Echte Toleranz kennt Grenzen

10. März 2016 in Kommentar


Kritische Anmerkungen zur Flüchtlingsproblematik. kath.net-Kommentar von Prof. Hubert Windisch


Regensburg-Freiburg (kath.net) Wie Mehltau liegt die Flüchtlingskrise auf der Bundesrepublik Deutschland. Nicht wenigen Zeitgenossen drängt sich der Eindruck auf: Da geht etwas nicht gut. Das Verhalten vieler politisch Verantwortlicher in der augenblicklichen Krise erinnert eher an absolutistisches Unvermögen als an souveränes Management. Einer diffusen Politik und ihrer medialen Unterstützung fehlen Maß und Ziel bei der Bewältigung der Flüchtlingsproblematik. So entsteht weithin eine lähmende Betriebsamkeit, die nicht den Ursachen der Krise auf den Grund geht, sondern deren Symptome verwaltet. Die Angst wächst, das starke Deutschland sei nicht mehr Herr der Lage, sondern zunehmend ein Koloss auf tönernen Füßen. Diese Angst ist real und darf nicht in therapeutischem Hochmut (Peter Graf Kielmansegg), der oft an der Schnittstelle von Ignoranz und Arroganz entsteht, wegdiskutiert oder gar wegbefohlen werden.

Leider bieten auch die Kirchen wenig Orientierung in den augenblicklichen Entwicklungen und sind kaum noch ein gesellschaftskritisches Korrektiv. Ihre Führungskräfte schwimmen nicht selten im Fahrwasser der Regierenden und tragen dazu bei, dass die Kirchen zu Quantités négligeables werden.

Vor einigen Wochen schrieb mir ein bekannter Jurist: Der Pegel der Verachtung gegenüber Politik und Kirche steigt. Was kann man dagegen tun? Woher kommt uns Hilfe? Sicher nicht von der Türkei. In vielerlei Hinsicht tut ein neues Selbstbewusstsein not. Eine moralische Pflicht zur Selbstzerstörung eines Staates kann es jedenfalls, so ein inzwischen geflügeltes Wort von Peter Sloterdijk, nicht geben.

Auch wenn sich die Gründe für den durch die unsachgemäße und zum Teil auch unrechtmäßige Handhabung der Flüchtlingsproblematik ausgelösten dramatischen gesellschaftlichen Zustand nicht eindimensional in einer Person festmachen lassen, können doch viele Faktoren, die diesen Zustand erzeugen, im Verhalten der augenblicklichen Bundeskanzlerin gebündelt werden.

Eine Schlüsselszene mag diese Behauptung veranschaulichen. In „Der Spiegel“ Nr. 4 / 2016, Seite 13 wird berichtet, bei einem gemeinsamen Konzert Anfang Januar habe Pfarrer Rainer Eppelmann der Kanzlerin gesagt, wie großartig er ihre Flüchtlingspolitik finde. Er habe angesichts ihrer Lage oft an ein Lieblingszitat des ehemaligen tschechischen Präsidenten und Schriftstellers Václav Havel denken müssen: „Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass eine Sache gut ausgeht. Hoffnung ist die Gewissheit, dass eine Sache Sinn macht, egal wie sie ausgeht.“ Die Kanzlerin habe sich in der Pause des Konzerts noch einmal bei Eppelmann dieses Zitats vergewissert. Nichts gegen Havel und seine großen Leistungen! Aber mit diesem Spruch kann man auch einem Wahn Sinn verleihen.

Zunächst ist die augenblickliche Flüchtlingsproblematik ein quantitatives Problem. Man braucht kein Anhänger des Dialektischen Materialismus von Karl Marx zu sein, um erkennen zu können, dass quantitative Änderungen zu einem Umschlag in der Qualität führen können.

Es ist also für einen Staat und sein Gemeinwesen – unabhängig von qualitativen Momenten einer Massenmigration – sehr wohl ein Unterschied, ob Tausende oder Millionen in das Staatgebiet einwandern.

Dazu kommt der Faktor Zeit, der angesichts der Schnelligkeit der Ereignisse der letzten Monate diese Erfahrung qualitativer Sprünge wesentlich verschärft.

Und diese neuartige Erfahrung eines in kurzer Zeit anschwellenden Flüchtlingsstroms in unserem Land kann nicht mit dem Hinweis auf den Umgang mit Fremden in der Bibel entschärft werden. Fremde in der Bibel, wenn sie denn zu beschützende Fremde und keine Feinde waren, waren immer gering an Zahl im Verhältnis zum Volk Israel. Ihre Beherbergung bzw. Integration erfolgte nach strengen Regeln, die nie die Identität Israels gefährden durften. Wer die Realität von Fremdsein in der Heiligen Schrift (zumal im AT) unbesehen auf die heutigen Verhältnisse überträgt, beugt nicht nur die jetzige Wirklichkeit mit Hilfe der Bibel, er beugt die Wirklichkeit der Bibel selbst.

In qualitativer Hinsicht beunruhigt in der augenblicklichen Flüchtlingskrise vor allem der hohe Anteil an Moslems unter den Migranten.

Wer meint, der Islam spiele bei der Aufnahme und Integration von Millionen von Migranten in Europa keine oder nur eine geringe Rolle, ist sträflich naiv.

Man übersieht – aus welch ideologischen Gründen auch immer – dabei, dass eine gelebte Religion ganz konkret persönlichkeits-, kultur- und staatsprägend ist und nicht einfach beim Grenzübertritt durch eine Unterschrift auf ein Regelpapier geändert wird.

Man übersieht ferner, dass der Islam im Innersten keine Trennung von Staat und Religion kennt.

Und man übersieht in eigenartig unkritischer Haltung das gewalt- und sexualpathologische Potential im Islam, bei Mohammed ebenso wie im Koran.

Vor allem aber bedenkt man nicht, dass nach dem Juristen und Rechtsphilosophen Ernst-Wolfgang Böckenförde der freiheitliche, säkularisierte Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann. Mit anderen Worten hat jedes Staatsgefüge (philosophisch gesprochen) metaphysische und (theologisch gesprochen) religiöse Wurzeln. Der Islam bringt überall dort, wo er sich ausbreitet und Macht gewinnt, diese Wurzeln in seinem Sinn stark zur Geltung.

Es ist bedrückend zu sehen, wie rasant sich in Westeuropa inzwischen eine schleichende Islamisierung vollzieht, für die Michel Houellebecq mit seinem Roman „Soumission“ (Unterwerfung) das Drehbuch geschrieben zu haben scheint. Eine falsch, weil nur formal verstandene Toleranz macht sich in Politik und Kirche breit.

Eine Toleranz jedoch, die nur formal ist und nicht aus Inhalten besteht, zerstört sich selbst. Es entsteht eine Diktatur des Relativismus (Papst Benedikt XVI.), und über kurz oder lang regiert nicht der Bessere, sondern der Stärkere. Barbarei und Schamlosigkeit nehmen zu. Es ist die Frage, ob wir das bei uns wollen und wollen dürfen.

Echte Toleranz, die nicht Selbstaufgabe und Unterwürfigkeit ist, kennt Grenzen.

Das heißt aber auch: Wenn ein freiheitlicher, säkularisierter Staat notwendigerweise von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann, muss sich Europa und Deutschland in Europa vehement auf die tragenden Säulen seiner Geschichte Athen, Jerusalem und Rom zurückbesinnen.

Und es sollte gerade auch von der Kirche in dienendem Selbstbewusstsein deutlich gemacht werden, warum nicht nur Christen von ihr erwarten dürfen, dass sie sich für eine christliche Fundierung der Gesellschaft einsetzt.

Prof. Dr. Hubert Windisch (Foto) ist emeritierter Professor für Pastoraltheologie der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg


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