22. August 2015 in Spirituelles
Auszug aus dem Bestsellerbuch "Tagebuch eines Jerusalempilgers. 14.000 Kilometer - 14.000 Hunde - Ein Priester" - Von Johannes Maria Schwarz
Jerusalem (kath.net)
Tag 140 - 38 km (4854 km)
Der Wecker läutete, doch die Sonne war davon unbeeindruckt. Keine Spur von ihr. Nicht einmal ein heller Streifen am Horizont war zu sehen. Ich stellte den Alarm eine halbe Stunde nach vorne. 5.15 Uhr. Sterne prangten am Firmament. Nochmals weiterschlafen. Nächster Versuch um 6.00 Uhr. Nun war ausreichend Licht, um den Weg auf den Gipfel zu finden. Ich packte alle notwendigen Sachen und ließ den Rest im Zelt zurück.
Ich war nicht alleine, als ich meine Schritte in Richtung Gipfel wandte. Der große weiße Hund von gestern spazierte schwanzwedelnd neben mir. Aloysius war mein Name für die Kreatur. Es ist mir einigermaßen peinlich, zuzugeben, dass Aloysius sich im Tagesverlauf als Aloysia entpuppte. Ich hatte mich von der Größe und dem dichten Fell täuschen lassen.
Hinter meinem Rücken stieg der majestätische Fünftausender Ararat als schneebedeckte Insel aus dem Dunst. Das Wetter war perfekt. Nach zwei Stunden erreichten wir die flatternde, ausgefranste armenische Flagge am Südgipfel und setzten uns in den Windschatten einer aufgeschichteten Schutzmauer. Zum Frühstück gab es nun Brot und einen Apfel (respektive Apfelputz). Dann bedankte ich mich bei Aloysia für die nette Gesellschaft und begann über den südlichen Vorgipfel steil hinunter zur Scharte neben dem Westgipfel abzusteigen. Es war wichtig hier, nicht den Halt zu verliefen. Vorsichtig setzte ich die Schuhe auf, schlitterte dennoch kurze Strecken und bremste mit dem Hosenboden. Doch wer war plötzlich wieder hinter mir und rutschte auf allen vieren über Sand und Geröll? Aloysia.
Offensichtlich wollte auch sie noch höher hinaus. Vom Abstieg des Südgipfels aus sah der Gegenhang zum Westgipfel ungemein steil und felsig aus. Probieren wollte ich es dennoch und begann wenig später mit dem Aufstieg. Jetzt war auch ich auf allen vieren unterwegs. Hin und wieder, wenn der Weg über eine vertikale Steinstufe führte, die man nur durch leichte Kletterei überwinden konnte, verabschiedete ich mich mit ein paar netten Worten von Aloysia.
Unmöglich, dass sie hier hochkommen würde. Wie erschrak ich dann jedes Mal, wenn sie plötzlich wieder neben oder gar über mir auftauchte, während ich noch vorsichtig meine Griffe und Tritte abwog. Es gab offensichtlich mehr als einen Weg hier hoch, doch so manchen Abschnitt hätte ich einem Hund nicht zugetraut.
Die tatsächliche Höhe des Westgipfels, den wir wenig später zu zweit erreichten, ist seit den ersten Messungen der Sowjets umstritten. 3995 m, 4062 m, 4080 m. ü. M. waren alles Angaben, die ich bei der Recherche fand. Mein GPS zeigte 3985 m. ü. N. und er war damit in jedem Fall der höchste Punkt auf meiner Route ins Heilige Land.
Die Ausblicke waren herrlich.
Braun-goldene Farbenspiele in der baumlosen Wildnis zu unseren Füßen. Erodierte Furchen in den farbigen Sanden des Vulkans. Und immer noch die weiße Kuppe des biblischen Berges am südlichen Firmament. Aloysia ließ sich von meiner Euphorie nicht anstecken und lag unbeeindruckt neben dem Aluminiumkreuz. Sie genoss die wärmende Sonne des Vormittags, während der Wind zwischen den Steinen ihren flauschigen Pelz zerzauste.
Der Abstieg, bei diesem losen Gesteinsaufbau haariger als der Aufstieg, gelang uns beiden problemlos. Zurück auf der Scharte bestand Aloysia darauf, etwas Schnee zu fressen. Ich leerte zusätzlich etwas von meinem Wasser für sie in die flache Vertiefung eines Felsens. Dann begannen wir den Rückweg. Hier übernahm nun der Hund die Führung. Allerdings blieb sie alle 50 Meter stehen, um sich zu versichern, dass ich noch bei ihr war. Es war zu diesem Zeitpunkt, dass ich begann, mir Sorgen zu machen. Hatte ich nun wieder einen Hund im Schlepptau? Mit Aloysia in die Millionenstadt Yerevan? Nein. Aber wie sollte ich ihr das beibringen? Die Antwort gab sie selbst, einfach und unkompliziert. Nachdem ich mein Zelt abgebaut und die Ausrüstung verstaut hatte, sagten wir einander հաջող (Tschüss) und trennten uns. Ich ging talwärts. Aloysia blieb in der schönen Hochgebirgswildnis zurück. Sie wartete auf den nächsten Kunden. Bergführerin war kein leichtes Leben, aber ein Leben.
Bevor ich in die Ebene am Fuß des Berges stieg, gab ich dem Restaurant, bei dem ich gestern abgeblitzt war, noch eine zweite Chance. Und tatsächlich. Sie hatten heute nicht nur Wasser für mich, sondern auch eine traditionelle armenische Suppe. Die freundliche Bedienung erklärte mir, wie ich sie mit dem dünnen Brot und Knoblauch essen sollte und verschwand. Ich rührte mit dem Löffel. Ein fetter, teils glibbriger, teils knöcherner tierischer Körperteil kreiste, wackelte und schwamm wie eine bizarre Boje auf der wässrigen Suppe. War es ein halber Kehlkopf? Ich stocherte an den Venenstumpen. Das Ding hatte die Größe einer Hand. Erst später sollte ich erfahren, dass hier in meinem Chasch ein Kuhfuß schwamm.
Unwissend selig, versuchte ich den Geschmack des dominierenden Fettes mit reichlich Knoblauch zu überlagern. Das machte die Sache erträglich, aber nach ein paar zu großzügigen Löffeln auch ziemlich tränenreich. Mein Hals und Kehlkopf brannten.
Bis ich am Abend meinen Zeltplatz 2.000 Höhenmeter weiter unten, zwischen Obstbäumen und mit Blick auf den Ararat erreichte, stieg mir der unverwechselbare Geschmack der Suppe, versetzt mit zu viel Knoblauch, immer wieder vom Magen in die Nase. Kein Schokoriegel konnte das ändern. So lag ich in meinem Zelt und lächelte. Hatte ich gestern nicht über den Mundgeruch meines vierbeinigen Bergkameraden gelästert? Manche Sünden werden eben gleich bestraft.
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kath.net-Buchtipp:
Tagebuch eines Jerusalempilgers: 14.000 Kilometer - 14.000 Hunde - Ein Priester.
Von Johannes Maria Schwarz
Gebundene Ausgabe, 464 Seiten
Eigenverlag 2015
ISBN: 978-3200039773
Preis 15,90
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