Machen Sie sich nach dem Kölner Horrorszenario Sorgen?

16. Jänner 2016 in Kommentar


„Freiheit und Demokratie verlangen nach Gestaltung und verantwortlichem Handeln“, „doch das ist nicht so einfach wie sich das manche Politiker traumtänzelnd vorgestellt haben“. Gastkommentar von Martin Lohmann


Köln (kath.net) Geht es Ihnen auch so? Machen auch Sie sich Sorgen zu Beginn dieses Jahres 2016, das in Köln mit einem Horrorszenario begann? Ich treffe immer wieder Menschen, die besorgt sind angesichts einer Entwicklung, von der Angela Merkel einmal fahrlässig oder zuversichtlich meinte: Wir schaffen das. Jetzt wird immer deutlicher: Ohne Regeln, ohne einen Plan, den es wohl lange überhaupt nicht gab, schaffen wir das nicht mal eben so. Ganz andere Kulturkreise, ganz andere Vorstellungen von der Würde der Frau, ganz andere Vorstellungen beziehungsweise Ablehnung von Demokratie, ja, auch ganz andere Ansichten darüber, was eigentlich Recht ist – all das lässt sich nicht so ohne weiteres blauäugig zusammenbinden mit unseren Überzeugungen von Recht und Demokratie, von Gleichberechtigung und Achtung der Person. Wer Freiheit und Rechtsstaat auch morgen will, der muss auch wollen, dass alle sich an Recht und Ordnung halten und Verantwortung übernehmen. Der unkontrollierte Clash der Kulturen, vor dem ein Autor schon vor etlichen Jahren warnte, ist keine gute Option. Freiheit und Demokratie verlangen nach Gestaltung und verantwortlichem Handeln. Wenn dem so ist, ja, dann können wir sagen: So schaffen wir das. Doch das ist, wie wir zunehmend sehen müssen, wohl nicht so einfach wie sich das manche Politiker traumtänzelnd vorgestellt haben.

Doch jetzt stocke ich auch gleich wieder. Darf man so etwas eigentlich sagen? Darf man so denken – was übrigens offensichtlich viele in Deutschland tun –, ohne zugleich als rechts oder rechtsextrem beschimpft zu werden? Ist man wirklich intolerant, wenn man Toleranz einfordert? Als Historiker mache ich mir da grundsätzlich schon Sorgen, weil etwas sehr Gefährliches beobachtet werden kann. Und das ist der perfide Versuch vor allem linker Kräfte, jede noch so berechtigte Kritik, jedes noch so berechtigte kritische Hinterfragen und jede noch so menschenfreundliche Sorge als „rechts“ zu diskreditieren. Ich nenne das Diskriminierung im Namen angeblicher Toleranz, die aber letztlich nichts anderes als eine ebenso geschickte wie perfide Intoleranz ist. Und zwar mit einem bestimmten Ziel: der Schaffung von Rechtsradikalismus, um dann endlich sagen zu können: Seht her, am rechten Rand wächst es!

Da stellt sich – und dafür braucht man eigentlich nicht lange nachzudenken – die Frage: Wem könnte so etwas wohl nützen? Die Antwort ist eigentlich ziemlich einfach. Doch zuvor möchte ich auf etwas Wichtiges hinweisen, das mir als Enkel eines Widerständlers gegen den rechten braunen Sumpf sehr wichtig ist. Mein Großvater, der mich prägte, obwohl er vor meiner Geburt starb, war katholisch klar und nahm wegen seines Widerstandes gegen die Nazis ein schweres Kreuz auf sich. Eine glaubwürdige Figur – ähnlich wie der frühere Reichskanzler und Gegenspieler der Falschen, Wilhelm Marx, der ebenfalls zur Familiengeschichte zählt. Beide, und nicht nur sie, haben mich gelehrt, dass man aus wahrlich gutem Grunde nichts, aber auch gar nichts mit Extremisten zu tun haben darf. Ich lehne vielleicht auch deshalb braunlackierte Rote ebenso ab wie rotlackierte Braune. Und nach den Erfahrungen mit der zerstörerischen und menschenverachtenden NS-Diktatur ist „Rechts“ und erst recht „Rechtsradikal“ ein berechtigtes Schimpfwort, weil wir mit denen als Demokraten und Menschen der Freiheit nun wirklich nichts zu tun haben wollen.

Doch wir beobachten seit einiger Zeit, dass diese eigentlich scharfe Waffe regelrecht entschärft wird, stumpf werden muss. Und das scheint mir durchaus beabsichtigt. Es ist zwar logisch, dass eine nach links gerutschte Gesellschaft, in der sich Medien unkritisch einkuscheln, alles, was noch Mitte ist, von links aus als rechts wahrnehmen. Und daher kommt aus dem linken Mainstream gegen jeden, der eben nicht links ist, der Vorwurf, er sei rechts oder gar rechtsradikal. Leichtfertig und fahrlässig ist so etwas. Denn so erfahren ganz viele Bürger rechts von dem linken Spektrum, also eher Bürger der Mitte, dass man sie als rechts beschimpft. Die Folge ist evident: Aus der einst berechtigt scharfen Wortwaffe wird ein stumpfes Instrument, und bei vielen entwickelt sich die fatale Vorstellung, rechts oder gar rechtsextrem sei ja eigentlich nichts wirklich Verwerfliches. Und so kann dann rechts etwas wachsen – was ganz im Sinne derer ist, die so etwas von linksextrem wünschen, um mit großer Sorge und Entsetzen auf den rechten Rand zu verweisen, verweisen zu können. Ganze Parteien und Gruppierungen wurden und werden so diskriminiert – obwohl man anderer Stelle völlig zu Recht darauf hinweist, man wolle und dürfe doch nicht verallgemeinern.

Und was passiert jetzt? Nach Köln? Etablierte Politiker, die gestern noch politischen Gegnern aufgrund deren kritischer Wortwahl jede demokratische Gesinnung absprachen, sehen sich nach einer Phase unverantwortlicher Blauäugigkeit gezwungen, deren Wortwahl sich nun zu eigen zu machen und Integrationsregeln zu fordern. Dumm nur für jene, die – aus gutem Grunde – die Probleme, die nun tatsächlich da sind, schon früher benannten und nicht so ganz grundlos besorgt waren.

Als Medienmensch mache ich mir auch so meine Gedanken über manche Medien, die sich alle gegenseitig bedienen und voneinander abzuschreiben scheinen. Es ist bisweilen erstaunlich, welche Nachrichten unkritisch und erkennbar falsch tagelang den Weg in entsprechende Sendungen oder Blätter finden, während andere, richtige und wichtige Nachrichten, einfach verschwiegen werden. Das ist nicht gut. Weder für unsere Demokratie, noch für unsere Freiheit noch für unser auf Verantwortung und Fairness aufgebautes Zusammenleben. Eine Selbstdekonstruktion ist niemals gesegnet. Weder eine in der Medienwelt – noch eine innerhalb der Kirche, die in Deutschland wegen der Verblendung durch den schnöden Mammon von dieser Gefahr ja auch reichlich infiziert scheint.

Wie bitte? – werden Sie jetzt fragen oder protestierend dazwischenrufen. Was meint der Lohmann denn jetzt? Ich meine, dass wir trotz und mit aller wahrlich notwendigen Willkommenskultur aufhören müssen, uns als Christen zu verstecken. Im Gegenteil: Wir brauchen gerade jetzt das Erwecken eines missionarischen Geistes, eines wohlgemerkt liebevollen, einfühlsamen und selbstbewussten Geistes, der sich wieder traut, anderen wenigstens einmal die Möglichkeit zu geben, diesen Jesus Christus und seine Botschaft von Liebe, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit kennenzulernen. Gott, den wir seit Jesus Christus als barmherzigen himmlischen Vater kennen dürfen und der alles andere als selbstsüchtig, launisch oder angstmachend ist, darf bekannt werden. Doch dazu braucht er uns, die Christen. Gott ist eben kein Despot, kein Tyrann, keiner, der uns Menschen nicht ernst nimmt. Er ist ein Gott des Lebens und des Friedens. Er ist ein Gott der Güte und der Liebe. Vor ihm haben alle Menschen dieselbe gleichberechtigte Würde als Person, als Gegenüber. Gott geht mit jedem Menschen, wenn er es denn will, durch sein Leben. Gott betrügt niemals. Gott will kein Elend, kein Morden, keine Verachtung.

Der vielbeschworene Dialog, den wir dringend brauchen, benötigt überzeugte und überzeugende Christen, die noch wissen, wie man antwortet, wenn jemand – auf welche Weise auch immer – nach dem Grund unserer Hoffnung fragt. Der Dialog braucht Christen der Hoffnung. Er braucht Christen des Mutes und der Barmherzigkeit. Er braucht Christen, die aus der Mitte kommen, die ihre Verwurzelung in Jesus Christus haben, die ihn bekennen und sich zu ihm bekennen.

Aber vielleicht gestatten Sie mir auch diesen Hinweis in einer Zeit, in der die in unserer Gesellschaft sich ausbreitende Diktatur der Ignoranz und des Relativismus längst – auch mit Helfershelfern aus dem sogenannten katholischen Lager – mit der perfiden Christenverfolgung begonnen hat, auch wenn dies logischerweise jene bestreiten, die sich daran beteiligen als angepasste Feiglinge mit und ohne Mitra: Unsere Gesellschaft braucht dringend aufgeweckte und glaubenstreue wie glaubensstarke Christen, die sich einmischen. Die Zeit des Versteckens und Abtauchens ist definitiv vorbei. Der Christ der Gegenwart und der Zukunft wird ein Christ des Mutes und des Bekenntnisses sein. Oder aber er wird nicht sein.

In diesem Sinne rufe ich Ihnen voller Hoffnung und berechtigter Freude zu:
Eine gesegnete, eine starke, eine gute Zeit!

Martin Lohmann im Gespräch mit Papst Franziskus


Foto oben (c) Martin Lohmann


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