangenheit, lerne aus den Jahren der Geschichte" (Dtn 32,7). Und er schloss mit den Worten: "Mit tiefer Dankbarkeit gegenüber dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs und dem Vater Jesu Christi nehme ich als Bischof von Innsbruck das positive Verhältnis zwischen der Israelitischen Kultusgemeinde und der Katholischen Kirche in der Diözese Innsbruck wahr."
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