Politik: Christen haben mehr zu bieten als Anpassung

24. März 2016 in Kommentar


Wohin steuern CDU und Gesellschaft nach den Landtagswahlen? - „Eine Demokratie, die nur noch eine linke Mitte duldet und sich an der Gottlosigkeit ergötzt, hat nicht nur Schieflage, sondern ist auf Dauer gefährdet.“ Gastkommentar von Martin Lohmann


Bonn (kath.net) Es ist schon faszinierend, wie sehr sich offenbar einige CDU-Mächtigen auch Wochen nach den Landtagswahlen akribisch weigern, auch nur ansatzweise Bodenkontakt mit der Wirklichkeit des eigentlichen Souveräns zu versuchen. Wer das beobachtet, muss sich allmählich entscheiden, ob diese panische Verweigerungshaltung der Laschets und von der Leyens dieses Paralleluniversums eher faszinierend erschreckend oder erschreckend faszinierend ist. Vor allem aber, und das wird leider sehr deutlich, ist die trotzige Totalverweigerung letztlich systemkonform und eine logische Folge einer Entwicklung, die abzusehen war – wenn man sich denn einen freien und nonkonformistischen Blick auf das System Merkel leisten konnte und wollte.

Doch diese Freiheit ist für Satelliten, die in diesem System auf vorgeschriebenen Bahnen die auserwählte Sonne zu umkreisen haben, notgedrungen eher schwierig. Die Fairness gebietet es also, von Monden in selbstreferentiellen Sonnensystemen nicht mehr zu erwarten als möglich. Freilich: Von der Verantwortung für Fehlentwicklungen in einer Partei, die einmal etwas mit dem „C“ zu tun hatte und für eine Politik aus christlicher Verantwortung stand, spricht diese selbstgewählte Mondhaltung nicht frei.

So temperamentvoll manche Kritik daherkommt: Es muss ergänzt und differenziert werden. Denn zur Wirklichkeit gehört auch, dass die Vorsitzende der CDU als Kanzlerin in der Flüchtlingsfrage erstmals wirklich Position bezogen hat – was sie eben auch angreifbar macht. Und es stimmt auch, dass neue politische Formierungen gerade deshalb punkten konnten. Das Hauptthema „Flüchtlingsstrom“ konnte instrumentalisiert werden, und leider wurde es auch immer wieder instrumentalisiert. Leider. Wahr ist eben auch, dass die wahltechnischen Profiteure nicht wirklich Antworten auf wichtige Fragen haben.

Aber wichtig ist auch dies: Es entspricht zweifelsfrei dem christlichen Gebot, Verfolgten zu helfen und Flüchtlinge aufzunehmen. Insofern zeigt sich in dieser Politik also auch etwas Urchristliches. Doch zugleich darf gefragt werden, ob das Ausrufen einer Politik ohne Plan und ohne ausreichend erkennbare Ordnung verantwortungsvoll ist und der ebenfalls christlichen Pflicht zur Sorgfalt entspricht. Ist eine Politik, die auf christliche Hilfsbereitschaft verweist und zugleich bei vielen Ängste und Sorgen auslöst, automatisch eine Politik aus christlicher Verantwortung? Ist damit allein dem „C“ hinreichend entsprochen?

Daher kann und darf man auch dies bedenken: Das, was in der politischen Landschaft seit vielen Monaten zu beobachten ist und sich rechts von der linksverklebten CDU ereignet, ist wahrlich kein vom Himmel herabgefallenes völlig überraschendes Naturereignis. Das wissen letztlich auch die Verursacher, von denen viele in der Union zu suchen sind. Allen voran die Oberraute, die ihrer Partei mit langem Atem und zielsicher eine Ent-Unionisierung verordnete, welche als neue und moderne C-Partei getarnt und verkauft wurde. Es ist nicht nur die ohne verantwortlichen Plan betriebene Flüchtlingsherausforderung, an der sich nun die Geister scheiden in und an einer Partei, die von ihrer durch eigenes Machtkalkül alternativlos gewordenen Dauervorsitzenden inhaltlich entkernt dem Parteieneinheitsbrei preisgegeben wurde.

Merkel, das meinen nicht nur böswillige Beobachter, interessierte sich stets als nahezu perfekte Ich-AG nur insoweit für eine Partei Adenauers, als dies ihr selbst und ihrem Machthunger diente. „Kohls Mädchen“ konnte und wollte mit Adenauers Inhalten nie wirklich etwas anfangen. Und mit dem erfolgreichen Machtwillen chloroformierte sie alle, die ihr nützlich waren. Die anderen, die sich das eigene Denken noch leisten wollten und konnten, die also ein gewisses Immunsystem gegen Mentalbetäubung mitbrachten, störten – und mussten verschwinden.

Beim Schielen nach links in einer das Christliche verleugnenden Gesellschaft, die zur Tarnung die Devise ausgab, dass es links und rechts ja gar nicht mehr gebe, rutschte Merkels Union aus der Mitte in den Raum links davon. Jahrelang funktionierte das mehr oder weniger problemfrei, weil quasireligiös gebetsmühlenhaft penetriert wurde, das sei die neue Mitte. Aus einer CDU wurde augenscheinlich „die“ Mitte. Dumm nur, dass man Lebensrealitäten zwar lange wegreden kann, sie aber dennoch da sind. Töricht zudem, wenn man diejenigen, die vor einer Einheitspartei warnen und nichts weiter verlangen, als eine breite Parteibasis, die sich programmatisch und in Köpfen auch und eben gerade in Konservativen als Teil eines Ganzen zeigen wollen, selbstverliebt und machttrunken zur quantité negligable degradiert oder gar nicht mehr wahrnehmen will.

Alle, die nichts weiter wollten als eine in und an der Partei erkennbare Vielfalt der Volkspartei, die mit ihrem christlichen Anspruch mehr als nur den vermeintlichen Mainstream abbilden müsste, wurden gleichsam entsorgt, von oben übersehen, bewusst missverstanden oder beschimpft. Es gab Aussagen eines Generalsekretärs, der solche Versuche der Wählerbindung – noch einmal: ohne andere Wählerschichten vergraulen zu wollen – abtat mit Hinweisen wie: Katholiken und Bürgerliche haben doch keine Alternative; die müssen uns wählen – die sind uns sicher!

Eine fahrlässige Selbsttäuschung, wie wir heute wissen. Man kann darüber diskutieren und streiten, ob diejenigen, die sich jetzt „Alternative“ nennen, wirklich eine Alternative sind. Fakt ist aber, dass zahlreiche Wähler, die ja eigentlich und angeblich so „sicher“ waren, in den vergangenen Jahren zunächst das kleinere Übel wählten, dann sich wegen des Wachstums dieses Übels der Wahlbeteiligung verweigerten, um sich jetzt mit einem kräftigen Protest an der Wahlurne wieder aktiv am Demokratieleben zu beteiligen. Man kann nur staunen und erschrecken, mit welch starrer und geradezu ZK-tumber Trotzigkeit etliche von jenen, denen die Klatsche galt und gilt, betonmäßig das „Weiter so!“ propagieren!

Es muss eine panische Angst vor Selbstkorrektur vorherrschen in einem System der Raute, das offenbar jeden Erkenntniszuwachs verbietet und reflexartig ins Beschimpfen und Verunglimpfen flüchtet, um so lange wie möglich den eigenen Machterhalt um den Preis der Freiheit zu konservieren. Und das Fatale dabei: Schimpf- und Schande-Attacken, so medienwirksam sie auch häufig sein mögen, treffen vor allem jene, die man eigentlich zurückgewinnen müsste: die Wähler. By the way: Diese sind der wirkliche Souverän. Seine Missachtung ist also alles andere als souverän. Wenn auch wirksam. Noch.

Dauerhaft aufhalten lässt sich eine notwendige Kurskorrektur jedoch selbst in starresten Systemen nicht. Und daher ist es an der Zeit für eine solche, in diesen Umbruchszeiten, die unsere politische Landschaft merklich – ob das Merkel will oder nicht – umwälzen könnten. Alle Profile, die eine C-Partei eben (mehr als) auch haben müsste, hat sie unter der Nachfolgerin Adenauers und Kohls mehr oder weniger endgültig preisgegeben. PID, Abtreibung, Stammzellenforschung, Euthanasie: Im Lebensschutz klaffen Lücken, die Familienpolitik folgt der Wirtschaft und denkt immer noch nicht vom Kind her, Familien werden mit Scheinhäppchen eher geschwächt als gestärkt, und so wurde – leider auch unter dem gefälligen Applaus steuertechnisch abhängiger kirchlicher Kreisen – der christliche Anspruch im Politischen dem Verdunsten anheimgestellt.

Nun ist bekannt, dass es eine christliche Politik nicht geben kann, wohl aber eine Politik aus christlicher Verantwortung. Diese aber hat sich zu orientieren an dem, was christlich ist. Und das bedeutet: Absage an jede Form des Fundamentalismus und Extremismus, zugleich aber Mut zum Widerspruch und zur Berücksichtigung dessen, was der Kirchenstifter verkündet hat. Vor lauter politischer Korrektheit gibt es, allen Unkenrufen zum Trotz, keinen Freibrief etwa zu biblischer Unkorrektheit. Christliche Politiker haben nicht die Pflicht zur geräuschlosen Anpassung bis hin zur Unkenntlichkeit, sondern die Zu-Mutung zum Mehr, zum Unbequemsein, zur Wahrhaftigkeit und zum Weitblick auf das, was letztlich dem Menschen und seiner Natur wirklich dient.

Generell gilt ja: Eine Demokratie, die nur noch eine linke Mitte duldet und sich an der Gottlosigkeit ergötzt, hat nicht nur Schieflage, sondern ist auf Dauer gefährdet. Daher ist das Schimpfen aus dem Linksbereich von der Linken bis hin zur CDU auf alle, die sich dem Diktat des Angeordneten nicht unterwerfen wollen, letztlich demokratophob und – und das ist die gute Nachricht – entlarvend. Es gleicht den Zuckungen eines Ertappten, der nicht wahrhaben will, dass seine Tricks nicht mehr funktionieren.

Die Demokratie braucht um die demokratische Mitte einen breiten Raum der Demokraten! Und dazu gehört bekanntlich nicht nur die Offenheit nach links, die Merkel der CDU oktroyiert hat, sondern auch die Zulassung legitimer Demokratie rechts von der Mitte. Franz Josef Strauß wusste nur zu gut, warum er wollte, dass es rechts von der CSU keine legitime demokratische Partei geben solle. Was damals viele nicht verstehen wollten und bewusst missinterpretierten, erweist sich heute als weise Prophetie. Und sein Rat lastet jetzt wie eine erlösende Hypothek auf einer Partei, die das C im Namen noch inhaltlich kennt und nicht nur als Blumentopf herzuzeigen versteht.

Wir wissen, dass viele die CSU gewählt hätten, hätte man sie denn außerhalb Bayerns wählen können. Und so schleicht sich mit dem Erschrecken über das Anwachsen anderer politischer Kräfte auch eine gewichtige Frage an die CSU heran, die zugleich mit einer für diese Partei ebenso schweren wie starken Verantwortung verbunden ist. Es ist aber auch das Dilemma zwischen regionaler Partei mit bundespolitischem Anspruch und bundesweiter staatspolitischer sowie demokratiegeforderter Verantwortung und möglicher regionaler Schwächung. Welche Verantwortung ist größer? Wie muss heute eine Prioritätenliste aus C-Sicht und bürgerlichem wie patriotischem Anspruch aussehen?

Man kann also nicht nur einerseits klagen und andererseits verweigern. Rechts von der Merkel-Union ist eine breite Mitte, die dringend wählbar sein muss. Weil die CDU jenseits ihrer C-losen Führerin nicht erkennbar ist und keine entmerkelten beziehungsweise merkelbefreiten Profilköpfe mehr hat oder sich nicht mehr zutraut, steht jetzt die CSU vor einer historischen Herausforderung – weit über Bayern hinaus. Es geht nicht darum, was gut für Merkel ist, sondern darum, was gut ist für Deutschland. Die Politik braucht dringend einen belastbaren, mit Nachhaltigkeit versehenen Kompass.

Und das ist auch eine Anfrage an diejenigen, die noch wissen, dass es Christsein nicht zum Nulltarif gibt und Christen den Auftrag und die Befähigung haben, sich in Gesellschaft und Politik einzumischen. Wenn nicht jetzt, wann dann. Christen haben mehr zu bieten als eine billige Anpassung und ein ängstliches Sich-Verstecken. Und sie sind, wenn sie es denn wagen, Anwälte der Menschlichkeit für jeden. Diese Gleichberechtigung hilft – mehr als jede Gleichmacherei. Der Aufruf des Heiligen Johannes Paul klingt heute irgendwie besonders kräftig und aktuell: Habt keine Angst!

Martin Lohmann ist politischer Journalist, Theologe und Historiker sowie (ehrenamtlich) Vorsitzender des Bundesverbandes Lebensrecht (BVL), der jährlich zu Beginn der Woche für das Leben mit einer Fachtagung den „Tag für das Leben“ (9. Apri 2016, diesmal in Mainz) und den Marsch für das Leben (am 17. September in Berlin) veranstaltet. 2013 trat Lohmann nach 41 Jahren als „nach wie vor überzeugter christlicher Demokrat“ aus der CDU aus.

kath.net-Buchtipp
Das Kreuz mit dem C
Wie christlich ist die Union?
Von Martin Lohmann
Hardcover, 208 Seiten
2009 Butzon & Bercker
ISBN 978-3-7666-1242-7
Preis 15.40 EUR

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´Wer entscheidet über Leben und Tod?´ - Presseclub diskutiert am 17.05.2015 über Sterbehilfe - Mit Martin Lohmann


Foto oben: Martin Lohmann (c) Lohmann-Media


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