Der Papst im Gefängnis

11. Juli 2015 in Chronik


Franziskus besucht den berüchtigtsten Knast Boliviens - Von Ludwig Ring-Eifel (KNA).


Santa Cruz de la Sierra (kath.net/ KNA)
Es gilt als anarchische Parallelwelt, als berüchtigter «Staat im Staat»: In Palmasola, dem größten Gefängnis Boliviens, leben rund 5.000 Häftlinge. Am Freitag bekamen sie Besuch von Papst Franziskus.

Die Szene könnte überall in Lateinamerika spielen: Fahnen in den Nationalfarben des Landes und denen des Vatikan flattern im Wind, ein Chor singt das Willkommenslied «Bienvenido Papa Francisco». Der Papst fährt im winzig kleinen Papamobil zwischen Wellblechhütten über holprige Wege. Er steigt aus, segnet Behinderte, küsst Kinder und nimmt schließlich auf dem Podium Platz.

Erst beim zweiten Hinsehen fällt auf, dass etwas anders ist. Die Menge ist übersichtlich, nur knapp 5.000 Menschen sind versammelt. Es fehlen die Honoratioren und Monsignori. Auch die Polizei ist weniger zahlreich vertreten als sonst, und das ist auch nicht nötig.

Die Menschen, die hier dem Papst begegnen, sind bereits in Haft. Der Papst befindet sich in Palmasola, einem der größten und berüchtigtsten Gefängnisse Lateinamerikas. Was auf den ersten Blick aussieht wie ein beliebiges bolivianisches Armenviertel, ist in Wahrheit ein Knast. Umgeben von hohen Mauern mit Stacheldraht und Wachtürmen, in denen schwer bewaffnete Polizisten darüber wachen, dass niemand ohne Gerichtsbeschluss hineinkommt oder herausgeht.

Hinter den Mauern leben mehrere tausend Gefangene, Männer und Frauen, viele davon mit ihren Kindern. Weil die Staatsgewalt schon lange die Hoffnung aufgegeben hat, diese traurige Parallelwelt kontrollieren zu können, herrscht in Palmasola Selbstverwaltung. Es gibt formale und informelle Herrschaftsstrukturen, die ein Außenstehender nicht durchschaut, es gibt eine Art Bürgermeister, es gibt Geschäfte, Korruption, Drogen. Es gibt Unterricht für die Kinder, Bildungskurse und Seelsorger, die Messen feiern, Beichte hören, Kinder taufen. Es gibt schwangere Frauen und alte Menschen mit schweren Krankheiten. Ein kleiner Ausschnitt des Lebens, in dem aber eines fehlt: die Freiheit.

Drei der Inhaftierten schildern dem Papst in bewegenden Zeugnissen ihr Leben. Sie nennen sich selbst nicht Häftlinge, sondern «Freiheitsberaubte». Eine Frau trägt dem Papst das Anliegen der weiblichen Gefangenen vor: Dass wenigstens die Schwangeren, die stillenden Frauen und die Schwerstkranken begnadigt werden. Ein anderer fordert ein Ende der Verwahrlosung, bessere Ernährung und ein menschenwürdiges Leben in Palmasola.

Der Papst hört schweigend zu, zu seinen Füßen sitzen zwei Kleinkinder. Am Ende kommt eines zu ihm und legt seinen Kopf in seinen Schoß. Dann spricht der Papst. Er stellt sich vor als Sünder, dem seine Sünden immer wieder vergeben wurden. Und er erinnert an die Apostel Petrus und Paulus, die ebenfalls im Gefängnis saßen. «Was taten sie? Sie beteten, und man betete für sie. So entsteht ein Netz der Unterstützung, das die Gefangenen trägt.» Die Häftlinge könnten selbst zu einer Verbesserung ihrer Situation beitragen, betont Franziskus: indem sie sich gegenseitig brüderlich helfen und Egoismus und Gewalt überwinden.

Zugleich wendet er sich an Justiz und Regierung: Haft dürfe nicht «das Gleiche wie Ausschließung» bedeuten - sie müsse vielmehr «Teil eines Prozesses der Wiedereingliederung in die Gesellschaft» sein. Das Gefängnispersonal habe die Aufgabe «emporzuheben und nicht zu erniedrigen; Würde zu verleihen und nicht zu demütigen; zu ermuntern und nicht zu betrüben». Die Einteilung in moralisch «Gute» und «Schlechte» müsse überwunden werden. Nötig sei eine Logik, «die darauf ausgerichtet ist, dem Menschen zu helfen». Dies schaffe bessere Bedingungen für alle, sagt der Papst.

Von den staatlichen Institutionen fordert Franziskus ein «schnelles und effizientes Zusammenwirken» gegen Überbelegung, Langsamkeit der Justiz, Mangel an Rehabilitationsprogrammen sowie die Gewalt in Gefängnissen.

Mehrfach wird der Papst während seiner Rede von Beifall unterbrochen, manche Gefangene haben Tränen der Rührung in den Augen – nicht zuletzt als der Papst seine Rede mit den emotionalen Worten beendet: «Und bitte betet weiter für mich, denn auch ich mache meine Fehler und muss Buße tun.»

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Foto: (C) Famiglia Christiana


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