Kann Leid eine Strafe Gottes sein?

23. September 2015 in Spirituelles


„Es gibt keine Lösung von Leid und Schuld, von Sünde und Strafe, außer der Erlösung durch Jesus Christus.“ Gedanken des verstorbenen Erzbischofs Georg Eder, geschrieben an einen kath.net-Leser


Salzburg (kath.net) Angesichts der beispiellosen Katastrophe in Indonesien, der Unzahl von Opfern wird wieder einmal die Frage nach dem barmherzigen Gott gestellt: Der liebe Gott – das Leiden der Unschuldigen – und die (denkbare) Möglichkeit der Strafe. Von vielen christlichen Lehrern wird nun Gott verteidigt: „Nein, Leiden ist keine Strafe Gottes.“ Nun braucht aber Gott unsere Verteidigung wirklich nicht. Was er von seinen Gläubigen verlangt, ist nur das Zeugnis. Paulus will den Korinthern keine Gottesbeweise liefern, sondern nur Christus zeigen – und zwar als den Gekreuzigten. Der Gekreuzigte (und Auferstandene) ist die einzige Antwort auf die Frage nach dem unmenschlichen Leid.

1.) „Leiden ist keine Strafe Gottes.“ Der Satz ist eine pure Behauptung und steht im Widerspruch der Bibel von A bis Z. Schon das erste Leiden, das die ersten Menschen trifft, ist eindeutig eine Strafe Gottes. Da gibt es ein Gebot, eine Sanktion und die Strafe. Und das ist sogar die Todesstrafe! Und am Ende steht auch eine Strafe – die ewige. „Und sie werden weggehen und die ewige Strafe erhalten“ (Mt 25, 46) und die besteht in ewigem Feuer (vgl. Jud 7). Jesus selbst lässt keinen Zweifel daran, dass der Untergang Jerusalems eine Strafe ist: „... weil du die Zeit der Gnade nicht erkannt hast“ (Lc 19, 44). Wollen wir angesichts dieser so klaren Worte Gott selber ins Wort fallen und gegen ihn behaupten: „Aber das Leiden ist keine Strafe!“?

Und natürlich muss sofort auf das Leiden der Unschuldigen hingewiesen werden. Sie sind sicher weitaus in der Überzahl gegenüber den Schuldigen. Auch die ungeborenen Kinder leiden. Niemand wird da an eine Strafe denken.

2.) „Gutes und Böses, Leben und Tod, Armut und Reichtum kommen vom Herrn“ (Sir 11,14). Jesus, der Sohn des Sirach, verbreitet hier keinen Fatalismus, sondern er bezeugt die „ewige Macht und Gottheit“ (Rö 1, 20). Wir müssen Gott Gott sein lassen und ihn auch dann preisen, wenn wir ihn nicht verstehen. Wer von uns Menschen kann denn Gottes Weisheit ergründen und seine unergründlichen Pläne erfassen? Job hat versucht, sich dem schlagenden Gott zu rechtfertigen und muss am Ende eingestehen: „So hab ich denn im Unverstand geredet über Dinge, die zu wunderbar für mich und unbegreiflich sind... Darum widerrufe ich“ (Job 42, 3.6).

Wie kommen wir damit zurecht? Ist ein solches Gottesbild nicht furchtbar? Ja, und wir sollten auch Gott wieder fürchten lernen. In der größten Not und Gefahr seines Volkes ruft der Prophet Hosea zur Umkehr auf. „Kommt, wir kehren zum Herrn zurück! Denn er hat uns (Wunden) geschlagen, er wird sie auch heilen, er hat verwundet, er wird auch verbinden“ (Hos 6,1). Welch ein Glaube an den guten Gott! Derselbe ist es, der Wunden schlägt und heilt; seine Hand schlägt zu – aber dieselbe Hand verbindet auch. Wir müssen viel größer von Gott denken.

3.) Es ist auch ein Denkfehler, wenn wir Strafe, Leiden und Schmerzen nur negativ sehen. Natürlich ist die Strafe zunächst schmerzlich und Leiden tut weh. Wenn man nur immer an die/seine Schmerzen denkt, kann man verzweifeln. Man muss „dahinter“ kommen. „Der Schmerz ist ein heiliger Engel und durch ihn sind die Menschen größer geworden als durch alle Freuden der Welt“, sagt A. Stifter. Nach C. G. Jung ist die Selbstwerdung oder Ganzwerdung des Menschen eine Kreuztragung. „Das Leiden muss überwunden werden, und überwunden wird es nur, indem man es trägt.“ Es geht also darum, im Leiden einen Sinn zu erkennen. Und den gibt es. Wenn man so oft vom „sinnlosen Leiden“ spricht, so liegt gerade hier der Drehpunkt. Christus hat aber gerade das sinnlose Leiden auf sich genommen und dadurch zu einem „heilbringendem Leiden“ gemacht. Er hat das Leiden überwunden, indem er für andere, „für uns“ gelitten hat. Paulus hat das bald erkannt. „Für den Leib Christi, die Kirche, ergänze ich in meinem irdischen Leben, was an dem Leiden Christi noch fehlt.“ (Kol 1, 24). Und jetzt freut er sich in dem Leiden, die er für die Kolosser trägt! (ebd.)

Auch die Strafe an sich darf nicht nur negativ gedacht werden. Es gibt eine poena medicinalis, eine heilsame Strafe, schon im rein menschlichen Bereich. Verheerend wirkt sich vielmehr die Straflosigkeit in der menschlichen Entwicklung aus. Im Jahre 1998 kam die ruandische Regierung zur Auffassung, die bisherige Kultur der Straflosigkeit habe zu der Welle ungesühnter Straftaten in den vergangenen 40 Jahren zwischen Hutu und Tutsi in dem übervölkerten Kleinstaat beigetragen. Wo nicht (mehr) gestraft wird, lässt man eben die anderen leiden.

4.) Es gibt keine Lösung von Leid und Schuld, von Sünde und Strafe, außer der Erlösung durch Jesus Christus. Sein Leiden ist heilbringend (beata passio), seine Strafe ist erlösend, sein Tod bedeutet Leben. Da ist die Strafe, die ungeschuldete, die maßlose. „Der Herr legte auf ihn die Schuld von uns allen... zu unserem Heil lag die Strafe auf ihm... durch seine Wunden sind wir geheilt“ (Jes 53, 4. Lied vom Gottesknecht). Dieses Leiden ist also von Gott! Es ist im buchstäblichen Sinn eine Strafe Gottes. Warum aber darf dann ein Leiden eine Strafe Gottes sein..? Wir dürfen ja in der strafenden Hand Gottes auch die heilende sehen. Es ist die gleiche Hand.

5.) Den tiefsten Sinn erreicht also das Leiden in der Sühne. Sie ist das freiwillige stellvertretende Leiden des Unschuldigen. So kam Mahatma Gandhi zur Überlegung: „Ob die Überlieferung von Jesus geschichtlich erwiesen ist oder nicht: für mich ist sie wahrer als die Geschichte... weil sie ein ewiges Gesetz darstellt – das Gesetz vom stellvertretenden Leiden des Unschuldigen.“ Und wir Christen bräuchten wirklich nicht mehr darüber zu philosophieren. Den Gekreuzigten vor Augen schreibt der Apostel: „Er ist die Sühne für unsere Sünden, aber nicht nur für unsere Sünden, sondern für die der ganzen Welt“ (1 Jo 2,2).

Es ist Johannes Paul II, der es wagt, das „Evangelium vom Leiden“ zu verkünden. „Die Zeugen des Kreuzes und der Auferstehung Christi haben der Kirche und der Menschheit ein besonderes Evangelium vom Leiden überliefert. Der Erlöser selbst hat dieses Evangelium zuerst mit seinem eigenem Leiden geschrieben...“ (Salvifici doloris, Nr. 25).

Nein, nie wird ein Mensch je die Frage nach dem Leiden beantworten können. Sie bleibt ungelöst bis ans Ende der Menschheit. Und doch gibt es einen Satz, der diese Frage zum Schweigen bringen kann. Denn:

„So sehr hat Gott die Welt geliebt,
dass er seinen einzigen Sohn hingab,
damit jeder, der an ihn glaubt,
nicht verloren geht, sondern das ewige Leben hat.“ (Jo 3, 17)

+ Dr. Georg Eder,
Erzbischof

Foto Erzbischof Eder (c) Erzdiözese Salzburg


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