3. September 2015 in Interview
Maltas Ex-Verteidigungsminister zur privaten Initiative Migrant Offshore Aid Statio (MOAS) für Bootsflüchtlinge. Von Julia Rathcke (KNA)
Köln (kath.net/KNA) Über 300.000 Flüchtlinge sind nach Angaben der UN seit Januar über das Mittelmeer nach Europa gekommen. Viele überleben die gefährliche Tour auf überfüllten Schlepperbooten nicht. Die private Initiative Migrant Offshore Aid Statio (MOAS) rettete bisher über 10.000 Menschen vor dem Ertrinken. Das kann aber nicht die Lösung sein, wie der Direktor der Organisation, der ehemalige Verteidigungsminister Maltas, Martin Xuereb (Foto), im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) erklärt.
KNA: Herr Xuereb, die Privatleute Christopher und Regina Catrambone gründeten 2013 die Initiative MOAS. Warum?
Xuereb: Papst Franziskus hat die beiden Gründer inspiriert. Nachdem damals 400 Flüchtlinge vor Lampedusa umgekommen waren, rief er in seiner Ansprache zu Menschlichkeit auf. Man solle die Toten nicht als Zahlen sehen, er warnte vor einer «Globalisierung der Gleichgültigkeit».
KNA: Familie Catrambone kaufte also ein Schiff und versammelte Seeleute, Mediziner und Sicherheitsexperten. Was war der Plan?
Xuereb: Wir hatten keinen. Wir fuhren 2014 auf See, ohne Ahnung davon, was uns erwartet und ob wir erfolgreich sein würden - aber mit einer Überzeugung: Dass niemand es verdient hat, auf dem Meer zu sterben.
KNA: Und wie lief es?
Xuereb: Innerhalb der ersten 60 Tage auf See haben wir 3.000 Menschen vorm Ertrinken gerettet. Mittlerweile sind es 10.000.
KNA: Wie muss man sich das genau vorstellen?
Xuereb: Wir fahren nicht den ganzen Tag ziellos herum. Außer uns gibt es ja noch Schiffe von Sea Watch und Ärzte ohne Grenzen. Wir arbeiten als einzige aber mit Drohnen, die können innerhalb von sechs Stunden über 900 Quadratkilometer Meer absuchen. Wir stehen in Dauerkontakt mit der Seenotrettung Rom und geben im Notfall Infos durch: Personen an Bord, Lage, Gefahrenpotenzial. Dann helfen entweder Rettungsboote, die näher dran sind oder wir.
KNA: Wenn man bei youtube Ihre Rettungseinsätze ansieht, scheint der Umgang ziemlich hart. Sie schreien die Flüchtlinge regelrecht an.
Xuereb: Sie müssen sich vorstellen, da sind 500 bis 600 Menschen auf einem 20-Meter-Boot, die Lage ist unübersichtlich. Die Menschen müssen uns zuhören - denn die Situation kann schnell kippen.
KNA: Aber Sie sind doch deren Retter in der Not?
Xuereb: Das ist aber nicht immer allen klar. Da sind die unterschiedlichsten Menschen auf engstem Raum tagelang unterwegs, sprechen nicht einmal die gleiche Sprache. Die sind erschöpft, verängstigt, verzweifelt. Meistens sind die Holzboote zweistöckig, und das Leben der Menschen in der unteren Etage hängt davon ab, wie die Menschen oben auf dem Boot reagieren. Jeder will in diesem Moment sein eigenes Leben sichern.
KNA: Was war für Sie persönlich der krasseste Moment auf dem Meer?
Xuereb: Vor knapp zwei Wochen haben wir 300 Menschen von einem Boot geholt, das in Seenot geraten war. Als wir auf das Boot gingen, lagen 52 Personen noch unten im Motorraum. Tot. Entweder erstickt in der Hitze oder vergiftet von Abgasen.
KNA: Was passiert mit den Menschen, die Sie retten konnten? MOAS steht in der Kritik, sich darum nicht weiter zu kümmern.
Xuereb: Wir repräsentieren keinen Staat. Wir können solche Problem nicht lösen, wir sind da, um Leben zu retten. Lösungen liegen auch nicht auf dem Meer, sondern bei den Ländern aus denen die Menschen kommen, durch die sie ziehen und dort, wo sie hingehen.
KNA: Das heißt, Sie befürworten eine europäische Quote?
Xuereb: Nein, unsere Arbeit hängt auch nicht an dieser Diskussion. Das Problem ist: Die Länder empfinden die Migration als Bürde. Dabei sind Flüchtlinge keine Last, sondern eine Verantwortung, die alle gemeinsam tragen müssen. Wir haben keine Flüchtlingskrise sondern eine Krise des Schutzes für Flüchtlinge.
KNA: Wer muss also was tun?
Xuereb: Wir glauben nicht, dass es allein an Deutschland oder Italien hängt. Klar, es passiert vor unsere Haustür, also muss Europa die Führung übernehmen. Aber die Ursachen für Migration sind größer, globaler: Krieg im Nahen Osten, Instabilität in Syrien, ein totalitäres Regime in Eritrea. Man muss das durch die Menschlichkeitsbrille betrachten: Jeder einzelne der 52 Toten aus dem Motorraum hatte eine Mutter, einen Vater und Hoffnungen.
KNA: Und letztlich waren alle Anstrengungen für diese Toten umsonst.
Xuereb: Eben. Niemand hat den Tod verdient, schon gar nicht so. Dass wir einen Teil der Menschen retten, kann nicht die Lösung sein. Es muss der Tag kommen, an dem die Arbeit von MOAS nicht mehr notwendig ist.
(C) 2015 KNA Katholische Nachrichten-Agentur GmbH. Alle Rechte vorbehalten.
Foto (c) MOAS
© 2015 www.kath.net