Irakischer Patriarch Sako: Westen hat Mitschuld am Christenschwund

27. Jänner 2016 in Weltkirche


Katholischer Patriarch: «Ausländische Akteure» haben Demokratie und Freiheit als Deckmantel benutzt, um sich irakische Rohstoffe anzueignen, und dabei Chaos und Terrorismus gefördert.


Rom-Wien (kath.net/KAP) Der irakische Patriarch Louis Raphael I. Sako hat den Westen für die Auslöschung des Christentums im Nahen Osten mitverantwortlich gemacht. "Ausländische Akteure" hätten Demokratie und Freiheit als Deckmantel benutzt, um sich irakische Rohstoffe anzueignen, und sie förderten dabei Chaos und Terrorismus, sagte das Oberhaupt der chaldäischen Katholiken laut dem vatikanischen Pressedienst Fides (Dienstag). Zugleich werde seit dem US-Einmarsch im Irak 2003 "systematisch und wohlüberlegt" auf das Verschwinden der Christen und anderer religiöser Minderheiten hingearbeitet. Der Pressedienst zitierte Sako nach dem Manuskript einer Rede, die er auf einer Konferenz über Rechte religiöser Minderheiten in islamischen Ländern im marokkanischen Marrakesch halten sollte.

Demnach führte der chaldäisch-katholische Patriarch auch aktuelle Beispiele für eine Diskriminierung von Christen im Irak an. So habe ein Richter in Bagdad einen Christen aufgrund seiner Religionszugehörigkeit als Prozesszeugen abgelehnt. Bauunternehmen, die Muslimen gehörten, weigerten sich, Aufträge von Christen auszuführen.

Weiter berichtete Sako von Enteignungen christlicher Hausbesitzer durch Milizen in Bagdad. Selbst in Behörden seien Aushänge aufgetaucht, mit denen christliche Mädchen aufgefordert würden "nach dem Vorbild der Jungfrau Maria" ihren Kopf zu verhüllen.

Notwendig sei die Ausbildung kompetenter muslimischer Geistlicher, "die sich dem Fanatismus und der Sektenmentalität in Wort und Tat widersetzen", sagte der Patriarch laut Fides.

Die chaldäische Kirche bildet die größte christliche Gemeinschaft im Irak. Schätzungen sprechen von 480.000 Gläubigen, von denen mehr als 150.000 in den USA und 30.000 in Australien leben. Aufgrund der Vertreibungen und der steten Abwanderung sind die Zahlen jedoch starken Veränderungen unterworfen.

Trauer um Zerstörung von St. Elias

Die neuesten Berichte über die Klosterzerstörung durch die IS-Terroristen verdüstern die Stimmung der im Irak verbliebenen Christen zusätzlich. Satellitenaufnahmen haben jetzt die Zerstörung von St. Elias, einem der ältesten Klöster im Irak, durch die Terrormiliz bestätigt.

Derzeit ist noch nicht klar, ob das Kloster bereits im August oder September des Jahres 2014 zerstört oder erst in den letzten Tagen dem Erdboden gleich gemacht wurde. Es gibt die Version von Experten, dass die Ruinen des Klosters erst jetzt durch den Einsatz von Baggern oder Sprengstoff buchstäblich pulverisiert wurden.

Das Kloster war bereits während der Besetzung des Irak Ziel von Vandalismus gewesen, auch von Seiten amerikanischer Soldaten: Einige Mitglieder der 101. US-Airborne Division hätten die Wände mit Zeichnungen und Graffiti beschmiert.

Die aktuellen Satellitenaufnahmen zeigen, dass der gesamte Komplex des 1.400 Jahre alten Klosters vollständig eingeebnet ist. In Bagdad sagte der chaldäisch-katholische Weihbischof Shlemon Warduni: "Eine weitere Tragödie, diese Nachricht betrübt mich und zerstört mir das Herz." Die Stiftung "Pro Oriente" (Mittwoch) zitiert den Bischof mit Berichten, wonach die chaldäischen Seminaristen vor dem Krieg alljährlich am Fest des Heiligen Elias zu dem Kloster gepilgert seien und in den Ruinen die Liturgie gefeiert hätten.

Ohne einer baldigen Beendigung des Krieges seien "noch viele weitere schreckliche Dinge" zu erwarten, so die Befürchtung des Chaldäerbischofs. "Gewisse Leute" seien in den Irak eigens deshalb gekommen, "um zu zerstören und zu morden, um schreckliche Dinge gegen Gott und den Menschen zu begehen". Die USA, Europa und die arabischen Länder müssten gemeinsam etwas unternehmen, um eine noch größere Tragödie zu verhindern.

Zufluchtsort und Pilgerziel

Erst 2008 hatten irakische Archäologen das Kloster St. Elias untersucht, um den Erhaltungszustand der Ruinen und nötige Renovierungsmaßnahmen zu ermitteln. Der Gründermönch des Klosters, Mar Elia, wird als Heiliger verehrt. Das Kloster wurde um das Jahr 595 von Mar Elia begründet. Es war über Jahrhunderte ein bevorzugtes Ziel der mesopotamischen Pilger, um den Feiertag des Heiligen Elias zu begehen, der auf den letzten Mittwoch im November fällt.

Das Kloster hatte eine bewegte Geschichte, es wurde im 17. Jahrhundert von Hurmizd Alquschnaya renoviert. 1743 fiel der persische Machthaber Tahmaz Nader Schah über das Kloster her und ließ alle Mönche ermorden, weil sie nicht zum Islam konvertieren wollten. Das Kloster lag bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts in Ruinen, als einige Restaurierungen durchgeführt wurden. Während des Ersten Weltkriegs und des Völkermordes an den Armeniern und Assyrern war St. Elias ein Zufluchtsort, was später zum Wiederaufbau eines Teils der Stätte führte.

Nach dem Irakkrieg 2003 befand sich das Klostergelände unter der Kontrolle US-amerikanischer Einheiten. Dann übernahm die 101. US-Luftlandedivision die Verantwortung für das Gebiet. Später führte das 94th Engineer Battalion eine topografische Vermessung des Klosters durch. St. Elias wurde eingezäunt, um US-Militärseelsorger bei ihren Touren zu schützen. Im Mai 2008 war es irakischen Archäologen zum ersten Mal seit dem Zweiten Golfkrieg möglich, die Gebiete zu besichtigen.



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